Erster Abschnitt

[136] Sobald Mariane nebst ihrem französischen Namen auf dem Wohnsitz des Herrn von Hohenauf anlangte, war die gute französische Aussprache der erste Gegenstand der Untersuchung. Die gnädige Frau konnte sehr füglich darüber urteilen, weil sie selbst mit einem angenehm gemischten halb thüringischen, halb wetterauischen Akzente Französisch sprach. Sie erklärte nach einer viertelstündigen Unterredung, daß Marianens Aussprache ohne Tadel sei, und fragte ihren Gemahl, ob sich nicht gleich die Aussprache einer gebornen Französin von der Aussprache einer Deutschen durch ein gewisses je ne sais quoi unterscheide, welches dieser mit einem deutlichen »Allerdings!« bekräftigte, da ihn seine Gemahlin schon seit den ersten Tagen ihrer Vermählung gewöhnt hatte, alles, was sie mit einem gewissen Tone fragte, sogleich zu bejahen.

Nun schritt die gnädige Frau zur Instruktion der künftigen Hofmeisterin ihrer Kinder. Der Hauptpunkt war, daß sie beständig französisch und niemals deutsch mit ihnen sprechen und die Kinder anweisen sollte, sich als Personen von Stande zu betragen und jederzeit artige Manieren zu haben. Hierauf ward gefragt, ob sie Gelegenheit gehabt habe, öfter Personen von Stande zu sehen und ihr Betragen zu beobachten. Mariane, ob sie gleich hier eine Französin vorstellte, hatte doch das zuversichtliche Bejahen noch nicht gelernt, welches schon oft sowohl mancher französischen Hofmeisterin und Kammerjungfer als manchem französischen Kammerdiener[136] und Projektmacher aus der Not geholfen hat; sie bekannte daher mit Erröten, sie sei selten in dem Falle gewesen.

»Desto schlimmer«, sagte der Herr von Hohenauf, »denn bei der Erziehung vornehmer Kinder ist das notwendigste, ihnen standesmäßige Manieren beizubringen. Zum Glücke kann Sie dem Mangel abhelfen, Mamsell, wenn Sie fleißig auf meine Gemahlin achthat, denn die ist ein vollkommenes Muster standesmäßiger Aufführung.«

Die Frau von Hohenauf neigte ihr mit starken Knochen versehenes Vorderhaupt nachlässig auf die rechte Schulter, blinzelte mit ihren grauen, rotunterlaufenen Augen, lächelte über ein Paar vorwärts geworfene Lippen und sagte:

»Sie sind sehr gütig, Herr von Hohenauf; aber wahr ist's, daß ich immer die décence in meinem Betragen zu beobachten suche, die Personen vom Stande eigen ist. Hiernach, Mamsell, muß Sie meine Fräulein auch bilden, damit sie sich niemals vergessen, sondern beständig vor Augen haben, wer sie sind. Dies muß Sie selbst auch niemals aus den Augen lassen, sondern bedenken, daß Sie in meinen Fräulein Personen von Stande vor sich hat. Sie muß ihnen beständig mit Nachsicht begegnen, ihnen niemals befehlen, noch weniger gegen sie strenge oder unfreundlich sein, wenn sie auch ein wenig Lebhaftigkeit zeigen, denn Jugend hat keine Tugend. Es ist genug, wenn sie nur die décence und ihre Geburt nie vergessen. Nächstdem kann Sie ihnen oft gute französische Bücher geben, daß sich der Geist aufklärt. Wir lassen deshalb monatlich den ›Mercure de France‹ kommen, darin stehen die neuesten énigmes und logogriphes, wie sie am Hofe zu Versailles eben gänge und gäbe sind; auch schöne poésies fugitives, darüber müssen die Fräulein[137] urteilen lernen, damit sie, wenn künftig ihr amant ihnen ein Madrigal à Silvie mit einem galanten envoy zusenden wird, die finesse davon einsehen und mit esprit antworten können. Auch sind im ›Mercure‹ Nachrichten von den neuesten opéras comiques und von den neuesten almanachs, modes und chansons, dadurch lernen sie loben, was jetzt in Paris du bon ton ist. Hauptsächlich aber muß Sie gute Romanen mit ihnen lesen, als ›Hippolyte Comte de Douglas‹, die ›Mémoires d'une dame de qualité qui ne s'est point retirée du monde‹, die ›Lettres d'une réligieuse portugaise‹ und so weiter, damit die Fräulein beizeiten lernen, wie eine affaire de cœur geführt wird, und damit sie die grace plus belle que la beauté sich eigen machen, durch die unser Geschlecht über das männliche einen so sichern Sieg zu erhalten weiß.«

Hier minaudierte sie aus dem rechten Augenwinkel, in Ermanglung einer andern Mannsperson, auf ihren Gemahl, der, dadurch beherzt gemacht, sein Wort auch dazugeben wollte und sagte: »Imgleichen Gellerts Fabeln könnten auch wohl mit den Kindern gelesen werden.«

