Ein und zwanzigstes Kapitel.

Geschichte der Königinn Marie von Ungarn.

[191] Die Freundschaft der alten und der jungen Dame, ward durch diesen Zufall, der sie beynahe zerstört hätte, gestärkt, ihre Vertraulichkeit gemehrt[191] worden. Ida hatte jetzt kein Geheimniß mehr vor der Fürstin, und diese fertigte ihre Fragen nach der Geschichte der Königinn Marie nicht mehr so kurz ab wie vordem.

Ihr müst mir verzeihen, sagte sie als ihr einst die Gräfinn hierüber einige Vorwürfe machte, ich handelte so wie ich mußte! ich hielt eure Fragen für jugendlichen Vorwitz. Das Unglück meiner Königinn war mir zu heilig, das Andenken desselben zu schmerzhaft, als daß ich es unnöthiger Weise hätte erwehnen sollen. Was eure Anspielungen auf das Leben der erhabenen Dame, damit Albrecht sich schmeichelt, anbelangt, so hielt ich sie immer für Träume und halte sie auch noch dafür, ihr sollt hören, sollt urtheilen und mir eure Meynung sagen.

Ida freute sich, daß die Fürstinn endlich geneigt zu seyn schien ihr Verlangen zu befriedigen, und diese begann folgender Gestalt.

Mit Freude und Kummer gedenke ich der Jahre meiner Jugend, welche ich in eben diesen Mauren, der Zuflucht meines Alters zubrachte. Die Königinn Elisabeth von Ungarn, welche ihren Gemahl selten verließ, und es für unschicklich hielt, die junge Marie ihre Tochter zu frühzeitig an das Geräusch des Hofs zu gewöhnen, bestimmte ihr dieses Kloster zum Aufenthalt, und machte mich[192] zur Aufseherinn ihrer Kindheit, zur ersten Bilderinn ihres Herzens. Meine Jahre waren damahls gerade so wie sie sich für die Gefährthinn eines Kindes schickten, welches nur spielend gelehrt, nicht durch den rauhen Ernst des Alters zurückgeschreckt werden muß, ich hatte den Fräuleinstand erst vor einem halben Jahre verlassen, und war die Gemahlinn des Fürsten Stephans Gara geworden, eines Mannes, der mir, wie ich glaube, nur darum gegeben wurde, damit ich die Stelle der Oberhofmeisterinn einer jungen Prinzessinn mit Anstand bekleiden könne. Der bejahrte Stephanus ward von Reichsgeschäften bey Hofe fest gehalten, und seine junge Gemahlinn vermißte in der süssen Einsamkeit dieses Klosters nicht das Glück an seiner Seite zu glänzen.

Mariens Hofstatt war klein, sie hatte außer mir niemand um sich als meine mir an Jahren fast gleiche Freundinn Ida von Dortmund, nachmahlige Gräfinn von Würtemberg, eure Mutter, und die kleine Barbara von Tirnan, ein Geschöpf, welches schon damahls sehen ließ, was es werden wollte, und Ahndungen in mir erregte, welche nur gar zu richtig eingetroffen sind.

Marte zeigte gleich in den ersten Jahren ihrer Kindheit, daß sie nicht schön werden würde; alles was ihr in der Folge einiges Ansehen gab,[193] war ein vortheilhafter Wuchs, und eine majestätische Miene! Barbara aber war desto schöner. Ich gestehe meine Schwachheit, ich haßte sie wegen dieses Vorzugs, den sie vor meiner Prinzessinn hatte, haßte sie wegen der Ueberlegenheit, welche sie sich überall vor ihr zu geben wußte, wegen ihres mehreren Witzes, ihrer Lebhaftigkeit, und tausend anderer kleinen Gaben, in welchen sie Marien übertraf. Gern hätte ich sie von ihr entfernt, und wie gut wär es gewesen, wenn mir dieses gelungen wär! Beyde hatten noch nicht das achte Jahr erreicht, als Barbara Marien schon einen Tück bewies, welches mit dem Namen eines Kinderstreichs entschuldigt ward, aber im Grunde die ernstliche Bestrafung ganz verdiente, die ich für gut hielt darauf zu legen.

Marie war König Ludwigs einige Tochter, war die Erbinn der Ungarischen Krone; man mußte darauf sinnen, ihre Rechte durch die Vermählung mit einem mächtigen Prinzen zu befestigen, und die Wahl fiel auf den jungen Siegmund, Kaiser Karl des vierten zweyten Sohn. Schon in der Wiege war er mir Marien, vor welcher er nur wenige Jahre voraus hatte, versprochen worden, und man hielt es jetzt für schicklich, ihm seine kleine Braut einmahl zu zeigen.

Siegmund ward zu jung, sein Stand zu erhaben, als daß ihm der Zutritt in unserm Kloster[194] hätte versagt werden sollen, man erwartete ihn bey uns mit Ungeduld. Marie war entzückt denjenigen zu sehen, den man ihren künftigen Gemahl nannte, und den sie sich vermuthlich ohngefehr so wie eine neue schöne Puppe vorstellen mochte. –

Der Prinz war noch sowohl ein Kind als sie, und ich, welche viel auf die Macht der ersten Eindrücke halte, sann Tag und Nacht darauf wie ich ihm die junge Prinzessinn, die ihm ein ganzes Leben hindurch gefallen sollte, zum ersten mahl in einem Lichte zeigen wollte, das seine kindischen Augen blenden, und alles, was er zuvor gesehen hatte, verdunkeln könne.

Meine Einfälle waren gut; Marie war diesen Tag reizender als sonst, Freude und süße Erwartung verschönerte sie, um sie auf keine Art in Schatten zu stellen, hatte ich die kleine Barbara nach Sankt Annen geschickt, und die Klosterfrauen bitten lassen, ihrer wohl wahr zu nehmen.

Aber Barbara war diesen alten langsamen schläfrigen Kreaturen zu listig, sie glaubten sie in ihrer Klausur sicher, indessen sie durch den Garten entschlüpfte, und sich auf den Weg nach Sankt Nikola machte. Sie hatte diesen Ort ungern mit dem Annenkloster vertauscht, sie hatte zu viel von der Erscheinung des jungen Siegmunds reden hören,[195] hatte zu viel von den schönen Kleidern gesehen, welche Marie an diesem Tage tragen sollte, als daß sie es hätte gleichgültig erdulden können, von dem Anblick dieser neuen ausserordentlichen Dinge entfernt zu seyn.

