Fünfte Szene

[19] 1.2.3.4.

(Bühne frei)Die VorigenSchlankelHutzibutz


Melancholisch.


SCHLANKEL tritt während dem Ritornell des folgenden Gesanges zur Mitte ein.

Kaum hebt sich der Tag aus den Federn der Nacht,

Wird frisch gleich die Rond' bei die Kundschaften g'macht.

Ich balbier' und frisier' nach der Mod', das ist g'wiß,

Der Kopf muß was gleich sehn, wenn auch nix drinnen is.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ tritt während dem Ritornell des folgenden Gesanges durch die Mitte ein. Er ist mit Ausklopfstaberl und Bürsten versehen und trägt mehrere Paare frisch geglänzte Stiefel.

Kaum hebt sich der Tag aus den Federn der Nacht,

So heißt's nur geschwind zu die Kundschaften tracht't.

Die Kleider und Stiefel zu putzen, is g'wiß

Das z'widerste G'schäft, was auf dieser Welt is.[19]


Melancholisch.


SCHLANKEL.

Als Friseur is man fertig, eh' man sich umschaut,

D' jungen Herrn trag'n die Haar' jetzt gar schütter anbaut,

Und man glaubt's nicht, wie leicht ein' Balbierer jetzt g'schiecht,

Bei die Bärt' jetzt balbiert man kaum 's Zehntl vom G'sicht.

Ich nimm jeden bei der Nasen, das will schon was sag'n,

Denn mancher tut d' Nasen entsetzlich hoch trag'n.

Wenn ich z' spät komm' und mich ein Herr ausmachen will,

Da streich' i ihm nur d' Seif' ums Maul, gleich is er still.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ.

Durch dick und dünn rennen s' den Madln brav nach,

Uns'reins hat hernach mit die Stiefeln die Plag',

Drum denk' ich oft, wenn ich beim Ausklopfen bin,

Warum steckt der Herr in die Kleider nicht drin?


Melancholisch.


SCHLANKEL.

Der Kopf is das G'wölb' und die Auslag' sind d' Haar',

Drum geht's da auch oft wie bei d' G'wölber, 's is wahr,

Die Auslag' is schön, sie bezaubert den Sinn,

Das is aber auch alles, in G'wölb' is nix drin.

Welcher Stand mit dem meinig'n z' vergleichen' wohl ist!

Ich leb' angenehmer als jeder Kapitalist.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ.

Es gibt keinen Stand, der so unangenehm ist!

Meiner Seel', ich wär' lieber ein Kapitalist.


[20] Melancholisch.


SCHLANKEL. Auskennen muß man sich in der Welt, das ist die Hauptsach'! Lieber andre balbiern, als selbst balbiert werden, lieber andern zu ein' Weib verhelfen, als selber eins nehmen.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ. Wenn ich vom Stiefelputzen allein leben müßt', wär' es ein reines Elend. Mein Glück is es, daß ich ein extrem pfiffiger Kerl bin, der sich auf andere Art Geld zu verdienen weiß.


Melancholisch.


SCHLANKEL. Jedes Ding hat zwei Seiten, so auch ein Balbierer und Friseur. Wenn man die Sache materiell betrachtet, so ist es ein gemeines Geschäft. Einseifen, abscheren, Haar' brennen, was is das? Wenn man aber darauf reflektiert, daß wir die privilegierten Boten heimlicher Liebe sind, daß wir es sind, die den kleinen augenverbundenen Bogenschützen seine verschlungenen Wege führen auf Erden – wenn man die Sache von der Seite betracht't, so liegt eine ungeheure Poesie in unserm Metier.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ. Vier verschiedene Herren in diesem Haus sind in vier verschiedene Fräulein verliebt. Die Herren reisen fort, adressieren die Liebesbriefe an mich, und ich hab' selten einen über acht Tage im Sack tragen, so hat sich die Gelegenheit ergeben, daß die betreffende Fräul'n ganz allein z' Haus war, und ich hab' ihr dann den Brief zug'steckt, das is halt ein Meisterstück von einer Intrig'.


Melancholisch.


SCHLANKEL. Daß diese Amouren in diesem Haus nicht durch meine Hand gehen, ist ein Mißgriff des Schicksals, der nicht zu ergründen, nicht zu verzeihen ist. Ein[21] Mensch, der in jeder Hand sieben Paar Stiefel tragt, erfrecht sich, Liebesbriefe in Westentaschl zu tragen; ein Mensch, in dessen Kopf es so dunkel ausschaut wie in sein' Wichshäferl, will Intrigen leiten! Der Liebe Zauberstab will er schwingen, statt beim Ausklopfstaberl zu bleiben, schriftliche Herzensgeheimnisse berührt er mit schuhbürstengewohnten Händen, das is ja mehr als ein' Faust auf ein Aug'.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ. Der Balbierer Schlankel macht mir Kabalen hier im Haus.


Melancholisch.


SCHLANKEL. Aber die vier Liebhaber samt ihrem saubern Chargé d'affaires sollen mir's entgelten; wer mich nicht zum Freund sucht, der hat mich als Feind.

Mir steigt die Gall' auf, wenn ich ihn nur seh', dem einen Schur anzutun, das is mir der höchste Genuß.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ. Mir steigt die Gall' auf, wenn ich ihn nur seh', dem einen Schur anzutun, das ist mir der höchste Genuß.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 19-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon