XI. Berathungen

[196] »Sie hörens nicht, sie schlummern gut,

Der Mahnung Zeichen kann nicht frommen.

So mag denn über Dich, Du Brut,

Du stolze Brut, das Aergste kommen!«

A. Meißner.


Ein paar Wochen waren seit dem Tage vergangen, an welchem der Geheime-Polizeirath Doctor Schuhmacher mit dem Geheimrath von Bordenbrücken die lange geheime Unterredung gehabt, in welcher sich die beiden geheimen Männer erst so schwer über Eisenbahnarbeiter und Fabrikarbeiter verständigt hatten. Dieser Unterredung war am nächsten Tage eine gleich geheime gefolgt, in welcher der Geheimrath von Doctor Schuhmacher seine ganz besondern, geheimen Instructionen empfangen hatte.

Man sieht, wie geheim diese ganze Verbindung der beiden Würdigen und Alles, was damit zusammenhing, war.

Schuhmacher hatte jetzt nämlich seine werthe Person[196] möglichst zu schonen, da er im Augenblick auf die bei ihm beliebten Vertleidungen, wo es galt, irgend Etwas auszugattern, das an sich nicht verdächtig war, sich aber doch bei einem geschickten Verfahren verdächtig machen ließ – nicht eingerichtet war und sie ihm auch im gegenwärtigen Moment und unter den jetzigen Verhältnissen nicht anwendbar schienen. Er hatte daher den Geheimrath zu seinem und seiner Regierung Vertrauten gemacht und theilte ihm jetzt eine der wichtigsten Rollen in dem Drama zu, von dem er in dem Aufstand der Eisenbahnarbeiter bereits ein kleines Vorspiel gesehen zu haben meinte – dem Drama, dessen Mitspieler er auskundschaften und das ganze Stück selbst auffinden, vielleicht auch gar erst verfertigen helfen wollte. Die Eisenbahnarbeiter waren vorher der genauen Beobachtung Schuhmachers entgangen, – den Fabrikarbeitern hatte er ein anderes Loos zugedacht – sie sollten ihm Mindestens eine bedeutende Gehaltzulage aus dem geheimen Fonds, einen Orden, vielleicht auch einen Titel und einige goldene Uhren und Dosen einbringen. Den Geheimrath machte er gleiche lockende Aussichten, um seinen Eifer gehörig anzuspornen und in allen Fällen seiner gewiß zu sein, was um so mehr wirkte, als Bordenbrücken einmal mit tiefster Indignation geäußert hatte, daß er der einzige Geheimrath in der Residenz sei, welcher keinen Orden habe, was Schuhmacher zu der Bemerkung Anlaß[197] gab, daß dies gerade so ein Gefühl sein müsse, wie wenn man in einer Gesellschaft geschwänzter Affen der Einzige sei, welcher keinen Schwanz besitze, oder was dasselbe sei, unter lauter Herren, welchen der Zopf hinten hängt, kurz geschorenes Haupthaar habe.

Der Geheimrath hatte vorzüglich zwei Aufträge zu besorgen, zwei Pflichten zu erfüllen: Sich in Szarinys Nähe zu drängen, ihn wo möglich zum Hausfreund und Anbeter seiner Gemahlin zu machen und dadurch gelegentlich auszuhorchen, und dann bei dem Fabrikherrn Felchner selbst sich Eingang zu verschaffen, ihm einige Warnungen zukommen zu lassen und sich durch ihn selbst über den Stand der Dinge in der Fabrik unterrichten zu lassen und von seinem Standpunkt aus sich darin zu orientiren

