Vierter Abschnitt

[129] Hier genoß Sebaldus das süße Vergnügen, von seinem Feinde verdienten Dank einzuernten. Vater und Sohn überhäuften ihn mit Liebkosungen. Jener wiederholte mit Eifer den Vorschlag zu einer guten Versorgung und beteuerte, er wolle alles Ansehen dazu anwenden, das er im Fürstentume hätte. Der Sohn unterstützte diesen Vorschlag, so daß Sebaldus endlich anfing, zu wanken und sich eine ruhige Beförderung in seinem Vaterlande als eine wünschenswürdige Sache vorzustellen.

Er befragte den Major über diesen Vorschlag und wunderte sich nicht wenig, daß dieser gar nicht dazustimmen wollte. Da er die Ehrlichkeit aller Menschen nach seiner eignen beurteilte, so konnte er gar nicht begreifen, daß der Major gegen des Superintendenten Aufrichtigkeit soviel Argwohn hegte. Er hielt dies für ein allzuweit getriebenes Mißtrauen und befestigte sich immer mehr in seinem Vorhaben, durch eine Predigerstelle in seinem Vaterlande Ruhe zu suchen.

Als der Major sah, daß sein Entschluß, der Einladung des Stauzius zu folgen, fest gefaßt war, so wollte er ihm nicht ferner hinderlich sein. Er ließ den alten Stauzius zu sich kommen und band ihm aufs allerernstlichste ein, sein Versprechen zu halten. Er bedeutete ihn, daß er dem Sebaldus einen Brief an den Obersten, der jetzt in der fürstlichen Residenz kommandierte, mitgegeben hätte, um diesen Offizier, seinen vertrauten Freund, zu[129] bitten, den Sebaldus zu beschützen und jeden, der sich unterstehen würde, ihn zu verfolgen, aufs empfindlichste zu bestrafen. Stauzius versprach mehr, als er vorher versprochen hatte, und versicherte, noch mehr zu leisten.

Als Sebaldus vom Major Abschied nahm, empfing er von ihm, außer dem obengedachten Schreiben an den Obersten, noch ein Empfehlungsschreiben an einen seiner vertrauten Freunde in Berlin. Er versicherte, wenn Sebaldus einmal nach Berlin kommen sollte, werde ihn dieser Freund auf Vorzeigung des Briefes freundschaftlich aufnehmen, und bei demselben würde er auch beständig Nachricht von des Majors Aufenthalt bekommen können. Er gebot ihm, von diesem Briefe Gebrauch zu machen, wenn, wie er noch immer befürchtete, Stauzius sein Versprechen nicht halten sollte, und gelobte ihm mit den heiligsten Schwüren seinen Beistand, sobald er desselben benötigt sei und nur Nachricht davon geben wolle.

Was den Major gegen den guten Generalsuperintendenten so gar sehr mißtrauisch gemacht habe, ist schwer zu sagen. Vermutlich war es dessen Physiognomie. Ob aber insbesondere ein weit gegen das Ende der Nase vor sich gehendes Nasläppchen15 oder eine spitze Stirn oder eine eingekerbte Oberlefze oder grünlichte Zähne oder ein hörbarer Atem oder nur überhaupt sein superintendentenmäßiges Ansehen16 daran schuld gewesen, würde der berühmte Herr Lavater am sichersten berichten können, wenn er den Generalsuperintendenten Stauzius gesehen hätte.[130] Der Erfolg schien indes, wenigstens anfänglich, das Mißtrauen des Majors gar nicht zu rechtfertigen. Stauzius nahm den Sebaldus mit sich in die fürstliche Residenzstadt zurück. Er hätte ihn in sein Haus aufgenommen, aber Sebaldus wollte nirgend als bei seinem Freunde Hieronymus abtreten. Inzwischen erwies ihm Stauzius alle mögliche Höflichkeiten, und er ward von demselben sowohl als von dem Präsidenten nicht selten zu Gaste geladen; sonderlich nachdem der fremde Oberste, dem er sein Empfehlungsschreiben überreicht hatte, sich öffentlich für seinen Beschützer erklärt und ihn dem Präsidenten zu einer baldigen Wiederbeförderung ausdrücklich empfohlen hatte. Auch ward er wirklich in den nächsten drei Monaten zu zwei im Lande vakant gewordenen Pfarren vorgeschlagen. Nur war unglücklicherweise auf die eine schon vorher einem andern die Anwartschaft gegeben worden, und die andere hielt der Präsident für nicht einträglich genug, obgleich Sebaldus meinte, sie sei einträglicher als seine verlassene Pfarre. Der Generalsuperintendent widerlegte ihm dies und gab ihm zu verstehen, daß man einem solchen Manne eine Spezialsuperintendentur zu geben gedächte. Nun waren zwar alle Spezialsuperintendenten des Fürstentums in der Blüte ihrer Jahre, befanden sich wohl an Fleisch und Knochen, aßen und tranken gut und studierten wenig, so daß man freilich auf eine Vakanz in kurzem nicht gewiß rechnen konnte. Da aber doch ein Schlagfluß den Gesundesten befallen kann und ein hitziges Fieber auch keinen Spezialsuperintendenten verschont, so war es nicht offenbar unmöglich, daß Sebaldus, obgleich beinahe sechzig Jahre alt und vom Mangel und Kummer etwas gebeugt, eine solche Stelle vor seinem Ende noch unvermutet erhalten könnte.

