Erster Eintritt

[217] Philemon. Sylvia und Phillis.


PHILEMON.

Kommt; liebsten Kinder, kommt: ihr zeigt zum Guten Lust.

Folgt weiter meinem Wort, ich will in eure Brust

Das zart' und sanfte Bild der reinsten Tugend drücken;

Es wird euch euer Wohl erhalten und entzücken.

Entzieht euch nicht dem Fleiß und meiner treuen Zucht;

Euch bleibt hernach das Glück, der Segen und die Frucht;

Ihr nehmt an Gütern zu ...

PHILLIS.

Das tu' ich herzlich gerne.

Nicht wahr, ich werde schön, wann ich fein fleißig lerne?

PHILEMON.

Ja freilich, liebstes Kind: jedoch die Schönheit ist

Von unterschiedner Art. Wann du vernünftig bist,[217]

So wirst du die Gestalt mit guter Handlung zieren;

Dein Herz gibt dir den Schmuck, die Wahrheit wird dich führen.

PHILLIS.

Wer ist die Wahrheit? Sprich: ich kenne sie noch nicht.

PHILEMON.

Die Kenntnis findest du nur im Verstand. Ihr Licht

Wird durch Erfahrung stark, durch Übung rein und helle,

Das rauhe Dunkle weicht, und sie tritt an die Stelle.

PHILLIS.

Mein Vater: ich versteh' nicht alles, was du sagst,

Erklär mir's, daß ich's weiß, wann du mich wieder fragst.

PHILEMON.

Mein Kind, zur andern Zeit will ich dir's schon erklären:

Es war nur ein Versuch. Ich wollt' erst von dir hören,

Ob dich die Lehrbegier zum Fleiß geschickt gemacht.

Dein junges Herz hat schon der Schönheit nachgedacht,

Doch mußt du erst davon den Unterschied recht fassen

Und dich den falschen Schein nicht schädlich blenden lassen;

Sonst wird die Schönheit Gift, sie bringt die Tugend um,

Verjaget den Verstand und macht die Wahrheit stumm.

Dafür nimm dich in acht. Die Schönheit legt viel Schlingen,

Die Tugend kann uns nur aus dieser Falle bringen.

Der folge.

PHILLIS.

Herzlich gern.

PHILEMON.

Und Sylvia schweigt still?

SYLVIA.

Das zeigt dir, daß auch ich in allem folgen will.

PHILEMON.

Ich sehe, du hast schon mehr deutliche Begriffe.

Erzähle mir etwas.

SYLVIA.

Als jüngst ein Schäfer pfiffe,

So merkt' ich, daß der Ton sich rührend zu mir drang

So reizend, daß ich auch ganz heimlich mit ihm sang.

War dieses nicht ein Zug, der wahrhaft deutlich zeigte,

Wie schön die Tonkunst ist. Doch als Mirtillo geigte,

Da hört' ich ... Aber nichts, das mir gefällig schien,

Es klang recht widerlich, ich wollte davor fliehn;

Und dannoch blieb ich stehn, auch wider meinen Willen,

Ich hört' ihn mit Verdruß; und den Verdruß zu stillen,

Hielt' ich die Ohren zu. Sprich: Welcher spielt nun schön?

Wer spielt von beiden recht?

PHILEMON.

Mein Kind, das zu verstehn,[218]

Kann dich die Zeit, der Fleiß und selbst die Tonkunst lehren,

Von der erlangest du die Kunst, auch recht zu hören.

SYLVIA.

Ich habe recht gehört; des einen sanfter Ton

War unvergleichlich schön.

PHILEMON.

Auf die Art weist du schon,

Was rein und rührend klingt. Hast du nichts mehr empfunden?

SYLVIA.

Ach nein! nichts.

PHILEMON.

Sprich nur frei.

SYLVIA.

Sogar die Lämmer stunden

Und hörten stille zu.

PHILEMON.

So rede.

SYLVIA.

Ich weiß nicht,

Ob der Schäfer auch so rein und reizend spricht,

Als er die Flöte spielt. Ich kann es nicht vergessen.

