6.


Ein Arzt, der sich am besten aus der Verlegenheit hilft.

[47] Einst kam ein Bauer zu einem Arzt und wollte den Urin besehen lassen. Der Arzt, welcher aus dem vorgehaltenen Urin nichts Widernatürliches erkennen konnte, und auch durch allerley vorgelegte dem Scheine nach gleichgültige Fragen nichts von dem Bauer herauszubringen vermochte, fieng an, blindlings zu errathen, indem er sich an das Allgemeine hielt: der Patient sey seine Frau, er habe Frost und Hitze, Mattigkeit, Kopfwehe[47] u.s.w. Der Bauer sagte zu allen diesen Dingen ein gleichgültiges Ja. Endlich aber fieng er lächelnd an: »Herr Doktor, diesesmal hat er es gar nicht gerathen, ich will es ihm besser sagen, der Patient bin ich selbst und der Urin ist von mir, rathe er nun, was mir fehlt.« Der Arzt ergriff die klügste Parthey, statt daß ein anderer in Verlegenheit gerathen wäre. Er stieß den Bauer mit den Worten zur Thüre hinaus: ich will mich von keinem dummen Bauer zum Narren gebrauchen lassen.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 47-48.
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