Sebaldus ließ sich indes, bis zur Erfüllung dieser Hoffnung,[131] die Zeit gar nicht lang werden, da er bei seinem Freunde Hieronymus aufs freundschaftlichste aufgenommen war. Weil er in dessen Laden immer bekannter ward, so fing er an, bei dessen oftmaligen Reisen verschiedenes für ihn zu besorgen. Wenn hingegen sein Freund zugegen war, hatte er völlige Muße, an seinem Kommentare über die Apokalypse zu arbeiten, worin er sich so vertiefte, daß er die Hoffnung zu einer Pfarre vielleicht ganz vergessen haben würde, wenn sie Stauzius nicht erneuert hätte, sooft er ihn zu Gaste bat.

Inzwischen war in den ersten Monaten des folgenden Jahres der allgemeine Frieden geschlossen worden, welchem zufolge der fremde Oberste mit seinen Truppen wegging. Diese Veränderung brachte eine große Veränderung in den Herzen und auf den Gesichtern vieler Leute in dem kleinen Fürstentume hervor. Insbesondere schienen der Präsident und der Generalsuperintendent den ehrlichen Sebaldus nicht mehr so genau zu kennen als vorher. Sie ließen ihn nicht mehr zu sich bitten. Wenn er sich bei dem erstern anmeldete, so sagte der Bediente schon an der Türe, daß Seine Exzellenz Mittagsruhe hielten oder daß Sie eben Geschäfte hätten oder daß Sie heute niemand sprächen. Wenn er den letztern zu sprechen verlangte, so kamen, nachdem er eine halbe Stunde in dem Visitenzimmer gewartet hatte, Seine hochwürdige Magnifizenz zwar im Schlafrocke, mit oder ohne Perücke, zum Vorscheine und vergaßen auch niemals, beim Weggehen ihn Ihrer Gewogenheit zu versichern; aber obgleich verschiedene Vakanzen vorfielen, dachte doch niemand mehr daran, den guten Sebaldus vorzuschlagen.

Endlich ward nach ein paar Monaten eine Predigerstelle in einem benachbarten kleinen Städtchen offen, die Sebaldus unter andern deshalb gern gehabt hätte,[132] weil Hieronymus den dasigen Viehmarkt zu besuchen pflegte und er sich ein großes Vergnügen dabei vorstellte, seinen einzigen Freund jährlich zweimal zu sehen und in seinem Hause aufzunehmen. Er wagte es also, dem Generalsuperintendenten abermal aufzuwarten und zum ersten Male sich selbst um eine Stelle zu melden.

Stauzius warf die Sache nicht ganz weg; aber nach einigem Ha und Hem fing er an, dem Sebaldus vorzustellen: er würde selbst einsehen, wie nötig es wäre, wenn von seiner wirklichen Beförderung die Rede sein sollte, das gegebene Ärgernis dadurch zu heben, daß er vor dem Konsistorium seine irrige Meinungen, besonders von der Ewigkeit der Höllenstrafen, widerriefe, auch sich wegen der höchstwichtigen Lehre von der Genugtuung dem Sinne der symbolischen Bücher gemäß erkläre, indem er sich mit Betrübnis erinnere, in Leipzig darüber von ihm eine höchst bedenkliche Äußerung gehört zu haben.

Sebaldus sagte mit Erstaunen: er wundere sich über diese Zumutung, werde aber um keines zeitlichen Vorteils willen die einmal erkannte Wahrheit verleugnen.

