Sechszehntes Kapitel.

Eine gefährliche Probe.

[129] Herrmann fand die Erklärung, die ihm Aleke über verschiedene Dinge gab, nicht ganz befriedigend,[129] doch sie waren von solcher Art, daß man entweder nur muthmaßen konnte, oder nicht laut und deutlich von denselben sprechen durfte; zu der ersten Klasse gehörte Ulrichs und Katarinens Verbindung, und zu der andern der Theil von Alizens Geschichte, welcher in die Geheimnisse jenes furchtbaren Gerichts gehörte, welches nach den gegenwärtigen Zeiten in vieler Betrachtung ein Räthsel ist, und davon die Urkunden, welche uns übrig geblieben sind, nur einen schwachen mangelhaften und in mancher Betrachtung widersprechenden Begriff geben.

So vielfachen Stoff der Ritter von Unna auch in dem, was er gehört hatte, zum Nachdenken fand, so verweilte er doch am liebsten bey Ulrichen von Senden, der durch die traurige Geschichte bey der hohen Eiche bey weiten nicht jene Neigung ausgelöscht hatte, welche Herrmann beym ersten Anblick für ihn zu fühlen begann. Jene That, die ihm beynahe das Leben gekostet hatte, setzte Ulrichen nicht in seinen Augen herab, sie erhöhte vielmehr seine Meynung von ihm! auch seinem Verfahren gegen Konraden von Langen fehlte es, wie er meynte, nicht an Entschuldigung, ein Mann, der dem, was er in seiner Lage für Pflicht halten mußte, auf Unkosten seiner liebsten Neigungen treu bleiben konnte, verdiente nach seinen Gedanken Achtung und Bewunderung, verdiente[130] wenigstens Mitleid statt des Tadels. – Verzeiht, meine Leser, wenn Herrmann falsch urtheilte, er lebte freylich in einem Jahrhunderte, welches ihm andere Begriffe einflößen mußte als euch das eurige.

Aleke war zu schwach Herrmanns Urtheil einen andern Weg zu leiten, sie war vielleicht im Grunde selbst mehr für den unglücklichen von Senden eingenommen, als sie sich gestehen durfte. Sie begnügte sich nur damit, den Entschluß des jungen Menschen, nach Ulrichs Freundschaft anhaltend zu ringen, zu bestreiten, und ihm zu erweisen, daß so lange jener blieb was er war, so lang die Acht noch auf Herrmanns Haupte ruhte, kein vertraulicher Umgang zwischen ihnen möglich werden könne.

Aber er liebt mich, rief Herrmann, er hat mir es in jener schrecklichen Stunde selbst gestanden, daß sein Herz an dem meinigen hängt! – Sollte er seiner schrecklichen Pflicht nicht durch das Blut, das er damahls vergoß, genug gethan haben, und nun friedlich mit mir den Pfad des Lebens gehen können?

Thut was ihr wollt, sagte Aleke seufzend, versucht was euch möglich ist, aber mir verdenkt es nicht, wenn ich euch und ihn nie aus den Augen lasse, und da wo die meinigen nicht hinreichen, euch andere zu Wächtern gebe.[131]

Herrmann nützte den ersten Tag seiner völligen Wiederherstellung Ulrichen zu besuchen. Freude glänzte in Sendens Augen als er den geretteten Jüngling sah, aber schnell ward sie durch eine Thräne verdunkelt. Er gieng ihn mit offenen Armen entgegen, als wollte er ihn an seine Brust drücken, aber schnell besann er sich, und der herzliche Empfang verwandelte sich in eine kalte Verbeugung.

Ists denn unmöglich? rief Herrmann, dieses Herz für mich zu erwärmen? habe ich mir nicht mit meinem Blute deine Freundschaft erkaufen können? – Ulrich wandte sich hinweg seine Bewegung zu verbergen. Vielleicht in Zukunft, rief er, indem er ihm die Hand drückte, nur jetzt, nur jetzt nicht! Glaube mir Herrmann, ich bin unglücklicher als du.

Aleke, welche die ganze Zeit gegenwärtig war, brachte das Gespräch auf Herrmanns Geschichten bey Fritzlar. Er erzählte alles, was ihn in den Verdacht brachte, er sey Herzog Friedrichs Mörder, alles was ihn vor dem Fürstenrath zu Nürnberg lossprach, so umständlich, daß kein Schatten von Schuld mehr auf ihn zu haften schien, aber Ulrich bat ihn, die Ursachen seiner nachmaligen Flucht und seine Geschäfte in diesen Gegenden nicht zu vergessen, und als Herrmann sein Verlangen eben so redlich befriedigte, so verfiel sein Zuhörer in ein[132] tiefes Nachsinnen, aus welchem ihm Herrmanns und Alekens Zureden erst spät empor reissen konnten.

