Zwölftes Kapitel.

Ulrich ringt nach Unglück.

[93] Herrmann hatte auf der Reise schon so viel von der Unterhaltung seiner gutmüthigen Schwester Katarine genossen, daß er bey seinem kurzen Aufenthalt auf dem Schlosse von Senden wenig mehr davon begehrte, und sich am liebsten mit ihren Kindern unterhielt, die ihm sein ganzes Herz zu stehlen wußten.

Er sprach viel mit ihnen von ihrem Vater Ulrich, und alles was sie sagten, zeigte ihm[93] diesen Mann auf einer so schönen und edeln Seite, daß aller Verdacht, den er wider ihn gefaßt hatte, in ihm verschwand, und der Wunsch, ihn zu seinem Freunde machen zu können, der bey seinem ersten Anblick rege war, von neuem in ihm erwachte.

Diese Begierde, Alekens räthselhafte Warnungen aufgeklärt, seine eigne Meynung von ihr und Ulrichen berichtigt zu sehen, gesellte sich zu diesem Wunsche; es war beschlossen, eine geheime Unterredung mit ihm zu suchen, und da er dieselbe immer so geflissentlich zu vermeiden schien, alle Mittel zu brauchen, sich dieselbe zu erringen.

Mein Mann scheint entschlossen zu seyn, sagte Katarine, nicht eher zurück zu kommen, bis mir die Einsamkeit seine Gegenwart nothwendig macht. Die Wahrheit zu gestehen, so kann ich bey dem Umgange eines liebreichen Bruders einen mürrischen Gemahl wohl entbehren. Er bleibe zu Plettenburg, und unterhalte dort ein gutes Vernehmen zwischen unsern und Bernhards Hause; dies kann vielleicht in der Zukunft gute Folgen für uns haben.

Herrmann las einen kurzen Brief von Ulrichen, den ihm Katarine darreichte, und der ihr gebot, die Abreise des Ritters von Unna so gleich nach Plettenburg zu melden, weil er nach derselben keine Stunde länger auf Bernhards Schlosse verweilen könne.[94]

Herrman setzte den nächsten Tag zum Abschiede an, letzte sich mit seiner Schwester und ihren Kindern, ließ ihnen Andenken seiner Freygebigkeit zurück, welche fast sein kleines Vermögen erschöpften, und machte sich auf den Weg nach Unna, auf welchem, wie er wußte, der von Plettenburg zurückkommende Ulrich, ihm begegnen mußte.

Er wartete seiner einer ganzen Sommertag lang in den Gebüschen, durch welche er ziehen mußte, und sein Aussenbleiben bewies ihm, daß er alle Vorsicht gebrauche, ihm nicht entgegen zu kommen, ihn auf keine Art wieder zu sehen. – Ewiger Gott! rief Herrmann, welches muß die Ursach dieses unüberwindlichen Widerwillens seyn? Ha! ich las den Haß schon zu Plettenburg zu seinen abgewandten Blicken, hörte ihn in dem kalten gedehnten Ton seiner Worte! Vermochte er mir auch nur einmal frey ins Auge zu sehen? konnte ich ihn bereden mit mir einen einigen Gang durch Wies und Wald zu thun? wars nicht, als wenn Feuer in seinem Innersten brannte, wenn ich bey der Tafel neben ihm saß, oder sonst ein Zufall mich an seine Seite brachte? Ha! dahinter ist ein schreckliches Geheimniß verborgen, ich muß es erfahren, muß mir die bessere Meynung des Edeln erringen, und sollt' es mein Leben kosten.[95] Vielleicht, daß mein Unglück ihn argwöhnisch macht! Vielleicht, daß er meine Unschuld an der schrecklichen That, die mir das Gerücht aufdichtet, nicht begreifen kann! Ich muß ihn finden, ihn überzeugen, um seine Lossprechung kämpfen. Der Beyfall einer ganzen Welt wär mir nichts, wenn Ulrichs Augen eine Blutschuld an mir zu erblicken glaubten!

Ihr, die ihr einst durch eine unwiderstehliche Macht zu einer verschwisterten Seele hingerissen wurdet, ohne den Zauber, der dieses bewirkte, ganz begreifen zu können; ihr, deren Streben nach der Gunst des Einzigen, den ihr unter tausenden wähltet, in dem Maaße zunahm, zum heissen Durste der Leidenschaft wurde, als der Geliebte, der Gesuchte, sich von euch zu entfernen schien, urtheilet über Herrmanns Vorliebe für Ulrich von Senden. Wer nie etwas ähnliches erfuhr, vermag nicht hiervon zu sprechen!

