Fünfter Abschnitt

[342] Einige Tage darauf sollte im Filiale das Kind eines Schiffers getauft werden. Mackligius ging mit dem Sebaldus hinaus. Als der erstere an den Taufstein trat, erblickte er einen Paten, den er nicht kannte. Er ließ ihn in die Sakristei treten, um sich näher zu erkundigen, und erfuhr zu seiner nicht geringen Bestürzung, daß er ein reformierter Kaufmann aus Bremen sei. Mackligius sagte ihm darauf geradeheraus, er könne ihn nicht zum Taufzeugen annehmen, weil Rev. Ministerium noch kürzlich sich verbunden habe, niemals einen reformierten Paten bei irgendeiner Taufe zuzulassen. Der Kaufmann wunderte sich hierüber nicht wenig, und der Schiffer[342] erschrak sehr, denn der Kaufmann war Sein Reeder und ihm zu Gefallen ausdrücklich von Bremen zum Kindtaufen gekommen. Man suchte den Mackligius zu überreden, man ward hitzig; aber er blieb unbeweglich.

Der Kaufmann faßte sich endlich und sagte: »Wollen Sie mir nicht erklären, Herr Pastor, was bei einem Taufzeugen das Wesentliche und was dabei das Zufällige ist?«

»Ich merke schon«, rief Mackligius, »daß Sie etwas von Mitteldingen, von Adiaphoris schwatzen wollen; das gehört aber gar nicht hieher.«

»Nicht doch«, versetzte der Kaufmann, »vom Wesentlichen und Außerwesentlichen wollen wir reden. Meinen Sie nicht, das Wesentliche eines Taufzeugen sei, zu bezeugen, wenn es nötig ist, daß das Kind getauft worden, und in Ermangelung der Eltern und Vormünder für des Täuflings Erziehung zu sorgen?«

Mackligius konnte dies nicht leugnen.

»Und nun«, fuhr der Kaufmann fort, »ist nicht das Opfer, das ins Becken geworfen wird, etwas Zufälliges bei der Taufe?«

Mackligius, nach einigem Stocken, bejahte es.

»Gut«, sagte der Kaufmann, »hören Sie also einen Vorschlag zum Vergleiche: Ich will, weil es denn Rev. Ministerium nicht anders haben will, allen wesentlichen Pflichten eines Taufzeugen entsagen. Ich will jedermann in Ungewißheit lassen, ob das Kind getauft worden; ich will mich hüten, für seine Erziehung zu sorgen, und wenn es auch Vater und Mutter verlieren und von seinen Vormündern verlassen werden sollte. Kann mir denn nun wenigstens nicht erlaubt werden, das Zufällige eines Taufzeugen zu verrichten und nach vollbrachter Handlung diese Dukaten ins Becken zu opfern?«

Mackligius war in keiner geringen Verlegenheit. Endlich[343] bewog ihn die Distinktion des Kaufmanns und das Bitten des Vaters, für dieses Mal einen reformierten Taufzeugen zuzulassen.

Kaum waren sie wieder zu Hause angekommen, so rückte ihm Sebaldus vor, daß er nicht nach seinen eignen Grundsätzen handele. Denn wenn eine feierliche Verbindung jederzeit unverbrüchlich müsse gehalten werden, so würde er unrecht haben, wider dieselbe einen reformierten Taufzeugen anzunehmen.

»Ja«, rief Mackligius ein wenig verlegen, »hier war eine Ausnahme. Zudem sah ich wohl, der Bremer war ein ganz guter Mann, der sich gerade bei uns nicht wird niederlassen wollen.«

Sebaldus: Ei, nun sei Gott Dank! Wenn nur ein Mitglied einer andern Konfession ein guter Mann ist, so mögen's auch wohl mehrere sein. Ich kann also auch wohl eine Ausnahme von dem Ihnen getanen Versprechen machen; denn warum sollten wir solche gute Leute nicht lieben, wie der Bremer Kaufmann und seine Glaubensgenossen sind?