Herrmann, sagte er, bedenke, daß ich dein Richter nicht bin, o Gott, wie günstig würde vielleicht dein Urtheil ausfallen, wenn ich es wär!

Du sollst mein Richter seyn, rief Herrmann, sollst mir sagen, was du im Grunde deines Herzens von mir denkst.

Ulrich zuckte die Achseln, und bat von Dingen nicht mehr zu sprechen, welche nicht hieher gehörten.

Aleke ward unwillig, Herrmann traurig, und so schied man von einander. Bernhard kam von Engelrading zurück, die Zeit vertrauter Unterredungen war verflossen, man sahe sich nicht anders als bey der Tafel, und Herrmann, welcher die volle Stärke der wiederkehrenden Gesundheit empfand, fand es langweilig länger hier zu bleiben. Sein Geschäft beym alten Grafen von Unna lag ihm im Sinne; nur zu lang hatte es bereits verschoben werden müssen, und er drang auf seine Abreise.

Die Frau von Unna hatte ihm gerathen, gegen ihren Gemahl nichts davon zu gedenken, daß er zu dem Feinde seines Hauses ziehen wollte; aber da die Aebtissinn von Marienhagen davon benachrichtigt war, so konnte es Bernhardten nicht verschwiegen bleiben. Man wandte alles an, den Jüngling von seinem Vorhaben abzubringen. Bernhard[133] stellte ihm den Schimpf vor, bey dem Grafen Schutz und Rath zu suchen, da er einen solchen Bruder hätte wie ihn. Ursula erzehlte ihm Katarinens Geschichte, welche auch ehemahls zu dem verhaßten Greise geflohen war und nichts weiter von ihm erhalten hatte, als die Hand eines Mannes, der sie nicht liebte. Man ging so weit, Herrmanns Entschluß, welcher unbeweglich blieb, allerley künstliche Hindernisse entgegen zu setzen. Aber er täuschte sie alle, machte sich in einer Nacht in der Stille davon, flog noch einmahl zu den geliebten Nonnen zu Ueberwasser, sich mit ihnen zu letzen. Eilte nach dem Schlosse Senden Katarinens Kinder zu küssen, und trat dann den Weg zu seinem ehrwürdigen Verwandten an.

Ulrich von Senden, der so wie Herrmann nun völlig hergestellt war, hatte Bernhards Burg noch eher als er verlassen. Herrmann hatte gehoft, ihn auf seinem Schlosse zu finden, und noch einmahl eine Unterredung von Herz zu Herz mit ihm zu haben, aber Katarine sagte, er sey des vorigen Tages abgereist, und sie habe Ursach zu glauben, er sey nach dem alten Grafen von Unna gezogen.

Herrmann erfuhr überall in den Herbergen die Bestättigung von dem, was ihm seine Schwester gesagt hatte. Ulrich war immer einige Stunden[134] vor ihm da gewesen, und als er zu Unna einritt, da sah er von Sendens Reisige im Schloßhof halten.

Der Ankommende wußte nicht was er hiervon denken sollte, doch sein verdachtloses Herz befriedigte ihn bald. Ulrich konnte so wohl Geschäfte beym Grafen von Unna haben als er, er mußte Geschäfte mit ihm haben; der Graf war oberster Stuhlherr der Freygerichte in dieser Gegend, und von Senden ein Einverleibter des heimlichen Gerichts.

Es war in den damahligen Zeiten noch nicht Sitte halbe Tage in den Vorzimmern der Großen zu warten, ohne vorgelassen zu werden. Wer zuerst kam, hatte den ersten Zutritt. Herrmann ward gemeldet und herein gerufen; er trat ein und Ulrich von Senden begegnete ihm in der Thür.

Der Ort, wo man sich befand, machte es unmöglich ein Wort mit einander zu wechseln, er blieb bey einer Begrüssung, aber diese Begrüssung war bey Ulrichen so kalt, daß Herrmanns Herz zu Eis ward, und sich zum erstenmahl der Verdacht bey ihm einschlich, von Senden könne sich um keiner guten Ursachen willen hier befinden.

Der Graf von Unna, ein Greis mit dem Schnee des Alters und der blühenden Röthe der männlichen Jahre geziert, sah den Eintretenden mit[135] scharfem forschenden Blicke an. Wer seyd ihr junger Mensch? rief er in einem ernsten Tone.

Der hohe Anstand des Alten und ein Zug von wahrer Größe in seinem Gesicht nöthigte dem Jüngling eine tiefere Verbeugung ab, als er sie sonst vor Königen zu machen pflegte, und er antwortete; Herrmann von Unna.

Was verlangt ihr! –

Gerechtigkeit! –

Verwegner! wie kann Herzog Friedrichs Mörder Gerechtigkeit fordern, ohne den Kopf verlieren zu wollen? –

Ich bin Friedrichs Mörder nicht!

Beweise! –

Mein Herz und das Zeugniß des Herzogs von Oesterreich. –

Das erste könnt ihr mir nicht vor Augen legen, und das andere ist ungültig, ist nicht Zeugniß, wie mich dünkt, nur Vorbitte. Der Herzog von Oesterreich war nicht bey euch als die That geschahe.

Gott war bey dem Thäter und bey mir, ihn rufe ich zum Zeugen! –

Der Schein ist wider euch! –

Welcher gerechte Richter richtet nach dem Schein? –

Ich sitze hier nicht als euer Richter! –[136]

Denn als mein Freund? der Freund des Unschuldigen?

Als euer Verwandter, wenn ihr wollt, als der, der euch gern gerechtfertigt sähe! Aber junger Mensch, ihr wandet euch spät an mich? Ich finde eine Unstättigkeit in eurem Betragen, die der Unschuld nicht ziemt. Ich höre, ihr wart frühzeitig hier meinen Rath zu suchen, es war euch zu viel meine Ankunft geduldig zu erwarten, ihr wandet euch zu Leuten, welche euch nicht helfen konnten, zu Leuten, die ich hasse, mit denen ihr bisher entzweyet lebtet, nun wie ich höre schnell versöhnt seyd, ich versichere euch, ihr Haß würde euch bessere Dienste bey mir gethan haben als ihre Liebe; ein verworfenes Geschlecht, in welchem seit zwey Menschenaltern kein gesundes Glied war? –

Sie sind meine Geschwister!

Ja leider! ihr würdet mir sonst angenehmer seyn! –

Kann der Graf von Unna, der Vorsitzer des ernstesten Gerichts partheiisch urtheilen? Es giebt unter meinen Geschwistern noch eine Agnese und Petronelle, eine Aleke von Langen, einen Ulrich von Senden. –

Laßt die Weiber auf der Seite bleiben, sie gehören nicht in unsere Rechnung, und was Ulrichen von Senden betrift –[137]

Bey Gott, rief Herrmann mit aufgehobenen Händen, der edelste Mann, den ich kenne!

Er? dessen blutgieriges Schwerd euch dem Tode nahe brachte? – Er that was er mußte! – Freylich ists hart, von ihm gehaßt, vielleicht auch hier verfolgt zu werden.

Der Graf schwieg mit tief zur Erde gesenktem Blick. – Ja, sagte er nach einer langen Weile, Ulrich ist bey mir gewesen, er hat viel mit mir von euch gesprochen, hat viel in der Aufnahme geändert, welche euch bestimmt war; – entfernt euch! – ich werde euch rufen lassen, wenn ich eurer Gegenwart bedarf.

Herrmann entfernte sich, sein Herz mit Empfindungen erfüllt, welche ihm die Worte hemmten.

Hütet euch zu fliehen, rief ihm der Graf von Unna nach eure Verfolger sind überall!

Fliehen? schrie Herrmann mit verächtlichem Ton. Die Unschuld fliehet nicht! So war denn also die Audienz bey dem großen Mann, von dem man sich soviel versprochen, auf welchen der Herzog von Oesterreich das ganze Glück seines Lieblings gebaut hatte, vorüber. Herrmann hatte nichts in ihm gefunden als einen stolzen Verwandten, und einen partheiischen Richter, der sich durch das Einhauchen der Falschheit von zuvorgefaßten vielleicht bessern Entschlüssen abbringen ließ. –[138]

Er hat viel mit ihm von mir gesprochen? hat vieles in der Aufnahme, welche mir bestimmt war, geändert? sagte Herrmann zu sich selbst. O Ulrich von Senden! Ulrich von Senden! das Blut, das du mir aus dem Herzen zapftest, konnte ich dir verzeihen, aber hinterlistige Nachstellung? Verleumdung bey dem, auf den ich meine ganze Hoffnung setzte? – Nein dies verzeihe ich nicht! – Das erste konnte deine Pflicht von dir fordern, aber welche Gesetze waren vermögend, dich zu dem andern zu bewegen? –

Gegen den Abend ward Herrmann zum zweytenmal zu dem Grafen von Unna gefordert.

