Acht und zwanzigstes Kapitel.

Schach dem König.

[285] Nie hat wohl ein Mensch seinem Herrn mit mehrerer Treue gedient als dieser Herrmann. Wie er gegen Kaiser Wenzeln gesinnt war, gegen ihn, den niemand liebte, gegen ihn, der die Ergebenheit des gutherzigen Jünglings mit Haß und Undank belohnte, das haben meine Leser im vorhergehenden gesehen. Es gehörte Zeit dazu, ehe er sich überzeugte daß es ihm erlaubt sey, einen andern Herrn zu suchen; und dieser andre Herr, dieser Siegmund hatte bey ihm die nehmlichen Vorrechte seines Vorgängers. Herrmann wurde von ihm verachtet, verkannt, übersehen, dem ohngeachtet war der Gedanke ihm nützlich zu seyn, ihm ohne Rücksicht[285] auf eigenem Vortheil, der hier gar nicht statt fand, dienen zu können, mächtig genug, ihn aus den Armen der Liebe zu reissen, und in ein Land zu führen, wo er, seit Nikolaus Gara ihn haßte, keinen einigen Freund, keinen Beförderer hatte.

Diese Winke, welche ihm der alte Münster von der zweydeutigen Lage seines geliebten Herrn gab, wurden bey Fortsetzung seiner Reise bestättigt. Bald sollte König Siegmund gar nicht von dem Zuge wider die Ungläubigen zurückgekommen, wahrscheinlich in ihren Händen geblieben seyn, bald war er in der Gewalt der noch gefährlichern Widersacher, die er unter seinen eigenen Unterthanen hatte, bald war er gefährlich verwundet, bald gar tod; Gerüchte, welche sich minderten, so bald Herrmann auf ungarischem Grund und Boden kam, und sich gar verloren, als er sich der Hauptstadt näherte. Hier erfuhr der junge Ritter, daß sein Herr, bisher von Krankheit zurückgehalten, nun erst sich dem Sitz der königlichen Hoheit nähere, und daß jedermann sich rüste, ihn königlich zu empfangen.

Es ist nicht König Siegmunds Geschichte, die ich schreibe, und ich werde daher nur so viel von seinen Begebenheiten mit nehmen, als sich unmittelbar an Herrmanns Abentheuer anketten. Nichts daher von dem Einzug des Königs in der Stadt, die er endlich unter dem Zujauchzen des Volks betrat,[286] das ihn bey allen seinen Fehlern liebte; nichts von dem Gedräng der Grossen, das ihn umgab, nichts von denen Entschuldigungen, Vorstellungen und Versprechungen, die von einer und der andern Seite gemacht wurden, um den Grund zum gegenseitigen Einverständnis zu legen. Freylich waren Siegmunds Leichtsinn, Ueppigkeit, Liebe zur Verschwendung, und gelegentliche Grausamkeit, Flecken in seinem Charakter, welche das Misvergnügen Einiger entschuldigen konnte, freylich hatte er aus seinem Türkenzuge weder Sieg noch Beute mit gebracht, dadurch ehemahlige Fehler hätten können ausgetilgt werden; aber man versprach Vergessenheit des Vergangenen, Siegmund versprach es auch, und verschloß die Augen nur gar zu sehr gegen die tausend Spuren von Treulosigkeit und Verrätherey, die er an dem und jenem seiner Fürsten, vornehmlich an den Gebrüdern Gara nicht verkennen konnte

Das Gedräng um den Konig am Abend nach dem Einzug war so groß, daß es Herrmannen, welcher vor Verlangen brannte ihn zu sehen, unmöglich war Zutritt zu bekommen. An wen sollte er sich wenden? Sein ehemaliger Gönner, der Feldherr Nikolaus Gara, haßte ihn, nachdem er auf dem Zuge wider die Türken seine Treue gegen den König unerschütterlich gefunden hatte, und Herrman konnte den nicht lieben, sich nicht überwinden[287] konnte irgend etwas bey dem zu suchen, den er als einen heimlichen Feind seines Herrn kannte.

