2.


Biographie des Dr. John Brown.1

John Brown wurde zu Bunke, einem Dorfe in der Grasschaft Berwik in Schottland, im Jahre 1735, von geringen Aeltern geboren. Er war erst bey einem Leineweber in der Lehre; sein guter Kopf bewog aber seine Aeltern, ihn studiren zu lassen. Er kam daher ungefähr in seinem 16ten Jahre nach Dunse in die lateinische Schule, wo er seinen Studien mit ausgezeichnetem Fleiße oblag, und bald als ein Wunder angestaunt wurde. Nach 2 Jahren seines dortigen Aufenthalts konnte er alle lateinische Classiker mit der größten Leichtigkeit lesen, und in der griechischen Sprache machte er eben solche außerordentliche Fortschritte. – In der Erndtezeit verdung er sich als Schnitter, um sich dadurch die zu seinem Studiren benöthigten Mittel zu verschaffen. Sein fortgesetzter Fleiß und seiner Geschicklichkeit verschafften ihm in der Folge die Stelle eines Gehülfen in der Schule.
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Nach seinem damaligen Lebensplane wollte er einst Rehgionslehrer der Separatisten oder Whigs werden; er war auch selbst sehr religiös. Es ereignete sich aber ein Umstand, der ihn auf immer von dem Pfade abbrachte, welchen er bisher so eifrig verfolgt hatte. Er besuchte nämlich einstmals auf Veranlassung seiner Mitschüler die Dunser Pfarrkirche, und wartete den ganzen Gottesdienst ab. Dieß Aergerniß konnte nicht ungeahndet bleiben. Er wurde vor die Session der Separatistengemeinde citirt; allein er sagte sich ganz von dieser Verbindung los, und trat zur herrschenden Kirche über.


Im Jahre 1755 erhielt er eine Hofmeisterstelle; welche er aber wegen seines pedantischen, finstern Wesens bald wieder verlor. Nun gieng er nach Edinburg, wo er Theologie und Philosophie studirte. Er verließ die Theologie bald wieder, und wollte die Arzneikunst studiren; hatte aber eher kein Geld dazu, bis er dann im Jahre 1759 durch Unterricht in der lateinischen Sprache sich so viel erwarb, daß er sich der Medicin widmen konnte. Im Jahre 1765 verheirathete er sich, und nahm Studenten in sein Haus und an seinen Tisch; er lebte aber auf einen zu großen Fuß, und kam so herunter, daß er in einigen Jahren Bankerot machte.
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Dabei genoß er jedoch alle Glückseligkeit häuslicher Freuden, war zärtlicher Ehemann und Vater; die medicinischen Vorlesungen besuchte er fortgehend, seinem eigenen Geständnisse nach, 10 bis 11 Jahre lang.


Unter allen medicinischen Professoren erhielt er von keinem so ausgezeichnete Beweise des Wohlwollens, als von dem berühmten Cullen. Dieser übertrug ihm das Amt eines Privatlehrers in seiner eigenen Famlie, und empfahl ihn auf alle Art. In der Folge gab er ihm die Erlaubniß, Abendvorlesungen zu halten, und vertraute ihm dazu seine Hefte an. Nach und nach entstanden zwischen beiden Mißhelligkeiten, und die innige Vertraulichkeit endigte sich mit offenbarer Feindschaft. Brown meldete sich unter andern mit zu der durch den Tod Alexander Monro's erledigten Stelle, und zwar, im Vertrauen auf seine Geschicklichkeit, ohne alle Empfehlung. Als die Herren des Magistrats, von denen die Besetzung dieser Stelle abhieng, Brown's Namen auf der Liste fanden, und spöttisch fragten, wer denn dieser unbekannte, von Niemand empfohlne, Candidat wäre: soll, dem Gerücht nach, Cullen sich erst ein wenig besonnen, dann im gemeinen Edinburger Dialekt ausgerufen haben: Ei, das wird doch wohl nicht gar unser Hanns sein! Dieser höhnische Ausdruck hatte die Folge, daß man weiter keine Rücksicht auf ihn nahm.
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Bald nach diesem gänzlichen Bruch mit Cullen trat Brown nun mit seiner neuen Theorie der Heilkunde hervor, gab 1779 seine bekannten Elementa medicinae heraus, und hielt Vorlesungen darüber. So wenig zahlreich auch anfänglich diese Vorlesungen besucht wurden: so waren doch immer die besten Köpfe unter Brown's Anhängern; ob man gleich auch gegenseitig bemerken wollte, daß die unfleißigsten und lüderlichsten jungen Leute sich an ihn anschlössen. Ihre schlechte Aufführung, nebst der Unklugheit des Lehrers in seinem Privatleben, und der beleidigende Ton, in welchem er von sich und andern sprach, machten, daß das System und der Urheber desselben fortwährend im schlechten Rufe standen. Brown lebte nun bald mit allen Lehrern der Arzneiwissenschaft zu Edinburg in Feindschaft. Gleich andern Reformatoren, die mit einer mächtigen Gegenpartei zu kämpfen haben, übte er Unrecht und litt Unrecht; gleich ihnen verlor er auch, sobald es auf sein System ankam, alles Gefühl für Billigkeit. Folgende Geschichte brachte ihn endlich um allen Credit.


