Fünftes Capitel
Reichstag

[95] Anfang Februar war der Reichstag zu Nürnberg anberaumt worden, der erste, auf dem König Max daselbst erschien, obwohl noch von seinem greisen Vater begleitet. Kaiser Friedrich nahm wie gewöhnlich seine Wohnung auf der Veste, und der Burggraf Friedrich von Zollern war schon einige Tage vor ihm erschienen, um ihm das Quartier würdig zu bereiten. König Max hielt Wort und sandte seine Boten an Herrn Christoph Scheurl, ihm zu melden, daß er in seinem Hause um ein ›Stübchen‹ bitte. Herr Hans von Tucher, der diese Ehre gern für sich in Anspruch genommen, wählte nun den edlen Kurfürsten Friedrich von Sachsen, der sich bereits von seinen Zeitgenossen den wohlverdienten Beinamen des Weisen erworben, zu seinem Gaste. Die geistlichen Herren von Mainz, Worms und Trier sollten in der Propstei bei Anton Kreß wohnen, der Bischof von Eichstädt bei dem Rath Pirkheimer einkehren,[95] dem er den Sohn Willibald mitbrachte – und so hatte der Rath von Nürnberg lange Sitzungen zu halten, bis er glücklich für alle Kurfürsten, Pfalzgrafen, Bischöfe, Fürsten und Herren, ihre Gesandten wie ihre Begleiter die passenden Wohnungen aufgesucht und bestimmt hatte. Es war dies keine Kleinigkeit, sondern eine Verhandlung, die zu vielen Reibungen der Patrizier wie der Geschlechter führte. Den allgemein geachteten Kurfürsten von Sachsen wollte Jeder gern bei sich haben, ebenso den Herzog Georg von Baiern mit dem Beinamen: der Reiche; denn die Nürnberger achteten nach Kaufmannsweise den gar hoch, der Schätze zu erwerben oder die schon überkommenen zu wahren verstand. Auch den Grafen Eberhard von Würtenberg, der von sich sagen konnte, daß er, wenn er ganz allein durch sein Land gehe und ermüdet sei, getrost sein Haupt in den Schooß jedes Würtenbergers könne schlafen legen; so wie den Kurfürsten Johann von Brandenburg, den man auch als bürgerfreundlich und für das Wohl seines Landes im Innern sorgend kannte, wünschte man als Gast – aber der meisten andern Fürsten und Herren, die theils als Wüstlinge, theils als rohe Tyrannen oder nur auf Kriegsruhm und Ländervergrößerung, oder als Schützer des Adels und seiner Rauf-[96] und Raublust dem fleißigen Bürgerstand gegenüber bedacht waren, hätte sich Jeder gern in seiner Wohnung verwehrt. Da es darüber in der Rathsstube selbst zu keiner Einigung kommen wollte, sondern die sonst so ruhigen Herren in diesem Streite sich immer mehr erhitzten bis er endlich sogar in das Gebiet der Schimpfworte, Grobheiten und Thätlichkeiten gerieth: so kam Hans von Tucher, um die Würde der Versammlung zu retten, auf den Einfall, das Loos entscheiden zu lassen, da auf eine andere Weise keine Einigung zu erzielen war. Als Belohnung für seinen Rath und weil er und Herr Holzschuher als oberste Loosunger sich doch als Häupter der Stadt betrachteten, behielt er sich aber vor, daß der Kurfürst von Sachsen bei ihm und bei jenem Herzog Georg der Reiche wohnen solle, ihre Namen also nicht mit auf die Zettel kamen, die in der Loosurne gemischt wurden. Wie verständig dieser Rath auch war und von Allen, wenn auch von Einigen mit Murren angenommen ward, so bereute Hans Tucher doch gar bald, ihn gegeben zu haben, als der ihm verhaßte Gabriel Muffel gerade den Grafen Eberhard im Bart wie ein großes Loos ziehen mußte! Ihm würde er nur den allerwiderwärtigsten und verhaßtesten Potentaten oder nur den geringsten Abgesandten gegönnt[97] haben – und nun mußte er gerade den allerbeliebtesten erhalten. Tucher ging in seinem Aerger so weit einzuwenden, daß Muffel's Haus wohl nicht geräumig und würdig genug geziert sei, einen solchen Fürsten zu empfangen; aber Muffel entgegnete seines unerwarteten Glückes sich freuend:

»Groß genug ist mein Haus, und ist es nicht mit orientalischer Pracht gleißend von Gold und Marmor gleich dem Euren geschmückt und überladen, so ist es dafür echt deutsch einfach und fest, und eignet sich gerade für einen so biedern deutschen Herrn, der schon manchmal mit der Hütte eines Landmanns vorlieb genommen. Gebt Acht, er wird sich wohler fühlen in dem Haus von deutscher Art erbaut und von deutscher Sitte bewohnt, und nicht lüstern sein nach der türkischen Herrlichkeit, die Ihr ihm zu bieten hättet.«

In welchen neuen Zorn auch der alte Tucher über diese Worte ausbrach, es blieb ihm doch unmöglich eine Aenderung des einmal durch seinen eigenen Vorschlag Entschiedenen herbeizuführen, und er hoffte sich nun nur dafür an Gabriel Muffel zu rächen, daß er seinen Sohn Stephan im Geleit des Kaisers wiederkehren sehen werde, vollkommen geheilt von seiner Leidenschaft für Ursula Muffel durch schönere Frauen Wiens, Italiens[98] und Ungarns, und daß er die einst blühende Mädchenrose, die jetzt der Gram gebleicht hatte, daß sie indeß um ein Jahrzehent gealtert erschien, gewiß nicht mehr begehren werde.

Einzeln hielten die Fürsten und Herren ihren Einzug. Aber keiner kam ohne einen ganzen Schweif von Rittern und Reisigen mitzubringen, ja im Gefolge mancher waren mehr denn hundert Pferde. Kaum begreiflich schien es, wie eine so ungeheuere Menge von Menschen und Thieren noch Platz finden solle in Nürnberg, das zwar mit zu den großen, aber auch zu den bevölkertsten Städten gehörte, denn es zählte damals über hunderttausend Einwohner. Denn nicht allein die kamen, die zum Reichstag berufen waren, und das waren eben diesmal weniger als sonst, da in der Eile, mit welcher Max den Reichstag ausgeschrieben, er die Abgesandten der Städte nicht auffordern lassen und auch sonst, sowohl der kurzen Zeit wegen als überhaupt aus Lauheit gegen die Angelegenheiten des immer mehr in sich zerfallenden deutschen Reiches, viele Fürsten es nicht der Mühe werth hielten sich einzustellen. Aber dafür strömten zahllose Volksmassen herbei, welche die Neugier lockte oder der Erwerb. Aus Nah' und Fern kamen Ritter und Bürger sammt ihren Frauen, die hohen[99] Herrschaften zu sehen und den Festlichkeiten beizuwohnen, die immer an die Reichstage sich knüpften; kamen Gelehrte, Dichter und Künstler, um hier ihre hohen Gönner zu begrüßen oder neue zu finden, oder doch sich gegenseitig zu treffen, wohl auch Bestellungen zu erhalten, oder sich selbst doch Stoff und Anregung zu neuen Werken zu suchen. Aber es kam auch niederes Gesindel ohne Zahl: Gaukler und Possenreißer, Bettler und Diebe, Wucherer und Betrüger, Wahrsagerinnen und fahrende Frauen – Tausende strömten herzu trotz der Winterszeit, vielleicht daß sie sich bei der langen Dunkelheit um so besseren Gewinn für alle diese Gewerbe versprachen, welche das Licht zu scheuen hatten. Die Nürnberger aber sangen ihre Verslein auf die einen wie die Andern. Von dem niedern Volke hieß es:


»Da kommen die Gaukler und fahrenden Frauen,

Die haben zum Reichstag ein gutes Vertrauen;

Und ob auch gleich sonst es Niemand hätt' –

Die mästen gewiß dabei sich fett.«


Und beim Einzuge der Reichstagmitglieder klang es gerade nicht feiner:


»Hier kommen hochgeborene Fürsten und Herren,

Die sehen, essen und trinken gern;

Sie geben Dirnen und Buben genug,

Das ist aller Freiheiten Fug.«
[100]

So urtheilte damals das deutsche Volk über seine Vertreter, und zwar ungescheut wie ungestraft; aber zu mehr brachte es auch der mittelalterliche Volkswitz nicht, als wie dazu, sich über das deutsche Reich und seine Gesunkenheit lustig zu machen und sich damit doch selbst in's Gesicht zu schlagen.

Endlich kam auch der deutsche Kaiser und der römische König. Ein unabsehbarer Zug von Hofleuten, Rittern und Reisigen war in ihrem Gefolge.

Der alte Friedrich, obwohl schon an den Siebzigen, saß dennoch noch immer stattlich zu Roß und schaute mit dem Gleichmuth, den er sich durch sein ganzes Leben zu bewahren wußte, vor sich aus. »Unwiederbringlicher Dinge Vergessenheit ist die größte Glückseligkeit auf Erden«, war sein Wahlspruch, den er sogar damals, als er von Wien nach Neustadt, aus seinen Erblanden vertrieben, unaufhaltsam flüchten mußte, in jedem Gasthofe, in dem er eingekehrt, bis er an den Rhein kam, auf den Tisch schrieb oder in die Fensterscheiben grub – vielleicht weniger zur Mahnung für Andere als zum Beweis, das Kaiser Friedrich sich über Alles zu trösten wisse und dem Stern des Hauses Habsburg vertrauend fast unthätig zuwartete, bis die Dinge sich wieder zu seinem Gunsten gestalteten. Uebrigens[101] wendete er diesen Wahlspruch doch auch nicht auf Alles an: denn eben jetzt konnte er es noch immer nicht vergessen, daß Herzog Albrecht von Baiern ihm die eigene Tochter Kunigunde sammt Regensburg schon vor langer Zeit geraubt, und hatte dem eigenen Sohne Max gezürnt, der eine Vermittelung ersuchte. Ja Friedrich kam hauptsächlich mit hierher, um, wenn nicht die Hülfe des Reichs, doch die der einzelnen Fürsten und Städte wie des Adels zu gewinnen, die zu dem schwäbischen Bund und dem Löwlerbund gehörten, welche beide gestiftet waren, die willkürlichen Fehden im Reiche niederzuhalten und sich untereinander gegen übermüthige Lehensherren oder ungehorsame eigenmüthige Reichsvasallen beizustehen, gleicherweise wie die Städte und ihre Bürger gegen die Bedrückungen und Raubanfälle des Adels zu schützen. Jetzt war es Friedrich, der nicht nachgeben mochte und auch Vergangenes nicht vergessen konnte und gegen Regensburg drohte, das Albrecht befestigte:

»Ob man die Stadt auch ganz zumauere, will ich doch hinein, und sollt ich durch ein Spältlein schlüpfen.« –

Neben ihm ritt der goldlockige König Max. Noch ebenso heldenhaft und schön war seine Erscheinung, wie vor zwei Jahren, wenn auch vielleicht die Sorgen, die[102] ihn jetzt bedrückten, vornehmlich die Sorgen um die immer noch nicht beendeten Flandrischen Händel, die der heldenhafte Herzog Albrecht von Sachsen, seit Jahr und Tag fast ohne alle Reichshülfe gelassen, mit einem kleinen Heer in den immer wieder aufständigen Provinzen allein zu schlichten suchen mußte, und dann um die neue Ungebühr, die ihm der König von Frankreich erwiesen – wenn auch diese Sorgen vielleicht ein paar Furchen auf seiner Stirn gezogen, welche die Krone mehr drückte als der Helm des Ritters, den er mit größerem und froherem Stolze trug, als jene. Er grüßte noch ebenso leutselig wie bei seinem ersten Einzug, und gewann sich noch ebenso alle Herzen, wie damals, die durch eine edle ritterliche und huldvoll um sich blickende Erscheinung zu gewinnen waren.

