Vierundzwanzigste Szene


[736] Judith. Mirza. Die Vorigen.


JUDITH (JOAB) zu Holofernes.

Ich hab' gebeten, daß man melden mich möcht',

Den Herr von Holofernes such' ich – geh' ich recht?[736]

HOLOFERNES. Wär' mir nicht lieb, wenn's außer mir noch einen gäbet. Ich hab' die Spiegeln abg'schafft, weil sie die Frechheit haben, mein Gesicht, was einzig in seiner Art is, zu verdoppeln. – Wie heißt du?

JUDITH (JOAB.)

Aufzuwarten gehorsamst,

Judith bin ich bevornamst.

Ich bin eine jung Alttestamentarische.

Wohl manchmal a Gretl, a narrische,

Aber Witwe aus ein sehr guten Haus.

Und kenn' mich vor Unschuld gar nicht aus.

HOLOFERNES. Unschuldige Witwen hab'n sie in Bethulien? Dahin hat es die assyrische Industrie noch nie gebracht.

JUDITH (JOAB.)

Ich bin die einzige, durch ein Schicksal ein rasses,

Und wer is schuld dran? der Manasses.

HOLOFERNES. Der Manasses? Aha das is wohl der Selige?

JUDITH (JOAB.)

Selig war er so wenig als ich;

Wenn's g'fällig is, hören Sie mich.

Erfassen wird Sie Entsetzen und Graus,

Und, merkwürdig, auf d' Letzt, kommt gar nix heraus.

HOLOFERNES. Eine ganz eigne Art, dem Intresse des Intressanten ein gesteigertes Intresse zu verleihn. Erzähle!

JUDITH (JOAB.)

Der Vater, zwei Beiständ', und noch ein Vierter

Brachten mich als so frisch kupolierter

Ins manassische Haus;

Ich wär' gern wieder h'naus,

Denn mir sagte ein Ahnungsgesicht:

's schaut nix heraus bei der G'schicht'.

Alles ging, und wir waren allein,

Die Kammer erhellte Millikerzenschein;

Drei war'n's – er umschlingt mich, und auslöscht die erste –

Vor Herzklopfen glaubt, ich grad, daß ich zerberste; –

Da küßt er mich, und – 's geht ins Weite –[737]

Im nämlichen Moment löscht auch aus die zweite;

Und trotz Flehn, und jungfräulicher Bitte,

Macht er einen Blaser, und aus war die dritte.

HOLOFERNES. Mit dem Referenten einverstanden; so hätt' ich's auch gemacht. Bis jetzt bin ich noch auf'n Manasses seiner Seiten.

JUDITH (JOAB.)

Der Manasses hüpft vor Wonne, und zärtlich grinst er,

O Judith, ich sehe dich auch in der Finster.

Nun ja, er konnte leicht mich sehn,

Denn der Mondschein schien schon schön.

Mich schwach nur sträubend sink' ich in ein Fauteuil,

Da springt er zurück, – rührt sich nicht von der Stell'.

Unbeweglich – mir graut –

's hat grad so ausg'schaut,

Als hät' ihm ein Dämon von unten

Die Füß' an ein'n Felsen anbunden.

Ich denk' mir: was ist's denn, was treibt er,

Doch in seiner Stellung verbleibt er.

Willst mich schrecken – sag' ich – genug des Spaßes,

Komm zu deiner Braut, du garst'ger Manasses!

HOLOFERNES. Na, da wird er doch deutsch – will ich sagen hebräisch verstanden haben?

JUDITH (JOAB.)

Da sagt er, mit schauerlich starrem Schafsgesicht,

Zehnmal in ein Atem: »Ich kann nicht.« –

HOLOFERNES. O du verflixter Manasses!

JUDITH (JOAB.)

Weinend ring' ich die Hände vor Kummer,

Da umfing mich

HOLOFERNES.

Aha –

JUDITH (JOAB.)

Nicht er – nein, nur ein Schlummer. –

Den andern Tag war er still,

Und auch ich sprach nicht viel –

Und wir lebten sechs Monat' in Frieden,

Aber grad so gut, als wär'n wir geschieden. –[738]

HOLOFERNES. Es muß ja aber doch zur Sprach' gekommen sein, war er verhext, oder hat man ihm einen Weidmann gesetzt, oder –

JUDITH (JOAB.)

Erst wie er zum Sterben war, hab' ich's übers Herz bracht

Zu fragen: Was war es denn in der Hochzeitsnacht?

»Ja« – sagt er – »jetzt will ich dir's sagen; du –«

Bumsdi! fall'n ihm die Augen zu;

Der Tod brach ihm die Stimm',

Des Rätsels Lösung starb mit ihm.

Ein ewig Dunkel bleibt's, und niemand waß es

Das eigentliche Bewandtnis mit 'n Manasses. –

HOLOFERNES. Das kommt jetzt auch nicht mehr auf. Erschlagen könnt' ich ihn, aber lebendig machen kann ich ihn nicht. Aber auf Ehr', du bist gar kein übler Schneck. Ich krieg' Achtung vor Bethulien. Schad', daß ich alle Städte, die ich achte, anzünden muß. Mittlerweile werden von Sklaven Speisen aufgetragen. Was verschafft mir aber eigentlich das Vergnügen?