Siegmund war seinen Hofmeistern zu feurig, so wie sie ihren Hüterinnen. Man hatte in einem Dorfe zwischen Nikola und Sankt Annen Ablager genommen; der Prinz brauchte die Zeit, da man Anstalten zur weitern Reise machte, zu einem Spaziergang auf die benachbarten Gebürge, und was war natürlicher, als daß er daselbst der kleinen Pilgerinn Barbara begegnete. Man sahe sich, man nahte einander ohne große Zurückhaltung, man fragte sich mit kindischer Vertraulichkeit wer und wohin. Siegmund antwortete nach der Wahrheit, aber Barbara hatte den Einfall, sich Marie zu nennen und den Prinzen als ihren Bräutigam zu bewillkommen. Siegmund war zu jung um es unwahrscheinlich zu finden, daß ihm die Prinzessinn von Ungarn, einsam ohne Gefolge, ohne allen Schmuck auf diesen Bergen begegnen würde; die Munterkeit, die Schönheit der vorgeblichen Marie gefiel ihm; man hatte ihm eine Menge Dinge gelehrt, die er seiner jungen Braut vorsagen sollte, er wollte damit hervortreten, aber Barbara versicherte ihm, daß diese Umstände nicht nöthig wären und Siegmunden war dieses desto lieber. Man[196] schwatzte, lachte, hüpfte, und kam den Mauern von Sankt Nikola ganz nahe, indessen die Nonnen zu Sankt Annen die ihnen Anbefohlne mit großer Angst vermißten, und die Leute des Prinzen ganz voll Verzweiflung waren, daß ihr junger Gebieter nirgend zu finden war.

Barbara hatte nicht so viel Nachdenken, daß das was sie gethan hatte ihr Verdruß zuziehen würde. Hand in Hand ging sie mit Siegmunden zu den geöfneten Thoren von Nikola ein, und eröfnete ihm erst auf dem Wege nach dem Zimmer der Prinzessinn, ganz beyläufig, daß sie eigentlich gelogen habe, und daß er seine Braut jetzt erst zu sehen bekommen würde, eine Entdeckung, die Siegmunden sehr gleichgültig war; seine kleine Gefärthinn gefiel ihm, sie mochte seyn wer sie wollte, und die gesagte Unwahrheit war ihm ein Scherz, den er leicht verzeihen konnte.

Diese Begebenheit machte große Unordnung in unsern Planen. Die Prinzessinn war noch nicht völlig gekleidet, war nicht auf die Erscheinung ihres Bräutigams gefaßt, als Barbara mit ihm herein hüpfte. Ich und die Leute des Prinzen, welche jetzt eben mit verhängtem Zügel ankamen, waren verdrüßlich, keines wußte recht, was es zu dem andern sagen sollte, Marie und Siegmund gefielen sich nicht sonderlich, Barbara ward ausgescholten,[197] der Prinz suchte sie überall auf, ohne sich an die Prinzessinn zu kehren, und diese weinte.

Barbara ward gleich des andern Tages nach Sankt Annen gebracht. Ich wußte ihr keine härtere Strafe für ihren Vorwitz aufzulegen, als den Aufenthalt an diesem traurigen Orte. Die gutherzige Marie vermißte ihre fröhliche Gesellschafterinn, hatte ihr den Streich, den sie ihr spielte, längst vergeben, wünschte sie zurück, aber ich war unerbittlich, und Barbara blieb wo sie war, bis sie nach einigen Jahren von ihren Verwandten aus dem Kloster genommen und nach Hofe gebracht ward.

Mittlerweile wuchs Marie heran, ihre Gestalt entwickelte sich, sie ward nicht reizend, aber sie konnte gefallen, wenn sie ohne Vorurtheil angesehen ward. Tausend gute Eigenschaften, und vornehmlich ihr edles, sanftes, trugloses Herz, ersetzten reichlich die Schönheit, welche ihr die Natur versagt hatte.

Siegmund besuchte uns oft, er war kein Kind mehr, er wußte, wie er derjenigen begegnen sollte, welche bestimmt war, ihm dereinst die ungarische Krone aufzusetzen, und die Prinzessin, welche ihn herzlich zu lieben begunnte, war geneigt, alles zu glauben, was er ihr vorsagte.

Ich sahe weiter, ich versicherte sie oft, daß nicht Marie, nur die Erbinn von Ungarn vor ihm[198] geliebt würde. – Laßt uns ihn prüfen, erwiederte sie und wir wollen sehen.

Der König besuchte seine Tochter oft in ihrer Einsamkeit, sie hatte sein Herz in Händen, keine Bitte ward ihr abgeschlagen, und bald that sie eine an ihn, welche mehr Spuren ihrer Vorliebe für Siegmund als der Klugheit trug, eine Bitte, die der König nicht so bereitwillig hätte erfüllen sollen. Marie bat: ihr Vater möchte Siegmunden zu seinem Sohn und Reichsnachfolger erklären lassen. – Ich will nicht, daß er mich um der Krone willen liebe, sagte sie, ich will sie lieber von seinen Händen erhalten, als ihm sie aufsetzen. Siegmund liebt mich, er wird nicht ermangeln, das Geschenk meines Vaters mit mir zu theilen. Und man wird nicht mehr sagen können, nicht Marie, nur die Erbin von Ungarn werde von ihm gesucht.

Der König lächelte, und versprach Mariens Bitte zu erfüllen. Bald darauf bekamen wir Nachricht: Prinz Siegmund sey vom König Ludwig an Kindesstatt aufgenommen worden. Die Prinzessin triumphirte über das Glück, daß sie ihrem Lieblinge verschaft habe, sie sahe einem Besuche von ihm und der zärtlichsten Danksagung entgegen. Aber Siegmund erschien nicht, doch vertrat ein Brief seine Stelle, ein Brief, der ein Meisterstück der feinsten Politik war.[199]

Marie fand ihn entzückend, aber ich machte sie auf den Namen Schwester aufmerksam, den ihr Siegmund fast in allen Zeilen gab. Wie kann Siegmunds Schwester seine Gemahlinn werden? fragte ich; die Prinzessinn erschrack, las den Brief noch einmahl, fand, daß ich unrecht hatte, daß Siegmund das nicht so könne gemeint haben, ich schwieg dann und meine Warnungen wurden vergessen.