Dr. Monro und Dr. Duncan behandelten gemeinschaftlich einen, an einem gefährlichen Fieber der niederliegenden, Studirenden. Einer von Brown's eifrigen Anhängern, Dr. Jones, ein Freund des Kranken, suchte die Krankenwärterin zu bereden, diesem, nach Brownschen Grundsätzen,[10] heimlich stark reizende Mittel beizubringen. Nach dessen Behauptung wurden selbige auch 24 Stunden lang, und zwar mit einem so guten Erfolg, gegeben, daß die Aerzte den Kranken bei ihrem nächsten Besuch für ganz fieberfrei erklärten; Nachmittags desselben Tages verfiel er aber dagegen in ein so heftiges Delirium, daß Jones sich in der Verlegenheit an seinen Lehrer wandte. Dieser ließ die Krankenwörterin heimlich zu sich kommen; machte ihrem Verstande große Lobeserhebungen; ließ sich herab, ihr die Richtigkeit seiner Grundsätze, in Beziehung auf den vorliegenden Krankheitsfall, begreiflich zu machen, und ermunterte sie, dem Kranken fernerhin, statt der von den Aerzten verordneten antiphlogistischen, reizende Mittel beizubringen.


Der von Duncan und Monro aufgegebene Kranke genas endlich. Die Brownianer schrieben seine Genesung ihrer Behandlungsart zu, und machten den Fall öffentlich bekannt; die Wärterin aber hatte gedroht, falls von den geheimen Verhandlungen etwas heraus kommen sollte, ihren Antheil daran ganz abzuläugnen. Dr. Duncan ließ sie sowohl, als mehrere Zeugen, ja selbst den Kranken, darüber vernehmen, und machte diese Zeugnisse, und zum Theil eidlichen Aussagen, öffentlich bekannt. Nach diesen hatte sie alle heimliche Anträge abgewiesen, und es war bloß von dem Unterhändler ein einziger fehlgeschlagener Versuch[11] gemacht worden, dem Kranken eine Dosis des reizenden Mittels (Rum und Laudanum) beizubringen. Duncan wollte seiner Seits Brown darüber gerichtlich belangen; wurde aber noch durch Monro's Vorstellungen davon abgehalten. Unterdessen erhielt doch Brown's Ruf unter seinen Landsleuten eine unheilbare Wunde, und alle Wahrscheinlichkeit einer einträglichen Praxis hörte nun auf.


Zweimal wurde Brown zum Präsidenten der medicinischen Gesellschaft gewählt: ein Mal im Jahre 1776, und das andere Mal 1780. Seit dieser Zeit wurden die Streitigkeiten unter den Studirenden auf das äußerste getrieben.


Im gesellschaftlichen Umgange maaßte sich Brown gern ein unbeschränktes Ansehen über alle Anwesende an. In allem, was er sagte, zeigte er eine lebhafte Einbildungskraft, obgleich die Bilder, die er aufrief, wenig Angenehmes hatten. Von der Gelehrsamkeit, den Talenten und dem System der medicinischen Professoren sprach er immer mit der tiefften Verachtung. Er gab ihnen beständig Schuld, daß sie ihn verfolgten, und ungerecht gegen diejenigen Studenten wären, die ihm anhiengen. Diese Unterdrückungssucht gieng so weit, daß den Candidaten der Medicin verweigert wurde, in ihren Dissertationen Stellen aus Brown's Elem. med. anzuführen, da diesen sonst[12] nie verwehrt wurde, in ihren Schriften selbstbeliebige Schriftsteller zu citiren.