Mackligius: Herr Magister! Ich bitte Sie sehr, fangen Sie ja nicht wieder an, dergleichen zu predigen; Sie können sonst sich und mich unglücklich machen. Weshalb wollen wir denn die Kalvinisten und dergleichen Leute so sehr lieben? Wozu? Im Lande dürfen sie sich doch nicht weiter ausbreiten, als sie leider bereits getan haben; denn es muß ein Glaube, ein Hirt und eine Herde im Lande sein, sonst kömmt alles in Unordnung.

Sebaldus: Oh, damit schrecken Sie mich nicht! Ich komme eben jetzt aus dem Brandenburgischen, wo Menschen von zwanzigerlei Religionsgesinnungen meist ganz friedlich nebeneinander leben; und wenn sie sich ja zuweilen ein wenig zanken, so bleibt doch alles im Staate in sehr guter Ordnung. Lassen Sie uns nur nicht wähnen,[344] alle Wahrheit und gute Gesinnung sei ausschließend bei unserer Religionspartei; lassen Sie uns vielmehr untersuchen, ob diejenigen, die wir für Irrlehrer halten, nicht mehr Wahrheit mögen erkannt haben und lobenswürdiger leben als wir: und dann finden wir vielleicht, daß wir sie verehren und lieben müssen. Ich wiederhole nochmals, lassen Sie uns untersuchen, und lassen Sie keine Verabredung, kein Lehrgebäude, kein symbolisches Buch uns aufhalten, wenn wir Wahrheit suchen und finden können.

Mackligius: Ach, mein lieber Herr Magister, Sie wollen doch immer soviel spekulieren! Diese Sucht mögen Sie wohl aus dem leidigen brandenburgischen Lande mitgebracht haben. Da soll's arg zugehen; da soll alles voll Rotten und Sekten sein. Das kömmt her von dem unchristlichen Vernünfteln! Da wird immer einer an dem andern irre! Wenn einem ja auch hin und wieder ein Zweifel einfällt, so ist's besser, man unterdrückt ihn gleich. Dies ist viel kürzer und besser, als davon soviel Redens zu machen, darüber dann andere auch irregehen. Nein, lassen Sie mir immer die Lehrformeln und die symbolischen Bücher in Ehren. Sie sind, aufs wenigste gerechnet, ein notwendiges Übel. Da ist ja so vieles in der Bibel, woraus man sich sogleich nicht finden kann, und so würde man während seiner ganzen Lebenszeit untersuchen müssen, was man glauben soll, wenn's nicht schon in der »Augspurgischen Konfession« vorgeschrieben wäre.

Sebaldus: Schön! Aber dies ist ebendasselbe Argument, das die Katholiken für die unfehlbare Autorität der Kirche anführen! Wir selbst können, sagen sie, die Bibel nicht hinlänglich erklären, dies tut die Kirche für uns; darum müssen wir glauben, was die Kirche glaubt. Also hätten wir bei der Reformation nur eine Unfehlbarkeit[345] mit der andern verwechselt, der wir blindlings trauen müßten? Wenn also der Papst die »Augspurgische Konfession« gemacht hätte, so würden Sie, Herr Pastor, ohne Bedenken ein Papist sein!

Mackligius: Behüte mich Gott, was reden Sie? Herr Magister! Herr Magister! Sie wissen ja, daß ich der echten, ungeänderten evangelischen Lehre zugetan bin.

Sebaldus: Ja, dem Buchstaben nach, aber nicht im wahren Geiste. Eine blinde Unterwürfigkeit unter die Aussprüche der geistlichen Obern ist nicht der wahre Geist des Protestantismus. Was wir glauben sollen, davon müssen wir überzeugt sein. Die bloße Annehmung einer Lehre, weil sie in einem Buche verzeichnet ist, es mag dies Buch Bibel, symbolisches Buch oder wie man sonst will heißen, ist keine Überzeugung. Sollen wir überzeugt werden, so müssen wir untersuchen, und erst dann, wann wir einen Satz durch vernünftige Untersuchung für wahr erkennen, kann er moralische Wirkungen veranlassen.