Während dem war Schuhmacher auf einige Tage an den Ort gereist, wo die Eisenbahnarbeiter wieder friedlich und geduldig wie vorher um denselben Lohn arbeiteten und wo man drei der sogenannten Rädelsführer vor der Hand durch Einsperren unschädlich gemacht hatte. Um diese drei war es Schuhmacher vorzüglich zu thun. Einer seiner Freunde und geheimen Bundesgenossen in solchen Sachen, wo auch die Regierung selbst die geheimen Bundesgenossen, die in Nacht und Dunkel für ihre Wohlfahrt wachen, nicht verschmäht, hatte ihm geschrieben, daß aus dem sitzenden Kleeblatt auch nicht das Mindeste heraus zu bekommen sei,[198] als was alle Welt schon wisse, und daß der Grund hierzu sonst in Nichts Anderm zu suchen sei, als daß die drei wirklich nicht schuldiger als die Anderen wären, und daß sie also gar Nichts auszusagen hätten. Dieser Brief seiner Creatur mit dieser Bemerkung kam nun Herrn Schuhmacher äußerst bedenklich und gefährlich vor, denn seine Marime war stets die, da, wo aus Mangel an Thatbeständen und Stoff überhaupt sich Nichts feststellen ließ, durch ein geschicktes Verhör so Viel als möglich herauszuklügeln und dann doch noch bogenlange Protocolle zu erhalten, wo man erst ganz hatte an allen Aussagen verzweifeln wollen. Um über diese edle Kunst seinem Vertrauten einige sachgemäße Winke zu geben, reiste er selbst zu demselben.

Die zwei von Vordenbrücken übernommenen Aufträge gewissenhaft zu erfüllen, war nicht so leicht, als es auf den ersten Augenblick den Schein haben konnte, denn Jaremir schien ihm wenig geneigt zu sein und hatte wenigstens seitdem die schmachtenden Blicke seiner Frau ganz unbemerkt gelassen. Gleich an demselben Tag, wo dem Geheimrath der neue Auftrag zugekommen, hatte er erfahren, daß Jaromir nach Schloß Hohenthal geritten sei, und dies bestimmte ihn, sogleich dort mit seiner Gemahlin auch einen Besuch zu machen.

Wenn nun auch an diesem Tage weder er, noch seine Frau Fortschritte in der Gunst des Grafen machten,[199] vielmehr Beide wie gewöhnlich von ihm ziemlich so gut wie ganz ignorirt blieben, so brachte der Geheimrath doch heraus, daß Jaromir und Elisabeth sich der Eisenbahnarbeiter angenommen und überhaupt zu Gunsten der armen Leute und der arbeitenden Classen gesprochen hatten und namentlich über die Nachricht von der Requirirung des Militairs sehr aufgebracht gewesen wären. Als fabelhaftes Curiosum theilte Aarens dem Geheimrath diese wahre Nachricht mit.

Ein paar Tage später machte er eine Spazierfahrt nach der Fabrik und fragte nach Herrn Felchner.

Herr Felchner war nicht ganz wohl und lag in der Wohnstube auf dem Sopha. Pauline saß am Fenster mit einer mühsamen Arbeit im Stickrahmen beschäftigt. Ein Kätzchen schnurrte zu ihren Füßen und spielte mit dem kleinen Schlüsselbund, das von Paulinens Gürtel herabhing.

Der Geheimrath ward von einer Magd draußen sofort und ohne weitere Meldung hereingeschoben. Er stand darüber etwas verdutzt an der Thüre und machte sein Compliment, indem er, sein Wort an Paulinen richtend, welche aufgestanden und ihm mit einer leichten Verbeugung entgegengekommen war sagte:

»Ich habe wohl die Ehre, mit Fräulein Felchner zu sprechen? Habe ich das Vergnügen, Ihren Herrn[200] Vater daheim zu treffen, so mögte ich Sie bitten – –«

Herrn Felchners Anzug bestand nämlich in seinem alten grauen Rocke, seinen niedergetretenen und zerriss'nen gestickten Schuhen, über welche graue Socken herabhingen, um den Hals ein strickartig zusammengedrehtes weißes Tuch, ohne Vorhemdchen und Weste; und so hatte er sich jetzt nur halb vom Sopha erhoben und den Eintretenden mit seinen kleinen blitzenden Augen angeschielt, dessen Gruß nur mit einem leichten Kopfnicken erwidernd.

Jetzt aber stand der Genannte auf, schlug die Arme à la Napoleon ineinander und that einige Schritte nach dem Geheimrath zu, warf ihm aus seinen grauen Augen einen durchbohrenden Blick voll Stolz und Ironie zugleich zu und sagte seine Rede unterbrechend: »Mein Herr, was beliebt?«

»Mein Vater ist selbst hier!« sagte gleichzeitig Pauline als Antwort auf den Herzutretenden zeigend.

