Drittes Capitel
Die beiden Baubrüder

[47] An demselben Abend, an welchem die Baubrüder Ulrich von Straßburg und der blonde Hieronymus Gegenstand des Gespräches zwischen dem Propst und dem Mönch gewesen waren, saßen die ersten Beiden wie gewöhnlich allabendlich zusammen in ihrer schlichten Wohnung. Die Mutter des Hieronymus hatte ihnen einen großen Topf Suppe im Zimmer gekocht und nickte fröhlich lächelnd mit dem wankenden Kopfe, selbst die größte Freude darin findend, daß sie es ihren Söhnen so behaglich gemacht, denn auch Ulrich war ihr im Laufe der Zeit wie ein zweiter Sohn geworden – nannte doch ihr Hieronymus ihn auch Bruder.

Ist es doch auch immer von jeher Frauen- und Mutterart gewesen, an das Wesen sich am innigsten zu schließen, das die meisten Sorgen, Mühen und Aengsten verursacht, und hatte nun doch auch Mutter Martha[47] dies Alles um Ulrich empfunden, seit man ihn länger als einem Jahr in einer Septembernacht für todt in das Haus getragen, aus mehr als einer Wunde blutend. Wochenlang hatte er damals bewußt- und regungslos zwischen Tod und Leben gerungen, und wenn auch der berühmteste Bader Nürnbergs im Auftrag Herrn Christoph Scheurl's alltäglich mehrmals kam, seine Wunden neu zu verbinden, und Hieronymus alle Nächte an seinem Lager wachte, am Tage mußte er doch zur Arbeit in die Bauhütte, und da war es immer seine Mutter, die den Kranken mit sorgsamer Hand pflegte und jede Liebeswohlthat ihm erwies. Zum Glück war wenigstens dabei kein Mangel, wie wenig Ulrich auch selbst besaß; denn wenn ein Baubruder krank war und nicht zur Arbeit kommen konnte, so erhielt er dennoch aus der Hütte den vollen Wochenlohn ausbezahlt, damit er davon verpflegt würde. Nun nahm auch der Bader durchaus keine Bezahlung und brachte alle Medicamente unentgeltlich mit. Auch der Propst Kreß sprach öfter vor und sandte immer von seinen Vorräthen aus Küche und Keller, besonders wie der Kranke einmal so weit war, daß er sich deren bedienen konnte. Ein paarmal kam in der Dämmerung auch ein fremder Knabe, der Größe nach etwa fünfzehn Jahre alt, brachte Wäsche,[48] Geld und Erfrischungen für den Verwundeten, fragte immer sehr angelegentlich und ängstlich nach ihm, und suchte sich wenigstens zwischen die Thür zu drängen, um einen Blick auf den bewußtlosen Ulrich zu werfen. Wenn die alte Frau ihn fragte: woher das komme? antwortete der Knabe stets: er habe schwören müssen, es nicht zu sagen und sie solle auch mit Niemanden davon reden. Anfangs nahm es die Frau und auch Hieronymus hatte Nichts dagegen; als aber nach etwa sechs Wochen Ulrich's Fieber nachließ, er wieder zur Besinnung kam und man ihn allmälig Alles erzählte, was indeß für ihn geschehen, widersetzte sich sein Stolz solchen Gaben, und er verpflichtete seine treuen Pfleger, dergleichen nicht mehr anzunehmen, nur von seinem Vorgesetzten und Gönner, dem Herrn Propst, meinte er sich nicht weigern zu dürfen. Aber von fremden Leuten erklärte er Nichts zu nehmen, und auch dem Bader sagte er, daß er seine Wunden im Dienste christlicher Pflicht, aber nicht in dem des Herrn oder der Frau Scheurl sich geholt, daß weder sie ihm verpflichtet wären, noch er sich ihnen verpflichten wolle. Der Bader erzählte ihm, daß Frau Scheurl seit derselben Zeit am hitzigen Fieber darniederliege und daß sie schwerlich mit dem Leben davonkommen werde. Uebrigens aber bemühte[49] er sich, so wie bei Elisabeth, auch bei Ulrich und Hieronymus vergeblich, nähere Aufklärungen über einen Vorfall zu erhalten, über den die widersprechendsten Gerüchte umliefen.

Als der fremde Knabe mit seinen Gaben wieder kam, ließ ihn Ulrich selbst an sein Lager kommen, um zu erforschen, wer ihn sende. Der Knabe ward glühendroth vor Verlegenheit, brachte fast kein Wort hervor, und da Ulrich jede Annahme aus fremder Hand verweigerte, auch Hieronymus und seine Mutter hinzukamen, mit Fragen und sogar Drohungen in den Knaben drangen, die Wahrheit zu gestehen, sprang er weinend auf, eilte fort und kam niemals wieder.

