Zwölfter Auftritt

[271] Doris, Sylvan und Philemon.


PHILEMON.

Mein Kind, hör an.

Komm näher, fürchte nichts und trockne deine Tränen.

Man gibt dir etwas schuld, das will ich nicht erwähnen:

Hab das Vertrauen nur zu mir, als deinen Freund,

Den deine Qual betrübt, der es als Vater meint.

Erzähl mir ohne Scheu nur den Verlauf der Sache,

Daß ich dein zärtlich Herz nicht noch betrübter mache.

DORIS.

Ach ja, das will ich tun. Mirtillo sprach mit mir.

PHILEMON.

An eben diesem Ort?[271]

DORIS.

Auf dieser Stelle hier.

PHILEMON.

Wovon?

DORIS.

Von Liebe.

PHILEMON.

Nun! ...

DORIS.

Und auch von seinen Schmerzen.

PHILEMON.

Und ...

DORIS.

Weil ich weichlich bin, so ging es mir zu Herzen.

PHILEMON.

Du hättest sollen gehn.

DORIS.

Ich hab' nicht dran gedacht,

Daß einen Menschen sehn die größte Schande macht.

PHILEMON.

Hast du ihn sonst gekannt?

DORIS.

Ja; doch mit meinem Wissen

Kein Wort mit ihm gered't.

PHILEMON.

Aus diesem ist zu schließen,

Daß er dir dieses Mal sein Herz zuerst entdeckt.

DORIS.

Ich hielt es erst für Scherz, allein ich wurd' erschreckt.

PHILEMON.

Weswegen, liebes Kind?

DORIS.

Als ich den Ernst verspürte.

Ich dacht', wie bald geschieht's, daß er mich gar verführte;

Und sagte weiter nichts, als trag' doch mit Geduld

Dein Leiden, dann ich bin gewiß daran nicht schuld.

Drauf kam die Galathe und schrie und zankte heftig,

Es half kein gutes Wort, kein Bitten war so kräftig.

Ich war in lauter Angst, ich schämte mich so sehr,

Als ob ich wahrhaft schuld und wirklich strafbar wär'.

Mein Vater zürnte auch und drang mit harten Drohen

In mein gekränktes Herz. Ich wär' zu dir geflohen

Und hätte dich für mich um guten Rat gefragt;

Allein ich war zu hart verleumdet und verklagt;

Ich bin von aller Welt in dieser Not verlassen.

Dein Sohn verlangt mich nicht und schwöret, mich zu hassen.

Ich zittre noch vor Angst; so zornig schien er mir;

Er schwur Mirtill den Tod und schaffte mich von hier.

PHILEMON.

So hat er dich gesehn?

DORIS.

Ach ja, die bösen Worte

Verfolgen mich noch jetzt an einem jeden Orte.[272]

Ich hab' ihm nichts getan, was wider Treu' und Ehr',

Das wider meine Pflicht und den Gehorsam wär'.

PHILEMON.

Sagst du die Wahrheit rein, so darfst du nicht verzagen.

Ich will den Seladon schon was dagegen sagen,

Das ihn versöhnen wird. Drum hab nur noch Geduld.

Das bin ich überzeugt: Die Liebe hat mehr schuld.

DORIS.

Ach, allerliebster Mann, darf ich dich Vater nennen?

Ich wollte dir gewiß, ich weiß nicht was, bekennen.

Hätt' ich es nur getan.

PHILEMON.

Gut. Komme nur mit mir.

Sylvan, bleib unterdes solang alleine hier,

Bis Damon wiederkommt; sprich, er soll auf mich warten.

SYLVAN.

An was für einem Ort?

PHILEMON.

In seinem eignen Garten.


Führet Doris ab.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 3Leipzig 1933–1935, S. 271-273.
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