Der Geheimrath suchte sich schnell von seinem Staunen zu fassen, daß dieser kleine dürre Mann in diesem schmuzigen Anzug hier der Hausherr sei, der Besitzer der Fabrik, der Besitzer von Millionen! Der Erstaunte sagte mit höflichem Kratzfuß: »Es sollte mir leid thun, wenn ich vielleicht in der Mittagsruhe gestört –«

Der Fabrikherr war Menschenkenner genug, um zu bemerken, daß ein adeliger, ein sogenannter vornehmer[201] Herr vor ihm stand, aber es war immer seine größte Lust, wenn er einen von diesen Leuten demüthigen konnte, und daß dieser jetzt sein Herrn Felchner's unhöfliches Liegenbleiben auf dem Sopha zu seinem Gunsten mit der Mittagsruhe entschuldigen wollte, fiel ihm der Fabrikherr beinah ärgerlich in die zierlich wohlgesetzten Worte, indem er hastig sagte:

»Ich bitte, mein Herr, keine Umstände, ich habe nicht geschlafen, die Zeit der Mittagsruhe ist bei mir längst vorüber – aber ich bitte, kommen Sie zur Sache, unsereins hat selten viel Zeit, und ich liebe die unnöthigen Worte nicht.«

»Ich muß dennoch wiederholen, daß es mir leid thut, wenn ich gestört habe – man schob mich ohne Meldung in dies Zimmer, ich konnte nicht vermuthen, sogleich in ein Wohnzimmer zu kommen – ich bin Geheimrath von Bordenbrücken und mein Wunsch ist einzig, Ihnen einen nachbarlichen Besuch zu machen.«

»Ah, wenn es so ist, Sie sind sehr gütig, freue mich, das Vergnügen zu haben –« sagte der Wirth nun freundlicher und nöthigte den Besucher neben sich auf das Sopha – »ich glaube, es sei Jemand, der mich in Geschäften zu sprechen wünsche.«

Das nun endlich eingeleitete Gespräch schränkte sich eine Zeitlang um alltägliche und gleichgültige Dinge. Endlich[202] fand der Geheimrath Gelegenheit, die Unterhaltung auf den Aufstand der Eisenbahnarbeiter zu bringen.

»Ja, das Volk wird täglich unverschämter,« sagte der Fabrikherr. »Wo es eine Eisenbahn zu bauen giebt, kommt auch gleich lauter Gesindel aus aller Herren Ländern herzugelaufen, verlaufene Müssiggänger, welche sonst nirgends Arbeit bekommen haben. Die Leute verdienen Viel bei leichter, gesunder Arbeit in freier Luft – da wird's ihnen zu wohl, sie werden übermüthig, so ist es denn auch hier gekommen. Hätten sie schlechtern Lohn und wären sie abhängig und auf lange Zeit gebunden, so wäre es ihnen nicht eingefallen zu revoltiren, nur wo zu Viel gute Zeit ist, wird das Pack unverschämt im Fordern.«

»Wie Recht haben Sie – es sind schlimme Zeiten. Viel verschuldet an solchen gesellschaftlichen Uebeln die sogenannte Volksaufklärung, für welche eine gewisse Partei sich rastlos abmüht und der sogar die Regierungen viel zu wenig Hemmung in den Weg legen; dieses Streben nach Volksaufklärung ist recht eigentlich der furchtbare Krebsschaden der Gegenwart, durch den noch Viel edle Säfte zu Grunde gehen werden – das fehlte noch! Auch den Pöbel aufzuklären –«

»Wirklich gelingen wird dies niemals, da ist Nichts zu fürchten.«

»Aber müssen nicht Erreignisse wie das letzte ängstlich[203] machen? Es zeigt, wie der Pöbel freilich nicht leicht aufgeklärt, aber desto leichter aufgeregt ist – und daß es nicht an einzelnen Subjekten fehlt, welche ihn aufregen. Glauben Sie nicht, daß es solche Leute giebt, welche, wie es Thatsache ist, daß sie unter die Eisenbahnarbeiter sich gemischt, auch unter die Fabrikarbeiter sich mischen, und die verderblichsten Lehren verbreiten?«

