Viertes Buch.

[104] Inhalt: Minyas' Töchter (Dercetis, Semiramis, die Najade, Pyramus und Thisbe, Venus und Mars, Leucothoë, Clytie, Daphnis, Sandon, Celmis, Cureten, Crocus und Smilax, Salmacis). Athamas und Ino (die Furien). Die Ismeniden. Cadmus und Harmonia. Perseus mit dem Medusenhaupte (Schlangen, Atlas, Andromeda's Befreiung, Korallen, Medusa).


Mi'nyas' Tochter jedoch, Alci'thoë, meinet, des Gottes

Orgien brauche sie nicht. Daß Bacchus von Jupiter stamme,

Leugnet sie noch mit vermessenem Trotz, und es teilen die Schwestern

Solch unheiligen Sinn. Zu dem Fest hieß kommen der Priester

Frauen und Mägde zugleich, ablassend von ihren Geschäften,

Decken mit Fellen die Brust, vom Haupt abnehmen die Binden,

Kränze sich legen ins Haar, in die Hand grünlaubige Thyrsen.

Furchtbar werde versäumt zum Zorne sich wenden die Gottheit,

Hatte voraus er gesagt. So Mütter wie Schnuren gehorchend

Lassen Geweb' und Korb und die unvollendete Arbeit.

Weihrauch dampft, und es schallt: Heil, Bro'mius, Ba'cchus, Lyä'us,[105]

Feuergezeugter, allein Zweimüttriger, Wiedergeborner!

Ny'seus! tönet ihr Ruf und: nimmer geschorner Thyo'neus!

Heitrer Lenäus! erschallt's, du Pflanzer der labenden Traube,

E'leleus, Eu'an dazu, Nycte'lius, Vater Ja'cchus

Und was du sonst für Namen noch hast bei den grajischen Stämmen,

Liber, in reichlicher Zahl. Dir bleibt nie welkende Jugend;

Du wirst droben geschaut im Himmel als ewiger Knabe,

Allen in Schöne zuvor; du trägst, wenn dir fehlen die Hörner,

Jungfrauähnliches Haupt. Dir huldigt bezwungen der Aufgang.

Bis wo Ganges benetzt am Ende die bräunlichen Inder.

Pe'ntheus schlachtest du hin und den Beilaufheber Lyku'rgus,[106]

Hoch zu feiernder Gott, die Verächter; du wirfst die Tyrrhe'ner

Nieder ins Meer. Du beugst den Hals, den prächtige Zügel

Schmücken, dem Luchsegespann. Mitziehn Bacchanten und Sa'tyrn

Samt dem trunkenen Greis, der am Rohre die schlotternden Glieder

Stützet und haltlos hängt auf dem Rücken des bauchigen Esels.

Wo du ziehest des Wegs, tönt lärmender Jünglinge Jubel,

Weiblicher Stimmen Geschrei, von den Händen geschlagene Trommeln,

Bauchiges Erz und der Bux mit der langhin gehenden Röhre.

»Nah' uns gnädig und mild!« – so flehen die Ismeni'den,

Und sie begehn den geheißenen Dienst. Nur My'nias' Töchter,

Durch unzeitiges Werk der Mine'rva die Feier entweihend,

Hecheln Wolle daheim, drehn Fäden mit hurtigem Daumen,

Oder beschicken Geweb' und drängen die Mägde zur Arbeit.

Eine davon, mit dem Daumen behend ausziehend den Faden,[107]

Spricht: »Da andere ruhn und folgen ersonnener Feier,

Laßt auch uns, die zu Haus hier Pallas, die bessere Göttin,

Fesselt, das nützliche Werk leicht machen mit wechselnder Rede,

Und mit ergötzlicher Mähr, daß lang nicht werde die Weile,

Laßt jedwede von uns die müßigen Ohren erfreuen!«

Billigend heißen zuerst sie selber erzählen die Schwestern.

Uneins erst in der Wahl – denn sie konnte so vieles erzählen –

Sinnet sie, ob sie von dir, babylonische De'rcetis, rede,

Die mit gewandeltem Leib, da Schuppen verhüllten die Glieder,

Schwamm im Weiher umher, wie glaubet das Volk Palästina's;

Ob vielmehr, wie die Tochter von ihr die letzten der Jahre,

Als ihr Gefieder gesproßt, auf ragenden Türmen verlebte;

Oder, wie einst mit Bann und mit allzu wirksamen Kräutern

Jünglinge eine Najad' in schweigende Fische verkehrte,[108]

Bis sie Gleiches erlitt; ob lieber, wie dunkele Früchte

Trägt, weil Blut ihn genetzet, der Baum, der weiße getragen.

Dies zu erzählen beliebt, weil nicht alltäglich das Märchen,

Und so hebet sie an, aus der Woll' ausziehend den Faden:

»Thi'sbe und Py'ramus einst, der Jünglinge schönster der eine,

Hoch die andre berühmt vor allen den Mädchen im Osten,

Wohnten als Nachbarn dort, wo die prächtige Stadt nach der Sage

Hatte Semiramis rings mit Backsteinmauern umgeben.«

Umgang brachte zuweg' und vertrautes Gewöhnen die Nähe;

Liebe erwuchs mit der Zeit, und sie wären vereint von den Fackeln,

Ohne der Väter Verbot. Was die nicht konnten verbieten:

Beider Gemüt war gleich entzündet von heißem Verlangen.

Jeglicher Zeuge ist fern. Sie reden mit Winken und Zeichen,

Und je enger beschränkt, je mächtiger wallet die Flamme.

Von kaum merklichem Riß, den schon beim Bau sie bekommen,

War durchspalten die Wand, die gemein jedwedem der Häuser.

Dieses Gebrechen, erkannt noch nie seit Reihen von Jahren,

Ward – was merkt nicht Liebe? – zuerst euch Liebenden sichtbar,

Dann als Weg für die Stimme gewählt, und in leisem Geflüster

Pflegten verstohlen hindurch zu gehn liebkosende Worte.

Oft, wenn sie standen davor, hier Thisbe, Pyramus drüben,

Und jedwedes den Hauch auffing von des anderen Munde,

Sprachen sie: »Neidische Wand, was bist du der Liebenden Hemmnis?

