Siebente Szene

[25] 1.2.3.4.

HutzibutzDie VorigenDer Vorige;Isabella

Irene


Melancholisch.


IRENE schluchzend aus der Seitentüre kommend. Der Vater laßt Ihnen sagen, Sie sollen später kommen.

SCHLANKEL. Wie's gefällig is, aber was nutzt das? Wenn ich später komm', werd' ich die Fräul'n Irene halt wieder in Tränen finden, und wenn ich wen weinen seh', so werden mir gleich die Augendeckeln heiß, ich fang' zum schluchzen an, und es laßt mir keine Ruh', bis ich mitweinen muß.

IRENE. Mitgefühl gießt Balsam in ein wundes Herz.

SCHLANKEL. Balsam in die Wunden zu träufeln ist nicht nur allgemeine Menschenpflicht, noch mehr, es ist insbesondere Balbiererpflicht.

IRENE. Haben Sie nie geliebt?

SCHLANKEL. O ja, zwar oft war ich nur in dem Wahn, zu lieben, aber sechzehnmal hab' ich wahrhaft geliebt.

IRENE. Ist das möglich? In mir ist nur eine Liebe, und diese eine zersprengt mir das Herz.

SCHLANKEL. Die Herzen sein halt nicht gleich, eins fürs andere is dauerhafter, hat mehr Elastizität.


Phlegmatisch.


FAD. Du, Agnes, kommt dir nicht vor, es zieht, weil die Tür dort offen is?

AGNES. Mir scheint auch; wenn der Cyprian kommt, werd' ich ihm sagen, daß er s' zumachen soll.


Melancholisch.


IRENE. Wissen Sie, daß ich einem Mann die Hand reichen soll, den mir mein Vater bestimmt?

SCHLANKEL. Tun Sie das, nehmen Sie 'n. Sie können den ungetreuen Mussi Felix nicht besser bestrafen.[26]

IRENE. Ungetreu, sagen Sie?

SCHLANKEL. Ich hab' mich verschnappt, es is heraußt, aber Ihr Ehrenwort, daß Sie mich nicht verraten! Er hat in Prag mit einer eine Liebschaft ang'fangt, ich weiß es von einer Freundin, die diejenige hier hat; ich balbier' ihren Herrn Gemahl, is eine Kundschaft von mir. Na, jetzt wissen S', da hört man halt allerhand reden. Übrigens, ob er deswegen gesonnen is, mit Ihnen zu brechen oder nicht, das kann ich nicht behaupten. Vielleicht handelt er nach dem Grundsatz: unum debet fieri et alterum non omitti, zu deutsch: wenn man eine neue Amour anfangt, so muß man deswegen die alte noch nicht aufgeben.

IRENE. Nun denn, so fließt in Strömen, ihr Tränen gekränkter Liebe, fließt hin, um nie mehr zu vertrocknen! Verhüllt mit beiden Händen das Gesicht und sinkt in einen Stuhl.

SCHLANKEL für sich. Die weint ein' schön' Fleck her im Jahr!


Cholerisch.


HUTZIBUTZ tritt zur Mitteltüre ein und sagt im Vorübergehen. Die Bella is halt mein' Freud', ein Gedanken an sie is immer ein Sonnenstrahl, wenn mich beim Stiefelputzen trübe Wolken umhüllen. Geht in die Seitentüre ab.


Sanguinisch.


ISABELLA kommt mit mehreren Kleidungsstücken durch die Seitentüre. Da sind die Kleider zum Ausputzen! Ich bin doch neugierig, wie er sich einstellen wird, der Hutzibutz. Hängt die Kleider über eine Stuhllehne und geht in die Seitentüre ab.


Melancholisch.


SCHLANKEL für sich. Meine Nachricht ist erlogen, ich hab' das nur g'sagt, um dem Mussi Felix einen üblen Empfang zu bereiten. Das muß so sein; wem ich nicht nutz', dem schad' ich; neutral bleib' ich nicht, um kein[27] G'schloß; ich muß handelnde Person sein, so oder so! Zu Irene. Sein S' nur nicht bös auf mich!

IRENE. Sie haben mir Wahrheit für Täuschung gegeben; war auch die Täuschung süß und ist die Wahrheit bitter, ich bin Ihnen hoch verpflichtet, ich werde Ihnen' stets Tränen dankbarer Freundschaft weihn.

SCHLANKEL. O, ich bitt', das wär' zu viel, Sie werden Ihre Tränen anderwärtig brauchen.


Cholerisch.


HUTZIBUTZ aus der Seitentüre, mit Kleidungsstücken über den Arm gehangen, zurückkommend, spricht in die Türe zurück. Gleich, Euer Gnaden, gleich! Für sich. Wenn der Mann sein' Charakter nur auf ein paar Stund' in' Keller stellet, daß er sich abkühlen tät'. Ich hab' in meinem Leben kein' so hitzigen Menschen g'sehn. Geht zur Mitte ab.


Melancholisch.


IRENE. Und diese Kleinigkeit nehmen Sie für Ihre zarte Teilnahme! Gibt ihm ein Beutelchen mit Geld.

SCHLANKEL. Das wird jetzt vertrunken auf Ihre G'sundheit.

IRENE. O nein, nichts von Gesundheit, ich will nicht gesund sein, nach dem Grabe sehn' ich mich, dort ist das Ende meiner Leiden. Lassen Sie mich jetzt allein mit meinem Schmerz!

SCHLANKEL. Zu Befehl! Für sich. Wenn die so fort weint dreimal vierundzwanzig Stund', so kriegen wir eine Überschwemmung im Haus. Zur Mitte ab.


Phlegmatisch.


FAD. Aber schau', Agnes, ich sitz' schon wieder zu viel! Der Doktor hat g'sagt, ich soll Bewegung machen, ich werd' mich drin zum Fenster setzen, daß ich Leut' vorbeigehen seh'! Geht langsam in die Seitentüre ab.

AGNES. Nein, wie der Papa heut' herumschießt von ein' Zimmer ins andere!


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 25-28.
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