»Ich verstehe Sie nicht ganz – meine Arbeiter weiß ich im Zaum zu halten, das können Sie versichert sein.«

»Ich meine, daß der Communismus –«

Herr Felchner unterbrach diese Meinung mit einem lauten höhnischen Gelächter und rieb sich vergnügt die Hände. »Nein, mein Herr, vor einer Sache, die bloß auf dem Papiere steht, erschrecke ich nicht. Ich habe auch einmal Etwas über diesen romantischen Unsinn gelesen und die ganze Sache als ein höchst albernes Mährchen erkannt.«

»Wenn auch die Verwirklichung des Communismus noch ein Mährchen ist und so Gott will, immer bleiben wird, die Communisten selbst sind leider keine Mährchenfiguren.«

»Ich mögte wohl einmal ein solches Exemplar sehen, ein Exemplar von einem leibhaftigen Communisten comme il faût

»Nun, vielleicht haben Sie nicht weit danach zu[204] suchen, vielleicht finden Sie deren Einige unter Ihren eignen Arbeitern.«

»Sie sind, wie Sie vorhin sagten, erst seit ein paar Wochen in unserer Nachbarschaft und wollen mich meine Arbeitsleute kennen lernen, in deren Mitte ich wohne, welche ich meist habe aufwachsen sehen, mit denen ich täglich seit vielen Jahren in Berührung komme und von denen ich weiß, was für Menschen es sind – und Sie wollen sie mich erst kennen lehren – das ist sehr komisch!«

»Um manche Dinge im rechten Licht zu sehen, ist oft ein entfernter Standpunkt nöthig.«

»Und was für Dinge gehen denn in meiner Fabrik vor? Ich bin auf Ihre Mittheilungen in der That sehr gespannt, klären Sie mich auf.«

»Nennt sich nicht Einer unter Ihren Arbeitern Franz Thalheim?«

»Einer meiner geschicktesten und fleißigsten Arbeiter, ein ordentlicher Mensch wie Wenige.«

»Sie wissen, daß er schreibt?«

»Mein Gott, ja! Er ist von besserm Herkommen, als die andern Arbeiter, und hat eine gute Erziehung gehabt – darauf bildet er sich nun Viel ein, und während die Andern dumme Streiche machen, sitzt er allein zu Hause, schreibt und dünkt sich vielleicht ein großer Dichter zu sein. Das läßt mich sehr gleichgültig und geht[205] mich Nichts an, denn er ist immer der Erste und Letzte bei der Arbeit – was er außerdem treibt ist seine Sache.«

»Was er aber schreibt, regt die Arbeiter auf.«

»Davon habe ich noch Nichts bemerkt – auch können die meisten meiner Arbeiter gar nicht lesen. Und mag er ihnen seine Geschichten vorlesen – die regen sie nicht auf, denn sie handeln unter Fabrikarbeitern, und wie es da zugeht, wissen sie ja alleine – auch wird ihnen eine solche Lectüre über so Alltägliches nicht im Geringsten zusagen.«

»Es kommen aber doch Stellen darin vor –«

»Nun, Sie haben ihm wohl gar die Ehre angethan, das Ding selbst zu lesen? Beruhigen Sie Sich, mein Herr, ich kenne diesen Pöbel – Bücher regen ihn nicht auf, und wollten meine Arbeiter Manifeste und Adressen aneinander erlassen, ich ließ' es geschehen, denn das schadet ihnen und mir Nichts. Das Beste ist aber, daß gleich gar Keiner Lust zum Lesen und Schreiben hat, außer eben dieser Franz, der in seiner Art ein Sonderling ist.«

»Er ist vermuthlich gescheid genug, seine communistischen Principien weniger in seinen Büchern zu vertreten, als sie gleich praktisch einzuführen.«

»Ich sag' es Ihnen nochmals, vor diesem Popanz ›Communismus‹ erschreck' ich nicht.«

»Ich habe mir sagen lassen, daß unter Ihren unverheiratheten[206] Arbeitern ein Verein besteht, welcher auf den Grundsatz der Gütergemeinschaft sich gründet.«

Herr Felchner ward jetzt zum ersten Mal aufmerksam und spitzte seine Ohren. Der Geheimrath bemerkte diesen Eindruck seiner Worte und fuhr fort:

»Franz hat diesen Verein gestiftet.«

»Ich weiß das, und obwohl mir die Sache unnütz vorkam, mogte ich es ihnen doch nicht verbieten, nach ihrer Art zusammenzukommen. Ich weiß, daß sie diesen Verein deshalb gestiftet haben, um lieber zu singen als Karte zu spielen und statt Branntwein Bier zu trinken – das kann mir ziemlich gleich sein, es ist ihre Sache.«

»Mein Herr,« sagte der Geheimrath sehr ernst, »Ihr eigenes Wohl hängt davon ab, aber auch das Wohl des Staates, daß der Communismus keine Wurzel fasse – ich hielt es für meine Schuldigkeit, Sie auf das aufmerksam zu machen, was ich erfuhr: durch jenen Verein, welcher Ihnen so unschädlich scheint, haben Ihre Arbeiter den ersten Schritt zur Verwirklichung des Communismus gethan. Es herrscht Gütergemeinschaft unter ihnen, sie helfen einander und stehen Einer für Alle und Alle für Einen – sie singen zusammen Lieder auf eine neue goldne Zeit und Bundeslieder, welche ihren Bund fördern, seine immer größere Ausbreitung und Ewigkeit in Aussicht stellen – sehen Sie dies noch lange Zeit ruhig mit an, so[207] werden Sie es erleben, daß sie einen gleichen Versuch wagen, wie ihre andern Verbündeten die Eisenbahnarbeiter – nur daß etwas Langvorbereitetes auch in seinen Folgen bedeutender ist und sich gar nicht übersehen läßt.«

»Meine Arbeiter,« sagte der Fabrikherr, »werden ihre Arbeiten nicht einstellen, um einen höhern Lohn erzwingen zu wollen – sie kennen mich zu gut, sie wissen, daß ihnen dies Nichts helfen würde – dazu sind sie klug genug.« – Noch ein Mal gab sich Herr Felchner, dem aber jetzt gar nicht recht wohl zu Muthe war, eine zuversichtliche und selbstgefällige Miene.

»Ja,« sagte der Geheimrath, »ich theile Ihre Ansicht – Ihre Fabrikarbeiter werden es klüger anfangen, als die Eisenbahnarbeiter, denn sie haben die schönste Zeit mit gehöriger Muße in ihren nächtlichen Vereinen ihre finstern Maaßregeln zu prüfen und zu überlegen, was am Besten zu thun sei. Doch ich überlasse Alles Ihrer eignen Klugheit, es war nur meine Schuldigkeit, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn Sie Ihren Arbeitern nicht bald ihre ungesetzliche communistische Verbindung verbieten – die Regierung, welche bereits begonnen hat sie zu überwachen, sich genöthigt sehen wird, zu thun, was Sie selbst unterließen – denn sie darf nicht dulden, daß Andere es zulassen, daß unter ihren Augen der Boden, auf welchem die gesellschaftliche Ordnung ruht, unterwühlt wird. Ich habe die Ehre. mich Ihnen zu[208] empfehlen und bitte meinen guten Willen und meine Freimüthigkeit nicht übel zu deuten; vielleicht untersuchen Sie wenigstens die Sache genauer – aber was Sie etwa beschließen mögen, so bitte ich nur, alles Aufsehen zu vermeiden, dies könnte nur schaden und Alles verderben.«

Der Geheimrath empfahl sich. Herr Felchner war wirklich bestürzt, er geleitete ihn bis zur Thüre und sagte artig: »Ich danke für Ihre Bemühungen in meinem Interesse – eine fernere Antwort behalt' ich mir vor, bis ich selbst Ihnen meinen Besuch abstatten werde.«