Ulrich aber sagte zu Hieronymus: »Mir klang die Stimme bekannt, und solche braune flehende Augen hab' ich auch schon gesehen; meinst Du nicht, es könne der Bruder des Judenmädchens gewesen sein, das uns warnte und zu Elisabeth's Schutz sandte, oder dieses selbst?«

Hieronymus hatte nicht daran gedacht, er hatte den Knaben jetzt zum ersten Male gesehen; die Vergleiche, die er nun anstellte, schienen allerdings Ulrich's Vermuthen zu bestätigen, aber er wollte nicht daran glauben, auch dem Kameraden es ausreden, was ihm als[50] Schmach erschien: wenn dies Judenpack, wie er sich ausdrückte, solchen Antheil an einem freien Maurer nehme, in seine Wohnung sich schleiche und sie doppelt verunehre durch Gaben, die nun Anfangs doch angenommen und verbraucht worden – das dünkte ihm ein unauslöschlicher Schimpf! Und um nicht wirklich die Gewißheit zu erlangen, vermied er danach zu forschen – und seitdem sahen die Baubrüder wirklich weder von dem Judenmädchen noch dem fremden Knaben etwas wieder.

Während Ulrich noch in Gefahr schwebte und bewußtlos war, diente es Hieronymus zu einiger Beruhigung, daß noch eine größere Anzahl der Baubrüder bei jenem nächtlichen Vorfall betheiligt gewesen. Wenn auch der Rath, da Herr Scheurl selbst keine Untersuchung wünschte, die Sache dahin gestellt sein ließ, so waren doch die Gesetze der Baubrüder strenger als die des Rathes und ließen sich nicht beugen und umgehen wie jene. In Gegenwart aller freien Steinmetzen, des Propstes, Hüttenmeisters, Werkmeisters und Pallirers wurden sämmtliche Baubrüder über den Vorfall abgehört, denn es war ihnen streng verboten, Händel und Raufereien anzufangen und ihre Schwerter, die sie an der Seite trugen, anders zu brauchen als im Fall der[51] äußersten Nothwehr oder zum Schutze Hülfsbedürftiger, unschuldig Bedrängter, zur Ehre Gottes. Da nun aus allen Aussagen nichts anderes hervorging, als daß sie auf den Hülferuf einer von einem vermummten Ritter und seinen Genossen wehrlos überfallenen Dame herbeigeeilt waren, und man erfuhr, daß dies die Gattin des hochangesehenen Herrn Christoph Scheurl gewesen und dieser sich den Baubrüdern nicht nur dadurch dankbar erwies, daß er den Verwundeten seinen Bader sandte, sondern auch daß er eine große Summe Geldes an die Lorenzbauhütte selbst sandte, aus Dankbarkeit gegen die Baubrüder, die ihm beigestanden, damit sie davon eine Zeche feierten und gleicherweise auch Fürbitte in ihrer Kirche thäten für die Genesung seiner Gemahlin – so ward das Betragen der Baubrüder als unschuldig und rechtlich befunden, und jeder Verdacht beseitigt, der von einigen war auf Ulrich geworfen worden: weil er schon zum zweiten Male Händel mit einem Ritter um einer Dame Willen gehabt. Denn gleich den Tempelherren mußten sich die Baubrüder von allen zärtlichen Regungen und Beziehungen frei erhalten, und wenn sie auch noch in stärkere Strafen verfielen, wenn sie mit bösen oder berüchtigten Frauen umgingen, als mit ehrbaren, so durften sie sich doch[52] auch nur diesen nähern, wenn es die Nothwendigkeit gebot.

Weil Ulrich hierbei unschuldig befunden, und was man wider ihn vorgebracht, sich als böser Leumund erwies, so fußten sowohl Hieronymus als sein Gönner, der Propst darauf, wenn es galt, andere böse Gerüchte niederzuwerfen, die über ihn umliefen. So wollte Einer wissen, daß er ein paar Abende vor seiner Verwundung im Abenddunkel ein Judenmädchen mit zu sich in das Haus genommen; ein Anderer, daß er nicht nur nicht wisse, was aus seinen Eltern geworden, sondern auch nicht, wer sie gewesen, ja daß seiner Mutter als Zauberin der Proceß gemacht worden. Aber die Zeugnisse des Maurerhofes zu Straßburg und der Benediktiner wurden dem doch entgegen gehalten, der Propst und der Hüttenmeister bedrohten Diejenigen mit Strafen, die solchen entgegen einfältigen Gerüchten Glauben schenken wollten – und so waren diese zum Schweigen gebracht, lange bevor Ulrich wieder in der Bauhütte erschienen, und da auch Hieronymus ihn nicht damit aufregen wollte, so erfuhr er gar nichts von der Gefahr, die über ihm geschwebt zugleich, als der Todesengel seine Fittiche um ihn schwang.[53]