Der Abend brach an, Herrmanns Unruhe wuchs. Das lange vergebliche Warten auf den Kommenden hatte sein Verlangen nach ihm zur heissen Sehnsucht gemacht; die täuschende Nacht verwirrte seine Ideen, ein Gewühl seltsamer düstrer Ahndungen umgaukelte ihn, sein Herz gebot ihm zu bleiben, und eine leise innere Stimme rief ihm zu; fliehe! fliehe! – Warum fliehen? fragte sich Herrmann, und blieb.[96]

Der Mond ging auf, Herrmann war dem von Senden so weit entgegen gegangen, daß er von einem Hügel die Spitzen von Plettenburg erblicken konnte. Die Gegend rund umher war öde, kein Geräusch als das monotonische Sausen des Stroms, der sich nicht weit von da, von einer kleinen Anhöhe hinabstürzte, unterbrach die nächtliche Stille. Es war weit nach Mitternacht, der Mond nahte sich bereits dem Untergange, als der Wartende endlich das enge Thal herauf den Huf von Rossen schallen hörte. Die Reuter kamen näher, Herrmann vernahm von Sendens Stimme, der seinen Leuten befahl voraus nach seinem Schlosse zu reiten und ihm hieher Bothschaft zu bringen, ob der Ritter von Unna noch gegenwärtig sey.

Die Reuter entfernten sich, Ulrich lagerte sich unter einen Baum, und schnell trat Herrmann, der in der Nähe lauschte, hervor! – Und warum fliehst du mich? rief er, was hat dir Herrmann von Unna gethan, daß du dich scheust, einerley Luft mit ihm zu athmen? –

Entsetzlich! schrie Ulrich, der sich in seinem Mantel verhüllte. Ueberall diese Erscheinung, wachend und im Traum, und immer die Stimme in meinem Herzen: ich muß ihn ermorden![97]

Ermorden? fragte Herrmann und schloß ihn in seine Arme, deinen Bruder ermorden? – Was hab ich gethan? –

Weg von mir, du Peiniger! schrie Ulrich und riß sich von ihm los. – Ha wer bist du? – Kein Nachtgesicht? – Rede, wer bist du?

Dein Bruder, Herrmann von Unna! der um deine Freundschaft oder um den Tod fleht. Von dir verachtet, geflohen zu werden, ist zu schrecklich!

Herrmann von Unna? Du selbst? – O fliehe, fliehe! ich bin dein Mörder! – Doch nein! fliehe nicht! du darfst nicht fliehen! ich darf dich nicht lassen? – Sind wir nicht allein? – Nein wir sinds nicht! – Gott lob! dort kommen deine Retter! Siehe! Siehe!

Herrmann schaute und sahe nichts. Es sind die Schatten der Bäume, mein Bruder! rief er. Ich brauche keine Retter, wenn du bey mir bist! – O Ulrich! du bist krank, sehr krank! dein Gemüth leidet! Gott, das ahndete ich nicht! – ich glaubte Haß wär es, der dich von mir trieb, so ists nur schwarze Phantasie. – Gott lob! du wirst wieder genesen und deinen Bruder lieben!

Dich lieben? Kann ich dich mehr lieben als ich thue? O Herrmann! mein Herz hängt an dir und ich muß dich ermorden![98]

Warum? schrie Herrmann, den Ulrich erst in seine Arme geschlossen hatte, und bey den letzten Worten gewaltsam von sich schleuderte. Warum ermorden? Was habe ich gethan?

Du mußt sterben! schrie von Senden, der sein Schwerd zog, du bist Herzog Friedrichs Mörder! –

Bey dem der ewig lebt, ich bins nicht! – – Die Kläger haben geklagt, die Zeugen gezeugt, die Richter gerichtet! Du bist Herzog Friedrichs Mörder! Tausend heimliche Henker lauren auf dein Blut, und o Gott, dein Bruder ist der unselige, in dessen Hände du fallen mußt! Aber bey dem Ewigen, ich will dich nicht überleben! – Siehe, ich habe geschworen, dessen nicht zu schonen, den mich der Richter richten heißt. – Hier dieser Stich sey dein, und dieser mein! –

Herrmann zuckte, taumelte und fiel, und Ulrich sank an seine Seite. O mein Bruder, stammelte er, indem er ihn fester umschlang, die Fehde ist zum Ende! – Dein ewig dein! Hinüber, hinüber ins Reich des Friedens und der Liebe![99]

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 93-100.
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