Acht und zwanzigstes Kapitel.

Gelungene und verunglückte Anschläge.

[289] Angst und Besorgnisse waren Idas und Mariens Gefährtinnen, in der Zeit der Erwartung, was die erhaltenen Nachrichten zu Sankt Nikola möchten ausgerichtet haben.

Eine lange traurige Woche verfloß, ehe sich nur eine Spur der Hoffnung zeigte. Am Ende derselben ward Ida zu der Aebtissinn gefordert.

Meine Tochter, sagte sie, höret sonderbare neue Zeitungen. Eure Feinde, welche sehen, daß sie euch mit Gewalt nicht eurem heiligen Beruf entreissen können, nehmen ihre Zuflucht zur List, aber der Heiligen Anna sey Dank, daß wir hier listiger sind als sie, und ihre Anschläge zu vernichten wissen.

Ida zitterte; sie sahe ein Schreiben mit dem erzbischöflichen Siegel in den Händen der Aebtissinn.

Daß die Nikolaitinnen zu den Mitverschwornen wider das Heil eurer Seele gehören, fuhr die Domina fort, das ist uns nun unwidersprechlich erwiesen. Die Fürstinn Gara, welche sich in jenem Kloster aufhält, sandte uns diesen Morgen diesen[289] Befehl von der Hand unsers heiligen Vaters, welcher euch mit gebührender Ehrerbietung zu lesen erlaubt wird.

Ida empfing das Blatt, wie sie mußte, mit halbgebognem Knie, und las:

»Heilige und in Gott andächtige Mutter, Frau und Oberinn des Klosters zu Sankt Annen: Unsern Grus, und alles Gute zuvor.

Ihr werdet angewiesen, Angesichts dieses, den Nonnen zu Sankt Nikola euren Schwestern, die in eurem Kloster lebende heilige Frau Sankt Veronika, welcher Schwachheit halber diese Veränderung gestattet wird, samt ihrer Wärterinn, der jungen Novize N. N. (mit ihrem Weltnahmen Ida von Würtemberg genannt,) unwegerlich ausfolgen zu lassen. Woran, wenn ihr solches thut, geschieht unser ernstlicher Wille.« u.s.w. Subinko, Erzbischof.

Die Gräfinn zitterte vor Freude und vor Angst, sie gab das Schreiben zurück, ohne ein Wort vorbringen zu können.

Euer Zittern, euer Stillschweigen, sagte die Domina, verkündigt uns eure Gedanken, aber sorget nicht, mein Kind ihr bleibet bey uns, der heilige Vater giebt uns in seinem Schreiben selbst einen Wink was wir zu thun haben. – Hier diese Charakter, welche außer mir und seiner Heiligkeit niemand verständlich sind, und die wahrscheinlich[290] die Nonnen zu Sankt Nikola so wenig wahrgenommen haben als ihr, verkündigen uns seine wahre Willensmeynung.

Ida sah in dem ihr zum zweytenmahl dargereichten Schreiben eine Reihe kleiner Figuren, welche sie zu den damals gewöhnlichen Briefzierrathen gerechnet und für unbedeutend gehalten hatte. Ihre Angst wuchs und sie vermochte nichts weiter als die heilige Mutter mit einem furchtsam fragenden Blicke anzusehen.

Ihr versteht nichts von diesen Dingen? sprach die Alte mit einem wichtigen Lächeln, ja ich glaube es euch. – Diese Chiffern heißen ohngefehr soviel, als: Veronika sey den Nikolaitinnen ohne Weigerung zu überlassen, hingegen die junge Novize N. N., welcher Sr. Heiligkeit mit besonderer Hulde zugethan verbleibe, unter einem schicklichen Vorwand zurückzubehalten.

Diesem zu folge, fuhr die Domina fort, wird die kranke Nonne, mit welcher ihr euch lang genug gequält habt, diesen Vormittag den Abgeschickten der Fürstinn überlassen werden; es ist gleich viel, ob sie zu Sankt Nikola oder zu Sankt Annen begraben wird. Ihr aber werdet hier bleiben, und den Tag, der euch vor allen Versuchungen der Welt und des Satans befreyen wird, mit Geduld erwarten. Die Nähe eurer Einkleidung ist der[291] schicklichste Vorwand, den man der abgeschlagenen Forderung, so weit sie euch betrift, geben kann!

Idas Herz wollte bey Anhörung dieser Worte zerspringen. Freude über die Rettung der Königinn, Kummer sich von ihr trennen zu müssen, und halbe Verzweiflung, daß ihr nun nichts übrig sey, als die Annehmung des Schleyers, stürmten auf sie ein, sie schwankte, und schien ohnmächtig zu werden.

Nicht doch mein Kind, sagte die Domina, welche sich herabließ sie selbst aufrecht zu halten, ihr sehet ja, daß es euren Feinden nicht gelingt! Wir wollen sie wacker täuschen. Die kranke Veronika ist offenbar nur der Vorwand euch nebst ihr in ihre Hände zu bekommen; nun dann, wir gewähren ihnen was sie trüglich für das Vornehmste ihrer Forderung angeben, und behalten nur euch, nur die seyn sollende Nebensache zurück. Beruhigt euch. Geht, selbst Anstalt zu Veronikas Ueberlieferung zu machen, und kommt dann zu mir zurück, ihr werdet die ganze Schwesterschaft bey mir finden, euch und mir wegen des ausgeführten Meisterstreichs Glück zu wünschen.

Ida entfernte sich weinend, kündigte der vor Freude fast betäubten Marie ihre Befreyung an, letzte sich mit ihr unter tausend Thränen, empfahl sie der äußersten Sorgfalt der Abgeschickten, und bat, beym Abschied, daß sie in ihrem Elend doch[292] nicht ganz vergessen werden möchte. – Konnte der Königinn ihr Glück durch etwas verbittert werden, so war es dieses, daß sie die Schöpferinn desselben nicht mit sich nehmen, nicht die Freuden, welche ihrer warteten, mit ihr theilen konnte. – Sie versprach alles was sie wünschte, und man mußte sich trennen.

Was werden die Schwestern zu Sankt Nikola, was wird unsere Fürstinn sagen, sprachen die Abgeschickten heimlich zu Ida, daß ihr euch so hartnäckig wegert dieses Kloster mit dem Ihrigen zu vertauschen?

Ich wegre mich? schrie Ida. – Sagt ihnen von meinen Thränen, meiner Verzweiflung, und sie werden das übrige errathen!

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 289-293.
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