13.


Ein Sterbender aus Einbildung.

[97] Ein Knabe von dreyzehn Jahren fieng an, ohne daß man die geringsten Spuren von Krankheit an ihm wahrnehmen konnte, sich zum Tode zu bereiten, und behauptete fest, daß er nach acht Tagen, an einem bestimmten Tage, Morgens um 9 Uhr, werde sterben müssen. Seine Eltern und Bekannten suchten ihm seinen Wahn zu benehmen, und suchten alle Gründe von der Welt auf: aber umsonst. Er gieng mit nichts, als Todesgedanken um, ordnete an, wie es nach seinem Tode mit seinen Sachen gehalten werden sollte, und erwartete standhaft und zuversichtlich den Tag und die Stunde seines Todes. Der Arzt, den man wegen dieses sonderbaren Vorfalls zu Rathe zog, fand die Sache etwas bedenklich, und befürchtete, da er die große Macht der Einbildung auf den Körper kannte, einen schlimmen Ausgang. Er versuchte deswegen seine Kunst bey ihm, und gab ihm ein heftiges Brech-und Purgiermittel ein, um ihn durch eine gewaltsame Erschütterung von den Sterbensgedanken abzubringen. Hierauf ließ er ihm ein starkes Zugpflaster von Spanischen Fliegen auflegen. Aber alle Wirkungen dieser Mittel waren bey ihm umsonst, und der schreckliche Tag war ganz nahe, ohne daß er im geringsten von[98] seiner Vorstellung abgekommen wäre. Endlich fiel der Arzt, da alle Mittel bey dem Kranken umsonst waren, auf den Gedanken, ihn durch eine List zu hintergehen. Er brachte ihm wenig Stunden vor seinem erwarteten Ende eine reichliche Gabe Mohnsaft bey, und diese wirkte so trefflich, daß er in einen starken Schlaf verfiel, und zwo Stunden länger, als die gefürchtete neunte Stunde, schlief. Da er hierauf erwachte, und auf einmal an dem Zeiger seiner Uhr sah, daß er die Stunde verschlafen habe, auch seine Freunde und Schulkameraden um sein Bette erblickte, welche ihn mit großem Gelächter versicherten, daß die Gefahr nun völlig vorüber sey, stand er voller Schaam von seinem Bette auf, und war von der Stunde an von seiner Einbildung geheilt.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 97-99.
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