Pauline war während dieser ganzen Scene zugegen gewesen; als das Gespräch auf die arbeitenden Classen gekommen war, hatte sie weiter keinen Theil mehr daran genommen. Sie hatte sich wieder an ihren Stickrahmen gesetzt, sie war so still als möglich gewesen, um ihre Anwesenheit vergessen zu machen. Mit der ängstlichsten Spannung war sie jedem dieser Worte gefolgt, und als Franz Thalheim's Name genannt worden, hatte sie vor innerer Aufregung kaum gewagt zu athmen. Die Beschuldigungen, welche gegen ihn vorgebracht wurden, fielen mit Centnerlast auf ihr Herz – sie wußte ihn unschuldig, aber sie zitterte für ihn, wenn ihres Vaters Argwohn geweckt werde, und er war geweckt – sie sah es an seinen Mienen, seinen blitzenden Augen. Sie kannte sein Wesen – daß er plötzlich dem Geheimrath gegenüber, dem er erst beinah[209] Antworten voll verächtlicher Geringschätzung gegeben, verstummte – daß er zuletzt ihn höflich und aufgeregt beim Abschied hinaus begleitete – daß er jetzt von der Thüre zurückkommend mit ineinander geschlagenen Armen im Zimmer mit langen Schritten heftig hin und her rannte – das waren böse Zeichen!

Sie stand auf und warf ängstlich fragende Blicke auf ihn.

»Schenk mir ein Glas Wein ein,« rief er ihr jetzt zu, »mir ist, als bekäm' ich Schwindel – diese verdammte Spürnase – mir ist, als wenn ich plötzlich in einen offnen Abgrund sähe, der mich hinabzöge und all' mein Hab und Gut – und auch Dich mein Kind.«

Sie reichte ihm das Glas: »Setze Dich, lieber Vater,« bat sie, »Du bist so aufgeregt.«

Er setzte sich und nahm ihre Hand, sie streichelte ihm mit kindlichem Lächeln die Stirn, wie um ihn zu besänftigen. So saßen sie lange still neben einander. Es war, als ob die zärtliche Sorgfalt der Tochter ihm wirklich wohlthue, ihn beruhige, aufheitre. Er nahm ihre Hand und sagte ziemlich mild zu ihr:

»Hör' einmal, Kind, Du bist ja oft unter das gemeine Volk gekommen – ich weiß es wohl, wie Du mitleidig hingelaufen bist in manches schmuzige Haus, wenn irgendwo Kinder und Alte krank lagen – Du bist oft[210] mitten hineingekommen unter das Gesindel – und das legt seiner Rohheit keinen Zügel an, wenn auch die Tochter seines Herrn dabei ist – rede einmal gerade heraus: was sagt denn das Gesindel von mir – und was sagst Du von ihm? – Glaubst Du, daß der Geheimrath Recht hat? Sage einmal Alles, wie Du's selber denkst!«

Pauline warf einen Blick aufwärts, der ein Gebet um Kraft und Segen war. Die Stunde war jetzt plötzlich gekommen, die sie so oft ersehnt und die sie nie zu erleben geglaubt hatte – die Stunde, wo ihr der Vater selbst ein freies Wort gestattete für die Unglücklichen, deren Loos sie täglich bejammerte, und aus welchen ihr Vater so leicht glückliche, vielleicht auch gute Menschen machen konnte.

»Mein Vater,« begann sie und wünschte sich alle Beredtsamkeit der überzeugendsten Redner und wünschte, daß all' jene Hundert, für welche sie sprechen wollte, im Stillen mit ihr um Segen für ihre Worte beten mögten. »Mein Vater, die Leute sind gut – und wenn Hunger, Frost, Krankheit, oder irgend eine Noth sie unzufrieden macht, so murren sie gleich laut und machen sich mit Schimpfen und Fluchen Luft – aber heimtückisch sind sie nicht und finstere Pläne spinnen sie nicht – dazu sind sie viel zu unwissend und wie Kinder. Aber sie klagen und murren wohl, wenn ihnen von ihrem Lohn abgezogen[211] wird und die Factoren sie schlecht behandeln, und wenn ihre Kinder bei der angestrengten Arbeit zu Krüppeln werden und erliegen. Die Noth unter ihnen ist groß, mein Vater, und sie selbst sind daran unschuldig – ich habe es mit angesehen. – Ach, und Vater! Das Sprichwort könnte wohl einmal wahr werden: Noth kennt kein Gebot – die Noth der Armuth lehrt nicht beten, die macht Verbrechen! Und wenn sie einmal etwas Verzweifeltes thun könnten – wie der Geheimrath meint – so thun sie es nur, weil sie vorher haben verzweifeln müssen. – Darum laß' sie nicht verzweifeln – Vater, wir sind reich genug und bleiden's auch, wenn Du die Arbeiter ein wenig besser bezahlst, auch wenn die Kinder nur den halben Tag arbeiten statt den ganzen; und wenn Du sie in eine Schule schickst, so werden brauchbare und gute Menschen aus ihnen, vor denen Du Dich dann niemals zu fürchten hast.«

