13.


Etwas vom Doctor [8] Coctier, und von der medicinischen Fakultät zu Paris unter Ludwig XI.

(Aus K. Sprengels Beyträgen zur Gesch. der Med. I B. St. S. 195.)


Ludwig XI. war einer der feigsten, nichtswürdigsten und grausamsten Tyrannen, die je das französische Volk behrrscht haben. Selbst sein Lobredner, Philipp de Comines, läugnet es nicht, daß er mehr als 4000 Menschen aus bloßer Mordlust habe hinrichten lassen, und mit Vergnügen ihren[8] Quaalen zugesehen habe. Fast das einzige wahre Verdienst, welches er sich um seine Unterthanen erworben, besteht in der Errichtung der Posten, die jedoch Anfangs nur königliche Depeschen und Briefschaften führten.1


Sein Betragen in seiner letzten Krankheit kann die Welt überzeugen, wie schrecklich die Gewissensbisse eines Bösewichts seyn müssen, der, nach einem so ruchlosen Leben, der Ewigkeit entgegen geht. Ludwig ließ im ganzen Reiche Processionen bestellen, die zur Erhaltung seiner Gesundheit dienen sollten: ganze Wagen voll Reliquien wurden in das Kastel Plessis lez Tours, wo er krank lag, gebracht. Seinen eigenen Kindern traute er nicht: er lag in einem eisernen Käfig, und niemand kam vor ihn, als Coctier, Meister Olivier, sein Barbier, und Tristan. Das heilige Oelfläschchen, der Stab Moses, und die Ruthe Aarons, mußten herbeygeschafft werden, um ihn gegen die Schrecken des Todes zu waffnen.2 Auch hat man einen großen Folianten, worin blos die Quittungen aller Klöster und Kirchen über die Geschenke stehen, die ihnen Ludwig XI. während[9] seiner letzten Krankheit gemacht hat.3 Daher kam es denn auch, was die Chronique scandaleuse sagt: Il avoit mis son peuple si au bas, que au jour de son trespas étoit presque au désespoir. Il avoit donné et aliené la pluspart du domaine de son Royaume.4 Ein Eremit aus Kalabrien, Franz Markotilo, Stifter des Ordens der Minimi, der sich den Ruf eines heiligen wunderthätigen Lebens erworben, mußte auf ausdrückliches Verlangen des kranken Königs nach Frankreich kommen, um seine Wunderkraft an ihm zu beweisen. Der König schmeichelte dem Eremiten, fiel sogar vor ihm auf die Kniee, und flehete ihn um Fristung seines Lebens: zwey Klöster wurden für den Orden gestiftet, wozu der Mönch gehörte, eines bey Plessis lez Tours, das andre beym Kastel d'Amboise; aber vergebens: der Eremit war kein Schmeichler: er ermahnte den König zur Buße, und zur Vorbereitung auf die Ewigkeit.5