Ich wünsch' ihn nur zu sehn.

PHILEMON.

Gedulde dich indessen,

Bis die Gelegenheit den Schäfer dahin bringt,

Daß er sich hören läßt, was pfeifet und was singt.

Ich will dir diese Lust nicht stören, noch verbieten.

SYLVIA.

Ach! ich will auch dafür recht gerne fleißig hüten.

Ich furchte mich vor dir. Du würdest böse sein

Und mich bestrafen; gelt, das tust du nicht?

PHILEMON.

Ach nein!

Dein Herze kann ganz frei nach seinen Trieben handeln.

PHILLIS.

So darf man, wie man will, nach seinem Willen wandeln.

Ei, Schwester, das ist schön.

PHILEMON.

Das hab' ich nicht gesagt

Und sag' es niemals nicht. Dein junger Vorwitz fragt

Zwar scherzhaft, aber auch für dich viel zu gefährlich.

PHILLIS.

Warum dann?

PHILEMON.

Höre nur: Wir Schäfer halten jährlich

Ein reines Freudenfest.

PHILLIS.

Das ist mir wohl bekannt.

PHILEMON.

Nur still! Vernimm mich nur: Es kommen auf das Land

In unsre Flur zur Lust auch feine Bürgersleute.

Wir sehen sie recht gern, und sie, auf ihrer Seite,[219]

Sind auch recht gern bei uns. Da fügte sich's einmal,

Daß ein ganz fremder kam mit einer großen Zahl.

Der unterschiede sich in allen frech und munter,

Er lief zu jedermann und mengte sich darunter.

Er hatte sonst gehört, wir Schäfer lebten frei,

Es wär' uns nichts verwehrt, und unsere Schäferei

Wär' uns ein Sammelplatz von Wollust und von Lachen.

Das wollt' der junge Herr sich recht zunutze machen.

So vornehm, als er war, tat er doch ganz gemein,

Er zog sich aus, war grob, besoff sich, goß den Wein

Aus Übermut im Busch, lief bald bergauf, bald nieder,

War frech und ungestüm, versteckte sich, kam wieder;

Bald schlug er, zwar im Scherz, doch grob und wild um sich,

Er sang ein schlechtes Lied und tat recht liederlich.

Wir stunden alle ganz erstaunet. Seine Sitten,

Die machten uns bestürzt, es half kein freundlich Bitten,

Die Schäfer flohen ihn und schlichen sich davon,

Sie lachten über ihn. Der reiche Bürgerssohn

Der glaubte seinen Stolz und Übermut zu zeigen,

Sein Wille ließe sich durch die Vernunft nicht beugen,

Er schimpfte jedermann und schrie recht ekelhaft,

Kein Bauer blökt so laut mit aller Leibeskraft.

Er wollte sich sogar mit allen Knechten schlagen.

Sie blieben aber klug, und keiner durft' es wagen,

Wir hielten sie zurück aus wahrer Redlichkeit.

Er tate noch viel mehr, sein Wille ging so weit,

Die Väter von der Flur auf sein Gewehr zu fodern;

Er drohte unserm Dorf, daß sollt' im Feuer lodern.

Er riß mit Ungestüm die kleinsten Hütten ein

Und wollte noch darzu von uns verehret sein.

Auch seine Freundschaft konnt' ihn nicht zu Frieden sprechen,

Er wollt' den Kindern gar aus Wut die Hälse brechen.

Sein Wille war verderbt, sein Handeln durchaus schlecht;

Er hieß ein kluger Herr und tat doch als ein Knecht.

Sprich, nennest du das schön, nach eignem Willen leben,

So hast du Freiheit, dich nach dem Ruhm zu bestreben.[220]

SYLVIA.

O liebste Schwester: nein. Das steht niemand wohl an.

PHILLIS.

Ach! diesen Fehltritt hat ein Mannsbild nur getan.

Ich will ja nicht, wie der, so trinken oder zanken.

Ich hab' was Schönes gern, das hab' ich in Gedanken.

PHILEMON.