Wieviel hätt' es bedurft, daß ganz du uns ließest vereint sein

Oder, wenn dieses zuviel, uns Raum doch gäbest zum Küssen!

Doch nicht weigern wir Dank. Dir sind wir mit Freuden erkenntlich,

Daß zu befreundetem Ohr Durchgang du gewährest den Worten.«

Wenn von einander getrennt sie solches vergeblich geredet,

Sagten sie gegen die Nacht Lebwohl und gaben ein jedes

Küsse der scheidenden Wand, die nicht hinüber gelangten.[109]

Früh nun hatte verscheucht die nächtlichen Leuchten Aurora,

Und das betauete Gras mit Strahlen die Sonne getrocknet,

Als der gewöhnliche Ort sie vereint. Mit leisem Geflüster

Klagen sie lang und beschließen sodann die Hüter zu täuschen

Mitten in schweigender Nacht und sacht aus der Thüre zu schleichen,

Wenn sie entkommen dem Haus, die Gebäude der Stadt zu verlassen,

Dann, daß draußen sie nicht fehlgingen im weiten Gefilde,

Beide zu kommen zum Grabe des Ninus und sich zu verbergen

Unter dem schattigen Baum. Dort ragte beladen mit weißen

Früchten ein Maulbeerbaum ganz nahe bei kühlendem Borne.

So ist bestimmt, und das Licht, das langsam schien zu entweichen,

Sinkt in die Wogen hinab, und die Nacht steigt auf aus den Wogen.

Sacht dreht Thisbe die Thür in der Angel und schlüpft in dem Dunkel

Leise hinaus, von keinem bemerkt, und verhüllet das Antlitz

Langt bei dem Hügel sie an und setzt an dem Baume sich nieder.

Liebe machte sie stark und beherzt. Da nahet ein Löwe

Frisch von dem Morde der Rinder befleckt den schäumenden Rachen,

Daß er sich lösche den Durst im nahen Gewässer der Quelle.

Diesen gewahrte von fern im Mondschein Babylons Tochter

Thisbe und floh mit ängstlichem Fuß zur finsteren Höhle;

Aber sie ließ auf der Flucht das Gewand entfallen dem Rücken.

Als mit reichlichem Tranke der grimmige Leu sich gesättigt,

Sieht er, während zum Wald er zurückkehrt, ohne die Jungfrau

Liegen das dünne Gewand und zerfetzt es mit blutigem Maule.

Später entschritten dem Haus nimmt wahr in dem lockeren Sand

Sichere Spuren des Tiers und erblaßt im ganzen Gesichte

Pyramus. Wie er das Kleid auch findet vom Blute gerötet,

Spricht er: »Dieselbige Nacht wird Tod zwei Liebenden bringen;

Ach, und die würdigste war doch sie vieljährigen Lebens!

Ich nur trage die Schuld; ich habe dich, Ärmste, gemordet,

Der ich kommen dich hieß bei Nacht an grausige Stätte,[110]

Und als der Spätere kam. Reißt unseren Körper in Stücke,

Und mit dem grimmen Gebiß zehrt auf die verruchten Geweide,

All ihr Löwen zumal, die ihr haust hier unter dem Felsen!

Aber den Tod zu wünschen ist feig.« Und die Hülle der Thisbe

Hebt er vom Boden und nimmt sie mit in den Schatten des Baumes.

Wie dem bekannten Gewand er Thränen gegeben und Küsse,

Spricht er: »Empfange denn nun auch unseres Blutes Beströmung«;

Und er versenkt in die Weichen den Stahl, mit dem er gegürtet;

Rasch dann zieht er ihn sterbend heraus aus der blutenden Wunde.

Hochauf spritzte das Blut, wie er rücklings lag auf dem Boden,

Ähnlicher Art, wie wenn die beschädigte bleierne Röhre

Aufplatzt und mit Gewalt weithin feinstrahliges Wasser

Schleudert aus zischendem Loch und die Luft wegdrängt mit dem Schusse.

Von dem bespritzenden Blut gehn über die Früchte des Baumes

Plötzlich in schwarze Gestalt, und die Wurzel vom Blute befeuchtet

Tränkt sie mit punischem Saft und färbt die hangenden Beeren.

Sieh, da kehrt noch bang, um nicht den Geliebten zu täuschen,

Thisbe zurück und sucht mit Augen und Herzen den Jüngling.[111]

Ihm, wie großer Gefahr sie entging, zu erzählen verlangend.

Während den Ort sie erkennt und am Baum die gesehene Bildung,

Macht sie die Farbe der Frucht doch irr: ob dieser es wäre,

Stutzte sie. Zweifelnd im Sinn sah zuckende Glieder sie plötzlich

Schlagen den blutigen Grund, und sie wich mit dem Schritt, und im Antlitz

Wurde sie bleicher als Bux und schauderte ähnlich dem Meere,

Welches erbebt, wenn leicht hinstreift an dem Spiegel ein Lufthauch.

Aber, sobald sie erkannt nach kurzem Verzug den Geliebten,

Schlägt sie mit hallendem Streiche die schuldlos leidenden Arme,

Rauft sich das Haar und umschlingt den teueren Leib, und die Wunde

Füllt mit Thränen sie an und mischt mit dem Blute der Zähren

Heißen Erguß und bedeckt mit Küssen das eisige Antlitz.

»Pyramus – jammert sie laut – was raubte dich mir für ein Schicksal?

Pyramus, rede zu mir! Sieh, deine geliebteste Thisbe

Nennet dich. Höre mich doch und erhebe das liegende Antlitz!«

Als sie Thisbe gesagt, schlug wieder die brechenden Augen

Pyramus auf und schloß, wie er Thisbe geschaut, sie für immer.

Jetzo gewahrt sie ihr eignes Gewand und die elfene Scheide

Ohne das Schwert. »Dein Arm, Unglücklicher – ruft sie – und Liebe

Haben den Tod dir gebracht. Auch mir ist der Arm zu dem Einen

Stark: auch mir wird Kraft zu Wunden verleihen die Liebe.

Ja, dir folg' ich im Tod; dann heiß' ich deines Verderbens

Grund und Begleiterin auch, und den allein mir entreißen

Konnte der bittere Tod, soll Tod auch nicht mir entreißen.