Man sprach von einer Reise des Prinzen nach Pohlen. Marie erwartete seinen Abschiedsbesuch, aber es erschien an seiner Stelle wieder ein brüderlicher Brief, der sie in Verzweiflung stürzte. Man fieng an zu glauben, daß ich den nunmehrigen Erben von Ungarn besser zu beurtheilen wisse, als die partheiische Liebe.

Meine Gedanken von Siegmunden konnten nicht trügen, sie gründeten sich auf Nachrichten, die mir seinen ganzen Charakter schilderten, die aber freylich so beschaffen waren, daß ich sie Marien nicht mittheilen konnte. Der Prinz war jetzt zu dem Alter herangewachsen, wo die Leidenschaften die Herrschaft zu führen pflegen; und er hatte nicht gelernt sie einzuschränken. Er war schön, und nichts konnte ihn rühren als blendende Schönheit. Er war voll Feuer und Lebhaftigkeit, und stille bescheidene Tugend hatte keine Reize für ihn. Sein Geist strebte nach Ehre, und da er jetzt gewiß[200] war, die Krone ohne Mariens Hülfe erlangen zu können, so war auch das letzte Band aufgelößt, das ihn an sie fesseln konnte.

Barbara, welche jetzt als Hoffräulein bey der Königinn Elisabeth lebte, und die mit allen schwelgerischen Reizen einer üppigen Schönheit blühte, hatte den Eindruck, den sie bereits als Kind auf ihn machte, mächtig erneuert. Seine Neigung für sie war kein Geheimniß; die Königinn Elisabeth, Mariens Mutter, fieng an das zu sehen, was ich längst gesehen hatte, und sie berief ihre Tochter schnell nach Hofe, um durch ihre Gegenwart alle Fehler wieder gut zu machen, welche hier vorgegangen waren.

Sobald sich das Gerücht von Mariens Ankunft ausbreitete, sobald Siegmund zu merken begunnte, daß sein Umgang mit Barbara beobachtet, eingeschränkt, verhindert wurde, so bekam er plötzlich Geschäfte in Pohlen, und Marie fand bey ihrer Erscheinung in der Residenz tausend Herzen, die ihr entgegen wallten, nur das einzige nicht, welches vorzüglich für sie hätte schlagen sollen.

Die treuen Ungarn jauchzten ihrer Prinzessinn entgegen, sie nannten sie Königinn, und forderten den alten König, welcher schon damahls begunnte kränklich zu werden, auf, ihr diesen Namen bey seinen Lebzeiten feyerlich beyzulegen, damit er ihr[201] nach seinem Tode desto weniger könnte geraubt werden.

Siegmunds Erklärung zum Thronerben war nicht so unumstößlich, daß sie nicht hätte können zurückgenommen werden. Die Stimme des Volks, die Vorstellungen der Königinn Elisabeth, und, ich getraue mich zu sagen, auch die meinigen, drangen durch, und Marie ward öffentlich zur Königinn von Ungarn ausgerufen.

Siegmund war einer der ersten, welcher ihr Glück wünschte; kein Brief verrichtete dieses, sondern er selbst. Der Name Schwester war ganz vergessen, er war nicht mehr Mariens Bruder, nein ganz Liebhaber und Bräutigam. – Hätte Marie meinen Einrathen folgen wollen, sie würde ihn so zurückgewiesen haben wie er verdiente; aber wer kennt nicht die Schwachheiten der Liebe! Marie schrieb seine Rückkehr nicht der Krone, sondern ihrer eigenen Person zu, und fing an ihn stärker zu lieben, als je zuvor.

Ihr seht ja, sagte sie zu mir, wie er so innig an mir hängt. Ist wohl nur eine einige Dame, wie schön sie auch sey, die mir nur einen Blick von ihm rauben könnte?

Marie hatte recht. Siegmund schien nur für sie Augen zu haben – denn – Barbara war nicht gegenwärtig. Barbara hatte gehört, daß Siegmund bey den pohlnischen Damen, von welchen[202] er jetzt zurückkam, ihrer ganz vergessen habe, und sie hielt für gut, das nehmliche zu thun. Sie wollte nicht gegenwärtig seyn, als Siegmund bey Hofe erschien, sondern gab endlich den Bitten ihrer Verwandten nach, den üblen Ruf, in welchem sie sich befand, durch eine anständige Heyrath zu tilgen.

Man hatte ihr den Statthalter von Kroatien, Johann Hervott, einen Verwandten von mir, zum Gemahl be stimmt, und sie lebte gegenwärtig als seine Verlobte auf einem seiner Güter.

Siegmunds Augen suchten die geliebte Barbara überall; sie war doch immer diejenige, zu welcher er, nach jeder kleinen und großen Untreue, zurückkehrte, und er vermißte sie ungern. – Er hörte von ihrer bevorstehenden Vermählung, ward traurig, fand daß er Marien nichts mehr zu sagen hatte, und kehrte nach Pohlen zurück.

König Ludwig starb, Marie setzte die Krone auf und würde eine gute Königinn gewesen seyn, wenn sie allein regiert hätte; aber man sagt immer, wo eine Frau herrscht, da führen Männer den Scepter; so auch hier: meine Verwandten die Garas, drängten sich um den Thron, ihr Ansehn war so groß als ihre Kenntniß der Reichsverfassung. Marie gab ihnen Gehör, regierte nur durch sie, zog sie allein hervor, vernachläßigte die andern, und legte dadurch den Grund zu Mismuth und[203] Unzufriedenheit in den Herzen der übrigen Großen. Von dem Volke wurde sie angebetet, so handelte sie gegen die Armen und Geringen im Volk, so gegen den Landmann und den arbeitsamen Bürger, daß noch jetzt die Zeiten der Königinn Marie das goldne Alter der Ungarn geheißen werden.

Die Garas hinderten sie nicht in diesem wohlthätigen Verfahren, es war ihnen genug, die andern Fürsten neben sich zu unterdrücken, der gemeine Mann mochte ihrethalben immer glücklich seyn. – Es ist unmöglich, die Absichten, welche einige von ihnen, vornehmlich der nachmahlige Statthalter des Reichs, Andreas Gara, haben mochten, genau zu bestimmen. Es kann seyn, daß Marie und die Krone das Kleinod war, nach welchen sie insgeheim rangen, wenigstens ist so viel gewiß, daß die Rückkunft des Prinzen Siegmunds aus Pohlen auf alle Art verhindert wurde. Marie sehnte sich nach ihrem Bräutigam, Siegmund war zärtlicher und treuer als jemahls; aber eine Zeit verging nach der andern, ohne daß er da erschien wo er mit so viel Unruhe erwartet wurde.

Indessen die Garas über ihren großen Anschlägen brüteten, kochte Wuth und Rache gegen sie und die Königinn in den Herzen der übrigen Fürsten. Der Gedanke, vielleicht einen Andreas oder Nikolaus Gara zum Könige zu bekommen, war ihnen schrecklich, und lieber war es ihnen auch Marien,[204] die Tochter ihres guten Königs zu stürzen, als ihr auf die Art den Thron zu gönnen.

Die Geschichten der damahligen Zeit können euch nicht so unbekannt seyn, daß ihr nicht wissen solltet, was für eine Partie man ergriff. König Karl von Neapolis ward herein gerufen; Marie sollte die Krone von Ungarn mit ihm theilen, oder sie ihm ganz überlassen.

Die Königinn liebte Siegmunden treuer als sie nöthig gehabt hatte, König Karl, so unansehnlich er auch durch sein Aeußeres war, so wenig sein kleiner Geist, der seinem Körper glich, der edeln Marie gefallen konnte, war doch übrigens ein Fürst, der Ansehen genug besaß, derjenigen, welche ihm die Hand gab, den Thron zu sichern; über dieses liebte er Marien mit so heisser Zärtlichkeit wie sie Siegmunden, verehrte sie wie ein Wesen höherer Gattung, und würde gewiß blos den Gemahl der Königinn von Ungarn, nie den Monarchen vorgestellt haben.

Marie war eine von den Damen, welche bei einer Vermählung nie auf die Liebe sehen sollten, die sie fühlen, nur auf diejenige, welche man für sie empfindet; aber – sie verkannte ihren Vortheil, blieb dem undankbaren Siegmund treu, und verwarf den gutmüthigen König von Neapolis![205]

Der Thron begunnte unter ihr zu wanken; sie fiel. Ihre Stützen die Garas konnten ihr nicht helfen, und sie kam in die Gewalt ihrer Feinde.

Mit Erröthen gestehe ich, daß mein Verwandter der Statthalter in Kroatien, daß Johann Hervott, einer der vornehmsten derselben war. Barbara, seine Verlobte, haßte Marien, haßte gegenwärtig den ehemals geliebten Siegmund und wollte es ihm unmöglich machen, durch sie die Krone zu erlangen. Sie war es, welche die verrätherischen Anschläge wider die Königinn ausheckte, sie war die Seele aller heimlichen Verschwörungen wider die unglückliche Marie. Sie brauchte ihre Reize die Zahl ihrer Anhänger und der Feinde Mariens zu vergrößern. Sie suchte ihre Gewalt auch über den von der Königinn verschmähten Karl von Neapolis auszudehnen, er sah sie verschiedenemahl insgeheim auf Hervotts Schlosse, keine Künste wurden gespart ihn in ihr Netz zu ziehen, und als diese nur in so weit glückten, daß Karl seiner Verächterinn Rache und Tod schwur, ohne eben darum Miene zu machen, die schöne Barbara an ihre Stelle zu setzen; so war auch ihm der Untergang bestimmt. Ihr wißt, daß Karl nie sein Land wieder sah, man fand ihn ermordet auf seinem Bette, und man rieth vergeblich auf den Thäter. Vielleicht trügen auch meine Muthmaßungen; Gott bewahre mich, daß ich das Sündenregister einer[206] Verbrecherinn ohne Grund mit einer Blutschuld vermehren sollte!

Barbara war noch immer Johann Hervotts Verlobte, war es zu lang gewesen, daß er hätte wünschen sollen, sie zu seiner Gemahlinn zu machen, auch schien sie nicht sonderlich nach dieser Ehre zu streben.

Ihr Beichtiger, ein schmeichelnder Bernhardiner, hatte ihr einst eine Krone, hatte ihr die höchste Krone der Welt geweißagt. Johann Hervott war nicht der Mann, der diese Prophezeihung wahr machen konnte, Karl von Neapolis hätte es vielleicht gekonnt; aber der Anschlag auf ihn schlug fehl, man mußte auf an dere Mittel sinnen.

Hervott ward noch immer fest genug in ihren Stricken gehalten um jeden ihrer Einfälle zu begünstigen. Barbara glaubte ihre hochfliegende Entwürfe nicht würdiger beginnen zu können, als wenn sie diejenigen, welche die Krone trugen, nach der sie strebte, aus dem Wege räumte. List und Verrätherey brachten die beyden Königinnen Elisabeth und Marie in Hervotts Hände.

O Ida, wie soll ich euch die Scene des Schreckens schildern, welche ich in jenen Tagen erlebte! mit welchen Worten von Mariens Qualen, von dem Tode der ehrwürdigen Elisabeth sprechen? vergönnt mir, daß ich verschweige, unterdrücke, übergehe, ins kurze fasse, was euch und mir, zu[207] lebhaft geschildert zu tiefen Schmerz verursachen würde, es giebt Scenen, welche ewig in Schleyer gehüllt bleiben sollten, bis jener große Tag, der Offenbarer aller Geheimnisse der Finsterniß, der Vergelter geheimer Verbrechen und hier nicht gelinderter Schmerzen, erscheint.

Die Fürstinn Gara schwieg bey diesen Worten, ihr tiefdenkender Blick war zur Erde gesenkt, keine Thräne netzte ihr Auge, aber ihr Herz weinte. – Ida wußte nicht genau, was sie sagen wollte, aber sie ahndete schreckliche Dinge und wußte nicht, ob sie um die Entdeckung oder um die Verbergung derselben bitten sollte.

Es sey euch genug, fing die Fürstinn von neuem an, zu wissen, daß jeder Tag den beyden erhabenen Dulderinnen neue Leiden mit sich brachte. Tausend schreckliche Mittel wurden gebraucht, Marien zu Entsagung der Vorrechte ihrer Geburt zu zwingen, tausend Mittel, die ehrwürdige Elisabeth zu nöthigen, ihre Tochter zu verläugnen, und ein finsteres Gewebe von Dichtungen zu begünstigen, welche erweisen sollten, daß Marie nicht König Ludwigs Tochter, nicht rechtmäßige Königinn von Ungarn, nicht Siegmunds bestimmte Braut sey. Die Forderung war lächerlich, und ich glaube, im Grunde hätte Elisabeth alles thun können, was man von ihr verlangte, vielleicht hätte sie ihre Freyheit,[208] ihr Leben damit erkauft, und jedermann würde das ihr abgedrungene Bekenntniß für das genommen haben, was er war, für Würkung der Nothwendigkeit, der äußersten nahmlosesten Angst!

Dieses waren Mariens Wünsche, als ihre Mutter das Opfer ihrer Treue für die Wahrheit und das Glück ihrer Tochter ward, sie verwünschte die Krone, die ihr das liebste, was sie auf der Welt hatte, das Leben ihrer Mutter raubte, verwünschte ihr eignes Leben, weil es vielleicht durch Elisabeths Tod erkauft worden war.

Doch ich sehe, ich muß euch die Dinge ein wenig umständlicher erzehlen. Eine der ausgesuchtesten Qualen, welche für die unglücklichen Königinnen erfunden wurden, war, sie Wochenlang von einander zu trennen, in dem Busen einer jeden die schrecklichsten Besorgnisse wegen des Schicksaals der andern zu nähren, und dann sie schnell und unvermuthet wieder zusammen zu bringen ihnen die Freuden des Wiedersehens, mit der Angst der nahen Trennung und der Furcht vor der düstern Zukunft so grausam zu mischen, als man zu Erreichung der schwärzesten Absichten für nöthig hielt.

An einem dieser Tage, denen man so ängstlich entgegen sah, ob man gleich von jeden derselben keinen andern Gewinn hatte, als verneute Leiden, und die fast gewisse Ueberzeugung,[209] man werde sich heute zuletzt gesehen haben, an einem solchen Tage geschah es, daß ich glücklich genug war, die Unterhaltung meiner unglücklichen Gebieterinnen mit einer beträchtlichen Dosis Trost und Hoffnung zu versüssen. Gleich bey unserer ersten Gefangennehmung – (ich war die einige Gesellschafterinn, die man den Königinnen ließ –) hatte ich den schnellen Einfall ein Körngen auf Hoffnung auszustreuen, daß es vielleicht zu unserer Rettung aufgehen könne. Das was ich that war im eigentlichen Verstande ein hingeworfener Versuch, der so wohl zu Vermehrung unsers Unglücks als zu unsern Besten ausschlagen konnte. Wir waren auf dem Wege nach unserm Gefängniß, dessen Namen ich zum Glück erfahren hatte. Ich riß eine Demantnadel aus meinen Haaren, und grub auf eine kleine Tafel, die ich bey mir trug, folgende Worte; »Wer dieses findet und zum Prinzen Siegmund nach Pohlen bringt, der nehme dieses Kleinod zur Dankbarkeit und erwarte in der Zukunft eine noch größere Belohnung von der Fürstinn Rosa Gara.« In das Innere der Tafel schrieb ich folgendes in gallischer Sprache, welche, wie ich wußte, ausser mir und Siegmunden hier nur von wenigen verstanden wurde.

»Wenn Siegmund noch einiges Menschengefühl, noch Begierde nach der ungarischen Krone, noch Liebe oder Mitleid für eine unglückliche Dame[210] hat, welche er vormals zu lieben schien, so komme er nach Moglay am Flusse Bezra sie aus den Händen ihrer Feinde zu retten.«

Ich gab dieser Schrift, an der das Leben zweyer Königinnen hing, meine vielfach zusammengefalteten Schleyer zur Hülle, heftete ihn mit der Demantnadel zusammen, und warf es, als wir des Nachts durch einen Wald fuhren, auf gut Glück in den Weg.

Die Ungewißheit, ob dieser Versuch von Nutzen seyn würde und der Widerwille in dem Herzen meiner Gebieterinnen eine Hofnung zu nähren, welche vielleicht vergeblich seyn könnte, machte, daß ich von der ganzen Sache nicht eher sprach, als an dem Tage, da ich auf eine Art, welche hier zu weitläuftig seyn würde, zu melden, Nachricht erhielt: Siegmund sey nicht fern, würde vielleicht Morgen, vielleicht diese Nacht schon hier seyn, die Gefangenen zu retten.

Zum erstenmahle in meinem Leben hatte ich heute eine Art von Zuneigung für Siegmunden gefühlt, ich dankte ihm in meinem Herzen für die Bereitwilligkeit, mit welcher er erschien, die vielleicht blos daher entsprang, weil ich in meinem Brief den Namen der zu rettenden Dame nicht genannt hatte. – Doch nein! ich thue Siegmunden Unrecht, was für ein Unmensch hätte er seyn[211] müssen, Marie in Gefahr zu wissen ohne zu ihrer Erlösung herbey zu eilen!

Ich unterhielt an diesem glücklichen Abende, der durch eine Zusammenkunft der Mutter und der Tochter verschönert wurde, meine Königinnen mit meinen frohen Neuigkeiten. Mit Freudenthränen schlossen beyde Damen sich in die Arme. Auch ich bekam meinen Theil von ihren Liebkosungen, sie nannten mich ihre Retterinn, und umarmten sich und mich von neuem.

Wir werden also der Gewalt unserer Feinde entkommen, rief Marie, und mein Siegmund wird unser Befreyer seyn. O Uebermaas des Glücks! kaum vermag ich dir zu glauben! Rosa, ihr täuscht mich! sollte es möglich seyn, das ich diese theure Hand wieder in ruhigen Tagen küssen, dieses ehrwürdige Haupt wieder mit der Krone geziert sehen würde? Marie drückte bey diesen Worten die Hand ihrer Mutter an ihr Herz, indessen diese ihre Rechte liebreich nach mir ausstreckte, und mich mit einem Tone, der mir ewig unvergeßlich seyn wird, zum zweytenmahl ihre Retterinn nannte.

Wir sassen bis tief in die Nacht in Gespräche verwickelt, die man sich nach so langer Trostlosigkeit nicht süß und hofnungsvoll genug denken kann. Endlich kamen unsere Hüter uns zu trennen. Marie bat, man möchte sie doch diese Nacht bey ihrer Mutter lassen. Ich flehte, man möchte wenigstens[212] mir, wie zuweilen geschah, erlauben, die alte Königinn zu bewachen, umsonst, wir mußten scheiden.

Marie kehrte zehnmahl zurück, ihre Mutter von neuem zu umarmen, Elisabeth umfaste die junge Königinn so fest, daß man sie mit Gewalt von ihr reißen mußte, ich umarmte ihre Knie. Vergebens! unsere Henker waren unerbittlich, wir mußten scheiden. Wir sind wohl recht thöricht, sagte Marie bey unserer Rückkunft auf unser Zimmer, indem sie sich lächelnd die Thränen trocknete, wir sind wohl recht thöricht, so viel Flehens bey den Unerbittlichen um eine einige Nacht zu machen! Werden wir nicht bald, ach morgen morgen schon, ungestört beysammen bleiben können? doch dünkt mich, ich hätte um diese, nur um diese Nacht mein Königreich geben wollen; es müßte so süß gewesen seyn, meinen Siegmund in den Armen meiner Mutter zu erwarten!

Wir giengen diese Nacht nicht zu Bette; Angst und süße Erwartung hielten uns wachend; welche Erwartung ist ganz ohne Besorgnisse? tausend Ausrufungen, mit dem Anfang: Wenn nur nicht! gingen aus Mariens Munde. Zwanzigmahl gieng sie nach dem Fenster, um die Fenster der alten Königinn zu sehen, welche mit den unsrigen in einen gemeinschaftlich großen Hof gingen.[213] Ich hoffe, sie schläft, die Theure, rief sie, ich sehe kein Licht in ihrem Zimmer. Oder sagte ich, sie ist auf den Altan gegangen, um die Aussicht auf den Strom zu geniessen, und unsern Rettern entgegen zu sehen. – Marie wollte nicht in diese Vermuthung einstimmen, sie fürchtete Erklärung für die alte Dame, und Verbitterung ihrer morgenden Freude.

Endlich brach der Tag an, und seine ersten Strahlen begunnten kaum unsre Fenster zu röthen, als wir in der Ferne Getön von kriegerischen Instrumenten hörten. Er kommt! rief die Königinn und warf sich in meine Arme, mein Siegmund kömmt seine Marie zu retten? Hinaus, hinaus, ihm entgegen! Wir eilten auf den Altan, der so wie der vor Elisabeths Zimmer die Aussicht auf den Strom hatte. Hier kam uns das Getön heller entgegen, wir sahen von weitem im Strahl der Morgensonne blinkende Waffen, und hörten unten im Schlosse ein unruhiges Hin und Herlaufen, welches uns andeutete, daß man wegen der Ankommenden besorgt sey, und das befürchte, was bald geschehen sollte.

Ach Gott! rief Marte, daß wir nur nicht mitten im Schoos der Hoffnung scheitern! sollten uns unsere Feinde nicht lieber todt als gerettet sehen?[214]

Mir begunnte selbst bange zu werden. Der Sprung vom Altan hinab, sagte ich, ist nicht hoch. Wie wenn wir ihn wagten, ich sehe dort in der Ferne auf dem Strome etwas treiben, mich dünkt, es ist ein kleines Fischerboot, soll ich es herbey winken?

Die Königinn beugte sich tiefer hinab, ach nein! rief sie, indem sie erschrocken die Augen abwendete, es ist kein Boot, es ist – es ist ein menschlicher Körper, es ist – ein langes weißes Gewand – wie – wie – ach Gott ich weis nicht wie mir ist! – Rosa, sieh hinaus! – Ich vergaß nach dem zu sehen, was mir die weite Entfernung und mein schwaches Gesicht als einen Kahn gebildet hatte, vergaß alles, selbst unsere nahe Rettung, denn die Königinn sank ohnmächtig in meine Arme.

Siegmunds Trompeten schallten näher; das Geräusch des Angriffs gellte in meinen Ohren. Ich achtete nicht darauf, denn noch immer war Marie für alle meine Bemühungen unerwecklich. –

Das Schloß war schlecht bemannt und wurde noch schlechter vertheidigt, unsere Feinde hatten geglaubt, keine andere Sicherheit für ihre erhabenen Gefangenen nöthig zu haben, als die Verborgenheit des Orts wo sie lebten, und die öde wüste Gegend, in welcher er lag.[215]

Siegmund hatte bald überwunden, er trat mit den vornehmsten seiner Kriegsbedienten in Mariens Zimmer, als diese zuerst die Augen aufschlug. – Siegmund eilte auf sie zu, ich sahe mehr Liebe in seinen Blicken, als ich je in denselben wahrgenommen hatte. – Marie, anstatt ihn so zu empfangen, wie ich vermuthet hatte, wehrte seine Hand von sich ab, und bemühte sich aufzustehen. Weg! weg! rief sie, nicht ein Wort! – zu meiner Mutter! – Noch einmal bemühte sie sich aufzustehen, aber vergebens!

Siegmund fragte, ob auch die alte Königinn hier verwahrt werde, und eilte auf meine Bejahung so gleich in die Gegend des Schlosses, die ich ihm bezeichnete.

Marie strebte sich zu erheben und vom Altan hinab zu sehen. Siehe hinaus, Rosa, sagte sie, siehe hinaus nach deinem Kahne, es war gewiß ein Kahn wie ich glaube! aber ich träumte fürchterlich, ich träumte – meine Mutter! –

Die Königinn ward bey diesen Worten zum zweytenmahl ohnmächtig, und erholte sich nicht ehr, bis einige von Siegmunds Leuten eintraten, und versicherten, daß sie die Zimmer der alten Königinn nicht hätten finden können.

Marie bezeichnete sie ihnen selbst mit schwacher Stimme.[216]

Da sind wir gewesen, sagten sie, aber es ist alles leer.

Leer? schrie Marie, leer? – o nur allzugewiß! – Augenblicklich, Kähne! Leute! der Strom! Ach gewiß! gewiß! O ich Elende! –

Marie hatte sich bey diesen Worten schnell erhoben, und war nach dem Geländer des Altans geeilt. Eine Bewegung, die sie machte, ließ mich befürchten, sie wolle hinab springen, und mit Mühe hielt ich sie zurück!

Ihre Meynung begunnte mir klärer zu werden, ich gab die Befehle, welche die Unglückliche nicht zusammenhängend vorzubringen vermochte, und führte sie, selbst vor Entsetzen der Ohnmacht nahe, nach dem Zimmer.

Siegmund erschien! – Doch Gräfinn, ich bin bereits zu weitläuftig gewesen! – Hinweg! Hinweg! mit diesen grauenvollen Scenen! – Man hatte auf Elisabeths Fenstergesimsen Spuren von Blut gefunden, in einer Ecke ihren zerrissenen blutigen Schleyer. Die Nachsucher fanden einige Meilen von dem Schlosse endlich Elisabeths Körper, welcher mit den langen Kleidern im dichten Gesträuch hängen geblieben war. Einige Stiche in ihrer Brust zeigten, daß das Wasser, nur die überbliebenen Lebensfunken in der ermordeten Königinn vollends hatte auslöschen, oder vielleicht nur die[217] Greuelthat verbergen sollen, deren Vollbringer noch jetzt niemand bekannt ist als dem Allwissenden!

Johann Hervott, der Herr dieses Schlosses, war im Gefecht geblieben, ich nannte Siegmunden Barbaras Namen, deren Hand, wie ich meynte, alle diese Dinge im Verborgenen dirigirt hatte, ob sie gleich sich, so lang wir uns hier aufhielten, niemals sehen ließ.

Siegmund war beleidigt über die Art, mit welcher ich der geliebten Barbara gedachte. Er gestand, daß er sie hier im Schlosse gefunden habe, aber sie sey so wohl eine Gefangene gewesen wie wir, und theile mit uns die Freude der Befreyung.

Ich schwieg, ich wandte mich zu meiner todkranken Königinn. – Nach langem Lager ward sie wieder gesund, setzte die Krone von neuem auf, ward Siegmunds Gemahlinn, aber nie habe ich sie wieder froh gesehen. Die schreckliche Scene auf Hervotts Schlosse schwebte ihr unablässig vor Augen, und wo sie ging oder stand, flüsterte sie den Namen ihrer ermordeten Mutter.

Marie war nie schön, nie aufgeweckt gewesen, jetzt verlor sie vollends die wenige Anlage, die sie zu beyden hatte, gänzlich. Siegmund, den nichts fesseln konnte, als Reiz und Munterkeit, nennte sie gegen seine Lieblinge eine finstere traurige Träumerinn,[218] ohne an die Schicksale zu denken, die sie zu dem machten, was sie war.

Barbara ward an den Hof gezogen. Marie duldete sie, mußte und konnte sie dulden, denn sie hatte nicht die Gedanken von ihr, die ich in dem Innersten meines Herzens hegte. – Gott verzeihe mir, wenn ich zu viel auf die Rechnung der Sünderinn schreibe, die ich hasse! –

Um König Siegmunds Liebe zu seiner Barbara desto besser zu verdecken, gab man ihr Peter den Einfältigen, Grafen von Cyly zum Gemahl. – Was soll ich weiter sagen. Die Liebe des Königs zu der Gräfinn von Cyly, der Uebermuth dieser unwürdigen Nebenbuhlerinn, trieb Marien vom Hofe in dieses Kloster. Sie war schwanger und ihre Gesundheit war so geschwächt, daß man an ihrem Leben und dem Leben ihres Kindes zweifeln mußte. – Ich begleitete sie hieher, wo sie ihre Wochen halten und ihren Tod erwarten wollte. Ich wollte ihre einige Wärterinn seyn, ich traute niemand außer mir, aber eine fürchterliche Krankheit überfiel mich in den Tagen, da die Königinn ihrer Niederkunft stündlich entgegen sahe. Die gutherzigen Nonnen zu Sankt Nikola waren meine Lebensretterinn, sie sprachen nach meiner Wiedergenesung von wahrscheinlicher Vergiftung! – Sie konnten recht haben, meine Gefahr war groß, meine Empfindungen außerordentlich gewesen,[219] auch ließ es sich denken, daß mein Leben manchem ein Anstoß seyn mußte.

Meine ängstliche Besorgnis war um die Königinn, ich fragte nach ihr, und bekam die Nachricht, die mich von neuem an den Rand des Grabes brachte – sie sey todt! – Ich fragte nach nähern Umständen, die Nonnen zuckten die Achseln, sie erzählten, auf die erste Nachricht von meiner Krankheit, sey die Gräfinn von Cyly erschienen, der Königinn an meiner Statt bey ihrer Niederkunft aufzuwarten. Marie habe sich in ein anderes Kloster bringen lassen, habe daselbst eine Tochter zur Welt gebracht, und – dabey den Geist aufgegeben.

Ich fragte nach dem Kinde, man sagte mir, der König, welcher über den Tod seiner Gemahlinn untröstlich geschienen, sey bald nach der Geburt der jungen Elisabeth in diese Gegenden gekommen, seine kleine Tochter, die nunmehr das einige sey, welches die Liebe des Volks noch an ihn fesselte, in seine Arme aufzunehmen. Ein hinterlassener Brief von der sterbenden Königinn habe ihn gebeten mir die Erziehung des unglücklichen Kindes zu überlassen, und man sage, er sey, alles Einredens der Gräfinn von Cyly ungeachtet, entschlossen, Mariens letzten Willen zu erfüllen.

Wenig Tage vergingen, und ich konnte das geliebte Kind, das theure Vermächtniß meiner Königinn,[220] in meine Arme schliessen. Eine von den Nonnen zu Sankt Annen hatte den Auftrag erhalten, mir es zu überbringen, ein Brief ward mir mit demselben überreicht. Ich öfnete ihn, und fand folgendes.

»Ich sterbe, theure Fürstinn Gara, und habe nur noch so viel Zeit mein Kind mit dem theuren Namen Elisabeth zu nennen, und es euch zu empfehlen, die Nonne, welche dieses in meinem Namen schreibt, wird euch mehr sagen.«

Ich habe nach der Schreiberinn dieses Briefs oft und viel gefragt, aber niemand hat sie mir nennen können: Ich fragte nach dem Begräbniß der Königinn; man wieß mich nach Stuhlweisenburg, wo König Siegmund sie hatte prächtig beysetzen lassen. Der Ort ihres Todes blieb verborgen. Alle ihre Leute waren kurz vor ihrer Niederkunft abgedankt worden, Barbara war allein um sie gewesen.

Der Argwohn, Mariens Tod könne eine Erfindung Barbaras seyn, trieb mich zu Untersuchungen, welche Jahrelang fortgesetzt wurden, und doch vergeblich waren; urtheilet was ihr von euren Bemühungen zu erwarten habt.