Unter seinem Gefolge erblickte man auch einige Nürnberger, die mit ihm gezogen waren, ihm ihr Schwert zu weihen und im Kampfe für ihn sich ihre Sporen zu verdienen. Darunter befand sich Stephan Tucher in strahlender Rüstung, deren stählerne Schilder durch goldene Einfassungen miteinander verbunden waren; ein weißer Federbusch wehte von dem glänzenden Helm. Sein Schwert hing an einer rosenfarbenen Schärpe mit silbernen Fransen – war es blinder Zufall oder[103] bewährte Treue, daß er doch so Ursula's Farben trug? Sein Antlitz glänzte von Heiterkeit und Gesundheit – etwas wettergebräunter war es geworden – aber sonst lächelte es gerade so stolz und selbstgefällig wie vordem.

Gleich hinter dem König ritt sein treuer Bruder und lustiger Rath Kunz von der Rosen, der ihn, seit ihn einmal Kerkermauern von seinem Herrn getrennt, nie wieder verlassen hatte. Er war es auch, der, da der Zug sich dem Stadtthor näherte, plötzlich voraussprengte und durch ein Seitengäßlein reitend sagte: sein Pferd sehne sich nach dem Stall und er nach der Herberge, so wollten sie sich beides ohne Ceremonienmeister suchen.

So durch enge Gäßchen trabend, die eigentlich den Reitern verboten waren, gelangte er vor Scheurl's Haus unter der Veste, als der Herr desselben mit andern Rathsherren und Edlen nach der andern Seite hin dem König entgegen zog, um ihn feierlich in sein Haus zu führen. Kunz konnte recht wohl berechnen, daß er auf diese Weise, indem er sich nicht nur einen Umweg, sondern auch alle aufhaltenden Empfangsfeierlichkeiten ersparte, um eine halbe Stunde früher als der König selbst in die für ihn bereitete Wohnung kam. Er wollte sich den Spaß machen, vor ihm einzutreffen, die Hausfrau[104] vielleicht durch verfrühtes Kommen noch in den letzten Vorbereitungen zu stören, oder sich dann gleich selbst als Hauswirth zu geberden und Herrn Scheurl in seiner eigenen Wohnung gleich einem fremden Herrn zu empfangen. Dergleichen Späße waren nun einmal seine Weise und gehörten in der damaligen Zeit mit zu den Hauptbelustigungen.

Der Thorweg, welcher, an einer andern Seite als die Hausthür befindlich, in den Hof des Scheurl'schen Hauses führte, stand weit geöffnet, eben so die Thüren der Ställe, und Alles war bereitet, darin mindestens ein paar Dutzend Pferde aufzunehmen. Aber kein Stallknecht ließ sich sehen, alle Leute waren davon gelaufen dem kaiserlichen Zuge entgegen.

Kunz sprang vom Pferde, führte es am Zügel an eine gefüllte Krippe, streichelte es. und sagte zu ihm, indem er es anband: »Nun sieh, für Dich ist der Tisch gleich gedeckt; Du wirst eher und besser bedient als Kaiser und König, und auch als sein lustiger Rath; ich muß sehen, ob ich auch ein so gutes Quartier finde wie Du.«

Er ging über den Hof in die weite Hausflur, schüttelte den Schnee von seinen Füßen und dachte, indem er mit seinen nassen gewaltigen Reiterstiefeln auf die[105] schönen weichen Teppiche von venetianischer Weberei trat, die sich die marmornen Treppen herunterschlängelten und an den Stufenfugen mit blitzenden Metallhaltern befestigt waren: »Nun, das laß ich mir gefallen! Am Ende hat Aeneas Sylvius doch recht, wenn er behauptet, daß kein Potentat so schön wohne wie die Bürger von Nürnberg und Augsburg, und wenn mein Herr an seine Worte denkt, die er einmal als Jüngling sprach, da ihm der geizige Vater einige Münzen geschenkt und darüber schalt, daß Max keine bessere Anwendung davon mache, als sie an andere Knaben zu vertheilen: »Ich will kein König des Geldes werden, sondern eines Volkes und derer, die Geld haben – so erfüllt es sich wenigstens einmal bei den Nürnbergern: die haben Geld, was sonst ein rarer Artikel im lieben deutschen Reich, besonders am kaiserlichen und königlichen Hofe und auch anderwärts – den reichen Jörge ausgenommen, der in der Schatzkammer zu Burghausen mehr Gold und Silber birgt, denn jemals eine Kaiserkrone eingebracht.«

Auch auf der Treppe und im Corridore begegnete ihm Niemand, doch wehte hier schon eine behagliche Wärme, aus unzähligen Kaminen hörte man Feuer knistern und lodern.[106]

Jetzt steckte er leise seinen Kopf durch die eine Flügelthür, da es ihm war, als ob er hinter derselben sprechen höre, und der Narr machte eines seiner eigenthümlichsten halb schlauen und halb verblüfften Gesichter bei dem Gewahren einer Gruppe, die er gerade jetzt nicht erwartet hatte.

Auf dem gelbplüschenen, mit Gold gestickten Divan saß Elisabeth – Kunz erkannte sie noch sehr wohl, auch wenn er sie nicht hier als die Herrin des Hauses erwartet hätte. Er hatte sich auch die Schönheit von Nürnberg recht gut gemerkt, die seinen königlichen Herrn wie mit Zauberschlingen an sich gezogen und doch verstanden hatte ihn in Schranken zu halten, daß es bei einer ehrbaren Huldigung verblieben war, und jetzt, da der Schalk sie wiedersah, fand er sie nicht minder reizend und meinte, daß man lange suchen könne unter den deutschen Fürstinnen, bis man eine fände, die sie an angeborener Majestät übertreffe. Freilich, fügte er hinzu, scheut sie sich auch nicht sich gleich einer Königin zu schmücken.

Sie trug ein Kleid von kornblumenblauem Brokat mit einem breiten Besatz von weißem Pelz um seinen Saum, die eng anliegenden Aermel waren gleichfalls mit Pelz besetzt, so daß die kleine weiße Hand sich fast[107] darin zu verlieren schien. Ein gleicher Pelzbesatz lief um den Ausschnitt des Kleides, in der Mitte der Brust von der funkelnden Demantrose des Königs gehalten. Eine dicke goldene Schnur mit großen Quasten schlang sich um die Taille des Schneppenleibchens. Ein Kopfputz von blauem Sammet und weißen Federn schmückte ihr Haupt, dessen glänzend kastanienbraunes Haar in üppigen Locken zum spielenden Schleier des blendend weißen Nackens ward.

Vor ihr kniete ein Mann von mittlerer Größe, in ein Wamms von kirschbrauner Farbe gekleidet, aus dessen Aermelschlitzen weiße Puffen hervorsahen, ebenso waren die Beinkleider, die Stiefel von gelbem Leder mit kleinen Sporen. Ein Degen hing an seinem Gürtel und ein kleiner schwarzer Sammetmantel um seine Schultern. Ein hohes Baret von schwarzem Sammet lag neben ihm auf dem hohen Lehnstuhl. Kunz vermochte sein Gesicht nicht zu sehen, das küssend auf Elisabeth's Hand ruhte, indeß ihre andere auf seinem kurzgeschnittenen dunklen Haupthaar lag. Sie hatte sich vorwärts über ihn gebeugt, ihr Gesicht glühte und verrieth gleich dem unruhig wallenden Busen die innere Bewegung. Sie hatten beide geschwiegen, ehe Kunz geöffnet hatte,[108] und bemerkten ihn dennoch nicht, Eines im Andern verloren, so daß er Elisabeth sagen hörte:

»Celtes! steh't auf! Wohl ist es oft mein stilles Verlangen gewesen Euch wiederzusehen, wie es mein größtes Glück war, wenn ich von Euch las und Euren Namen preisen hörte; aber ich durfte es nur dann wünschen, wenn diese Begegnung geschehen konnte, ohne die alten Schmerzen und Kämpfe aufzuwühlen! – Seh't, ich trage ein Joch, das mir Pflichten auferlegt, und da es denn einmal mein Loos, so ringe ich Tag und Nacht danach, daß ich es mit Würde trage und mir selbst nicht noch mehr Unheil bereite, als das Schicksal schon über mich verhängt. Ihr seid ein Mann! seid frei von kleinlichen Rücksichten und Pflichten, seid immerdar der Herr Eurer eigenen Handlungen und Niemanden davon Rechenschaft schuldig denn Euch selbst. Ein leichteres Loos ist Euch zu Theil geworden und ein erhabenes dazu. Die edle Poesie hab't Ihr zur göttlichen Lebensgefährtin empfangen, und Euer herrlicher Beruf ist's, die deutsche Jugend zu vaterländischem Sinn zu entflammen und vom Zwange inhaltloser Formen zu den lebensvollen Ideen des Humanismus zu führen – geb't Euch an dies Streben mit ganzer freier Kraft dahin, und nach Jahrhunderten noch wird man Euer Andenken[109] feiern. Wer berufen ist zu leben für Jahrhunderte und für die Menschheit, der muß darauf verzichten können, dem Glück des Augenblicks und seinem eigenen Herzen zu leben!«

Konrad Celtes, der erst vor wenigen Augenblicken bei Elisabeth eingetreten, und auch nur erst an diesem Morgen mit seinem Gönner, dem Bischof von Worms, angekommen war, hatte zwar gemeint, er könne ihr nun ruhig und als Freund begegnen. Aber vor ihrer lebenswarmen Gegenwart waren alle früheren Empfindungen wieder in ihm aufgewacht und er hatte sie in seine Arme schließen wollen.

Elisabeth, mit dem feinen Ahnungsvermögen eines liebenden Frauengemüthes, oder wenn man will, mit dem klugen Abwägen aller kleinen Möglichkeiten, das Künftige aus dem Gegenwärtigen berechnend, hatte zuweilen daran gedacht, daß Celtes wohl einmal in sein liebes Nürnberg zurückkehren werde, ja sie hatte es jetzt gewünscht – aber viel weniger aus persönlichem Interesse, sondern weil sie es für Celtes als ein Glück betrachtete, wenn König Max mit ihm zusammenkam und ihm seine Aufmerksamkeit schenkte, und wie hätte das besser geschehen können, als jetzt, wo der König in ihrem Hause wohnte und der Kaiser, der ihm zum Dichter[110] krönen ließ, selbst in Nürnberg weilte. Ja, sie hatte lange mit sich gekämpft, ob sie nicht Celtes um dieses Glückes Willen eine Botschaft senden solle, herzukommen; aber sie hatte doch eine Mißdeutung derselben gefürchtet, ja sich selbst nicht recht getraut, ob nicht persönliche und unrechte Empfindungen dabei im Spiele wären, und darum Alles dem Schicksal überlassen. Immerhin aber hatte sie sich auf diese Möglichkeit vorbereitet und sich mit der ganzen weiblichen Würde ihres Wesens gewaffnet, um sich für ein Wiedersehen mit Celtes gerüstet finden zu lassen, damit es ihr gelinge, nicht nur sich selbst zu bezwingen, sondern auch, wenn es nöthig sein sollte, jeden Ausbruch seiner früheren Empfindungen verhüten, oder doch vor leidenschaftlichem Unheil sichern zu können. Vielleicht hätte auch sie sonst nicht die Kraft gefunden, sich seinen Armen zu entziehen und die obigen Worte zu ihm zu sprechen.