Erst als das Frühjahr kam, vermochte er wieder sein Schmerzenslager zu verlassen, aber dann dauerte es noch lange, ehe er wieder in der Hütte arbeiten und den Meißel kräftig schwingen konnte wie vordem. Die Wunde, die er an der Brust empfangen, schmerzte ihn dann immer auf's Neue, und er mußte sich erst allmälig wieder an die Arbeit gewöhnen. Inzwischen war doch die Zeit für ihn daheim nicht ganz verloren gewesen. Der Propst hatte ihm alle neuen Bücher geschickt, die aus Anton Koberger's Druckerei hervorgegangen und auch sonst noch erschienen waren, darunter die Schedel'sche Chronik von Nürnberg, Conrad Celtes' Beschreibung derselben Stadt, Regiomontan's Kalender, Tucher's Reise in das gelobte Land und die ganze heilige Schrift. Ulrich studirte eifrig alle diese Bücher und so nebenbei übte er sich, sobald es ging, im Zeichnen, machte Risse zu großen Münstern nach dem System des Sechs- und Achtortes, wie zu kleinen Weihbrodgehäusen, zu Säulen, Portalen und Ornamenten – wagte sich an die größten Aufgaben der Kunst und zeichnete dabei das Kleinste mit demselben Fleiße.

Etwa ein paar Wochen mochte er wieder regelmäßig gleich den andern Steinmetzgesellen in die Bauhütte zur Arbeit gehen, als er an einem schönen Herbsttage[54] mit andern Baubrüdern außen am Kirchthurm auf schwindelnder Höhe selbst zu arbeiten hatte. Da rief ihn ein Handlanger im Auftrag des Werkmeisters von der Arbeit fort, hinunter in's Schiff der Kirche zu kommen, wo man ihn bedürfe.

Unten fand er den Werkmeister und Pallirer mit einigen Steinmetzen in der Nähe des Hochaltars, und bei ihnen stand der Propst, der Maler Hans Beuerlein, Frau Elisabeth Scheurl mit Ursula Muffel und Charitas Pirkheimer. Zeichnungen, Gemälde und Teppichstoffe lagen vor dem Hochaltar ausgebreitet.

Es war zum ersten Male, daß die Genesenen sich wiedersahen nach jener verhängnißvollen Nacht. – Ulrich war inzwischen bei Herrn Scheurl gewesen und hatte ihm für seine Güte gedankt – seiner Gemahlin hatte er nichts zu sagen. War es nicht an ihr, ein dankendes oder doch erkenntliches, theilnehmendes Wort an ihn zu richten? – Sie that es nicht – aber sie erröthete und zitterte unwillkürlich bei seinem Anblick und stützte sich auf Ursula.

Der Propst erklärte ihm, daß diese edlen Frauen die Kirche mit einem Teppich beschenken wollten, daß Meister Beuerlein das Gemälde als Muster zu dem Mittelstück gefertigt, daß sie aber über die Ornamentik[55] in den Kanten noch nicht einig wären, da sie mit der der umstehenden Säulen harmoniren sollten – und daß er ja wohl allerlei Zeichnungen, die dem entsprächen, von Laub und Schnörkeln in seiner Krankheit angefertigt, die er eilends aus seiner Wohnung holen möge.

Ulrich bejahte, aber der blonde Hieronymus, der auch mit zur Berathung gezogen war, ließ es sich nicht nehmen, statt seiner die Zeichenrollen aus der gemeinschaftlichen Wohnung zu holen, da Ulrich noch nicht zum schnellen Laufen tauge und indeß auch lieber hier seinen Rath mit ertheilen möge. Darüber fand zwar erst ein edler Wettstreit Statt, aber der Propst und Charitas Pirkheimer billigten Hieronymus Vorschlag und ließen ihn gehen und Ulrich bleiben. Anfangs schien es, als fühle sich Elisabeth durch Ulrich's Nähe – die sie zugleich wünschte und floh – peinlich berührt und von einer Verlegenheit ergriffen, die ihrem sonstigen selbstbewußten und stolzen Hervortreten gänzlich fremd war; nachdem er aber auch, ohne weiter seine Worte an sie zu richten, mit dem Propst und dem Maler sich über den vorliegenden Gegenstand in ein kunstverständiges Gespräch vertieft, aus dem man deutlich erkennen mochte, daß jene eigentlich die Schüler waren und der einfache Steinmetzgeselle der Meister:[56] da war es, als ob auch Elisabeth plötzlich sich zusammenraffe – mit kühner Sicherheit mischte sie sich in die Unterhaltung, ließ das Licht ihres Geistes glänzen und die Strahlen ihrer Kunstbegeisterung in blühender Bilderpracht sich entfalten. Als Hieronymus mit Ulrich's Zeichnungen zurückkam, und als er selbst mit einem Fuß auf den Altarstufen knieend sie vor den Beschauenden entrollte, sprach Elisabeth zu ihm, als Beuerlein mit Andern in einiger Entfernung Anderes betrachtete: »Warum seid Ihr nicht Maler geworden? Ihr wäret ein großer Künstler!«