Endlich gerieth der König an einen Pariser Arzt, Jacob Coctier, der, ein Muster aller Charlatans, meisterlich die Kunst verstand, aus der[10] Feigheit des Königs unermeßliche Vortheile zu ziehen. Für jedes Recept, welches er verschrieb, mußte ihm der König ein Gut schenken: mit wichtiger Mine verordnete er dem unglücklichen Tyrannen lauter mysteriöse Mittel, auch wohl solche, wodurch das menschliche Gefühl empört wird; z.B. mußte sich der König mehrere Tage lang in dem Blute unschuldiger Kinder baden, um seine Säfte zu versüßen. Er ließ sich, da die Krankheit immer langwieriger wurde, monatlich 10000 Ecus bezahlen: auch ward er Bailly du Palais, und Président de la Chambre des Comptes: und sein Neffe Bischof von Amiens. Einmal war der König, wegen der unerschwinglichen Summen, die ihm dieser Scharlatan kostete, seiner so überdrüßig, daß er seinem Liebling, dem Prevot Tristan befahl, den Coctier aus der Welt zu schaffen. Als Coctier davon Nachricht erhielt, ließ er dem Könige wiedersagen: er für sein Theil wollte gern sterben, aber er wisse gewiß, daß der König ihn nicht acht Tage überleben werde. Dies babe er aus den Gestirnen gelesen. Der König zitterte, als er diesen Ausspruch seines schlauen Arztes hörte, und hob das Todesurtheil auf. Acht Monate hatte Coctier den König behandelt, da dieser den 29sten August 1483 starb: und in dieser Zeit waren nicht weniger als 98000 Ecus d' or6[11] in seine Kasse geflossen. Natürlich machte diese Prellerey ein erstaunliches Aufsehen. Karl VIII., der Nachfolger Ludwigs XI., hatte das Geld noch nöthiger, als sein Vorfahr, unter dem schon die Militärstellen verkauft wurden, und es hieß, man wolle Coctier'n den Prozeß machen. Dieser wußte sich aber auch hier wieder aus der Sache zu ziehen. Als Karl VIII. sich zu seinem Feldzug nach Neapel rüstete, bot Coctier ihm ein Darlehn von 50000 Ecus d' or an, und entzog sich dergestalt allen fernern Untersuchungen.7

Eben dieser Ludwig XI. galt zu seiner Zeit für einen gelehrten Fürsten, weil er die Flüchtlinge aus Konstantinopel und Griechenland wohl aufnahm, die Universität Paris reformirte, und die Bibliothek ansehnlich vermehrte, die sein Großvater, Karl V., in Fontainebleau hatte anlegen, und Karl VI. nach Paris ins Louvre bringen lassen. Robert Gaguin wurde von ihm als Bibliothekar angesetzt, und mußte für die Anschaffung neuer Bücher sorgen.8 Auch das große Werk des[12] des Muhhammed Arrazi (Rhasis), welches unter dem Namen Alchawi oder Continens bekannt ist, sollte für die königliche Bibliothek angekauft werden, und man wußte es nirgends zu finden. Endlich hörte Gaguin, die Universität besitze ein Exemplar, welches aber für keinen Preis verkauft werden könne. Er meldete dies dem Könige unmittelbar. Auf Befehl des Letztern mußte nun der Präsident des Comptes, Jean de la Driesche, an die medicinische Fakultät schreiben, und sie im Namen des Königes bitten, ob sie gegen ein beliebiges Unterpfand jenes kostbare Werk zum Abschreiben nicht verborgen wollte. Die Fakultät willigte in dies Begehren, und bekam zum Unterpfande vom Könige zwölf Mark Silbers9, an goldenen und silbernen Geschirren, und außerdem mußte ein gewisser Malingre noch eine Caution von 100 Ecus d' or (62 Rthlr. 12 Gr.) machen. Doch hier folgt das Schreiben der Fakultät selbst:10


Nostre souverain Seigneur, tant et si très humblement, que plus pouvons, nous nous recommandons à Vostre bonne grace, et Vous plaise[13] sçavoir, nostre souverain Seigneur, que la Président, Jean de la Driesche, nous a dict, que luy avez rescript, qu'il Vous envoyast totum continens Rasis pour faire escrire: et pour ce qu'il n'en a point sçachant, que nous en avons un, nous a requis que luy voulussions bailler.


Sire, combien que tousjours avons gardé très précieusement ledit livre, car c'est le plus beau et plus singulier thresor de nostre Faculté et n'en trouve on gueres de tel: neantmoins nous, qui de tout nostre coeur desirons Vous complaire et accomplir ce qui Vous est agréable, comme tenus sommes, avons delivré audit Président ledit livre pour le faire escrire, moyennant certains gaiges de vaiselle d'argent et autres cautions, qu'il nous a baille en seureté de le nous rendre, ainsi que selon les Statuts de nostre Faculté faire se doit, lesquels nous avons tous jurez aux sainctes Evangiles de Dieu, garder et observer, ne autrement ne les pouvons avoir pour nos propres affaires. Priant Dieu etc. Ce 29 Novembre, 1471.