Da sie ihn zurückwies, war er vor ihr auf die Knie gesunken und lauschte ihren Worten wie einem Liede, das nicht minder schön erscheint, wenn es auch auf das schmerzlichste ergreift.

»O es ist ein Fluch, der auf allen Poeten ruht!« rief er; »wir müssen unglücklich, elend und verlassen sein, damit wir in das Reich der Poesie uns flüchten[111] und unter tausend Schmerzen eine erträumte Welt der wirklichen entgegenstellen – den frischen Kranz des Lebens müssen wir opfern, damit ein dürrer Lorbeerkranz auf unsern Grabhügeln anschelle. Elisabeth! Ihr seid so kalt und grausam wie die Welt – ich hoffte Euch anders zu finden!«

Sie erhob sich zürnend: »Dann wehe mir und Euch, wenn Ihr das hofftet, wenn Ihr während dieser Trennung den Glauben an mich und an Frauentugend verloret!«

Bestürzt faßte er den Saum ihres Gewandes und rief: Elisabeth! thut, was Ihr wollt, aber vergebt mir und zürnt nur nicht!«

»So seid ein Mann!« antwortete sie; »versündigt Euch nicht an Frauenwerth – versündigt Euch nicht an der Gottesgabe der Poesie, die Euch geworden! – Ihr wißt nicht, wie es ist: alle diese Schmerzen empfinden und keine Sprache dafür haben – das Entsagen ist schwer: aber das Schwerere ist, ein einmal auferlegtes Joch noch edel zu ertragen! – Steht auf – mich dünkt, ich höre Jemand – wenn es schon der König wäre!«

Celtes erhob sich und Elisabeth blickte nach der Thür, mit welcher Kunz von der Rosen vor einem[112] Weilchen unwillkürlich geknarret hatte, da ihn diese Scene, deren Zuschauer er geworden, selbst bewegte. Erst hatte er gemeint, hier einen begünstigten Liebhaber bei einer ungetreuen Gattin zu finden, und eine solche Gelegenheit ließ er selten, wie oft und bei welchen hohen Personen sie ihm auch ward, vorübergehen, ohne die Betheiligten durch seinen Spott und seinen oft sehr derben Spaß zu züchtigen. Aber durch Elisabeth's würdevolles Betragen wendete sich schnell seine Meinung zu ihren Gunsten – ja er zerdrückte eine Thräne im Auge, weil er gar wohl begriff, daß eine Frau von solchen Herzens- und Geistesgaben, wie Elisabeth, neben einem so hohlen Menschen wie Scheurl nur unglücklich sein könne. Und zugleich nahm er sich vor, seinem königlichen Bruder zu warnen oder zu beaufsichtigen, daß er die Tugend und Treue dieser edlen Frau nicht etwa auch versuche auf die Probe zu stellen.

Als er jetzt bemerkte, daß sich das Paar nicht mehr allein fühlte, warf er seine Narrenkappe zur Thür herein, gerade vor Elisabeth's Füße und sagte:

»Es ist nicht Sitte, edle Frau, daß der Narr seine Kappe abnimmt weder vor König und Kaiser, denn er hat eben nicht nöthig Jemanden Respect zu erweisen – vor Euch aber hab' ich ihn – und wenn ich hundert[113] Hüte aufhätte, ich zöge sie alle vor Euch und würfe sie Euch demüthig wie die Kappe zu Füßen.«

Elisabeth erschrak sowohl vor der plötzlichen Erscheinung wie vor diesen Worten, welche sie ungewiß ließen, ob der Narr etwas von diesem Gespräch gehört oder nicht; aber immer ihrer selbst Meisterin hob sie die Mütze auf, ob auch Rosen sich mit einem lustigen Katzenpuckel danach beugte, überreichte sie ihm und sagte:

»Willkommen in Nürnberg – wenn Ihr Euch auch auf sonderbaren Wegen müßt eingeschlichen haben, daß Niemand von der Dienerschaft Euch zuvorkam. Wo ist Euer königlicher Herr?«

»Bruder! wolltet Ihr sagen,« fiel er ihr in die Rede. »Was den betrifft, so wird er bald kommen, als ihn die guten Nürnberger, die sich überall herzudrängen, dazu kommen lassen – und was mich betrifft, so wißt Ihr, daß unsereins die Wege sich immer nach Belieben sucht und gelegentlich durch ein Spältlein schlüpft, wenn's ihm auf dem breitgetretenen Wege zu eng wird.«

»Ich freue mich,« sagte Elisabeth, »daß ich gleich jetzt Gelegenheit habe, Euch Herrn Doctor Konrad Celtes vorzustellen, von dem Ihr sicher so viel Gutes und[114] Großes gehört hab't, als er von Euch, Herr Kunz von der Rosen.«

Die Männer schüttelten zwar einander die Hand, aber es geschah nicht mit der rechten Herzlichkeit. In Celtes kochte es ingrimmig, wenn er sich dachte, daß Kunz ihn jetzt belauscht, und es sogar durch seine Worte an Elisabeth zu verstehen gab, ohne es zu gestehen – und Kunz hatte ein Vorurtheil gegen den Gelehrten, nach der Scene, welcher er beigewohnt. Er sagte zu sich: den Frauen gegenüber taugen doch diese Herren von der Feder so wenig wie die vom Schwerte – und fügte hinzu: ich möchte eigentlich wissen, welche Zunft da etwas taugte.

Indeß war Kunz doch harmlos und Celtes redegewandt genug, eine Unterhaltung zu Stande zu bringen, deren Anknüpfungspunkt natürlich die hohen Ankommenden waren. Elisabeth entfernte sich einen Augen blick, um nachzusehen, daß die Dienerschaft besser auf dem Platze sei, als sie bei Rosen's Ankunft gewesen. Wie sie zurückkam, wollte sich Celtes beurlauben, aber Elisabeth selbst duldete es nicht und sagte:

»Ihr werdet mich nicht um die Gelegenheit betrügen, Euch selbst seiner Majestät vorzustellen, die ich immer gewünscht, gleich Euch selbst.«[115]

Mit feinem Takte fühlte sie, daß gerade so Celtes' Besuch bei ihr alles Anstößige vor Anderen verlor, wenn sie sagen konnte, daß er gekommen sei, um mit unter den Ersten zu sein, welche die Ehre hätten dem König vorgestellt zu werden.

Jetzt klang es unten von Rosseshufen und Freudengeschrei; Elisabeth ging dem König Max bis an die Treppe entgegen, Kunz stand an ihrer Seite und lachte die Ankommenden aus, daß er schon eine halbe Stunde vor ihnen im warmen Nest geruht.

Herr Scheurl wollte dem König seine Hausfrau vorstellen, er aber sagte: »Ei so wenig ich meines Wortes vergessen, so wenig vergaß ich der schönen Frau Elisabeth,« und küßte ihr die Hand, indem er seine feurigen Blicke mit Entzücken über ihre herrliche Erscheinung streifen ließ. Denn in der That konnte er sie vielleicht in keinem günstigeren Augenblicke sehen, als da sie noch Mitten in der Erregung war, die ihr das Wiedersehen mit Celtes und sein Ungestüm, darauf das Erschrecken durch den Narren bereiteten – und nun kam noch dieser stolze Triumph dazu, den ritterlichen König bei sich zu empfangen, von ihm unvergessen zu sein und dieselben Schmeichelworte aus seinem Munde[116] zu vernehmen, auf die verzichten zu müssen sie zuweilen gefürchtet hatte.

Nun war ja der ersehnte Augenblick da, wo sie den Dichter und den König einander zuführen konnte – sie that es mit der ganzen ruhigen Würde ihres eigensten Wesens.[117]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 95-118.
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