JUDITH (JOAB.)

Man sagte mir, Menschenleben schonen Sie nie,


Schalkhaft.


Sie sind eine kleine Bosheit Sie.

Man sagte auch, – ich kann's nicht glaub'n von so einen Herrn, –

Daß Sie ein Judenfresser wär'n.

HOLOFERNES. Es ist nicht so arg; ich hab' nur die Gewohnheit, alles zu vernichten. Setz dich und speis mit mir. Legt sich in antiker Stellung auf das Ruhebett.

JUDITH (JOAB.)

Ich hab' Appetit,

Meinthalb'n ich ess' mit.

HOLOFERNES auf Mirza deutend. Die könnt' aber derweil in die Küche gehn.

JUDITH (JOAB.)

Oh, laßt sie hier, sie kann mir nützen,

Ich hab' die Gewohnheit, mich öfters auf sie zu stützen.


Sie lehnt sich in malerischer Stellung auf Mirza.[739]


HOLOFERNES. Wohlan – prenez place! Setzt sich.

JUDITH (JOAB) die Tafel musternd.

Aber, sehr frugal speist der große Holofernes,

Nur ein Huhn mit Salat, und ein Schnitzl ein kälbernes.

HOLOFERNES.

Ich bin mehr Trinker. Nun dein Anliegen?

JUDITH (JOAB) hat sich aufs Taburett gesetzt.

Sehn Sie, mein Volk grabt sich selber sein Grab,

Sie g'wöhnen sich das Sündigen nicht ab;

Der Himmel leid't das nicht,

Jetzt hab'n wir's die G'schicht'.

HOLOFERNES nach und nach benebelt werdend. Was heißt das, »Sündigen«?

JUDITH (JOAB.)

Um so was müssen Sie mich nicht fragen,

Selbst wenn ich's wußt', tät' ich's nicht sagen.

HOLOFERNES.

Trink, und sprich weiter.

JUDITH (JOAB.)

Ich bitt', ich bin das nicht g'wöhnt,

Ich hab' ohnedem z'viel Temperament.


Trinkt und verzieht das Gesicht.


Hm, euren Wein dacht' ich süßer und würziger,

Das is sein Leb'n kein Guld'n, das is ein Achtundvierziger.

HOLOFERNES. Judith, gib mir das erste Bussi!

JUDITH (JOAB.)

Jetzt schon? wie ungestüm!

Aber, Holofernes, Sie sind schlimm!

Ich muß sagen, daß der Schritt mich fast reut,

Mich werden s' weiter nicht ausrichten unsere Leut'!

HOLOFERNES. Wer kann dich ausrichten? Morg'n um die Zeit gibt's gar kein Juden mehr.

JUDITH (JOAB.)

Was sagst du!? Sieh, ich rück' mit meiner Bitte näher,

Schone, ach schon' meine guten Hebräer!

Denk, Stolzer, mein Volk bild't sich viel zu viel ein,

Wenn es glaubt, deines Zornes würdig zu sein.

HOLOFERNES. Guter Gedanken! hätt' ich ihn gehabt, eh bien; – aber er is von dir, und ich – steh' nicht an auf deine[740] Gedanken; folglich – folglich wird dein Volk verbrennt – rein alles verbrennt.

JUDITH (JOAB) heftig vom Stuhl auffahrend.

Also keine Rettung für meine Nation?!

Meinen Ruf bracht' ich zum Opfer, und hab' nix davon?!

HOLOFERNES für sich. Sie wird köbig. Steht etwas wankend auf und ruft. Kämmerling!

ACHIOR vortretend. Befehlen –?

HOLOFERNES. Wo steckst du, wenn ich sag': »Kämmerling«? Leise. Du der trau' ich nicht.

ACHIOR leise. Ich trau' gar keiner.

HOLOFERNES leise. Du weißt, was mir einmal getraumt hat – du weißt –

ACHIOR leise. Ich weiß auch welche Vorkehrung Dieselben treffen ließen.

HOLOFERNES leise. Ganz recht – muß heute vorgekehrt werden – die Vorkehrung – verstanden?

ACHIOR leise. Sehr wohl! Geht ins Schlafzelt ab.

HOLOFERNES zu Judith, sich ihr nähernd. Bussi! bei meinem Zorn, ein Bussi!

JUDITH (JOAB.)

Zorn und Bussi, wie reimen sich diese Worte?


Mit grimmiger Aufwallung.


Geben S' lieber Obacht, daß ich Ihnen nicht morde.

Ja ja so spricht sie die Judith,

Denn sie kennt sich vor Wut nit –

HOLOFERNES lachend. Hoho! Hohoho! Ich soll mich fürchten? Da müßt' ich ein sauberer Holofernes sein. – Schad' – ich hab' jetzt meinen Schwindel –


Achior tritt aus dem Schlafzelte, und läßt den Vorhang desselben offen; man sieht das reichverzierte Innere, und das Bett des Holofernes. Achior geht links in der Szene ab.