Um dies einzige nur seid noch von uns beiden gebeten,

O von mir und von ihm ihr viel unglücklichen Väter:

Uns, die entschlossene Lieb' in der Stunde des Todes vereinte,

Uns mißgönnet es nicht, beisammen zu ruhen im Grabe.

Doch du Baum, der du jetzo die klagliche Leiche des einen

Deckst mit deinem Gezweig, bald deckst von zweien die Leichen:[112]

Wahre die Zeichen der That und behalte für immer der Trauer

Ziemende dunkele Frucht als Mal zwiefältigen Mordes.«

Sprach's, und unter die Brust sich stemmend die Spitze des Schwertes,

Stürzte sie sich in den Stahl, der noch von dem Morde gewärmt war.

Aber es rührt' ihr Wunsch die Götter und rührte die Eltern.

»Denn, wenn ganz sie gereift, ist schwarz an den Beeren die Farbe,

Und was die Flammen verschont, das ruht in gemeinsamer Urne.«

Damit war sie am Schluß. Kurz währte die Frist, und zu reden

Hub Leuco'noë an. Still waren die achtsamen Schwestern.

»Ihn auch, welcher das All durchdringt mit dem himmlischen Lichte,

Faßte die Liebe, den Sol. Sols Liebschaft will ich erzählen.

Dieser zuerst, wie Glauben besteht, sah, daß im geheimen

Buhleten Venus und Mars. Der Gott sieht alles am ersten.

Drob unwillig entdeckt er dem Junogeborenen Gatten

Schleunig die Schande des Betts und den Ort der Schande. Dem Gatten

Wich die Besinnung zugleich und das Werk, das eben die Rechte

Fertigte. Ketten sofort ganz dünn aus Erze geschmiedet,

Schlingen und Netze dazu, die den Blick wohl konnten betrügen,

Feilt er zurecht. Nicht mögen das Werk die zartesten Fäden,

Nicht am hohen Gebälke das Spinnengewebe beschämen.

Daß es dem leisesten Druck nachgibt und schwacher Berührung,

Macht er zugleich und legt es geschickt ringsher um das Lager.

Wie in das Bett nun kam mit dem Buhlen zusammen die Gattin,

Sind durch die Kunst des Gemahls und die schlau erfundenen Bande

Mitten im Liebesumfahn die beiden ertappt und gefangen.

Jetzo im Nu geht auf die helfene Thür, und die Götter

Lässet der Lemnier ein. Sie lagen verschlungen in Schande.

Aber es wünscht wohl mancher der nicht trübsinnigen Götter[113]

So in Schande zu sein. Die Himmlischen lachten, und lange

Blieb das Tagesgespräch im ganzen Oly'mpus der Vorfall.

Bald mit Strafe vergilt den Verrat die kythe'rische Göttin.

Denn nicht minder ihm selbst, der störte die heimliche Liebe,

Stört sie mit Liebe die Ruh. Was frommt, o Sohn Hype'rions,

Farb' und Gestalt dir nun und die Fülle des strahlenden Lichtes?

Du, des eigene Glut durchbrennet die sämtlichen Lande,

Brennest von anderer Glut. Da alles zu schauen dir obliegt,

Schaust du Leuco'thoë nur und heftest allein auf die Jungfrau

Augen, die doch zukommen der Welt. Am östlichen Himmel

Steigst du zu früh bald auf, bald sinkst du zu spät in die Wogen,

Und du verlängerst vertieft im Schauen die Stunden des Winters;

Manchmal fehlest du ganz, und das Siechtum deines Gemütes

Dringt in das Licht und dunkel erschreckst du der Sterblichen Seelen.

Auch nicht stehest du bleich, weil näher der Erde des Mondes

Bild dir sperrte den Weg: es entfärbt sich also die Liebe.

Sie nur trägst du im Sinn. Nicht Kly'mene hält dich, noch Rhodos,

Nicht die schönste der Frauen, die Mutter der ä'ischen Ci'rce,[114]

Kly'thie nicht, die heiß, obgleich vom Geliebten verschmähet,

Deine Umarmung ersehnt' und zu eben der Zeit an der Wunde

Schmerzvoll litt. Dich ließ Leuco'thoë viele vergessen,

Die Eurynome einst, des Weihrauch zeugenden Landes

Schönste, gebracht zur Welt. Als aber die Tochter heranwuchs,

War sie der Mutter voraus, wie allen die Mutter, an Schönheit.

Im achämenischen Reich war Orchamus König, ihr Vater,

Der als siebenter Sproß von dem Urahn Be'lus gezählt wird.«

Unter dem westlichen Pol ist die Weide des Sonnengespannes,

Welchem als Gras Ambrosia dient. Die nähret die Glieder

Müde vom Dienste des Tags und kräftigt sie wieder zur Arbeit.

Während die Rosse sich dort abrupfen das himmlische Futter,

Und sich umher ausbreitet die Nacht, tritt in das geliebte

Zimmer der Gott, die Gestalt der Mutter Eury'nome borgend.

Mit zwölf Mägden erblickt er Leucothoë, wie sie geschäftig

Glattes Gespinst beim Licht auszieht an gedreheter Spindel.

Drauf nun, wie er geküßt als Mutter die teuere Tochter,

Sprach er: »Die Sach' ist geheim; geht fort, ihr Mägd' und benehmet

Nicht der Mutter das Recht, ein Wort im Vertrauen zu reden.«

Also geschah, und als im Gemach kein Zeuge geblieben,

Sagte der Gott: »Ich bin's, der misset die Länge des Jahres.

Ich, der alles erschaut, der macht, daß alles die Erde

Schauet, das Auge der Welt. Du gefällst mir, glaub' es.« Sie zittert;

Rocken und Spindel entfällt im Schrecken den lässigen Fingern.

Selber die Furcht stand schön. Und der Gott, nicht länger verziehend,

Kehrte zurück in die wahre Gestalt und den ständigen Schimmer.

Jene, wie sehr sie geschreckt auch war, von dem plötzlichen Anblick,

Fügte, besiegt von dem Glanz, sich dem Gott, einstellend die Klage.[115]

Kly'thie sah es mit Neid – denn vormals hatte sie Phöbus

Über die Maßen geliebt – und gestachelt von Zorn auf die Buhle,

Macht sie die Liebschaft kund und meldet dem Vater der Tochter

Ruchbare Schuld. Der aber im Grimm gräbt sonder Erbarmen,

Während sie fleht und zum Lichte des Sol aufhebet die Hände

Und: »Ich erlitt abwehrend Gewalt!« ihm beteuert, sie grausam

Tief in die Erd' und beschwert sie dazu mit sandigem Hügel.