Da schüttelte er stolz das lange Haar aus dem edlen, von der Krankheit noch bleichem Gesicht, und stolz und groß in Elisabeth's flammende Augen blickend, sagte er: »Die Kunst ist doch nur eine, ob wir ihr dienen mit Meißel und Richtscheit oder mit Malerstab und Pinsel – sie hat nur einen Zweck: Gott zu dienen und damit zugleich Andere zu demselben Gottesdienst zu entflammen. Mir gilt es mehr in unserer freien Brüderschaft, namenlos, nicht als ein eitler Einzelner, sondern als das Glied eines Ganzen, eines Leibes, wie es der Herr Jesus Christus gesagt hat, zu streben, zu schaffen, nicht für profanen Ruhm, sondern für die Ewigkeit des Kunstwerkes.«[57]

Elisabeth antwortete darauf nur: »Stolzer Maurer!« aber Charitas Pirkheimer, die seine Worte auch vernommen, rief in einer Art von Verzückung: »Ja! so ist der rechte christliche Sinn: selbst Nichts sein wollen und ganz aufgehen im gemeinschaftlichen Streben, dem Höchsten zu dienen.«

Ulrich's Zeichnungen waren zur Einfassung des Bildes auf dem Teppich gewählt worden. Seitdem arbeiteten die Nürnbergerinnen bei Elisabeth daran und die Baubrüder verrichteten die gewohnte Arbeit in ihrer Hütte, so daß sie nichts wieder von einander sahen und hörten.

So war der Winter zur Hälfte vergangen.

Als Ulrich und Hieronymus jetzt zusammen saßen, sagte der Erstere: »Als ich vorhin zur Vesperstunde bei Meister Kraft's Wohnung vorüberging, betrachtete ich mir die schön gefrorenen Wasserstrahlen an dem Lindwurm vor seinem Hofthor, und wie so mein Blick hinüber nach dem Fenster der Werkstatt streifte, war es mir, als sähe ich dort denselben Benediktinermönch am Fenster stehen, der mir gleich an dem ersten Tage meines Hierseins begegnete, wo mein Schwert seinen Rosenkranz zerriß. Du weißt, diese zünftigen profanen Nürnberger Steinmetzen lieben es nicht, wenn Einer[58] von uns in ihre Werkstatt tritt, sonst wär' ich hineingegangen, mir Gewißheit zu holen und ihm zu seinem Eigenthum zu verhelfen, das ich freilich nicht bei mir hatte und das ich auch inzwischen schier vergessen. Mir schien, der Propst stand bei ihm – sobald ich ihn sehe, werde ich nach dem Mönche fragen.« Er suchte das Kreuz, das wohl verwahrt in einer kleinen Lade lag, und Hieronymus sagte:

»Hättest Du Dir wirklich von diesem einmaligen Sehen die Züge des Mönches, der uns schnell entschwand, so genau gemerkt, daß Du über Jahr und Tag ihn wieder erkanntest?«

»Er hatte etwas Eigenthümliches in seinem Gesicht, das man nicht vergißt,« sagte Ulrich, »und merkwürdig: entweder in meinen Fieberphantasien oder in meinen Träumen ist mir dieselbe Gestalt mehrmals wieder erschienen, nur in der letzten Zeit hatte ich sie vergessen.«

Jetzt unterbrach das Mütterchen die Beiden und sagte: »Wißt Ihr es denn, daß übernächste Woche die Potentaten und großen Herren zum Reichstag kommen, und daß zwar der alte Kaiser Friedrich auf der Veste mit dem Burggrafen, König Maximilian aber beim Herrn Scheurl wohnen wird? Da wird seine Hausfrau[59] nicht wissen, wo sie hin soll vor Hoffahrt und Hochmuth.«

Ulrich sagte? »Gönnt ihr doch den unschuldigen Stolz, wenn er sie nun einmal glücklich macht!«

»Unschuldig?« sagte die Mutter; »nun, ich will dem König Max, für den einmal Alle eingenommen sind, da er noch etwas Neues ist, nichts Böses nachsagen – aber man weiß, wie die großen Herren sind, und von dem heißblütigen König laufen genug Geschichten um von verliebten Abenteuern – das heißt dann nichts, als ein ritterlicher Scherz! ja, die Art, die zu wählerisch ist, um mit gemeinen Frauenspersonen sich einzulassen, die für jeden zu haben sind, die macht die meisten Frauen unglücklich und ist allen eitlen und hoffärtigen Frauen gefährlich, die sich selbst auf ein gnädiges Lächeln was zu Gute thun. Ich bin alt geworden in Nürnberg, ich weiß, wie weit her es ist mit den guten Sitten bei diesen bevorzugten Geschlechtern und mit der Unschuld ihrer Frauen.«

»Ihr mögt Recht haben,« sagte Ulrich; »aber der Stolz der Frau Scheurl ist doch anderer Art; die will herrschen mit ihrem Geist und einem Streben über das Gewöhnliche hinaus.«[60]

»Mir macht Ihr nichts weiß,« eiferte die alte Frau; »stolzirt sie doch wie eine Königin einher, und scheint doch keine andern Gedanken zu haben, als ihren Putz und ihre Schönheit zu zeigen; auch die lange Krankheit hat sie nicht gebeugt und bekehrt.«

»Ihr seid nun einmal wider sie,« sagte Ulrich.