Was einen Mann beschämt und den verächtlich macht,

Das hat ein Frauenbild schon gar dahin gebracht,

Daß es zuschanden wird. Du kleine freie Dirne,

Hast eigensinniges und trotziges Gehirne,

Ich wehre dir zwar nicht ein freies muntres Herz,

Nicht eine wahre Lust, noch einen feinen Scherz;

Du mußt dich nur dabei geschickt verhalten lernen

Und dich vom Übermut und Eigenlob entfernen.

Du dünkest dich schon schön, du wünschest dich schon groß;

Dein junger Mutwill' geht schon ziemlich zügellos:

Halt ja beizeiten ein: Flieh alle schlechte Taten,

Betrachte Sylvia, die ist so wohl geraten.

Folg ihr im Guten nach. Ich hab' euch beide lieb.

SYLVIA.

Ach, Schwester! wenn es doch bei dem Verweise blieb!

Geh, gib ein gutes Wort. Sprich: du willst frömmer werden.

Vergib ihr, bitt' ich dich.


Zu Phillis.


Sprich: du willst bei den Herden

In Zukunft fleißig sein. Geh, gib ihm einen Kuß,

Daß er dir dieses Mal auch das vergeben muß.

PHILLIS.

Ich hab' ja nichts getan. Weswegen sollt' ich bitten?

SYLVIA.

Ach! du hast manches Mal sehr vieles überschritten,

Das dir geboten war.

PHILLIS.

Ich gehe doch nicht hin.

SYLVIA.

Warum?

PHILLIS.

Weil ich nicht mag.

SYLVIA.

Du kleiner Eigensinn.

PHILEMON.

Was zankt ihr? Gleich hört auf!

SYLVIA.

Ja! komm: ich will dich küssen.

PHILLIS.

Geh weg und laß mich gehn!

SYLVIA.

Gib Achtung, du wirst müssen ...

Ich kann fein nichts dafür und fürchte mit Bedacht,

Daß noch dein Widersinn den Vater zornig macht,[221]

So gut er sonsten ist. Küß mich zu seiner Freude;

Ich hab' dich wieder lieb und tu' dir nichts zuleide.

PHILEMON.

Geh! Hole frisches Laub, das keinen Meltau hat,

Nimm ein sehr feines Tuch und säubre jedes Blatt,

Daß keine Spinne sich darunter mit verstecket;

Sie schaden zwar wohl nichts, doch wird man nur erschrecket.

Du hast die Reinlichkeit in allen Dingen lieb,

Und zu der Wirtschaft auch so ziemlich guten Trieb.

Nimm von dem großen Tisch die blau- und weißen Teller

Und auch die Schalen her, die sind noch in dem Keller,

Ich sah sie gestern stehn, sie waren ganz voll Staub.

Ich weiß, du putzest gern, bezier sie mit dem Laub

Und leg die Früchte drauf, die sie den Morgen brechen.

Gib Achtung, wenn man wird den frischen Rasen stechen,

Daß es fein ordentlich, wie sich's gehört, geschieht,

Daß man die Flecke nicht gleich in dem Garten sieht.

Laß von dem besten Wein die schönsten Trauben lesen.

SYLVIA.

Vielleicht ist der Sylvan im Weinberg schon gewesen.

PHILEMON.

Es ist jetzt noch zu früh; er kommt erst her zu mir

Und hat hier was zu tun; ich sag' es also dir.

SYLVIA.

Und Phillis ...

PHILEMON.

Weil sie zürnt, soll sie bei mir verbleiben.

Die Mirta wird ihr Lamm für sie zur Herde treiben;

Das soll die Strafe sein. Geh nur, und dieses gleich.

SYLVIA.

Ja! ... Ach! sie dauret mich, mein Herze wird mir weich.

Vergib ihr, bitt' ich dich.


Sylvia gehet ab.


PHILEMON.

Ich will es überlegen.

Das Herz der Sylvia ist so leicht zu bewegen.

Du bist hingegen nicht von solcher sanften Art,

So sehr ich dich durch Fleiß belehret und bewahrt.[222]


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 3Leipzig 1933–1935, S. 217-223.
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