Neunzehnter Auftritt

[462] Die Vorigen; Damian von links kommend.


Bediente, Johann, später Goldfuchs, Emilie, Bonbon, Mehrere Herren und Damen.


DAMIAN. Ich bemerke mit Mißvergnügen gänzlichen Mangel an Anstalten zum Diner.[462]

SCHLUCKER zu Damian. Du, Schwager, ich hab' dir heute früh ein Geld mit'geben.

DAMIAN. Da hab' ich den Rock drum gekauft. Zeigt auf den Rock, der auf dem Sessel hängt.

SCHLUCKER. Hm! Hm! Du hast da freilich ein' recht guten Einkauf g'macht, aber was tun wir jetzt? Kein Kreuzer Geld im Haus und die Schar Leut' zum Abfuttern.

JOHANN kommt. Wie die Gesellschaft kommt, muß gleich die Tafelmusik anfangen.

SEPPEL, NETTEL, RESI. Frau Mutter, gehn wir essen!

JOHANN in die Seite rechts rufend. Es ist aufgetragen!


Goldfuchs kommt mit seinen Gästen. Mehrere Gäste treten noch von links ein.


SCHLUCKER. Zum Glück hab' ich den Laib Brot kauft um die letzten acht Groschen.

GOLDFUCHS zu den Gästen. Ich bitte, sich zu placieren nach Gefallen!

SCHLUCKER. Jetzt, Kinder, geht's halt her, heut' ist das unsere einzige Speis'.

GOLDFUCHS. Ich habe meine reizende Tischnachbarin schon gewählt.


Die Kinder setzen sich stillschweigend an den Tisch, die übrigen ebenfalls, Schlucker schneidet das Brot vor,[463] Sepherl teilt es aus. Salerl hat im Hintergrunde den Wasserkrug genommen und ist damit in Mitte links abgegangen.


SCHLUCKER einen Seufzer unterdrückend. Mir ging's jetzt schlecht genug, wenn's noch schlechter werden sollt', dann weiß ich nit, was ich anfang'.

SEPPEL. Mir 's Scherzel, Vater!

DAMIAN. Kinder, schlickt's kein Bein!

SEPHERL traurig zu Schlucker. Wir haben also nichts mehr als trock'nes Brot!

SCHLUCKER sehr herabgestimmt. Und das nur von heut' auf morgen.

GOLDFUCHS. Eine Eröffnung habe ich Ihnen zu tun, meine Herren und Damen, die Sie überraschen wird. Ich wollte es zwar bis zu Ende der Tafel verschieben, doch wozu?

DIE GESELLSCHAFT neugierig. Nun?

GOLDFUCHS. Es ist – doch halt! Das darf nur bei vollen Gläsern geschehn. Winkt den Bedienten. Champagner!


Die Bedienten lassen Champagnerbouteillen knallen. Es wird eingeschenkt.


Salerl kommt mit dem Wasserkrug aus der Mitte links.


DAMIAN seufzend. Eine Bouteille vom Allerleichtesten![464]

SALERL schenkt ihm aus dem Krug Wasser ein. Ich hab' gerad' ein frisches Wasser vom Brunnen geholt.


Damian trinkt und gibt den Krug dann den übrigen, welche alle trinken.


GOLDFUCHS. So wissen Sie denn: Meine Tochter ist Braut.

EMILIE erschrickt. Ich –?

GOLDFUCHS. Hier, der Bruder meines alten Geschäftsfreundes in Marseille, Chevalier Bonbon, ist der Bräutigam.


Emilie sucht ihre Bestürzung zu verbergen.


ALLE. Wir gratulieren!

CHOR DER GÄSTE.

Vernehme Bräutigam und Braut

Die Wünsche unsers Herzens laut!


Alle erheben die Gläser und stoßen mit Bonbon an.


CHRISTOPH, SEPPEL, NETTEL, RESI traurig.

Krieg'n wir heut' gar nix als Brot?

SCHLUCKER.

So lang wir das noch hab'n, dankt's Gott!


Er steht auf, zieht die Mütze vom Kopfe und steht mit gefalteten Händen in betender Stellung. Alle falten die Hände und stehen in einer andächtigen Gruppe um ihn.


[465] Alle zugleich mit dem im ersten Stocke gesungenen Chor.


Wenn man für uns kein Brot mehr bacht,

Dann ist's mit uns erst gute Nacht!


Sie sitzen in trauriger Stellung um den Tisch herum.


CHOR DER GÄSTE.

Dem Paar, dem Liebesglück nun lacht,

Sei dieses Vivat ausgebracht!


Leeren unter lautem Jubel und Vivatgeschrei die Gläser.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 2, Wien 1962, S. 462-466.
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