Hieronymus trat jetzt auf die Seite seiner Mutter. »Verdrossen hat mich's auch,« sagte er, »daß sie ihr eigenes Bild als Maria Magdalena auf den Teppich sticken läßt, und Du selbst hieltest es ihr ja damals vor: daß man im Dienste der Kunst und des Heiligsten sich selbst vergessen und aufgeben müsse – seine Person und seinen Namen; ich sah es wohl, wie sie blaß ward bei Deinen Worten.«

»Mochte sie eine Lehre daraus ziehen, wenn sie wollte,« sagte Ulrich; »doch sollte es kein Vorwurf sein. Für das Gemälde ist sie auch nicht verantwortlich, das ist so Meister Beuerlein's Art; er kann fast gar nicht anders malen, als conterfeien; die Personen zu den anderen Figuren kennen wir nur nicht, und daß er die schönste Nürnbergerin in den Vordergrund gestellt, wird ihm Niemand verargen.«

Mutter Martha schüttelte mit dem Kopf. »Wenn[61] Ihr einmal streiten wollt, so ist mit Euch nicht durchzukommen!«

Ulrich reichte ihr versöhnlich die Hand und sagte: »Ihr solltet froh sein, wenn wir die Frauen in Ehren halten – und doch selbst ihnen fern bleiben.«

Die alte Frau ward jedesmal gerührt, wenn sie daran dachte, welches schwere Gelübde die jungen Männer hatten leisten müssen. Zwar war es ihr ganz recht, wenn sie dachte, daß ihr Hieronymus so immer bei ihr bleibe und daß sie sein Herz nie mit einem andern Weibe zu theilen brauche, auf das sie doch eifersüchtig geworden, selbst wenn sie mit aller Uneigennützigkeit einer Mutter ihrem Sohne sein Glück gegönnt hätte. Ihre Sucht, das weibliche Geschlecht vor ihnen zu verdächtigen und herabzuwürdigen, entsprang mit aus ihrem Bedauern und der gutmüthigen Absicht, den jungen Männern dadurch ihr Fernhalten von allen Frauen und allen Regungen des Herzens zu erleichtern; indeß war sie aber auf Elisabeth gerade darum erbittert, weil sie doch die Ursache war von Ulrich's schweren Wunden, wenn die Mutter auch nicht wußte, daß es nicht bloßer Zufall war, daß die Baubrüder sie beschützt und vertheidigt hatten. Wie unschuldig auch Elisabeth selbst daran sein mochte: der alten Frau ward sie dadurch[62] immer ein hassenswerther Gegenstand, daß ihre Söhne um ihretwillen gelitten – und zwar doppelt, als sie aus späteren Gesprächen derselben entnommen, daß die Gerettete auch beim Wiedersehen mit Ulrich kein Wort des Wiedererkennens und Dankes für ihn gehabt.

Jetzt scholl plötzlich von der Straße, auf der es vorhin ganz winterlich still gewesen, ein wüster Lärm empor, und Frau Martha öffnete gleich neugierig das Fenster, um zu sehen, was es gebe, oder vielleicht zu hören, denn es war dunkler Abend draußen, nur von den Dächern leuchtete der Schnee, indeß der auf der Straße nur hie und da noch seinen weißen Glanz behalten hatte.

Man hörte rohe, lallende und höhnende Männerstimmen, dazwischen jammerten unverständliche Reden eines alten Mannes und eine helle weibliche Stimme rief laut und immer lauter nach Hülfe. Von oben konnte man nur unterscheiden, daß von einem Trupp Männer zwei Personen umringt waren und bedroht, gemißhandelt zu werden.

Ulrich und Hieronymus nahmen ihre Schwerter und eilten auf den Ruf hinab, obwohl Mutter Martha warnte und bat, sich doch nicht in Gefahr zu begeben und in Händel zu mischen, wo man ja nicht einmal[63] wissen könne, wem das Unrecht geschehe; solchen Straßenunfug zu verhindern, sei das Amt der Büttel und Stadtknechte, aber nicht der freien Steinmetzen.

Aber Ulrich entgegnete: »So müssen wir wenigstens aushelfen, bis die Stadtknechte kommen und ihre Schuldigkeit thun. Wo Zwei von Zehnen umzingelt nach Hülfe schreien, da kann man doch nicht ausbleiben.«

»Um so weniger,« sagte Hieronymus, »wenn die Zwei, wie es scheint, ein wehrloser Greis und ein zitterndes Weib sind.« –

Gleichzeitig mit den Baubrüdern trat auch der Rädleinmacher Sebald aus seinem Hause, und mehr als eine Hausthür öffnete sich; Männer, in ihrer Abendruhe gestört, traten heraus und aus den Fenstern der obern Geschosse blickten da und dort weibliche Köpfe; die Lampen, die hinter ihnen brannten, warfen einzelne hellere Lichtstrahlen auf die Straße.