Stauzius verwies ihm in nicht völlig sanftem Tone seine Hartnäckigkeit, gebot ihm, von seiner ketzerischen Lehre abzustehen, und erinnerte ihn zuletzt, indem er durch einen Griff an seine violettne Mütze das Zeichen zum Abschiede gab, mit trocknem Amtsgesichte: daß jetzt die Zeit nicht mehr wäre, da man durch feindliche Gewalt in den Weinberg des Herrn einzudringen suchen müsse. Gottlob, es sei jetzt Frieden!

Als Sebaldus seinem Freunde Hieronymus diesen Vorgang erzählte, fand dieser bestätigt, was er schon längst befürchtet hatte, nämlich daß für den Sebaldus in dem Fürstentume weiter keine Beförderung zu hoffen sei.[133]

Nach einigen Tagen erfuhr man, daß der Präsident einem Fiskale aufgegeben habe, den Sebaldus fiskalisch anzuklagen, weil er im Kriege für fremde Truppen Rekruten geworben, zehen wirklich aus dem Lande geschafft und den Sohn des Generalsuperintendenten für Geld habe loslassen wollen.

Sebaldus lachte über eine so ungereimte Anklage und konnte nicht es erwarten, sich vor Gerichte zu stellen, um durch bloße Erzählung der Wahrheit seine Feinde zu beschämen.

Hieronymus aber versicherte ihn, vermöge seiner Erfahrung in Welthändeln: daß derjenige, der wissentlich eine falsche Anklage tue, nicht durch die Wahrheit beschämet werde; daß man einen mächtigen Mann alsdann am meisten fürchten müsse, wenn er offenbar ungerecht anklage, und daß bei einem fiskalischen Prozesse nie etwas zu gewinnen, sehr oft aber viel zu verlieren sei.

Nachdem beide den wahren Zustand der Sachen reiflich überlegt hatten, so kamen sie überein, daß des Sebaldus mächtige Feinde ihn im Lande nicht dulden würden, daher es für ihn jetzt sicherer sein möchte, abzuziehen als sich mit Gewalt wegtreiben zu lassen.

Das Empfehlungsschreiben des Majors nach Berlin ward also hervorgesucht. Hieronymus stellte seinem Freunde eine Summe Geldes zu, welche er aus den bei ihm zurückgelassenen Mobilien gelöset zu haben versicherte, die aber Sebaldus' Erwartung so sehr übertraf, daß er vermutete und es sich merken ließ, sein Freund habe auch hier freundschaftlich gehandelt.

Die Post nach Berlin war bestellt. Sebaldus, weil er noch nicht wußte, wie lange sein Aufenthalt in Berlin dauern könne, nahm nur in einem kleinen Koffer das Allernotwendigste mit sich. Das übrige nebst seinem Kommentare über die Apokalypse, der schon zu ein paar[134] hundert Heften angewachsen sein mochte, ließ er bei seinem Freunde Hieronymus stehen.

Nun setzte er sich, nach zärtlichem Abschiede, auf den Postwagen und trat seine Reise an.

In der zweiten Nacht ward der Wagen, unweit der brandenburgischen Grenze, in einem Walde unvermutet von Räubern überfallen, dergleichen damals nach eben geschlossenem Frieden mehrere herumschwärmten. Sie schlugen den Postillon auf der Stelle tot, und Sebaldus, der einzige Passagier, empfing einen Schlag auf den Kopf, wovon er betäubt zur Erden fiel. Als er wieder zu sich kam, war die Sonne aufgegangen, der Postillon lag tot ausgestreckt, der Postwagen war beraubt und sein eigner Koffer gänzlich ausgeleert. Seine Kleider hatten ihm die Räuber gelassen, vermutlich weil deren schlechtes Ansehen sie nicht in Versuchung führen konnte, und er fand auch in einer Tasche noch etwas kleines Geld. Sein Rekommandationsbrief war aber weg, welches ihn zwar bestürzt machte; doch tröstete er sich dadurch etwas, daß er so klug gewesen, seinen Kommentar über die Apokalypse zurückzulassen, welcher sonst auch der größten Gefahr, verlorenzugehen, würde ausgesetzt gewesen sein. Er suchte aus dem Walde herauszukommen und folgte der ersten Landstraße, die er fand, ohne zu wissen, wohin sie ihn führte.[135]

15

Man s. Lavaters »Kleine Physiognomik«, II. T., S. 117 u. folg.

16

Siehe ebendaselbst, S. 36.

Quelle:
Friedrich Nicolai: Leben und Meinungen des Herrn Sebaldus Nothanker, Berlin 1960, S. 129-136.
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