Ihr wißt jetzt ohne Zweifel was ihr von dem von Senden halten sollt? fragte der Graf.

Ich wußte es bisher nicht, nun habe ich es erfahren.

Ihr müßt aufrichtig mit mir von ihm sprechen, sagt was sind eure Gedanken von ihm? – Glaubt ihr, daß er seiner Pflicht in Ansehung eurer völlige Gnüge gethan hat.

Ich habe keinen bestimmten Begriff von den Pflichten, die ihm und seines gleichen obliegen. –

Erzählt mir die ganze Geschichte seiner That unter der hohen Eiche, erzählt mir auf was für einem Fuß er zuvor und hernach mit euch lebte, ihr wißt, ihr habt keine Ursach ihn zu schonen, auch er schonte eurer nicht.[139]

Herrmann erzehlte umständlich alles was vorgegangen war, der Graf schüttelte den Kopf! das ist entsetzlich! sagte er. Auch keine Warnung vor der Gefahr die euch drohte, nicht ein Wink, daß ihr euch vor ihm zu hüten hättet? –

Er durfte mich nicht warnen, wie ich glaube, wenn er seine Pflicht nicht verletzen wollte. –

Aber er liebte euch, beklagte euch, wie ihr damals meyntet, mich dünkt er hätte euch warnen sollen! –

Ich hielt seine That für das gröste Opfer, das er der grausamsten Pflicht bringen konnte. Ich glaubte in der That, er hätte mich geliebt, und es müsse ihm schwer geworden seyn mir ungewarnt den Dolch ins Herz zu stossen, aber dem, der mich verleumden, mir das Herz meines ehrwürdigen Verwandten stehlen konnte! –

Das gehört nicht hieher, nur noch eine Frage. Man sagt, ihr wäret beyde verwundet worden; – vermuthlich leichte Wunden wie sie einer dem andern auf Verabredung giebt, um sich einer lästigen Pflicht zu entledigen, dann sind gleich Leute da uns zu retten, zu verbinden, und man ist seiner Verbindlichkeit entledigt.

Herrmann fieng von neuem an die schreckliche Geschichte unter der hohen Eiche zu erzehlen, er schilderte Ulrichs Kampf mit sich selbst auf die lebendigste Art, mahlte die Ueberwindung, die es ihm[140] gekostet zu haben schien, sein Schwerd in das Blut seines Bruders zu tauchen, mit den glübendsten Farben, und zeigte dem Grafen am Ende die Narbe von der fürchterlichen Wunde in seiner Seite, die er von Ulrichs Hand empfieng. Und ach, setzte er hinzu, mit mir war er schonender verfahren als mit sich selbst; es schien, er wollte dem, den er in die Gruft hinabschicken mußte, zuvoreilen um seinen Tod nicht zu überleben. Lange hing sein Leben noch an einem Faden, als schon das meinige gerettet war! –

Seine Verwundung rührte also wirklich, wirklich von seiner eigenen Hand, nicht von der eurigen her? rief der Graf.

Ich hätte meine Hand an ihn, an den geliebten Ulrich von Senden legen sollen? fragte Herrmann.

Entsetzlich! schrie der Graf mit zusammengeschlagenen Händen. Brudermord? Selbstmord die Folgen des Gerichts, das eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit seyn soll? – O Menschheit, wenn wirst du einmahl diese schreckliche Bande abschütteln! Herrmann! mein Sohn! – mein Liebling! – Ulrich von Senden! mein Freund! unglückliches Opfer deiner Pflicht! – umarmt einander. Eure Fehde habe auf ewig ein Ende!

Der Graf hatte mit diesen Worten eine Nebenthür aufgestoßen, Ulrich stürzte herein, und[141] schloß den erstaunten Herrmann in seine Arme. Mein Bruder! mein Geliebter! rief er, endlich, endlich darf ich meinem Herzen nicht länger wehren, darf dir sagen, was ich für dich fühle, ohne meine Pflicht zu verletzen!