Ulrich und Hieronymus fragten gleich andern Herzueilenden, was es gäbe?

»Ein Judenhund bellt und heult und seine Kleine winselt! hört Ihr es nicht?« antwortete eine rauhe Stimme.

»Mit Juden braucht sich Niemand einzulassen!«[64] rief Hieronymus. »Ihr solltet Euch schämen, wenn Ihr es gethan?«

»Die Dirne ist trotzdem nicht so übel!« rief eine andere Stimme; »Schade, daß sie eine Jüdin ist – im Sonnenbad könnte sie sonst gute Geschäfte machen – meint Ihr nicht so, Herr Badmeister?«

Der Angerufene war vor die Thür des Gebäudes getreten, welches das »Sonnenbad« hieß und ein öffentliches Badehaus war. Es war aber allgemein bekannt, daß in diesem wie in den meisten Badehäusern schöne Mädchen gehalten wurden, die Männerwelt anzulocken. Der Bademeister rief zornig: »Solcher Schimpf sollte meinem Hause nimmer widerfahren, daß ich eine Judendirne darin duldete!«

»Hau't den alten Kerl vollends zusammen, damit der Spektakel ein Ende hat!« rief ein Anderer aus dem Trupp.

Solche und ähnliche beschimpfende und drohende Reden wurden von einer Anzahl Handwerksgesellen gesprochen, die von einem Zechgelage meist betrunken zurückkamen und zugleich ihren Witz wie ihren Zorn an einem Judenpaare auszulassen suchten, die so unglücklich gewesen waren, ihnen in den Weg zu kommen. Andere Leute, welche der Lärm herbeigelockt, hörten nur[65] neugierig zu, manche sogar sich dabei belustigend, und die meisten zogen sich theilnahmlos zurück, als sie hörten, daß es Juden waren, welche hier gemißhandelt wurden.

Ulrich aber drängte sich mitten durch die Gesellen, welche ihre Knittel über dem Rücken des seine Unschuld betheuernden und um Erbarmen flehenden alten Juden schwangen, hieb zwei dieser aufgehobenen Stöcke mit seinem Schwert zurück und herrschte den Gesellen zu: »Hat der Mann da ein Unrecht gethan, so ruft die Stadtknechte, daß sie ihn in Gewahrsam nehmen, oder wir wollen ihn selbst auf die Büttelei führen; aber ihn hier zu beschimpfen und zu zerbläuen habt Ihr kein Recht, und wenn Ihr es thut, so verdient Ihr zehnmal größere Strafe als er selbst!«

Wie er so sprach, durch seine gebietende Haltung und Rede, die Allen ganz unerwartet kam, die Aufgeregten im ersten Augenblick verblüffte, warf sich Rachel zu seinen Füßen, die neben ihrem Vater stehend, von Angst und Scham über die Reden der Gesellen, ihre Berührungen und allen angethanen Schimpf fast vernichtet, regungslos und gebückt die Hände vor ihr Gesicht haltend, und rief:[66]

»Wir haben nichts gethan, als daß wir uns verspätet und nun noch auf der Gasse sind! Ihr seid ein Christ und ein Mensch, aber diese da sind keine Men schen.«

»Ich glaube, das Mädchen hat Recht,« sagte Ulrich, der sie wiedererkannte. »Sage, was geschehen; ich glaube Dir mehr als diesen, denn sie sind betrunken und haben sich unter das Vieh erniedrigt!«

Rachel stieß einen hellen Ton wie ein freudiges Triumphgeschrei aus und sagte: »Wir hatten uns im Schneefall verspätet, diese da kamen dort um die Ecke aus der Trinkstube und wollten Kurzweil mit mir treiben; der Vater stieß sie zur Seite, und weil ich mich ihrer nicht anders erwehren konnte, sagte ich, daß ich ein Judenmädchen sei, damit sie mich ziehen ließen; da rissen sie mir und dem Vater da die Bündel ab – seh't, es waren Sachen darin, sie haben sie an sich genommen oder im Schnee verstreut!«

Ulrich vernahm diese Rede, obwohl die Gesellen sie zuweilen mit höhnischem Ruf überschrieen, auf Ulrich losschlagen wollten, und doch wieder vor seinem und Hieronymus geschwungenem Schwerte zurückwichen, auch weil jetzt die früheren müssigen Zuschauer hinzutraten[67] und den Gesellen selbst den Rath gaben, das Judenpack laufen zu lassen.

Gleichzeitig jammerte der Jude Ezechiel: »Sie haben uns überfallen, aus unsern Bündeln gerissen die schönen Sachen, die ich erst gekauft für mein theures Geld! Seh't Ihr nicht die Reiherfedern und den Sammetmantel da« – er deutete auf einzelne Gesellen, die solche Gegenstände noch in den Händen oder auf den Schultern trugen.

