Achtes Kapitel
Die Matrone spricht aus einem hohen Tone

[60] Niemand freute sich so sehr über den kleinen Ludwig, als Julchen. Sie war eben in dem Alter, da die Mädchen anfangen sich der Puppen zu schämen, ohne darum die Neigung zu diesem Spielwerk verloren zu haben; nichts ist ihnen zu dieser Zeit erwünschter, als eine lebendige Puppe, ein Kind, in dessen Gesellschaft sie mit Ehren spielen, für das sie auf ihre Art Sorge tragen, und sich dabey ein mütterliches Ansehen geben können. Julchen spielte die gewöhnliche Rolle ihrer Mitschwestern meisterlich. Nie war sie aufgeräumter und[60] liebenswürdiger, als wenn sie Ludwigen zu unterhalten suchte, und nie war ihr Ton ernsthafter und ihre Miene nachdenklicher, als wenn sie mit mir von den Bedürfnissen des Kindes und seiner Pflege sprach, bey welcher sie eine wichtige Person vorzustellen glaubte.

Diese beyden kleinen Leute lehrten mich wieder lachen, und lockten mir zu anderer Zeit Freudenthränen ab. Sie liebten sich unaussprechlich. Ludwig weinte, wenn er seine Spielgesellinn nicht sah, und Julchen dachte an keinen Spaziergang mehr, bat nicht mehr, so wie sie sonst gethan hatte, ich möchte sie doch mit Pfarrers Lorchen umgehen lassen, und achtete keine Freude, wenn nur Ludwig zugegen war.

Meine Freude an dem armen Kleinen, war freylich nicht so rein und unvermischt, als wie Julchens, durch wie vielerley Gedanken an die Vergangenheit und an die Zukunft wurde sie nicht verbittert! und selbst der gegenwärtige Augenblick war in Ansehung seiner nicht an Verdruß und Kummer leer.

Ludwig hieß mein Pathe, aber es war mir nicht verborgen, daß ganz Hohenweiler ihn unter seinem wahren Namen kannte. Das neugierige Julchen war in meiner Krankheit über Hannchens Briefe gekommen, sie hatte oft auch etwas von Walters Gesprächen mit mir über diese Dinge gehört, denn wer kann sich allemal für so einer kleinen Lauscherinn hüten, ich hätte sie in Verdacht[61] haben können, daß sie in ihrer Einfalt etwas gegen die Tochter des Pfarrers ausgeplaudert habe, die sie zuweilen in der Kirche sah, aber ich will lieber glauben, daß Madam Katharines, ungeachtet Walters Drohungen, die Verschwiegenheit gegen ihre Frau Muhme gebrochen habe. So viel war einmal gewiß, daß die Rede aus dem Pfarrhause ausgekommen war.

Der Haß der Hohenweilerischen Frauen gegen mich hatte jetzt seinen höchsten Gipfel erreicht, da er mit einer tiefen, und wie sie meynten, wohlverdienten Verachtung verbunden war: Der Verfall unsers Glücks, das Gerücht von dem Verdacht in meines Mannes Redlichkeit, welcher die Versiegelung der Kasse verursacht hatte, und die böse Rede, welche fast von allen meinen Kindern gieng, berechtigte sie nach ihren Gedanken, zu jeder schimpflichen Begegnung; sie liessen es nicht genug seyn, mich für ihre Person anzufeinden, sie wiegelten auch ihre Männer wider meine Freunde auf, und der Pfarrer kochte Gift und Galle in seinem Herzen wider Waltern, weil ihm seine Frau sagte, daß er ihm ins Amt gegriffen, und Hannchen mit dem Lieutenant vermählt hatte.

Woher doch die Frau alles wissen mochte, was in dem Innersten meines Hauses vorgieng? Sie war in der Gabe der Ausforschung, beynahe der seeligen Madam Haller zu vergleichen, nur daß es ihr an ihrem guten edlen Herzen fehlte.[62]

Täglich bekam ich neue Proben von der Bosheit meiner Verfolgerinnen, sie vereinigten sich mit den beyden alten Herren von Wilteck, die meinem Hause aus verschiedenen Ursachen feind waren, und diese liessen es an keinem Schimpf und Beleidigungen fehlen.

Ich erhielt eines Tages einen in sehr hochtrabenden Worten geschriebenen Brief von des kleinen Ludwigs hochadelichem Grosvater, in welchem mir feyerlich untersagt ward, mich der Ehre zu rühmen, eine Tochter in das Wilteckische Haus verheyrathet zu haben. Ich schickte ihn zurück, nachdem ich folgende Worte darunter geschrieben hatte.

»Ich bin so weit entfernt, diese Sache, deren Wahrheit ich leider nicht leugnen kann, für eine Ehre zu halten, daß ich sie vielmehr als die unglücklichste Begebenheit meines Lebens ewig verschweigen werde, wenn nicht der würdige Gemahl meiner Tochter, den ich unter allen seinen Verwandten allein hochschätze, mich eines Tages zu Aenderung meines Entschlusses bewegen sollte.

H. P. Haller, mit eigner Hand und Siegel.«

Dieß war wohl ein wenig hart, aber ein solcher Brief hatte eine solche Antwort verdient, und sie enthielt über dieses nichts als Wahrheit. – Ich weiß nicht, wie sie aufgenommen wurde, aber die hochadelichen Wiltecke mußten mir wider ihren Willen einen wichtigen Dienst leisten, nehmlich das Gerede von dem unglücklichen Schicksale meiner[63] Tochter und der Herkunft des kleinen Ludwigs zu stillen. Ihr Stolz und mein Gefühl für die Ehre wurde auf gleiche Art durch dasselbe verletzt, und das Gebot, das an die Schwätzerinnen von Hohenweiler ausgieng, hinfort von dieser Sache zu schweigen, schafte mir die Ruhe, die man mir so gern verbittert hätte.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 2, Mannheim 1791, S. 60-64.
Lizenz:
Kategorien: