6.


Sylvius Ausfall auf Vesalius.

Als Vesalius die Anatomie zu reformiren anfieng, widerlegte er den Galen, sowohl in Schriften, als in seinen Vorlesungen, und zeigte manche Blößen in dessen Buch de usu partium (von dem Nutzen der Theile), nach welchem die Anatomie damals allgemein gelehrt wurde, welches aber nach Affen und andern Thieren, und nicht nach Menschen, verfertigt war. Er zog sich hierdurch viele Feinde zu, die Galen's Sache, wie ihre eigene, gegen ihn führten, und unter welchen Jakob Sylvius zu Paris, Eustachius zu Rom, und Dryander zu Marburg sich auszeichneten. Der erstere lästerte besonders bey seinen Zuhörern den Vesalius auf die entsetzlichste Weise. Als Vesalius dieses erfuhr, schrieb er einen sehr verbindlichen ehrfurchtsvollen Brief an Sylvius, worinn er ihn, seinen alten Lehrer, seiner größten Hochachtung versicherte, und ihn bat, daß er ihm melden möchte, weswegen er ihn so sehr tadelte und seinen Groll auf ihn geworfen hätte. Sylvius fand sich dadurch geschmeichelt, und antwortete ungefähr folgendes:


»er schätze ihn ebenfalls sehr und wünsche, ihn zum Freunde zu behalten, aber nur unter der Bedingung, daß er nicht mehr in der Anatomie den Galen widerlege. Würde er[10] dieses thun, so wären er und seine Schüler, die schon alle ihre Federn gespitzt hätten, bereit, auf das heftigste gegen ihn loszuziehen. Würde er aber öffentlich widerrufen, so wolle er ihn zum Freunde annehmen. Neue Erfindungen zum Galen hinzuzufügen, wolle er ihm nicht verwehren, aber was Galen gelehrt habe, müsse er unangetastet lassen.«


Als aber Vesalius keinesweges aufhörte, nach Ueberzeugung zu handeln, und den Galen anzugreifen, und Sylvius sah, daß er eine Menge Schüler anzog, welche sämmtlich der neuen Lehre anhiengen, so konnte er sich nicht länger zurückhalten, sondern ergoß seine Galle in einer besondern Schrift1, worinn er den Vesalius auf die bitterste Art angriff, und mit Schimpfwörtern belegte. Statt Vesalius nannte er ihn darinn Vesanus (einen Unsinnigen) und legte ihm hauptsächlich folgende Namen bey:


»Literarum imperitissimus, arrogantissimus, calumniator maledicentissimus, rerum omnium ignarissimus, transfuga, impius, ingratus, monstrum ignorantiae,[11] impietatis exemplar perniciosissimum, quod pestilentiali halitu Europam venenat, cuius errata omnia vel appellare operis esset infiniti.«


(Der Unwissendste in der Gelehrsamkeit, der vermessenste, der lügenhafteste Verleumder, der Unerfahrenste in allen Dingen, der Flüchtling, der Gottlose, der Undankbare, das Ungeheuer von Unwissenheit, das verderblichste Muster von Gottlosigkeit, das mit seinem pestilentialischen Hauch Europa vergiftet und dessen Irrthümer alle zu benahmen eine Arbeit ohne Ende seyn würde.)


Als er aber zur Sache selbst kam, und die Anatomie Galen's gegen die Angriffe Vesal's vertheidigen wollte, so sah er selbst an mehrern Orten augenscheinlich, daß er es nicht konnte. Er nahm deswegen seine Zuflucht zu der Behauptung, daß zu Galen's Zeiten die Menschen einen andern Körperbau gehabt hätten, als heutzutage. Eustachius lächelte selbst über eine solche Vertheidigung, und sagte, daß durch sie mehr schlimm, als gut gemacht würde.


Galen z.B. hatte sieben Brustbeine im menschlichen Skelet angenommen, Vesalius hingegen zeigte, daß er sich durch Betrachtung des Affenskelets habe verführen lassen, und daß man nur drey annehmen dürfe. Sylvius wendete dagegen[12] ein, zu Galen's Zeiten seyen die Menschen größer und länger gewesen, und hätten daher auch sieben Brustbeine gehabt. In diesem Zwergjahrhundert könne man freylich deren nur drey finden.


Vesalius behauptete, daß auch in den Knochen der Hand Mark sey, da Galen das Gegentheil gelehrt hatte. Sylvius antwortete dagegen, daß in den ältern Zeiten die Knochen fester und härter gewesen seyen, und also keines Marks bedurft hätten.


Gegen die Behauptung, daß an den Enden der Knochen sich Knorpel fänden, brachte Sylvius vor, die Knochen wären in den ältern Zeiten stärker und fester gewesen, und hätten daher keine Knorpel nöthig gehabt.


Gegen Vesal's Lehre, daß die ungepaarte Vene sich über dem Herzbeutel in die Hohlvene ergieße, brachte er das Argument vor, daß die Körper der Menschen in den ältern Zeiten größer, die Brusthöhle also auch länger gewesen sey, und daß sich daher die ungepaarte Vene nicht über dem Herzbeutel ergossen habe.


Auch die große Krümmung, welche Galen dem Oberarm und Hüftknochen beygelegt hatte, verwarf Vesalius; und Sylvius vertheidigte sie aus dem Grunde, weil durch die engen Kleidungsstücke die Knochen heutzutage gerader geworden seyen.
[13]

Ja er gieng so weit, daß er den Vesalius bey Kaiser Carl V anklagte und diesen aufforderte, einen so boshaften und gefährlichen Menschen öffentlich zu strafen. Auch die übrigen kaiserlichen Leibärzte suchte er in sein Interesse zu ziehen, und machte deswegen dem ersten von ihnen mit einem Kinderskelet, einer großen Seltenheit für die damalige Zeit, ein Geschenk, damit er mit ihm gemeinschaftliche Sache gegen Vesal machen möchte.[14]

Fußnoten

1 Sie führt den Titel: Vesali cuiusdam calumniarum in Hippocratis Galenique rem anatomicam depulsio. (Widerlegung der Verleumdungen eines gewissen Unsinnigen gegen die Anatomie des Hippokrates und Galen.) Paris. 1551. 8.


Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4).
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