Der junge Ritter entschloß sich endlich, sich selbst Zutritt zu verschaffen; er drängte sich bey der Abendtafel so dicht hinzu, daß er beynahe des Königs Kleider berührte, Siegmund faßte ihn ins Auge. Der Jüngling hatte keins von den gewöhnlichen Gesichtern, welche man zwanzigmahl sieht, ohne ihre Züge zu behalten, überdas hatte der König ihn zuletzt bey einer Begebenheit gesehen, die sich seinem Gedächtniß zu tief eingeprägt hatte, als daß einer von denen dabey gegenwärtigen, daß derienige, welcher die Hauptrolle dabey spielte, hätte vergessen seyn sollen. –

Siegmund wußte sich anfangs den Zusammenhang seiner Ideen selbst nicht recht zu erklären, er saß nachdenkend, rieb die Stirn, und wandte sich dann zu dem neben ihm sitzenden Andreas Gara. Wie kommt es doch, rief er, daß uns oft bey der Fülle der Freude traurige Erinnerungen umschweben! Einer der schrecklichsten Auftritte meines Lebens geht jetzt vor mir über, liegt mir so deutlich vor Augen, daß ich jede Züge davon machen wollte. Rathet ihr wohl, Andreas, welcher das sey? – Andreas verbeugte sich und schwieg. Doch, fuhr Siegmund fort, ihr könnt das nicht wissen, ihr waret nicht gegenwärtig, euer Bruder war es. O vielleicht hättet ihr[288] mich nicht so treulos verlassen als Nikolaus! – Doch, ich habe versprochen zu vergessen! meine Freunde vergesse ich nie! Ich war allein in der Schlacht, jedermann wandte sich hinter mir ab; Achmets Schwerd stürmte fürchterlich auf mich ein, ich mußte erliegen. Da drängte sich zu mir heran eine ritterliche Schaar mich zu retten. Mein Pferd war unter mir getödtet, mein Helm und mein Schild mir entrissen, nur das Schwerd hielt noch fest in meinen Händen. Der Führer meiner Helfer sprang von seinem Rosse und hob mich hinauf, er reichte mir seinen Schild, und riß den Helm von seinem Haupte, das meinige damit zu decken, ich weis nicht, wie mir geschah, weis nicht, was um mich vorging, aber ein Bild ist mir fest in der Seele geblieben, das Bild meines Retters, dessen Gesicht mir wie das Gesicht eines Engels Gottes entgegen strahlte. Dieses Gesicht ist, das mir jetzt die ganze fürchterliche Scene zurück ruft, ich sehe es in dem Gedränge, das meinen Tisch umringt, es sind die Züge meines alten treuen oft verleumdeten und oft verkannten Dieners Herrmann von Unna. Tritt hervor, tritt hervor, mein Retter! empfange den Dank und die Gnade deines Königs!

Herrmann hatte sich, während Siegmund sprach immer näher gedrängt, um keins der Worte[289] zu verlieren, welche ihm so nahe angingen. Jetzt beym Schluß seiner Rede überfiel ihn ein freudiger Schauer, wie er an jenem Tage diejenigen überfallen wird, die aus dem grossen Kreise mit den Worten werden hervorgerufen werden: Das habt ihr mir gethan!

Herrmann stürzte sich seinem König zu Füßen, küßte seine Hände und badete seine Knie mit seinen Thränen. Welch ein Gefühl von demjenigen, von welchem man sich immer übersehen und verkannt glaubte, dem man tausend Proben der Treue gab, ohne bemerkt zu werden, so vor Tausenden ausgezeichnet, vor einer ganzen Versammlung so geehrt zu werden.

Nachdem der erste Sturm der Freude in dem Herzen des jungen Ritters vorüber war, zog er sich bescheiden unter die aufwartenden Edelleute zurück, aber Siegmund wandte sich oft nach ihm um, und er durfte nicht von seinem Stuhle weichen.

Die stolzen Magnaten, die mit dem Könige zu Tische sassen, schienen bey der vorhergehenden Scene gar nicht gegenwärtig gewesen zu seyn, sie sagten nichts zu dem, was ihr König that, und konnten sich nicht herablassen, dem von ihm so sehr geehrten Jünglinge ein Wort zuzusprechen.