»Ja«, versetzte die gnädige Frau mit trübem Blicke und etwas gerümpfter Nase, »Gellerts Fabeln gehen allenfalls an, aber andere deutsche Bücher müssen die Fräulein nicht lesen, denn das deutsche Zeug nützt ihnen nichts, wenn sie nach Hofe kommen. Picard, mein homme de chambre, sagt immer, es ist kein brin von bon ton darin, und das ist auch wirklich wahr. Es klingt alles so deutsch, wahrhaftig, ich bekomme vapeurs, wenn ich nur die gotischen Buchstaben sehe.«

Marianen war alles, was ihr gesagt ward, so unerhört, daß sie sich dünkte in einer ganz neuen Welt zu sein. Sie verstand von dieser Rede nicht den dritten Teil, zumal[138] da sie von einer etwas stämmigen deutschen Dame in dem nachlässigen Tone einer Petite-maîtresse dahingelallt ward, versprach aber doch mehrere Gelehrigkeit, als sie sich vorderhand noch selbst zutraute. Ebenso hörte sie, ohne ein Wort dawider einzuwenden, die Anordnung ihres häuslichen Lebens an. Man sagte ihr nämlich, daß sie in Nebenstunden für die gnädige Frau und die beiden Fräulein Putz machen und der Kammerjungfer helfen müsse Kleider garnieren. Man gab ihr zu verstehn, daß man erwarte, sie werde helfen den Tisch anordnen, wenn große Gesellschaft da wäre, und, wenn die Jungemagd viel zu tun hätte, auch darnach sehen, daß die Schränke gebohnt und der Staub von den porzellanen Aufsätzen abgewischt werde. Zuletzt erfuhr sie, daß sie zwar der Fräulein wegen die Gnade haben sollte, an die hochadelige Tafel gezogen zu werden, wenn die Herrschaft allein sei; wäre aber Gesellschaft da, so würde sie sich selbst bescheiden, mit den übrigen Domestiken höhern Rangs zu essen.

Dies waren sämtlich Personen, die nützliche Talente besaßen, feine Sitten hatten und die Welt kannten. Sie bestanden in dem französischen Friseur der gnädigen Frau, in dem Gerichtsaktuar, der zu gleicher Zeit das Amt eines Tafeldeckers wahrnahm, in der Kammerjungfer der gnädigen Frau, welche in den Kohlgärten vor Leipzig in der Schule der artigen Lebensart gewesen war, in der Ausgeberin, welche bei einem Hauptmanne die Ökonomie gelernt hatte, dem sie drei Kampagnen durch als Köchin gefolgt war, in einem ausgedienten Fahnenschmiede, der im Hause ehrenhalber der Stallmeister des gnädigen Herrn tituliert ward, und in einem armen, vater- und mutterlosen Verwandten, welcher als Fahnenjunker von einem Regimente bloß deswegen war weggejagt worden, weil er in der Schlacht bei Roßbach zuerst[139] sich umgekehrt hatte, da denn ein Teil des Regiments der Fahne nachgeeilt war.

Dieser Herr Vetter ward auch, wie Mariane, zur Tafel gezogen, wenn keine Gesellschaft vorhanden war. Dagegen ließ er sich gefallen, allerhand kleine Dienste zu leisten, zum Beispiel den Stuhl wegzurücken, wenn seine gnädige Tante aufstand, den Pfropfenzieher zu holen, wenn sein gnädiger Oheim trinken, oder die Pfeife zu stopfen, wenn er nach Tische rauchen wollte, laut zu lachen, wenn er einen Schwank erzählte, und augenblicklich stillzuschweigen, sobald sie durch eine gerunzelte Stirne zu erkennen gab, daß sie keinen Gefallen daran hätte. Er mußte auf jede Frage sogleich eine Antwort bereit haben und, wenn die Antwort mißfiel, sich nicht verdrießen lassen, daß ihm Stillschweigen geboten oder vom Tische aufzustehen befohlen ward, durfte auch nicht sauer aussehen, wenn er wieder erschien. Kurz, er hatte den Posten manches Kammerjunkers an manchen fürstlichen Höfen; einen Posten, der seines äußerlichen Glanzes wegen von denen, die ihn nicht haben können, so oft gewünscht und von denen, die ihn bekleiden, so oft vermaledeiet wird; einen Posten, für den, ob er gleich in Deutschland allenthalben besetzt ist, doch in der an Konversationsausdrücken armen deutschen Sprache noch keine besondere Benennung zu finden ist und für den die in der Konversationssprache so reichen Franzosen und Engländer noch keine bessere Benennung haben finden können, als daß sie die Inhaber desselben Schlangen- und Krötenesser17 nennen.[140]

17

Avaleurs de couleuvres – toad-eaters.

Quelle:
Friedrich Nicolai: Leben und Meinungen des Herrn Sebaldus Nothanker, Berlin 1960, S. 136-141.
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