Fünfter Auftritt

[15] Apollo auf dem Throne. Zur Rechten stchet Arete, Vigilantia und Meletander. Zur linken stehet Themis und Euphrosyne. Die ersten drey haben einander bey den Händen. Die zwey andern haben einander auch bey den Händen. Hierauf bringt Alethea die Melpomene und tritt zwischen der Themis und Euphrosyne. Dabey ist Tharsus und Sedulius.


ALETHEA zur Arete.

Hier ist Melpomene.

ARETE.

Tritt näher, armes Kind!

Was bittest du von uns?

MELPOMENE.

Daß ich Genade find;

Und daß die Themis ja nicht länger mehr erlaube,

Daß mir der Neid die Ruh und mein Vermögen raube.

VIGILANTIA.

Wo denn so langsam her?

MELETANDER.

Erschrecke sie doch nicht![15]

Und höre, was sie doch noch weiter von sich spricht!

VIGILANTIA.

Ey! was? Man muß die zeit in keinem Stück versäumen,

Und seine Schuldigkeit nicht nur in leeren Träumen

Und in Gedanken thun. Die Thaten müssens seyn.

Sie kommt fast allzu späth. Man sag ihr kühnlich, nein.

Um solche Kleinigkeit macht sie so grosses Wesen.

Wer hier am ersten kömmt, hat auch erst auszulesen.

EUPHROSYNE.

Wenn ich dich bitten darf: So habe noch Geduld.

Vielleicht ist sie nicht selbst an der Verzögrung schuld.

Hab Mitleid! höre sie! ich sprech für ihre Sache:

Denn sie verfolget nur der Neid und böse Rache.

Die Bosheit selber ist ihr allerärgster Feind.

Sey du indessen doch ihr gut und wahrer Freund!

Sie hat dir nichts gethan. Hör sie doch mir zu Liebe!

Daß sie sich länger nicht in ihrer Noth betrübe.

Dein Wort kommt auch mit dran. Mein ja! hat sie für sich.

VIGILANTIA.

Ja! ja! dieß kan wohl seyn.

ARETE zu Vigilantia.

Warum bedenkst du dich?

VIGILANTIA.

Ich muß sie erst bey mir um alles recht befragen;

Dann will ich auch allhier schon meine Meynung sagen.

ARETE zu Vigilantia.

Das sey dir wohl erlaubt: Du wachst für aller Heil.

MELETANDER.

Sprich nur dein Urtheil nicht zu hitzig und in Eil;

Und warte, ob sie nicht Apollo selbst wird hören.[16]

ARETE.

Sie ist ja ganz bestürzt.

EUPHROSYNE.

Sie will dich nicht verstören;

Und ist für Ehrfurcht nur erstaunet und betrübt:

Dieweil sie dich gewiß mit tiefster Demuth liebt.

Es jammert mich ihr Schmerz. Kanst du denselben heilen;

So laß doch ihrer Noth geschwinden Rath ertheilen.

ARETE.

So fasse nur ein Herz! tritt näher doch heran!

Und sage frey heraus, wie man dir helfen kan!

Du dauerst mich gewiß. Ich wollt dir gerne rathen.

Bist du denn gänzlich frey von allen Laster-Thaten?

Und hast du nichts versehn, das dir selbst schaden könnt;

So sey dir auch allhier mein Vorspruch wohl gegönnt.

Du mußt nur deine Noth der Themis recht erzählen.

Dein Elend jammert mich. Du mußt dich so nicht qvälen.

APOLLO zur Themis und Alethea.

Ihr schweigt ja beyderseits. Melpomene schweigt still.

Ihr wißt doch, daß ich Recht und Wahrheit hören will:

Warum verstummt ihr denn? Entdecket mir die Sachen.

ALETHEA zum Apollo und zur Themis.

So will ich denn für sie hier meinen Vortrag machen:

Die Bosheit, der Betrug, und die Unwissenheit

Sind voller Neid und Geiz, und sind der Redlichkeit

Und auch der Tugend feind. Die haben hier gebeten:

Man möcht Melpomenen im Lande nicht vertreten;

Und was sie sich gebaut, durch Fleiß erhalten hat,

Ihr aus den Händen ziehn. Man hat an meiner statt

Den Pseudolus gebraucht und alle hintergangen,[17]

Daß man auch endlich ihm zu glauben angefangen.

Nun stell, Apollo, ich dir diese Muse dar,

Die schon vorlängst bey dir geschützt und fleißig war,

Eh dieser Affterschein zu glänzen angefangen.

Ich bin ihr allemal so fleißig nachgegangen,

Und finde sie gewiß von jedem Laster frey.

Das Zeugniß geb ich ihr. Steh ihr nur kräftig bey:

Weil sie dich redlich ehrt, und dich mit Ehrfurcht liebet.

Vergieb ihr! wenn sie schweigt. Sie ist zu sehr betrübet.

APOLLO zur Themis.

So sey sie deiner Hand zur Aufsicht ausgestellt.

Vollbringe du an ihr, das, was mir wohl gefällt!

Wie du sie finden wirst: So kanst du sie auch richten.

Die Sache soll, nebst dir, die Alethea schlichten.

Gebt Achtung, daß ihr nicht im mindsten was gebricht.

Das Recht, das ihr gehört, und wer sonst für sie spricht,

Verbleib ihr Schutz und Trost. Sie soll die Klagen führen,

Und an Gerechtigkeit gar keinen Mangel spüren.

THEMIS zum Apollo.

Mein Urtheil ist mit dem, was dein Befehl gebeut,

So gar Melpomenen zu retten, gleich bereit.

Die Wahrheit steht ihr bey. Der Fleiß will für sie zeugen.

Die Unschuld bringt ihr Muth. Das Recht soll auch nicht schweigen.

Und ihr Gehorsam wird damit zufrieden seyn,

Was du beschliessen willst: Der Ausspruch bleibet dein.

Den wollen wir für uns mit allen Freuden ehren,

Und sie wird ihn von dir mit tiefster Ehrfurcht hören.


Quelle:
Friederike Caroline Neuber: Ein Deutsches Vorspiel verfertiget von Friederica Carolina Neuberin, Leipzig 1897, S. 15-18.
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