In seinen Vorlesungen erhob er die Wichtigkeit seiner Entdeckungen weit über die Newtonschen. Seine Stimme war gewöhnlich heiser, beinahe krächzend; wenn er aber ins Feuer kam: hatte er eine so schöne Modulation in seinem Tone, daß man darüber das Rauhe seines Accents und seine Manieren ganz vergaß. Bisweilen, wenn er sich matt fühlte, stellte er auch wohl eine Flasche Branntwein und eine Flasche Laudanum sich zur Seite; nahm dann vor dem Anfange seiner Vorlesung 40 bis 50 Tropfen Laudanum in einem Glase Branntwein, und wiederholte diese Dosis während der Vorlesung 4 bis 5 Mal. Hiedurch ins Feuer gesetzt, wurde seine Einbildungskraft bis zum Wahnsinn erhöht.


Zuweilen suchte er seinen Lehren auf eine nicht sehr gewöhnliche Weise Nachdruck zu geben. Durch ungewöhnlich starkes Gehen hatte er sich einen leichten Anfall vom Podagra zugezogen. Dieß gab Gelegenheit, einen Versuch zu machen, welcher den Streit über die Natur und Cur dieser Krankheit entscheiden sollte. Er lud sechs seiner vorzuglichen Schüler zum Mittagsessen. Schon vor Tische hatte er Schnaps getrunken; nun trank er auch noch bei Tische fort, und gestand, daß er es auf einen kleinen Rausch angelegt habe, um die Natur derjenigen Entzündungen zu erklären, von[13] denen man fälschlich allgemein annähme, daß sie mit phlogistischer Beschaffenheit verbunden wären. Vorher war er nicht im Stande gewesen, seinen entzündeten Fuß auf den Boden zu setzen, eher er aber noch die Gesellschaft entließ: hatte er den völligen Gebrauch seines leidenden Beins wieder.


Nach und nach kam er endlich doch so herunter, daß er Schulden wegen in das Gefängniß gesetzt wurde, wo seine Schüler seine Vorlesungen besuchten. In dem Gebrauch berauschender Getränke beobachtete er nun keine Mäßigung mehr.


Um seine Lage zu verbessern, gieng er nun nach London. Dieß geschah im Jahre 1786. Hier bot ihm ein Londoner Quacksalber eine ansehnliche Summe, um ihm seinen Namen zu einer geheimen, aus Reizmitteln bestehenden, Composition zu leihen, die er unter dem Namen, Brown's erregende Pillen, in Umlauf bringen wollte; welchen Antrag aber Brown mit Verachtung zurückwies. Uebrigens bewirkte die Veränderung des Wohnorts keine in seiner Lebensart; seine Freunde konnten immer weniger mit ihm auskommen. Er sprach mit der lebhaftesten Gewißheit von dem Triumph, den sein System endlich erhalten würde; aber dessenungeachtet that er wenig dabei. Er kündigte zwar Vorlesungen an; sie kamen aber nicht zu Stande. Im Jahre 1787 gab er ohne seinen Namen seine Bemerkungen heraus. Sie[14] waren auf das große Publicum berechnet; aber Brown verstand sich nicht darauf, sich populär zu machen.2


So setzte er noch einige Zeit sein unordentliches Leben fort, immer voll von großen Planen und Erwartungen. Endlich am 7ten October 1788, ungefähr in seinem 52sten Jahre, traf ihn des Nachts ein tödtlicher Schlagfluß, nachdem er noch beim Schlafengehen, seiner Gewohnheit nach, eine starke Dosis Laudanum zu sich genommen hatte. Seine Wittwe und Kinder wurden durch Privatwohlthätigkeit gegen die dringendeste Noth geschützt, ungeachtet dieß zu ihrem fernern Unterhalt nicht hinreichend war. Er hinterließ 2 Söhne und 4 Töchter, wovon der älteste zu Edinburg die Arzneiwissenschaft studirt, und von Professoren und Studenten reichlich unterstützt wird.[15]

Fußnoten

1 Das sogenannte Brownsche System hat sehr vielen Lärm in der Arzneikunst gemacht. Es lachen so viele Aerzte, und weinen so viele Kranke darüber, daß der Erfinder desselben wenigstens in einem Vademecum doch wohl einen Platz verdient.


2 S. Girtanners Darstellung des Brownschen Systems.


Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4).
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