Zehnter Auftritt

[255] Monsieur Marquis. Titus.


MARQUIS. Ah! der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern.

TITUS. Belieben sich da ein wenig niederzusetzen.

MARQUIS sich auf eine Steinbank setzend. Verdammter Gaul, ist vielleicht in seinem Leben noch nicht durchgegangen.[255]

TITUS. Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?

MARQUIS. Nein, mein Freund.

TITUS. Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben?

MARQUIS. Gott sei Dank, nein!

TITUS. Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale?

MARQUIS. Nicht im geringsten. – Auch hab' ich mich bereits erholt, und nichts bleibt mir übrig, als Ihnen Beweise meines Dankes –

TITUS. Oh, ich bitte! –

MARQUIS. Drei junge Leute standen da, die mich kennen, die schrieen aus vollem Halse Monsieur Marquis! Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser! –

TITUS. Was? – Ein'n Marquis hab' ich gerettet? – Das is was Großes.

MARQUIS in seiner Rede fortfahrend. Aber hülfreiche Hand leistete keiner; da kamen Sie als Retter herbeigeflogen –

TITUS. Allgemeine Menschenpflicht.

MARQUIS. Und gerade im entscheidenden Moment –

TITUS. Besonderer Zufall.

MARQUIS aufstehend. Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit; ich weiß nicht, wie ich meinen Dank, – mit Geld läßt sich so eine Tat nicht lohnen –

TITUS. Oh, ich bitt', Geld ist eine Sache, die –

MARQUIS. Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde.

TITUS. Na, jetzt sehen Sie, – das heißt –

MARQUIS. Das heißt den Wert Ihrer Tat verkennen, wenn man sie durch eine Summe aufwiegen wollte.

TITUS. Es kommt halt drauf an –

MARQUIS. Wer eine solche Tat vollführt. Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat, – einem Prinzen, – ich weiß nicht, wie er geheißen hat, – das Leben gerettet, der wollte ihn mit Diamanten lohnen; da entgegnete der Retter: »Ich finde in meinem Bewußtsein den schönsten Lohn«; – ich bin überzeugt, daß Sie nicht[256] weniger edel denken, als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat.

TITUS. Es gibt Umstände, wo der Edelmut –

MARQUIS. Auch durch zu viele Worte unangenehm affiziert wird, wollten Sie sagen? Ganz recht; der wahre Dank ist ohnedies stumm; drum gänzliches Stillschweigen über die Geschichte.

TITUS für sich. Der Marquis hat ein Zartgefühl; – wenn er ein schundiger Kerl wär', hätt' ich grad's nämliche davon.

MARQUIS Titus Haare scharf betrachtend. Aber, Freund, ich mache da eine Bemerkung – hm! hm! – das kann Ihnen in vielem hinderlich sein.

TITUS. Mir scheint, Euer Gnaden is mein Kopf nicht recht; – ich hab' kein'n andern und kann mir kein'n andern kaufen.

MARQUIS. Vielleicht doch; – ich werde – ein kleines Andenken müssen Sie doch von mir – warten Sie einen Augenblick. – Läuft im Hintergrunde links ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 255-257.
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