Zweiter Auftritt

[530] Kathi, dann Lips.


KATHI allein. Manchen Augenblick ist mir grad nicht anders als ob die ganze Welt g'storben wär', und manchen Augenblick denk' ich mir wieder, es kann nicht sein, er muß leben, er muß wieder zum Vorschein kommen.

LIPS als Bauernknecht verkleidet, mit ängstlicher Vorsicht durch die Tür Seite links hereinkommend. Kathi! Kathi![530]

KATHI zusammenfahrend. Gott im Himmel! – das war seine Stimm.

LIPS vortretend. Es is mehr, es is der ganze Herr von Lips.

KATHI im höchsten Ausbruch der Freude. Is's möglich! – ja – ja er lebt! mein Herr Göd is nicht ertrunken! –

LIPS. Nein, das Wasser hat mich verschont, ich scheine eine andere Bestimmung zu haben.

KATHI. Gott! die Freud! – Herr Vetter – der gnädige Herr als Bauer verkleid't! – ich ruf 's ganze Haus z'samm.

LIPS. Still, um alles in der Welt – ich bin ja Malefikant.

KATHI. Ah gehn S' doch.

LIPS. Ja ja, Kathi, im Ernst, was du da siehst, Auf sich zeigend. das is der Justiz verfallen.

KATHI. Warum nicht gar! weil a paar dumme Leut' aussprengen, Sie haben absichtlich –

LIPS. 's waren Zeugen, meine G'sellschaft hat 's Fenster aufg'rissen im Billardzimmer, in dem Augenblick, wie ich auf'n Balkon zum Schlosser g'sagt hab': »Wart Kerl, g'freu dich.« – In dem – »Wart Kerl, g'freu dich« – liegt scheinbar vorsätzlicher Mord, das »Wart Kerl, g'freu dich« bricht mir 's G'nack, und wird zum furchtbaren »Wart Kerl, g'freu dich!« für mich selbst.

KATHI. Ich darf also dem Vetter Krautkopf nichts sagen?

LIPS. Keine Silb'n, ich bin ersoffen für die ganze Welt. Auf den allgemeinen Glauben, daß ich bereits den Grundeln Magenbeschwerden verursach', gründet sich meine Existenz; 's Fatalste is aber, mir is 's Geld ausgangen, bei einer so unverhofften Wasserreis' steckt man nicht besonders was zu sich. Dieses Bauerngewand war meine letzte Depense.

KATHI. Lieber Himmel, wenn ich nur die 100 Gulden noch hätt', die ich Ihnen schuldig war, aber ich hab s' Ihrem alten Bedienten übergeben.

LIPS. Da haben wir einen Beweis, was das für üble Folgen haben kann, wenn man zu voreilig is im Schuldenzahlen.

KATHI. Ein Glück, daß Euer Gnaden so viel Freunde haben.

LIPS. Freunde? Kind, ins Wasser g'fall'n bin ich eh schon,[531] soll ich jetzt abbrennen auch noch wie jeder, der im Unglück auf Freunde baut?

KATHI. Wer hat Ihnen denn gerettet?

LIPS. Ich selbst war der edle Mann, dem ich so hoch verpflichtet bin; ich bin ans Land geschwommen, aber jetzt erst, seitdem ich im Trocknen bin, fang' ich an unterzugehn. Ich hab' zwar 3 Freunde, das sind treue Freund, die drei, die werden viel für mich tun, das kann aber in einige Wochen geschehn; dann flücht' ich ins Ausland; jetzt soll'n s' aber noch gar nix erfahren.

KATHI. Also haben Sie doch Hoffnungen für die Zukunft?

LIPS. Das wohl, aber die Zukunft is noch nicht da, und wie hinüberkommen in die Zukunft? – Ohne Essen kann man nicht durch die Gegenwart. Wenn ich jetzt das Geld hätt', was ich so oft auf ein einziges Garçon-Diner ausgegeben hab'. Heut z' Mittag komm ich auf den Punkt, wo ich jeden vierfüßigen Garçon um sein Diner beneiden würde.

KATHI die Hände ringend. Mein Herr Göd in Not! – Nein, das kann, das darf nit sein.

LIPS. Ich hab' da heraußt so ein schönes Schloß, ich war schon jahrelang nicht da, weil's mir zu fad war; wenn ich jetzt einbrechen könnt' in mein Schloß, wie ich mir alle wertvollen Gegenstände raubet! aber 's geht nicht, mein Inspektor tät mich erwischen, mein eigener Amtmann liefert' mich an die Justiz.

KATHI. Gott, wenn ich jetzt eine Millionärin wär'! – aber ich hab' nichts – gar nichts – – 's is schrecklich! was werden S' denn jetzt anfangen, mein lieber, guter, gnädiger Herr?

LIPS. Sag deinem Vetter, du kennst mich, ich war Geschäftsführer bei deiner Mutter ihrem ehemaligen Milimann, und leg ein gut's Wort ein, daß er mich in Dienst nimmt.

KATHI. Was? Euer Gnaden wollen dienen auf dem Grund und Boden, wo Sie Herr sind?

LIPS. Red nicht, Kathi, ich bin ja Malefikant.

KATHI. Aber bedenken S' doch – Nach der Seitentür rechts sehend. der Vetter Krautkopf. –[532]


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 530-533.
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