Zehnte Szene

[34] 1.2.3.4.

Walburga,Agnes(Bühne frei)Marie,

danndann

SchlankelHutzibutz


Cholerisch.


WALBURGA allein. Da ist wieder Feuer im Dach! Ich begreif nicht, wie man so aufbrausend sein kann als wie der Papa.


[34] Sanguinisch.


MARIE allein. Das is wahr, wenn ein Mann sechs Schuh hoch is, so sind kaum zwei Linien Aufrichtigkeit dabei, alles andere is Falschheit und Betrug. Doch wozu verwirr' ich mich in mathematische Berechnungen, es ist nicht die Zeit zu Grübeleien, ich muß jetzt als Mann handeln, das heißt: auch eine Falschheit begehen.


Cholerisch.


SCHLANKEL zur Mitte eintretend. Ich wünsch' Ihnen ein' recht ein' guten Morgen.

WALBURGA. Haben Sie mir meine Locken gebracht?

SCHLANKEL. Nein.

WALBURGA. Warum nicht, Sie entsetzlicher Mensch?

SCHLANKEL. Weil ich erfahren hab', daß heut' der Herzauserwählte zurückkommt, und einen solchen empfangt man im glatten Scheitel oder in eigenen Locken, durchaus aber nicht mit falschen, denn bei einem solchen Wiedersehen soll nichts Falsches sein, weder Locken noch Herz.


Phlegmatisch.


AGNES stickend. Nein, das geht mir jetzt erst in Kopf, daß er untreu ist.


Cholerisch.


WALBURGA. Sie wissen sich immer pfiffig auszureden.

SCHLANKEL. Besser, ich red' mich pfiffig aus, als ein anderer red't Ihnen pfiffig was ein.

WALBURGA. Wie meinen Sie das?

SCHLANKEL. Na, die Männer, die Männer! Es is ihnen halt nicht zu trauen, den Männern! Wie die die Mädeln anlügen, die Männer, das is nicht zum glauben. Ich kenne das, ich war ja selbst Mann in früherer Zeit, das heißt: ein Mann, der Amouren g'habt hat. Und am meisten lügt man die Mädeln an, wenn man von einer Reis' zurückkommt. Da heißt's: »O, Geliebte, die Erinnerung an dich hat mich jeden Augenblick umschwebt, jeder Atemzug seit der Trennung war ein Seufzer um[35] dich, deine Abschiedsworte hallten unaufhörlich wider in meiner Seele tiefstem Grund, keine Zeit, keine Entfernung konnte dein geliebtes Bild aus meinem Herzen reißen!« – das strömt nur so heraus, und derweil hat man ein paaren 's Heiraten versprochen, Liaisonen ang'fangt, auf jeder Station einen Brief zurückexpediert, holt den andern Tag ein halbes Dutzend Posterestante-Briefe ab auf 'm Postamt – o, es sind schreckliche Menschen, die Männer!

WALBURGA vom Argwohn ergriffen. Ich will nicht hoffen –

BRAUS ruft von innen. Walburga!

WALBURGA. Gleich! Für sich. Das ist doch ärgerlich! Zu Schlankel. Warten Sie noch einen Augenblick, ich bin gleich wieder da. Nehmen Sie das für die Zeitversäumnis, ich komme gleich wieder. Gibt ihm Geld und eilt in die Seitentüre ab.

SCHLANKEL für sich. Sitzt schon!


Sanguinisch.


MARIE in den Spiegel sehend. So schau'n sie nicht aus, die Mädeln, die wegen einem untreuen Mannsbild verzweifeln müssen.

HUTZIBUTZ zur Mitte eintretend. Fräulein Marie, meinen untertänigsten Glückwunsch!

MARIE. Das Glück, was Er mir wünscht, brauch' ich nicht, drum is mein Wunsch, daß Er geht, und Sein Glück is es, wenn Er bald geht.

HUTZIBUTZ für sich. Die red't g'schnappig vor lauter Freud'. Laut. In einer halben Stund' kommt der Separat-Eilwagen an, beschwert mit vier frankierten Jünglingen, einer davon rezepissiert und rekommandiert an Ihr Herz.

MARIE. Mach' Er, daß Er weiter kommt, Er sieht, daß ich nicht aufgelegt bin, Sein dummes Geschwätz anzuhören.

HUTZIBUTZ. Das holde Paar soll viele Jahr' in Einigkeit, stets so wie heut', des Lebens Lust in froher Brust –[36]

MARIE. Halt' Er Sein Maul!

HUTZIBUTZ für sich. Alle Anstrengungen sind vergebens.

MARIE. Hinaus, Er sieht, daß ich nicht in der Stimmung bin.

HUTZIBUTZ für sich. Jetzt geht's recht! 's ganze Jahr war s' gut aufg'legt, und jetzt, weil s' zahlen soll, hat s' keine Stimmung.

MARIE. Hinaus, sag' ich!

HUTZIBUTZ für sich, im Abgehen. Schicksal, dich klag' ich um Schadenersatz! Zur Mitte ab.


Cholerisch.


WALBURGA aus der Seitentüre zurückkommend. Jetzt reden Sie, Sie wissen etwas über 'n Edmund!

SCHLANKEL. Ja, mein Gott, ich kann nichts Bestimmtes sagen.

WALBURGA. Die leiseste Andeutung ist hinreichend. Nehmen Sie diese Börse, weit mehr noch wird nachfolgen, aber reden Sie als mein Freund, als Freund der Wahrheit, als Feind der Falschheit und des Verrates!

SCHLANKEL. Sie werden wissen, daß im Haus da darneben ein Miliweib sitzt. Mit diesem Miliweib haben immer die Dienstboten ihren Plausch, tritschen und tratschen, richten ihre Herrenleute aus, wie das zwischen Dienstboten und Miliweiber schon seit Jahrtausenden der Brauch is.

WALBURGA. Weiter! Weiter!

SCHLANKEL. Na, da sagt eine von den Dienstmädeln, nachdem s' die längste Zeit räsoniert hat, daß s' z' wenig Lohn, z' viel Arbeit und keine Gelegenheit zum Betrügen hat, sagt sie: »Heut' kommt ja dem Fräul'n Braus ihr Bräutigam z'ruck.« – »So?« sagt's Miliweib, »so?« und lacht so g'wiß miliweiberisch in ihr' Butten hinein.

WALBURGA. Das Miliweib hat g'lacht? Das ist genug! Zuviel schon für ein liebendes Herz!

SCHLANKEL. Natürlich, umsonst lacht kein Miliweib.[37]

WALBURGA. Ohne Zweifel hat dieses Weib von einem Dienstboten gehört, daß Edmund mit der ihrer Fräulein in einem Verhältnisse steht – Briefe wechselt – Versprechungen – Beteuerungen – Zärtlichkeiten – – Schwüre – ha, ich durchschaue alles!


Sanguinisch.


MARIE. Sich nichts draus machen, das ist die erste Regel, wenn einen was verdrießt. Hüpft singend in die Seitentüre ab.


Cholerisch.


SCHLANKEL. Wird schon so sein, denn die Männer, die sind einmal alles imstand.

WALBURGA. Lassen Sie mich allein, ich arbeite an einem fürchterlichen Racheplan – Rache, Rache muß ich haben!

SCHLANKEL. Das Haus der Liebe ist jetzt an allen vier Ecken in Flammen. Zur Mitte ab.


Phlegmatisch.


AGNES wie oben. Ich muß sagen, die Geschichte überrascht mich.


Cholerisch.


WALBURGA allein. Der Elende! Der Betrüger! Der Meineidige!


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 34-38.
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