Diesen zerstreut mit Strahlen der Sohn Hype'rions und schafft dir

Ausgang, wo du vermagst aus der Grube zu heben das Antlitz.

Aber du konntest das Haupt nicht mehr aufrichten, o Nymphe,

Schon von der Erde erdrückt; du lagst ein verblichener Leichnam.

Nie seit Pha'etons Brand war schmerzlicher irgend ein Anblick,

Gehet die Sage, wie der, für den Lenker des Flügelgespannes.

Lang war jener bemüht, wenn möglich, die frostigen Glieder

Durch der Strahlen Gewalt zur Wärme des Lebens zu wecken;

Aber dieweil das Geschick so großem Beginnen entgegen,

Sprengt' er auf Leib und Ort wohlriechenden Nektar und sagte,

Als noch viel er geklagt: »Doch sollst du berühren den Äther.«

Sieh, da zergeht alsbald, durchdrungen vom himmlichen Nektar,

Schmelzend der Leib und tränkt mit duftigen Tropfen das Erdreich;

Und aus den Schollen gemach, darinnen er Wurzel geschlagen,

Hebt sich ein Weihrauchstamm und zerteilt mit der Spitze den Hügel.[116]

Aber der Klythie mag, wenn auch entschuldigen konnte

Liebe den Schmerz und Schmerz den Verrat, der Spender des Lichtes

Nicht mehr nahn, und er setzet dem Bund mit jener ein Ende.

Seitdem schwand sie dahin, unsinnig sich härmend in Sehnsucht,

Nie zu den Nymphen gesellt, und im Freien auf offener Erde

Saß sie bei Tag und Nacht, achtlos auf das hangende Haupthaar,

Und neun Tage hindurch sich Trank und Speise versagend,

Gab sie dem nüchternen Mund nur Tau und eigene Thränen.

Nie auch wich sie vom Sitz. Zum Gesichte des wandelnden Gottes

Schaute sie nur und wandte sich stets nach ihm mit dem Antlitz.

Haften verblieb, wie es heißt, am Boden ihr Leib, und die fahle

Bläss' entfärbt sich zum Teil zu saftentbehrendem Kraute;

Rot ist gefärbt ein Teil, und violenähnliche Blume

Deckt das Gesicht. Sie wendet, obgleich von der Wurzel gehalten,

Immer dem Sol sich zu und bewahret verwandelt die Liebe.

Schluß war nun, und es hatten gehorcht auf das Wunder die Ohren.

Glauben versagt ein Teil, ein Teil meint, wirkliche Götter

Hätten zu allem die Macht; doch nicht ist Bacchus darunter.

Jetzt an Alcithoë ist, wie die Schwestern geschwiegen, die Reihe,

Und sie beginnt mit dem Schiff durcheilend den stehenden Aufzug:

»Nicht die verbreitete Mähr von der Liebe des Hirten am Ida[117]

Daphnis ersah ich mir aus, den die eifersüchtige Nymphe

Hart ließ werden zu Stein. So heiß drängt Schmerz die Verliebten.

Auch nicht red' ich, wie einst der natürlichen Ordnung entgegen

Mann bald war, bald Weib der wechselgestaltige Sandon.

Die auch, Stahl anjetzt, sonst Jupiters treuer Gefährte,

Celmis, und euch, Cureten, erzeugt vom reichlichen Regen,

Crocus und Smilax auch in niedliche Blumen verwandelt

Lass' ich weg, und den Sinn soll fesseln ergötzliche Neuheit.

Warum Sa'lmacis kam in Verruf, weshalb sie verweichlicht[118]

Mit arg wirkendem Born und erschlafft umflossene Glieder,

Höret es. Wenig bekannt ist der Grund, allkundig der Zauber.«

Von Mercu'rius einst erzeugt mit der Göttin Cythe'ra's

Ward von Najaden ein Knab' in der Ida Grotten erzogen.

Also war sein Gesicht, daß leicht so Vater wie Mutter

Wieder erkannte der Blick; auch ward er nach beiden geheißen.

Wie er erreicht dreimal fünf Jahre, da zog von der Heimat

Bergen der Knabe hinaus, und getrennt von der nährenden Ida

War es ihm Lust zu schweifen umher durch fremde Gefilde,

Fremde Gewässer zu sehn, und die Mühen verringerte Neugier.

Auch zu dem lykischen Land und den Karern, Lykiens Nachbarn,

Kommt er des Wegs. Hier lockt ihn mit glänzendem Wasser ein Weiher

Klar bis zum untersten Grund. Dort war kein sumpfiges Röhricht,

Dort kein mageres Schilf, noch Binsen mit stachlicher Spitze.

Hell durchscheinet die Flut. Doch außen umsäumet den Weiher

Frisch aufkeimendes Gras und grün stets bleibender Rasen.

Die ihn bewohnet, die Nymph' ist zur Jagd untüchtig, und niemals

Ziehet den Bogen sie straff, noch mag sie eifern im Wettlauf,

Von den Najaden allein ganz fremd der behenden Diana.

Oft wohl sprachen zu ihr – so meldet die Sage – die Schwestern:

»Salmacis, nimm den Spieß, den zierlich gefertigten Köcher,

Und mit der stärkenden Jagd vertausche behagliche Muße!«

Doch nicht nimmt sie den Spieß, noch den zierlich gefertigten Köcher,

Mag mit der stärkenden Jagd nicht tauschen behagliche Muße,

Sondern bespület in dem Wasser des Borns die reizenden Glieder,

Streichet die Haare sich glatt mit dem Kamm von cytorischem Buxbaum,

Oder befragt, was schön ihr stehe, die spiegelnden Wellen;

Mit durchsichtigem Kleid auch öfter umgeben den Körper

Wählt bald schwellendes Laub, bald schwellendes Gras sie zum Lager;

Oft pflückt Blumen sie ab. Auch damals pflückte sie Blumen,[119]

Als sie den Knaben erblickt und des kaum Erblickten begehret.

Noch nicht nahet sie ihm, obgleich sie sich eilte zu nahen,

Bis sie geordnet den Putz und musternd besehen den Anzug,

Freundlich die Miene gemacht und verdient liebreizend zu scheinen.

»Jüngling – redet sie nun – als einer der Götter zu gelten

Würdig zumeist! Wofern du ein Gott, wohl bist du Cupido;

Doch wenn sterblicher Art, dann selig die beiden Erzeuger,

Glücklich der Bruder von dir, fürwahr zu beneiden die Schwester,

Falls dein eine du nennst, und die einst dich säugte, die Amme!

Doch glückselig und reich vor allen und über die Maßen,

Die als Braut dir gehört, die würdig du findest der Fackel.

Hast du diese bereits, sei mein Umfangen verstohlen;

Hast du sie nicht, sei ich's, und laß uns einen das Brautbett!«

Hiermit schwieg die Najad'. Es errötet die Wange des Jünglings,

Welchem die Liebe noch fremd. Doch schön auch stand das Erröten.

So ist der Apfel zu sehn, der hängt am sonnigen Baume,

Oder das Elfenbein, das gefärbt ist, oder mit Weiße

Röte vereinend der Mond, wenn fruchtlos helfenes Erz tönt.

Als ihn um Schwesterkuß zum wenigsten ständig die Nymphe

Bittet und schon ausstreckt nach dem helfenen Nacken die Arme,

Ruft er: »Hinweg! Sonst flieh' ich und meide den Ort und dich selber.«

Sa'lmacis bangte darob und sprach: »Frei mögest du, Fremdling,

Hier dich ergehn!« Und sie wendet zum Schein weggehend die Schritte.

Doch stets blickt sie zurück, und versteckt im Wald der Gebüsche

Lugt sie geduckt mit gebogenem Knie. Doch jener, wie Knaben

Pflegen, und unbelauscht sich wähnend im einsamen Grase,

Geht lustwandelnd umher, und hinein in die plätschernden Wellen

Taucht er die Sohlen zuerst, dann bis an die Knöchel die Füße.

Bald auch legt er, gelockt von der Milde des schmeichelnden Wassers,[120]

Nieder das weiche Gewand von dem zartgebildeten Körper.

Da kommt Sa'lmacis ganz von Sinnen und brennt von Begierde

Nach der enthüllten Gestalt, und es glühen die Augen der Nymphe

Ähnlicher Art, als wenn vollglänzend mit lauterer Scheibe

Prallet die Sonne zurück vom entgegengehaltenen Spiegel.

Kaum erträgt sie Verzug, kann kaum ihr Entzücken verschieben,

Wünscht ihn schon zu umfahn; mit Müh' nur hält sie sich sinnlos.

Jener beklatscht sich den Leib mit offenen Händen und springet

Rasch in die Wellen hinein, und rudernd mit wechselnden Armen

Scheinet er durch in der Flut, wie wenn schneeige Lilien einer

Oder ein helfenes Bild zudeckt mit hellem Kristallglas.

»Sieg! er ist mein!« so ruft die Najad', und jegliche Hülle

Schleudert sie fort und wirft sich mitten hinein in die Wellen,

Hält den Streitenden fest und raubt im Ringen ihm Küsse,

Schiebt ihm unter die Händ' und berührt den wehrenden Busen,

Und bald schmiegt sie sich hier, bald schmiegt sie sich dort an den Jüngling.

Endlich hält sie, wie sehr er sich sträubt und sucht zu entkommen,

Ihn wie die Schlange umstrickt, die der Königsvogel davonträgt,

Und hoch rafft in die Luft – im Schweben umwickelt ihm jene

Füße und Kopf und umschlingt mit dem Schwanz die gebreiteten Flügel –

Oder wie Epheu pflegt sich zu ranken an ragenden Stämmen,

Oder wie unter der Flut der Polyp den ergriffenen Gegner

Hält mit den Fängen gepackt, die er streckt nach jeglicher Seite.

Stand hält Atlas' Sproß und weigert der Nymphe die Freuden,

Die sie ersehnt. Sie dränget und spricht, wie sie dicht an den Jüngling

Sich mit dem Leibe geführt: »Wie sehr, Grausamer, du wehrest,

Doch entkommst du mir nicht. So möge, verhängt es, ihr Götter,

Jenen von mir kein Tag, kein Tag mich trennen von jenem!«

Götter alsbald willfahren dem Wunsch. Die Körper der beiden

Werden vermengt und zu einer Gestalt mit einander verbunden.[121]

Wie oft einer gewahrt, der Zweige vereint mit der Rinde,

Daß sie verwachsen in eins und dann aufschießen gemeinsam;

Also, wie sich verschränkt die Glieder enger Verschlingung,

Sind's nicht zwei und doch ein Doppelgeschöpf, das zu heißen

Knabe so wenig wie Weib; sie scheinen so keines wie beides.

Wie er sich sieht von der Flut, worein als Mann er gestiegen,

Zum Halbmann gemacht und schlaff die Glieder geworden,

Bittet, die Hände gestreckt, mit schon unmännlicher Stimme

Hermaphrodi'tus und spricht: »Erweist, o Vater und Mutter,

Euerem Sohne die Gunst, der führt von euch beiden den Namen:

Wer in den Born hier kommt als Mann, der steige als Zwitter

Wieder heraus und erschlaffe sogleich, wie er taucht in das Wasser.«

Gütig erfüllend den Wunsch des doppelgestaltigen Sohnes,

Geben die Eltern dem Quell das Geschlecht verwirrenden Zauber.

Damit schloß das Gespräch. Noch fördern des Minyas Töchter

Immer das Werk und verachten den Gott und entweihen die Feier,

Als mit dumpfem Getön von keinem gesehene Trommeln

Treffen das Ohr und Flöten dazu mit gebogenem Horne

Schallen und klirrendes Erz. Duft steigt von Myrrhen und Safran,

Und – kaum glaublich erscheint's – zu grünen beginnet der Webstuhl,

Während das hangende Zeug sich belaubt als treibendes Epheu[122]

Oder als Reben sich zeigt; was jüngst noch Faden gewesen,

Wandelt in Ranken sich um; Weinlaub entsprießet dem Aufzug;

Purpurgewirk gibt her den Schimmer zu farbigen Trauben.