Die kleine Elisabeth war das einige, was mich nach dem Verlust meiner geliebten Königinn auf der Welt zurück halten konnte. Sie ward mein Trost, mein Zeitvertreib, meine Hoffnung, wenn[221] es mir zuweilen einfiel, ich könne noch einmahl glückliche Tage in der Welt sehen.

Wundert euch nicht, wenn die Liebe für sie mich vor einiger Zeit ein Betragen gegen euch lehrte, welches ihr mit Recht beleidigend fandet. Es war die Frage von dem Glück der geliebten Elisabeth. Ich war irre an euch, ich sah im Geist die Scenen zwischen Siegmund, Barbara und Marie, in dem Schicksal ihrer Tochter erneuert. Jetzt kenne ich euch besser, und ich hoffe, auch die Prinzessinn von Ungarn wird sich belehren lassen, wird nicht euren Werth ins künftige mehr verkennen.

Laßt uns von andern Dingen sprechen, erwiederte Ida, welche nicht ohne Verdruß an den Verdacht denken konnte, welchen man gewagt hatte auf sie zu werfen. Mich dünkt, wenn ihr der Erzählung meiner Geschichte nur einige Aufmerksamkeit gegönnt hättet, so hätte euch wenigstens der Name der Fürstinn von Ratibor und ihrer Tochter, meinen alten Feindinnen, jedes Wort, das sie wider mich sagten, verdächtig machen sollen.

Die Fürstinn Gara wollte ihre Entschuldigung erneuern, aber Ida bat nochmals, des Vergangenen nicht mehr zu gedenken, und lieber ihre Gedanken über die Geschichte zu vernehmen, welche sie so eben gehört hatte. – Meynt ihr, fuhr die[222] Gräfinn fort, daß mich eure Erzählung von dem gewissen Tode der Koniginn überzeugt hat? – Nein, meine Hoffnung ist stärker als jemals, ich will und muß Mariens Aufenthalt ausfindig machen, und wär es auch nur um – –

Um ihre Tochter mit Wohlthaten zu beschämen, setzte die Fürstinn hinzu. Aber bedenkt, mein Kind, daß ihre eine Art von Ritterzug auf Unmöglichkeiten unternehmt! – Elisabeth ist jetzt sechszehn Jahr, sollte es möglich seyn, daß ihre Mutter in dieser langen Zeit nicht Mittel gefunden hätte sie mit der Nachricht von ihrem Leben zu erfreuen? – Ueberdies bedenkt meine Nachforschungen, bedenkt, daß Marie in den Stunden, in welchen sie ganz hülflos war, sich unter Barbaras Händen befand; sollte diese Boshafte ihre Mitbuhlerinn wohl lebendig aus denselben gelassen haben?

Aber, sagte Ida, wie war es möglich, daß die kleine Prinzessinn von ihr verschont wurde, die sich in jenen Augenblicken der Hülflosigkeit sowohl in der Gewalt ihrer Feindinn befand als ihre trostlose Mutter?

Wär Marie die Mutter eines Sohns geworden, erwiederte die Fürstinn, so möchte es wohl anders gegangen seyn: eine Tochter konnte Barbaras weit aussehenden Planen nicht allzugroße[223] Hindernisse in den Weg legen. Ueberdieses überraschte sie vielleicht Siegmunds Erscheinung zu schnell, sie glaubte sich vielleicht ein Verdienst bey ihm zu machen, wenn sie, – da sie mich, Elisabeths bestimmte Erzieherinn, zu jener Zeit schon vielleicht tod glaubte – Mutterstelle bey der kleinen Prinzessinn verträt.

Es ist schwer, versetzte die tiefdenkende Ida, über diese Dinge zu sprechen, die Zukunft wird alles aufklären.

Die Fürstinn schwieg und setzte am Ende, auf Idas Bitte, noch etwas weniges von Elisabeths Jugendschicksalen hinzu.

Die kleine Prinzessinn war derjenigen welche ihr nach dem letzten Willen ihrer Mutter auf ihr ganzes Leben zur Führerinn dienen sollte, nur wenige Jahre gelassen worden. – Sie ward nach Hofe gefordert um mit dem jungen Albrecht von Oesterreich verlobt zu werden. – Siegmund fühlte es, daß er eine solche Stütze wie Albrechten nöthig habe, um sein gesunkenes Ansehen aufrecht zu erhalten. Die Liebe seines Volks war nach Mariens Tode fast gänzlich verschwunden. Barbara mußte vom Hofe auf die Güter ihres Gemahls, des im vorigen Theile belobten Peter des Einfältigen, entfernt werden. Siegmund zog in den Türkenkrieg, und schickte seine Tochter indessen[224] nach Klausenburg, weil Barbara sein Herz mit Verdacht gegen die Fürstinn Gara und die Nonnen zu Sankt Nikola erfüllt hatte.

Er kam zurück, seine Gefangenschaft, die Begebenheiten auf dem Schlosse Soklos mit der Fürstinn Helena, einer Verwandtinn der Fürstinn Rosa Gara, die Abentheuer auf dem Schlosse Cyly und andere Dinge erfolgten, deren wir im ersten Theile gedacht haben, bis es dahin kam, daß Barbara Königinn, daß sie Elisabeths Stiefmutter ward.

Elisabeths Schicksal wurde dadurch verschlimmert, ihre Einschränkung zu Klausenburg vermehrt, ihre Hoffnungen auf Herzog Albrechten oft verdunkelt. Ihr Herz öfnete sich dem Argwohn und tausend traurigen Vorstellungen. Herzog Albrecht ließ würklich zu der Zeit, da die Reichsangelegenheiten zu Nürnberg und vielleicht auch seine Freundinn Ida ihn zu sehr beschäftigten, weniger von sich hören als sonst. Die Prinzessinn von Ratibor, welche das Unglück nach Klausenburg geführt und zu Elisabeths Freundinn gemacht hatte, ward mit Hülfe ihrer Mutter die Auslegerinn dieser Dinge, und alles nahm die Wendung, die wir gesehen haben, und die Idas zarte Empfindung für die Ehre so schmerzlich verletzte.[225]

Sie nahm die damahligen Entschuldigungen der Fürstinn, welche beym Ende ihrer Erzählung erfolgten, so geneigt auf, als ihr möglich war, und entfernte sich.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 191-226.
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