Die Glückwünschungen, welche er erhielt, blieben nur unter den jungen Edelleuten, welche mit ihm bey der Tafel aufwarteten, und er hatte die[290] Freude, manchen unter ihnen zu finden, dessen Gesicht nebst dem treuherzigen Händedruck ihn alter Freund und Spiesgesell nannten. Keine von diesen Erscheinungen war ihm angenehmer als das Gesicht eines Jünglings, den er von Kindheit auf gekannt hatte, ehemals an Kaiser Wenzels Hofe durch Misverstände von ihm getrennt worden war, ihn denn unter König Siegmunds junger Ritterschaft wiedergefunden, und im Türkenkriege so manche tapfere That von ihm gesehen hatte, daß der Gedanke an vergangene Dinge ganz von Liebe und Bewunderung verschlungen ward. Es war der junge Kunzmann von Hertingshausen, welcher Herrmann ehemals, als beyde Jünglinge noch Kaiser Wenzels Edelknaben waren, für den Ursacher seiner Flucht vom Hofe gehalten hatte, wie sich vielleicht meine Leser noch aus der Erzehlung erinnern, welche der Ritter der treuen Minne ehemahls dem alten Münster von seinen Jugendgeschichten machte.

Kunzmann schien schon damahls, als er Herrmann im Türkenkriege wiederfand, allen alten Groll vergessen zu haben, und auch jetzt bewillkommte er ihn, wie man alte Freunde bewillkommt. Es war hier nicht der Ort viel Worte zu machen; ein Händedruck, und die Worte, mein Herrmann! mein Hertingshausen, waren alles was man sich sagen konnte, das übrige wurde für eine verabredete Zusammenkunft auf die künftige Nacht verspart.[291]

König Siegmund hatte sich jetzt lange nicht nach seinem neuen Diener zurückgewandt, ein ernstes Gespräch mit den Gebrüdern Gara hielt ihn fest. Man hatte die Pokale fleißig geleert, aber nicht der Becher der Freude war es, der hier um die Tafel ging, es war der Becher der höllischen Zwietracht. Herrmann hatte schon lang bemerkt, daß die gegen ihn über sitzenden Fürsten seinen Herrn nicht so anblickten, wie es ihnen zukam; verachtender Unwille, oder tückische Schadenfreude war es, was er auf diesen vom feurigen Ungerweine hochroth gefärbten Gesichtern las. Auch misfiel ihm die Unterhaltung, welche zwischen Siegmund und den beyden Garas vorfiel. Sie schienen gänzlich zu vergessen, mit wem sie sprachen. Die Rede war von dem letzten Türkenzuge, man wechselte Vorwürfe, vertheidigte sich mit Hitze, und die Stimme des Feldherrn und seines Bruders erhob sich bald so sehr, daß sie jeden Laut von den Worten des Königs verschlang.

Was ist dies? sprach Herrmann zu Hertingshausen, indem er an seinem Schwerd zuckte, sollen wir diese Beschimpfung unsers Herrn dulden. Das Getümmel an der Tafel ward stärker; jedermann erhub sich von seinem Sessel; hier und da wurden einige Schwerdter blos, und man begunnte so heftig auf den König einzudringen, daß die bösen Absichten, die man wider ihn hatte, nicht mehr[292] zweifelhaft blieben. Herrmanns Schwerd fuhr aus der Scheide, ihm folgte Hertingshausen und die andern Jünglinge. Siegmund ward von seinen Feinden zu Boden gerissen, man erkühnte sich Waffen auf ihn zu zücken, die keinem Rittersmanne ziemen. Herrmann faßte den Andreas Gara, und riß ihn ungestüm von seinem Herrn hinweg, indessen die andern Jünglinge auf ähnliche Art mit dem Feldherrn Nikolaus verfuhren. Der Platz war erstritten, die Person des Königs gedeckt, aber – die Partie war ungleich. Die reisigen Knechte wurden herein gerufen, Siegmunds Retter theils zu Boden geworfen, theils entwafnet, der König auf die unwürdigste Art behandelt, und endlich so wie die, welche fest bey ihm hielten, mit Fesseln belegt.

Nur zwey hatten die Ehre, das Unglück mit ihrem Könige zu theilen, Herrmann und Hertingshausen, die übrigen, meistens weibische Hofjunker, ließen sich leicht durch Drohungen und Versprechen von ihrer Pflicht abziehen, und misgönnten es Siegmunds beyden treuen Dienern nicht, daß sie die nehmliche Begegnung mit ihrem Herrn erfuhren, gleich ihn mishandelt, gleich ihn gefesselt, und auf verdeckten Wagen nach einem Orte geführt wurden, wo die heimtückischen Magnaten hoffen konnten, ganz das Schicksal ihres Herrn in ihrer Macht zu haben, ohne eine Einrede von dem Volke befürchten zu dürfen.[293]

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 285-294.
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