Mackligius: Aber, Herr Magister, wohin würden wir kommen, wenn wir erst von neuem anfangen wollten zu untersuchen? Müßte man da nicht sein ganzes Leben lang studieren? Zumal in unsern jetzigen letzten, betrübten Zeiten, da, wie man aus den »Hamburgischen Nachrichten« zuweilen sieht, an der Ober-Elbe so viele neuerungssüchtige Leute sind, die nichts wollen als untersuchen, die uns eine ganz neue Theologie, ja sogar eine ganz neue Bibel machen wollen? Ja wahrhaftig, eine neue Bibel! Da schickt mir der Postmeister neulich mit den Zeitungen einen Zettel, daß ich 234 Mark auf eine Bibel pränumerieren soll, die einer in England (ich glaube, der Mensch heißt Kennikott) will drucken lassen. Ja, daß Gott erbarm'! 234 Mark in diesen schweren Zeiten! Und da sollen in dieser Bibel viele tausend Stellen[346] ganz anders sein als in unserer lutherischen Bibel! Nun sehen Sie einmal selbst, was das für eine Verwirrung in unserm guten Holstein geben würde, wenn man nicht schon wüßte, was man zu glauben hätte.

Sebaldus: Ich habe von dieser Bibel auch gehört, glaube aber, sie wird ganz und gar keine Verwirrung anrichten, sondern kann vielmehr einen sehr großen Nutzen haben. Denn wenn die Theologen, wie es nicht unterbleiben wird, über die Menge der Varianten, die der arbeitsame Engländer für seine fünfzigtausend Taler zusammengelesen hat, sich fünfzig Jahre lang werden müde disputiert haben, so wird man endlich wohl einsehen, daß die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts, die Gott bei seiner Offenbarung zum Zwecke gehabt haben muß, nicht auf Schreibfehlern und Varianten, Mutmaßungen und Wortklaubereien beruhen kann. Also auch von dieser Untersuchung über Varianten will ich niemand abschrecken. Ich glaube, die wahre Religion kann und wird die strengsten Untersuchungen von aller Art aushalten; darum mag man in Gottes Namen fortfahren, alle Meinungen der Menschen zu Sichten und den Weizen von der Spreu zu sondern.

Mackligius rief sehr erschrocken: »Nein, nein! Die Menschen müssen nicht zu vorwitzig sein. Wenn wir nicht der Untersuchungssucht ein Ziel setzen, wer weiß, wohin wir noch geraten. Da können wir noch Synkretisten und Indifferentisten, ja endlich gar Naturalisten werden.«

Sebaldus: Ich glaube nicht, daß uns die Untersuchung so weit führen werde; aber ich für meine Person folge dem Wege der Wahrheit ganz gelassen, wohin er mich auch führet.

Mackligius: Ach, Herr Magister, Herr Magister! Ich will ja lieber bleiben, wo ich bin, als mich so weit wagen.[347] Ich werde gar zu unruhig, wenn ich an solche Dinge denke; darum vermeide ich sie, und das tun Sie nur fein auch.

Sebaldus: Wenigstens will ich niemand zureden, hierin weiter zu gehen, als ihn seine Neigung führt. Indes erhellet aus allem diesen so viel, daß wir uns die Unfehlbarkeit in Glaubenssachen nicht zueignen können und also die Andersdenkenden lieben dürfen und wenigstens tolerieren müssen.

Mackligius: Nun ja, tolerieren ist auch viel kürzer, als wenn man soviel untersucht. Wir wollen sie, wie Sie ganz recht sagen, lieber tolerieren. Doch um wieder aufs Vorige zu kommen, tun Sie mir's immer zu Gefallen und predigen nicht ferner davon, daß man sie lieben müsse. Sehen Sie, wir haben hier in unserer Stadt unsere besondere Verfassung; und dann ist's bedenklich wegen der Neuerung mit den kalvinischen Tuchmachern.

Sebaldus: Sehr gern! Ich habe überhaupt nicht geglaubt, daß die Lehre, die ich predigte, so neu wäre, daß dadurch Aufsehen erregt werden könnte; ich meinte wahrlich nur eine schon bekannte nützliche Lehre weiter einzuschärfen. Freilich, wenn die Ermahnung, unsere Brüder von andern Konfessionen mehr zu lieben, den Erfolg haben sollte, daß man sie mehr haßte, so ist's besser, ganz davon zu schweigen.

Mackligius gab ihm von ganzem Herzen darin recht, daß schweigen hier das beste wäre, und versicherte ihn, er kenne die rechtgläubigen Holsteiner und wisse gewiß, daß die Ermahnung, die Kalvinisten zu lieben, bei ihnen nur Haß zuwege bringen werde. Der ehrliche Sebaldus beseufzete eine so unchristliche Gemütsverfassung und geriet in das Lob einer wahren christlichen Toleranz, und Mackligius, wohl zufrieden, daß er nur den Hauptpunkt wegen des Predigens von ihm erlangt hatte, stimmte[348] ihm in allem bei. Sebaldus fuhr fort: daß sich die Menschen über allerhand Meinungen, die noch nicht ausgemacht wären und auch wohl nicht ausgemacht werden könnten, nicht hassen, sondern sich vielmehr untereinander ertragen sollten; und Mackligius sagte ja, einmal über das andere.

Indem sie in diesem Gespräche begriffen waren, trat ein Jude aus Rendsburg ins Zimmer, welcher beim Mackligius Geld umzusetzen und sonst zu handeln pflegte. Die beiden Geistlichen hatten sich durch die schönen Träume von christlicher Toleranz die Einbildung so erhitzt und das Gemüt in eine so selbstgefällige wohltätige Lage gebracht, daß sie sich stark genug fühlten, dieses Juden Bekehrung zu versuchen. Mackligius bewies ihm mit vielen Gründen, der Messias sei schon gekommen. Der Jude versetzte: es könne sehr wohl ein Messias gekommen sein, nur nicht der Messias der Juden, wofür er zum unwiderleglichen Grunde anführte, daß widrigenfalls er, der Jude, ein vornehmer Mann sein müßte, hingegen Mackligius vielleicht würde alte Kleider kaufen und Zerbster Drittel einwechseln müssen. Sebaldus hielt sich an das himmlische Jerusalem; der Jude aber wollte nur vom irdischen Jerusalem hören, wohin alle Juden in der Welt, wie er gewiß glaubte, noch einst würden versammelt werden. Alle drei wurden sehr hitzig. Endlich brach der Jude kurz ab: wenn der Herr Pastor heute nichts zu handeln habe, wolle er ein andermal wiederkommen, und ging zur Tür hinaus. Mackligius schalt nicht wenig über den blinden und verstockten Juden. Sebaldus saß eine Weile, den Kopf auf den Tisch gestützt; endlich schlug er sich an die Brust und rief aus:

»Ach, er ist ein Mensch wie wir, glaubt von seiner Meinung überzeugt zu sein wie wir, die ihn mit sich zufrieden[349] macht wie uns die unsrige. Lassen Sie uns, dem barmherzigen Gott gleich, der uns alle erträgt, unsre Toleranz nicht nur auf alle Christen, sondern auch auf Juden und alle andere Nichtchristen ausdehnen!«

Quelle:
Friedrich Nicolai: Leben und Meinungen des Herrn Sebaldus Nothanker, Berlin 1960, S. 342-350.
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