Nunmehr hatte der Tag sich geneigt, und gegen die Zeit war's,

Die nicht Helle des Tags, doch auch nicht Dunkel zu nennen,

Sondern der Übergang zur dämmernden Nacht von dem Lichte.

Plötzlich erschien's, wie wenn bebte das Haus und harzige Fackeln

Flammten empor und rot sich erhellte von Glut das Gebäude

Und laut heulten umher Trugbilder von reißenden Tieren.

Längst schon suchen Versteck im rauchigen Hause die Schwestern,

Jed' an gesondertem Ort, und meiden das Licht und das Feuer.

Während sie sich Schlupfwinkel ersehn, spannt zwischen die kleinen

Glieder sich Haut, und die Arme beziehn kaum merkliche Schwingen.

Aber zu sehen die Art, wie die alte Gestalt sie verloren,

Ist von dem Dunkel verwehrt. Nicht hob sie vom Boden Gefieder;

Dennoch schwebten sie frei mit hell durchscheinenden Flügeln.

Wie sie zu reden sich mühn, tönt schwach nach dem Maße des Körpers

Nur ein Geschwirr, und sie klagen ihr Leid in leisem Gewisper.

Häuser bewohnen sie stets, nicht Wälder, und hassend die Helle,

Fliegen sie nachts und werden genannt nach dem Flattern am Abend.

In ganz Theben berühmt war jetzt die Gottheit des Bacchus,

Und von der hohen Gewalt des neu einziehenden Gottes

Redet die Muhm' allorts. Sie allein von allen den Schwestern

War vom Leide verschont und empfand nur Leid um die Schwestern.

Ju'no aber gewahrt, wie die Kinder und A'thamas' Lager[123]

Und der erzogene Gott das Gemüt ihr wandten zur Hoffart,

Und sie ergrimmt und spricht für sich: »Macht hatte der Bastard,

Daß er gewandelt ins Meer die mäonischen Schiffer versenkte

Und die Geweide des Sohns hingab zum Zerreißen der Mutter

Und mit Gefieder den Leib umhüllte den drei Minyaden:

Juno sollte sich nur abhärmen auf Rache verzichtend?

Das wohl ist mir genug? das wohl all unser Vermögen?

Er lehrt, was wir zu thun. Man darf auch lernen vom Feinde.

Wozu mächtig die Wut, hat jener am Morde des Pe'ntheus

Über Genüge gezeigt. Warum nicht sollte denn I'no

Folgen, gestachelt von Wut, dem Beispiel ihrer Verwandten?«

Steil geht nieder ein Pfad, umdüstert von giftigen Eiben,

Der in das untere Reich durch schweigende Stille hinabführt.

Nebel verhaucht unrührig die Styx. Neukommende Schatten

Steigen hinab alldort und Gebilde bestatteter Toten.

Winter beherrscht und Grau das dornige Land und die neuen

Manen sind ungewiß, wo der Weg zur stygischen Stadt sei,

Wo sich der finstere Dis erkoren die schaurige Hofburg.

Zahllos sind an der Stadt Zugäng' und offene Thore

Allseits, und wie das Meer die Flüsse von allen den Ländern,

Also empfängt dies Reich die sämtlichen Seelen, und nimmer

Wird es dem Volke zu eng, noch merkt es der Menge Vermehrung.

Ohne Gebein und Leib gehn blutlos irrende Schatten.

Manche besuchen den Markt und manche das Haus des Beherrschers;

Andere treiben Gewerb' als Nachbild früheren Lebens.

Dorthin zwingt sich zu gehn, entstiegen dem himmlischen Wohnsitz –

Soviel that sie dem Haß und dem Zorn – die saturnische Juno.

Wie sie hinein nun trat, und gedrückt von dem heiligen Leibe[124]

Seufzend die Schwelle sich bog, hob Cerberus dräuend der Häupter

Drei und erhob dreifaches Gebell. Sie rufet die Schwestern,

Welche geboren die Nacht, die streng unerbittlichen Mächte.

Vor dem verriegelten Thor, das schließt mit Stahle den Kerker,

Saßen sie da, wegkämmend vom Haar schwarzschillernde Nattern.

Aber sobald sie Juno erkannt im Schatten des Dunkels,

Stunden die Göttinnen auf. Die Statt heißt Ort der Verdammnis.

Tityos bot alldort zum Zerfleischen die Leber und deckte,

Wie er so lag, neun Hufen zugleich. Du Ta'ntalus, haschest

Stets nach Wasser umsonst, und der Baum, der winket, entweicht dir.

Si'syphus holt und drängt das immer entrollende Felsstück.[125]

Kreisend am Rade verfolgt und flieht sich selber Ixi'on.

Die an den Vettern den Mord zu verüben gewagt, die Beli'den,

Schöpfen mit stetem Bemühn gleich wieder verlorene Wellen.

Als die Tochter Satu'rns die alle mit finsterem Auge

Hatte geschaut und Ixion zumeist, da blickt sie von diesem

Wieder auf Sisyphus hin und spricht: »Warum von den Brüdern

Trägt er ewige Pein, und stolz darf A'thamas wohnen

Im hochherrlichen Haus, der stets mir samt der Gemahlin

Hohn sprach?« Und sie erklärt die Gründe des Grolls und des Weges

Und ihr Begehr. Sie begehrt, daß stehn nicht bleibe des Cadmus

Königspalast und zu Gräul den A'thamas reißen die Schwestern.

Strenges Geheiß und Versprechen zugleich und Bitten vereinend

Regt sie die Göttinnen an. Wie Juno also gesprochen,

Schüttelt Tisi'phone wirr, wie sie hingen am Haupt, die ergrauten

Haare und wirft vom Gesichte zurück vorstrebende Schlangen;

Darauf hub also sie an: »Nicht Not ist schweifige Rede:

Achte gethan, was nur du befiehlst. Von dem freudlosen Reiche

Fleuch und begib dich zurück zu den Lüften des schöneren Himmels.«

Froh kehrt Juno zurück; doch eh' in den Himmel sie eintrat,

Ward sie vom träufelnden Naß der thaumantischen Iris gereinigt.

Aber Tisiphone nimmt die blutdurchdrungene Fackel

Unheilbrütend und wirft den Mantel sich um, den gerötet

Flüssiges Blut, und gürtet den Leib mit gewundener Schlange.