Herrmann stand mit weit geöfneten Augen, ohne das begreifen zu können, was er sah und hörte, ohne Ulrichs Liebkosungen, von welchen er nicht wußte was er halten sollte, erwiedern zu können.

Junger Mensch, sagte der alte Graf, ihr wißt nicht was hier vorgegangen ist. Ihr glaubt wohl nicht, daß ihr und euer Freund euch jetzt auf einer gefährlichen Probe befunden habt? Das Leben des einen und meine gute Meynung für den andern stand auf dem Spiel, aber eure Aussage hat beyde gerettet. Ulrich von Senden, der bey der Sache des Konrad von Langen schon einmal im Verdacht kam, der Pflicht eines Dieners der heimlichen Rache nicht völlig genug gethan zu haben, ward angeklagt, er habe in Ansehung eurer zum zweytenmal gesündigt, habe euch gewarnt, euch Waffen in die Hände gegeben, euch in jener schrecklichen Stunde zu vertheidigen, habe euch nur zum Schein ein wenig verwundet, und von euch eine ähnliche Verletzung bekommen. Leider steht auf solche Vergehungen, welchen die Menschheit eigentlich einen mildern Namen geben sollte, bey uns[142] der Tod. – Ulrich von Senden trug durch seine Erscheinung viel dazu bey, seine Anklage wahrscheinlich zu machen. Er trat auf, und widersprach dem Urtheil, das wider euch gefällt worden ist, ward ein Vertheidiger eurer Unschuld, und verlangte Entlassung von seinem Posten, Entkleidung von der traurigen Würde eines Dieners der göttlichen Gerechtigkeit, um mit dem unschuldigen Herrmann von Unna als Bruder leben zu können. – Eigentlich wär hiedurch sein Urtheil gesprochen gewesen, aber mir schauerte vor den Ungerechtigkeiten, die unter dem heiligen Namen unsers Gerichts ausgeübt werden; ich drang auf Untersuchung. Herrmanns Ankunft gab uns die beste Gelegenheit die Wahrheit zu erfahren: einige Worte von mir gaben ihm Anlaß sich von Ulrichen bey mir verleumdet zu halten, aller Verdacht der Partheilichkeit gegen seinen Freund, ward durch den Unwillen, den dieses in seinem Herzen erregte, aufgehoben. Er antwortete auf meine künstlich verschlungenen Fragen, ohne Vorliebe für Ulrichen, blieb auf der geraden Bahn der Wahrheit, seine Aussage stimmt wörtlich mit dem überein, was wir von Senden erfuhren. Ulrich ist gerechtfertigt, und Herrmann bekömmt zum Lohn für die Redlichkeit seines Herzens die Freyheit, ins künftige Ulrichen ohne Furcht als Freund umarmen zu können.[143] Ulrichs Entlassung wird nun keine Schwierigkeit mehr haben.

Und auch Herrmann wird gerechtfertigt seyn? fragte Ulrich, der Herrmanns Hand fest in die seinige geschlossen hielt.

Wollte Gott! rief der Graf, aber leider ist alles was ich durch euch zu des armen Jünglings Besten erfuhr, nur für mich überzeugend. Herrmann muß fliehen, fliehen unter meinen Schutz. Die Zeit macht Dinge möglich, an die wir jetzt nicht denken dürfen. Allemal ists ein wichtiger Umstand, den ich durch euch, Ritter Ulrich, erfuhr, daß außer Kunzmann, welcher im Tode Herrmann den Mitgenossen seiner Unthat nannte, noch zween oder drey andere Mörder Herzog Friedrichs sind gesehen, und – (vielleicht mit Vorbedacht) zu nachlässig verfolgt worden. Gott weis, wie es möglich gewesen ist diesen Punkt bey dem gesprochenen Urtheil zu übergehen! – Aber die Rache wird diese Ruchlosen ereilen, und ihre Aussage wird Kunzmanns Bekenntniß bestätigen oder widerlegen, wie es die Wahrheit erfordert.

Widerlegen! schrie Herrmann, oder ich verdiene nicht der Verwandte des edlen Grafen von Unna zu seyn.

Du verdienst es, wie ich hoffe! rief der Greis, du sollst mein Verwandter, selbst mein[144] Sohn seyn, wenn die Zeit dich vor den Augen der Welt so rechtfertiget wie vor den meinigen! –

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 129-145.
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