JUDITH (JOAB) zu Holofernes.

Schwindel? die Unsern nenne 's einen Affen,

Und wer ihn fühlt der legt sich schlafen.

HOLOFERNES. Das tu' ich auch – Nimmt sein Schwert ab, und legt es auf den Tisch. Mit stolzem Hohn zu Judith. Hier liegt mein[741] Schwert – du kannst hier Schildwach' stehn – Indem er in das Schlafzelt wankt. damit dir die Zeit vergeht. – Sich niederlegend. Wenn ich ruf': »G'wehr aus!« so gibst du mir – das Bussi. – Siehst du hier lieg' ich mit dem Kopf – »G'wehr aus« – Bussi – Läßt den Vorhang zufallen.

MIRZA leise zu Joab. Ich zittre an allen Gliedern – was haben Sie gewagt, junger Herr! Ihr junges Leben –

JUDITH (JOAB) mit natürlicher Stimme. Als Frau'nzimmer riskiert man hier nix. – Still – hast du nicht gehört – mir scheint, er schnarcht, der grausige Feldherr.

MIRZA horchend. Mir war auch so – ja –

JUDITH (JOAB.) Der Rausch is ein Vogel, der leicht verfliegt. Auf was wart' ich –? G'schwind, gib das Zeichen zum Ausfall den Bethuliern, zünd an das versteckte Raketl, wie es fliegt in die Luft, fallt der Holoferneskopf auf die Erd'.

MIRZA. Dasmal tu' ich's, aber zeitlebens geh' ich mehr in kein Lager. Wie mich diese Krieger alle angeschaut haben und ich ohne Schleier –

JUDITH (JOAB.) Oh, mache doch, daß du weiterkommst.

MIRZA. Ich eile – Ab.

JUDITH (JOAB.) Ich soll hier Schildwach stehn –?


Zieht das auf dem Tisch gelegte Schwert aus der Scheide.


Ich bin avanciert,

Mit dem Feldherrnschwert wird kommandiert.

Es ist des Schicksals Beschluß –

Holofernes! Kopf bei Fuß!


Eilt in das Schlafzelt ab, und schließt den Vorhang hinter sich. Von diesem Moment an begleitet melodramatische Musik das Ganze bis zum Schluß.

Holofernes guckt mit listigem Lächeln an der rechten Seite des Vorhangs heraus.


JUDITH (JOAB) tritt nach einer kleinen Weile mit einem dem Holofernes ähnlichen, aber größeren, kaschierten Kopf in der linken Hand aus dem Schlafzelt, und ruft, das Schwert in der Rechten hoch emporhaltend. Hat ihm schon!!

HOLOFERNES für sich. Anpumpt![742]

JUDITH (JOAB) zu dem, in das Lager führenden Ausgang eilend, und den Vorhang öffnend, ruft mit lauter Stimme hinaus.

Seht, Assyrier! hier halt' ich ihn beim Schopf,

Ihr habt einen Feldherrn ohne Kopf!

STIMMEN von außen. Oh, Schrecken! o Graus!

JUDITH (JOAB) nach der Tiefe sehend. Was naht sich dort, wie Lützows wilde verwegene Jagd –?

STIMMEN von außen. Weh! die Hebräer!

HOLOFERNES hat dem Achior, welcher von der andern Seite kam, zugewinkt, sich Judith genähert, und packt sie mit Achior zugleich. Haben wir dich erwischt!?

JUDITH (JOAB) über Holofernes' Anblick aufschreiend und den Vorhang zufallen lassend. Ah –!! Was is das!? welch ein Überfluß an Köpfen!?

ACHIOR. Was hör' ich denn draußen für eine Bewegung. Eilt zum Vorhang und sieht ins Lager hinaus.

HOLOFERNES grimmig zu Judith. Jetzt fallt dein Kopf! Ruft. Herein! ein Karree von vier Regimentern!

ACHIOR. Herr, nicht ein einzig's is da, alle laufen s' mit dem Schreckensruf »Unser Feldherr hat den Kopf verlor'n!«

JUDITH (JOAB) triumphierend. Ha, auch der falsche Kopf hat die rechte Wirkung getan!

HOLOFERNES zu Achior. Sie soll'n mich anschau'n, die dummen Kerln!

ACHIOR. Zu spät!

JUDITH (JOAB) zu Holofernes. »Zu spät!« Hörst du das große Wort? »Zu spät!«


Die hebräischen Krieger stürmen unter lärmender Schlachtmusik herein nehmen Holofernes gefangen, legen ihm eilig Ketten an, der Zeltvorhang wird herabgerissen, so daß sich die freie Aussicht ins Lager öffnet Jojakim tritt mit den Bethulier Bürgern ein, umarmt seinen Sohn, man hebt Judith (Joab) auf einen Schild, und trägt ihn im Triumphe herum; vor ihm wird Holofernes in Ketten geführt. Während der Zug die Bühne vorne umkreist, sieht man im Hintergrunde das Lager in Flammen aufgehn. Unter dem Triumphgeschrei der Hebräer fällt der Vorhang.[743]


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 736-744.
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