»Nun!« rief Ulrich, »gegen Spitzbuben und nächtliche Straßenräuber wird es doch Schutz in Nürnberg geben und Strafe für sie.«

Jetzt rückten, von dem Lärm herbeigelockt, einige Mann der Stadtwache an, indeß es bereits einige ernüchterte Gesellen für gut fanden leise zu entweichen; ein paar warfen die den Juden abgenommenen Gegenstände weg, ein paar andere aber nahmen sie mit sich.

Bei dem Anrücken der Wache und noch anderer herzueilender Personen bekam die Scene ein anderes Ansehen: nur drei Gesellen waren noch auf dem Platz; Andere waren müssige Zuschauer, und es war nun Streit darum, wer hier Streit angefangen oder im größeren Rechte sei – die Gesellen oder die Baubrüder, und Ulrich konnte Rachel zuflüstern: »Flieh' doch, damit[68] Du nicht wenigstens mit auf die Büttelei mußt« – und sie war wie im Nu in demselben Augenblick entschwunden, indeß ihr Vater, mehr als auf Leben und Freiheit und auf sein Kind, auf die Waaren, die er bei sich getragen, bedacht, davon zu erhaschen suchte, was von den Gesellen im Schnee verstreut war.

Da die herzugekommene Stadtwache nur aus fünf Mann bestand, wußte ihr Führer nicht recht, wie er hier von seiner gesetzlichen Autorität Gebrauch machen sollte. Die Baubrüder stellten sich selbst auf seine Seite, erklärten sich ihm in allen Stücken gehorsam zu zeigen und betheuerten friedlich, daß sie nur bis zu ihrem Kommen einen mit seiner Tochter mißhandelten Mann vor einem Trupp betrunkener Gesellen beschützt hätten, was die Zuschauer bezeugten, indeß die Gesellen riefen: es war Judenpack! und dem stimmten auch die Anwesenden bei.

Das änderte die Sache sehr. Die Juden durften nur bis zur Dämmerung durch die Stadt gehen. Wurden sie im Dunkeln dabei betroffen, so waren sie strafbar und mußten dafür entweder sitzen oder Geldbuße zahlen. So waren auch diese hier auf unrechten Wegen gegangen, und überhaupt war es eine sehr herkömmliche Sache, wenn Juden verspottet und gemißhandelt[69] wurden – freilich sie zu berauben und todtzuschlagen, in welcher Gefahr diese beiden gewesen, das gehörte sich nicht.

Die Stadtwache ergriff den alten Juden, der noch nach seinen Sachen suchte, und nahm ihn mit, damit er diese Nacht in Haft und morgen zur Bestrafung für die Uebertretung des gesetzlichen Verbotes, im Dunkeln die Stadt nicht zu betreten, an die Schöppen abgeliefert werden könne. Vergeblich jammerte er um seine Tochter, vergeblich suchte man nach ihr: sie war verschwunden. Den Andern ward nur gesagt ruhig nach Hause zu gehen, um nicht auch als Ruhestörer verhaftet zu werden.

Alles verlief so zuletzt ziemlich ruhig; denn solche Vorfälle gehörten eben nicht zu den Seltenheiten, und ein Tumult endete oft so schnell, wie er begonnen.

Ulrich und Hieronymus waren die ersten, die wieder in ihr Haus zurückgingen.

Von oben kam ihnen Mutter Martha bis an die Treppe mit einem brennenden Kienspan entgegen. In schrecklicher Angst hatte sie oben vom Fenster herab zugesehen, und jetzt konnte sie den Augenblick nicht erwarten, zu sehen, ob nicht wieder einer ihrer Lieblinge eine Wunde davon getragen.[70]

Wie das plötzliche Licht kam, fuhr von der untersten Stufe der kleinen Windeltreppe eine Gestalt erschrocken empor und sagte: »Verzeiht! – Ihr hießet mich fliehen, und ich konnte mich nicht anders sichern. O, Ihr waret mein Beschützer und werdet mich auch jetzt nicht verrathen. Ach, wenn ich Euch danken könnte!«

Ulrich stand etwas bestürzt vor Rachel, denn er war allerdings nicht darauf vorbereitet sie hier zu finden; Hieronymus aber herrschte ihr zu: »Hier kannst Du nicht bleiben; wir haben Dich vor Mißhandlung geschützt, aber wir mögen keine Gemeinschaft mit Dir!«

Von oben rief Martha, die nur Rachel's Stimme hörte und ihr Gesicht sah, auf das gerade der Schein ihrer Holzflamme fiel: »Ach, da ist ja der Knabe, der immer kam, wie Ihr krank waret, und die geheimnißvollen Gaben brachte.«

Rachel wandte ihr Gesicht der Dunkelheit zu, um seine glühende Röthe zu verbergen, und schlich nach der Hausthür; aber da sie dieselbe öffnen wollte, sprang Ulrich ihr nach, hielt sie zurück und sagte! »Jetzt darfst Du nicht hinaus – es sind noch zu viel Leute draußen.«

Sie sah mit seligem Dankesblick zu ihm auf.