»Deine Vorschläge sind eben wie die eines Kindes –« sagte der Vater freundlich. – »Aber Du glaubst, daß der Geheimrath Unrecht hat?«

»Das hat er gewiß – aber es ist traurig, daß Du doch immer fürchten mußt, diese Menschen könnten sich einmal an Dir rächen, Vater! Mein Herz hat dabei geblutet – aber ich habe es hören müssen, daß sie Dich einen – Tyrannen nannten –«

»Mädchen!« Doch sie ließ sich von der Mahnung nicht stören[212] und fuhr heftiger fort. »Von Hunderten Thrann genannt zu werden! Und es kostete Dich kein Opfer, sondern nur scheinbar wäre Deine Einnahme verringert, wenn Du durch Milde und Nachsicht – der Wohlthäter dieser Hunderte würdest – wenn sie Dich dann ihren Vater nennten – wenn sie Dich liebten statt Dich zu fürchten.«

Sie umschlang ihn innig, heftig. »Nun,« sagte er, »ich sollte es einmal versuchen mit der Milde, um Dir zu beweisen, daß dieser Pöbel anders ist, als Du denkst.«

»Versuch es und ich habe gesiegt!« rief sie frohbegeistert.

Er lächelte sie mild an.

Die Thüre ging auf und Georg trat ein und sagte: »Zwei Arbeiter haben so eben den Factor Eckert, weil er ihre unverschämte Forderung nicht erfüllt hat, im Finstern aufgelauert und ihn fürchterlich durchgeprügelt, daß er jetzt kein Glied rühren kann.«

Der Fabrikherr erhob sich wüthend und stieß Paulinen bei Seite: »Das sind Deine vortrefflichen Menschen, Närrin!« rief er höhnisch und heftig zugleich. – »Du wirst es wohl auch noch begreifen lernen. – Der Geheimrath hat Recht – einen Factor prügeln – das sieht sehr nach communistischen Grundsätzen aus, wo Alle gleich sind.«

Pauline warf auf Georg einen Blick voll schmerzlich bittrer Anklage und eilte hinaus.[213]

Es war dieselbe späte Abendstunde, in welcher Franz, von Wilhelm wie von einem bösen Versucher aufgestachelt, auch in's Freie gelaufen war.

Pauline war kaum in höchster Aufregung ein Stück gegangen, als ihr Franz begegnete.

Sie wußte nicht, was sie that, sie stürzte wie außer sich auf ihn zu und rief: »Franz! Ich sehe Unheil über Sie kommen, über uns Alle – aber Sie sind am Meisten bedroht. – Wie können Sie Sich retten?«

Er verstand sie nicht – aber er hielt ihre Hand in der seinen; er sah ihr mit glühenden Blicken, wie er es noch nie gewagt hatte, in das bleiche, geängstete Angesicht.

So schnell als möglich erzählte sie ihm die Unterredung des Geheimrathes mit ihrem Vater, dann die ihrige. – Er hörte gespannt zu. – Wie sie ihm auch ihre Worte zu ihrem Vater wiederholt hatte, sagte er mit innigstem Ton, aber schmerzlich bewegt:

»Sie sind eine Schwester aller Unglücklichen, ich zähle Sie mit unter diesen.«

Sie verstand ihn – »Franz!« rief sie mit leisem Vorwurf und lehnte das goldne Lockenhaupt an seine Schulter.

Selige Schauer durchzogen ihn – er wagte nicht, sie[214] zu küssen, er beugte das Knie vor ihr und verstummte vor Entzücken.

Wilhelm hatte von fern gestanden – er hatte Alles mit angehört – jetzt lachte er höhnisch erfreut vor sich nieder und zog sich vorsichtig zurück.[215]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 3, Leipzig 1846.
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