Also verläßt sie das Haus. Mit der Schreitenden gehn als Begleiter[126]

Trauer und Schrecken und Angst und unstät blickender Irrsinn.

Wie auf der Schwelle sie stand, da zitterten, heißt es, die Pfosten

An dem äolischen Thor und die Ahornflügel erblaßten;

Selber die Sonn' entwich. Bang schauet die Gattin das Schrecknis;

Athamas schauet es bang, und sie wollten enteilen dem Hause;

Aber die Thür hielt sperrend besetzt die grause Eri'nnys.

Jetzo, die Arme gestreckt, die geknotete Schlangen umwinden,

Regt sie schüttelnd das Haupt. Laut rascheln geschüttelt die Nattern.

Teils auf die Schultern gesenkt, teils auch umschlüpfend den Busen,

Zischen sie wild und speien ihr Gift und schnellen die Zungen.

Zwei der Schlangen darauf entreißt sie der Mitte des Haupthaars,

Packt und schleudert sie hin mit der unheilbringenden Rechten.

Gleich durchkriecht das Gezücht des Athamas Busen und Ino's,

Streifend die Haut mit giftigem Hauch; doch Wunden am Leibe

Schlagen sie nicht; der Geist nur fühlt die entsetzlichen Stiche.

Gräßlichen Trank auch brachte sie mit von flüssigem Gifte,

Schaum aus Cerberus' Maul und scheußlichen Geifer Echidna's,

Unstät schweifenden Wahn und verblendeten Sinnes Verstörung,

Frevel dazu und Wut und Thränen und schreckliche Mordlust,

Alles gerieben in eins und gemengt mit frischem Geblüte,

Dann im Kessel gekocht und gerührt mit grünendem Schierling.

Während sie stehen entsetzt, gießt jene den gährenden Gifttrank

Beiden hinab in die Brust und empört tief innen den Busen.

Drauf in demselbigen Kreis zum öfteren drehend die Fackel,

Folgt sie dem Brand stets nach mit schleunig geschwungenem Brande.

Ledig des Auftrags nun und siegreich kehrt sie zum öden

Reiche des mächtigen Dis und löst die umgürtende Schlange.

Ä'olus' Sohn alsbald schreit rasend inmitten des Hofes:

»Auf, ihr Gefährten, hallo! Hier stellt im Walde die Garne![127]

Hier mit doppelter Brut soeben ersah ich die Löwin.«

Und er verfolgt, als wär' es ein Wild, wahnwitzig die Gattin,

Reißt vom Busen ihr weg den lächelnden Knaben Lea'rchus,

Während die Ärmchen er streckt, und schwingt ihn nach Sitte der Schleuder

Zwei, dreimal in der Luft und zerschmettert am harten Gesteine

Grimmig des Kindes Gesicht. Da erst ward rasend die Mutter,

Ob nun Schmerz das that, ob Schuld das verbreitete Gift war.

Laut aufheult sie und flieht wahnsinnig mit fliegenden Haaren.

Während auf nackendem Arm sie das Kindlein trägt, Melice'rtes,

Schreit sie: »Bacchus, io!« Laut lacht beim Namen des Bacchus

Juno und spricht: »So möge Gewinn dir bringen der Zögling!«

Weit in das Meer hängt über ein Fels; ihn höhlen die Fluten

Unten am Fuß, und er schirmt wie ein Dach vor Regen die Wellen.

Starr ist das Haupt und ragt mit der Stirn in die offene Meerflut.

Dorthin – Kräfte verlieh ihr der Wahnsinn, – kletterte Ino,

Und in die Fluten hinaus, nicht säumend in ängstlichem Zagen,

Stürzte sie sich und die Last. Weiß schäumte die Woge vom Anprall.

Aber im Herzen gerührt von der schuldlosen Enkelin Leiden

Schmeichelte Venus dem Ohm und bat: »O Gott der Gewässer,

Dem die Gewalt zufiel, die dem Himmel am nächsten, Neptunus,

Großes begehr' ich fürwahr; doch laß dich jammern die Meinen,

Die des Ionischen Meers endloses Gewog' umherwirft:

Nimm als Götter sie auf. Ich stehe ja selber der Meerflut

Nicht gar fern, wenn anders aus Schaum inmitten der Tiefe

Einst ich erwuchs und behielt daher den grajischen Namen.«[128]

Nickend verhieß ihr Gewähr Neptunus, und alles, was sterblich,

Nahm er von ihnen hinweg und verlieh ehrwürdige Hoheit

Ihrer Gestalt und erneute zugleich mit der Bildung den Namen;

Denn Leucothea nannt' er die Mutter, Palämon den Meergott,

Ihre sidonischen Frau'n, die der Spur, so weit sie vermochten,

Waren gefolgt, erspähen die letzten am Rande der Klippe.

Nicht mehr zweifeln sie nun an dem Tod und schlagen den Busen,

Jammernd um Cadmus' Geschlecht, und zerreißen Gewänder und Haupthaar,

Während als wenig gerecht und grausam gegen die Buhle

Ueber Gebühr die Göttin sie schmähn. Nicht litt die Beschimpfung

Juno und sprach: »Ihr selbst sollt werden das größeste Denkmal

Unserer Grausamkeit!« Und die That kam rasch nach den Worten.

Die sich getreu erwiesen zumeist, rief aus: »In die Wogen

Folg' ich der Königin nach!« Doch wie sie zum Sprunge bereit war,

Konnte sie nicht sich regen und hing an die Klippe geheftet.

Während die Andere strebt wehklagend den Busen zu geißeln,

So wie Gebrauch, fühlt schon sie erstarrt die strebenden Arme.

Jene, die eben gestreckt nach den Wellen des Meeres die Hände,[129]

Streckte gewandelt in Stein nach den nämlichen Wellen die Hände.

Dieser, wie grade das Haar sie ergriff und raufte vom Scheitel,

Waren im Haar urplötzlich erharscht die Finger zu sehen.

Jede verbleibt als Fels in dem Thun, darin sie betroffen.

Auch ward Vögel ein Theil. Noch jetzt mit den Enden der Flügel

Streifen im dortigen Meere die Ismeniden die Fläche.