Hieronymus zog die Stirn in Falten und sagte rauh: »Ja, das fehlte noch, daß sie Jemand aus dem[71] Hause kommen sähe, das wir bewohnen – es wäre denn, wir würfen sie hinaus, um uns selbst vor Schande und übler Nachrede zu sichern!«

»Um Jesus Christus Willen!« rief Mutter Martha, »es ist ein Mädchen und wohl ein verrufenes Frauenzimmer – oder gar eine Jüdin?« denn vom Fenster aus hatte die Spähende natürlich gehört, daß es sich unten mit um eine solche gehandelt.

Ulrich aber sagte: »Komm' mit hinauf, hier unten möchte Dich Meister Sebald finden, oder noch andere Leute.«

Sie folgte ihm ohne ein Wort zu erwiedern, oben öffnete er die Kammer der Mutter Martha, schob Rachel dahinein und sagte: »Hier warte und ruhe aus – wenn es draußen still geworden und Niemand mehr in den Nebenhäusern wacht oder auf der Straße geht, werde ich Dich hinauslassen.«

Er wollte schnell durch die Thür zurück und sie allein lassen. – »Sagt mir nur noch,« rief sie angstvoll, »nach welcher Seite mein Vater entkam, oder was aus ihm geworden?«

Ulrich zögerte mit der Antwort, endlich sagte er doch: »Die Stadtwache hat ihn mitgenommen, aber es[72] wird ihm nichts geschehen, als daß er Strafe zahlt für sein nächtliches Umherschweifen.«

Rachel brach in Thränen aus – Ulrich ging und verschloß die Thür hinter sich.

Als er zu Martha und Hieronymus zurückkehrte, rief Jene: »In meine Kammer sperrt Ihr die Jüdin?«

»Das hättest Du der Mutter ersparen können!« sagte Hieronymus vorwurfsvoll, »sie hat es nicht um Dich verdient.«

Ulrich sah betrübt auf die Beiden. »Ich konnte sie doch nicht zu uns nehmen,« sagte er, »und mögen wir auch sonst keine Gemeinschaft mit den Juden – wer des Schutzes bedarf, den schütze ich – er mag gehören, zu wem er will, und sein, wer er will – ja ich schütze ihn, es sei auch gegen wen es wolle!«

Seine Augen flammten dabei bedeutsam, fast drohend. Er ging an's Fenster und schaute auf die Straße.

Die alte Frau saß händeringend in einer Ecke und jammerte bald über die Entdeckung, daß ein Judenkind, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, in Ulrich's Krankheit ihn mit seinen Gaben bedacht, daß sie selbst sie angenommen – bald darüber, daß eine Jüdin in ihrer christlichen Kammer sei – daß ihre Söhne sie versteckt. Nein – nicht Söhne! ihr eigener Sohn[73] zürnte ja selbst darüber und hätte das nimmer gethan; jetzt zeigte es sich recht deutlich, das Ulrich ein fremder Mensch war, der sie gar nichts anginge.

Die Baubrüder ließen sie reden und sagten beide nichts dazu – Hieronymus nicht, weil er im Grunde der Mutter beistimmte, und Ulrich nicht, weil er sich verletzt fühlte und weil er nicht wollte, daß es im Zimmer noch lauter werde und Rachel in der Kammer nicht höre, was es ihn koste, auch jetzt sie zu sichern. –

So war es etwa elf Uhr geworden – in allen Fenstern waren die Lichter verlöscht und es war ganz still auf den Straßen. Ulrich sagte: »Ich werde jetzt Rachel hinauslassen,« und ging zu ihr. »Du kannst jetzt gehen,« sagte er; »Ich will Dir den Riegel an der Hausthür öffnen, es ist ganz still draußen – aber sprich kein Wort!«

»Könnt Ihr mir vergeben?« sagte sie; »könnt ich's vergelten –«

»Es ist nichts zu vergeben!« antwortete er.

»Doch, doch!« rief sie, »es ist eine alte Rechnung!«

»Still!« sagte er, »ich bat Dich nicht zu sprechen.«

Sie gehorchte mit einem Seufzer und folgte ihm schweigend die Treppe hinab – ebenso öffnete er die[74] Thür, und ohne Lebewohl und Gutenacht schieden sie von einander.

Als Ulrich wieder in sein Zimmer kam, legte er sich auch schweigend nieder. Mutter Martha aber öffnete in ihrer Kammer Thür und Fenster und räucherte unter dem von Holz geschnitzten Christus, der darin hing, um ihn wieder zu versöhnen für den Frevel, daß ein Judenkind in seiner Nähe geweilt.[75]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 47-76.
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Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

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