Weiter unten stehen die Worte: Fuit pignus Facultati statutum 12 Marcarum argenti cum 20 Sterlinis, una cum obligatione ... Malingre, qui constituit se fideiussorem pro 100 scutis auri, ultra pignus traditum.
[14]

Auffallend wird jedem Leser die Freymüthigkeit seyn, womit die medicinische Fakultät von ihrem Souverain ein beträchtliches Unterpfand verlangt, wenn er Bücher von ihr geborgt haben will. Dagegen sich manche unserer medicinischen Fakultäten von ihren Fürsten und deren Günstlingen die wichtigsten Vorrechte entreissen lassen, ohne auch nur bescheidene Gegenvorstellungen zu thun. Und unsere Fürsten sind doch gewiß keine Despoten, wie Ludwig XI. war. Aber die Pariser Fakultät hatte sich auch ein ganz anderes Ansehen zu erwerben gewußt, als unsere Fakultäten haben. Kurze Zeit nachher, als Ludwig XI. zur Regierung gekommen war, setzte er einen Regierungsrath fest, der aus sechs Mitgliedern des Parlements, sechs Professoren der Universität, und sechs Notablen bestand:11 und so hatte in unzähligen andern Fällen die Universität einen wichtigen Einfluß in die Regierung des Landes bewiesen.


Die Summe, welche sich die Fakultät als Pfand und Caution zahlen ließ, wird auch nicht übermäßig erscheinen, wenn man bedenkt, daß damals, als die Buchdruckerkunst noch nicht so ausgebreitet war, die Bücher durchgehends in verhältnißmäßigem Preise standen. Der Herzog von Berry kaufte 1404 den alten Roman Lancelot du Lac, den wir aus unserm Wieland kennen, für[15] 300 Ecus d' or (187 Rthlr. 12 Gr.12) Alphons V. bezahlte einen geschriebenen Livius mit 120 Scudi d' oro, und als Johann Fust 1452 zum erstenmal eine gedruckte lateinische Bibel für sechzig Kronen verkaufte, erstaunte man über die unerhörte Wohlfeilheit, und gab ihn natürlch für einen Hexenmeister aus, da eine lateinische geschriebene Bibel bis 400 Kronen gekostet hatte.[16]

Fußnoten

1 Mezeray Abrégé, vol. II. p. 318.


2 »Oncques homme ne craignit plus la mort, et ne fit tant de choses, pour y cuider mettre remede, comme luy,« sagt Comines, vergl. Jean de Troyes chronique scandal. p. 282.


3 Daniel Histoire de France, vol. VI. p. 554.


4 J. de Troyes chron. scand. p. 284. (8. Bruxell. 1723.)


5 Mémoires de Messire Phil. de Comines, ed. de Godefroy, liv. VI. ch. 8. et 12.


6 Ein Ecu d' or galt zu Ludwigs XI. Zeiten, vor 1473a 27 Sous und 6 Deniers, seit dieser Zeit aber wurde der Werth bis auf 30 Sous erhöht. (Abot de Bazinghen traité des monnoies, vol. II. p. 175. 176. 4. Paris 1764.) Also betrug Coctier's Honorarium 61250 Reichsthaler pr. Cour.


7 Mém. de Comines, liv. VI. ch. 12. p. 427. – Mezeray Vol. II. p. 323. – Guyon d' Olois leçons diverses, p. 310.


8 Du Breuil antiquitez de Paris, vol. I. p. 1043. – Martene et Durande collect. ampliss. vol. I. p. 1545.


9 Eine Mark Silbers betrug noch 1471 acht Livres, funfzehn Sous. (Abot de Bazinghen l.c.) Zwölf Mark Silbers waren also so viel, als 26 Rthlr. 20 Gr. pr. Cour.


10 Mém. de Comines, vol. III. p. 38.


11 Mezeray, vol. II. p. 290.


12 Laboureur histoire de Charles VI. Introduct. p. 76.


Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4).
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