Aber Agenors Sohn weiß nicht, daß Tochter und Enkel

Götter geworden im Meer. Von dem Gram und der Reihe der Leiden

Und von den Zeichen besiegt, die er häufig gesehen, verläßt er,

Der sie gegründet, die Stadt, als ob ihn drückte des Ortes,

Nicht sein eigenes Geschick, und lang in die Irre getrieben

Kam er zuletzt zum illyrischen Land mit der flüchtigen Gattin.

Als sie von Jahren und Mühen gebeugt durchgingen vom Anfang,

Was ausstand ihr Geschlecht und ihre Beschwerden besprachen,

Sagte der Greis: »Vielleicht, daß heilig gewesen der Drache,

Den ich erlegt mit dem Speer zur Zeit, da ich, kommend von Sidon,

Natternzähne gestreuet, die seltsame Saat, in das Erdreich.

Wenn so sicheren Zorns ihn rächt Fürsorge der Götter,

Wünscht' ich selber den Leib langhin als Schlange zu strecken.«

Sprach's und begann den Leib langhin als Schlange zu dehnen,

Und er gewahrt, wie sich härtet die Haut, und Schuppen ihr wachsen,

Und der gedunkelte Leib bunt schillert mit bläulichen Flecken.

Vorwärts fällt er hinab auf die Brust, und in Eins sich verschlingend

Engen sich nach und nach zu gerundeter Spitze die Beine.

Arme verbleiben ihm noch. Die verbliebenen Arme erhebt er,

Während ihm Thränen bethau'n sein jetzt noch menschliches Antlitz.[130]

»Komm – so redet er dann – o komm, unglückliche Gattin;

Rühre mich an, da etwas von mir noch bleibt, und die Hand hier

Nimm, da sie Hand noch ist, eh' völlig die Schlange mich einnimmt.«

Mehr gern hätt' er gesagt; da war urplötzlich die Zunge

In zwei Theile getrennt, und es standen die Worte dem Willen

Nicht zu Gebot, und so oft er Klage gedacht zu erheben,

War's ein Gezisch: das ließ die Natur ihm übrig als Stimme.

Schlagend die nackende Brust mit der Hand ruft jammernd die Gattin:

»Cadmus, o bleib' und wind', Unglücklicher, dich aus dem Unthier!

Cadmus, was wird? Wo ist dein Fuß? Wo Schultern und Hände,

Wo das Gesicht und die Farb' und alles, indem ich noch rede?

Warum wandelt ihr nicht auch mich, ihr Götter, zur Schlange?«

So rief klagend sie aus. Er belecket der Gattin das Antlitz,

Schlüpft, als ob er bekannt schon wär', in den theueren Busen,

Schmiegt sich liebend ihr an und schlingt sich vertraut um den Nacken.

Wer nah steht – nah stand das Gefolg' – ist entsetzt. Doch die Gattin

Streichelt den schlüpfrigen Hals des kammaufrichtenden Drachen.

Da sind plötzlich es zwei, und sie kriechen in Windungen einig,

Bis sie erreicht das Versteck des nahe gelegenen Haines.

Jetzt auch flieh'n vor dem Menschen sie nicht, nicht schlagen sie Wunden,

Und was sie waren zuvor, deß denken die friedlichen Drachen,

Doch ein erheblicher Trost war beiden gewesen der Enkel,

Als sich gewandelt ihr Leib. Ihm zollte bezwungen Verehrung

Indien; ihm zum Ruhm errichtete Tempel Achaja.

Nur der abantische Sproß, der stammte von gleichem Geschlechte,[131]

Ist es, Acrisius, noch, der ihm der argolischen Hauptstadt

Mauern verschließt und den Gott mit Waffen befehdet und läugnet,

Daß er des Jupiter Sohn. Ihm schien auch Jupiters Sohn nicht,

Der im regnenden Gold empfangen von Danae, Perseus.

Aber, es reut ihn bald – so wirksam zeigt sich die Wahrheit –

Daß er beleidigt den Gott und nicht den Enkel gewürdigt.

Längst war jener versetzt in den Himmel; der Andere aber,

Kehrend mit rühmlichem Raub, mit dem schlangenumringelten Schreckbild,

Theilte die regsame Luft mit rauschend gezwungenen Flügeln.

Während als Sieger er schwebt' hoch über dem libyschen Sande,

Rannen zur Erde hinab Blutstropfen vom Haupte der Gorgo,

Welche das Land einsog und belebte zu schillernden Schlangen.

Drum ist jenes Gebiet unsicher von häufigen Ottern.

Darauf im unendlichen Raum von zwistigen Winden verschlagen

Treibt bald hier, bald dort nach der Weise der wäss'rigen Wolke

Jener umher und schaut auf weit abstehende Länder

Hoch vom Aether hinab und fliegt rings über den Erdkreis.

Dreimal sah er den Krebs, dreimal die frostigen Bären;

Oft zu dem Untergang, oft ward er entführt zu dem Aufgang.

Endlich bei sinkendem Tag, besorgt sich der Nacht zu vertrauen,

Macht im hesperischen Land er Halt, im Gebiete des Atlas,

Kurz zu rasten gewillt, bis wieder die Gluten Aurora's

Lucifer rufe hervor und Aurora den Wagen des Tages.

Dort, mit dem riesigen Leib obragend vor allen den Menschen,[132]

Hausete Atlas, der Sohn des Japetus. Waltend als König

Hatt' er das äußerste Land und das Meer, das unter des Phöbus

Keuchenden Rossen sich beugt und empfängt die ermattete Axe.

Heerden von wolligem Vieh wol tausend und tausend von Rindern

Irrten im Gras, und beschränkt war nirgends der Boden vom Nachbarn.

Auch war ein Baum alldort, deß Blätter von strahlendem Golde

Glänzten und Aeste von Gold und Aepfel von Golde verdeckten.

»Freund – sprach Perseus zu ihm – wofern dich hohen Geschlechtes

Ehre zu rühren vermag: von Jupiter bin ich entsprossen;

Hörst du von Thaten mit Lust: mit Lust wohl hörst du die meinen.

Obdach wünsch' ich und Rast.« Da wurde des alten Orakels

Jener gedenk. So hat gesagt die parnassische Themis:

»Einst kommt, Atlas, die Zeit, wo dein Baum des Goldes verlustig

Stehet, und Jupiters Sohn die rühmliche Beute davonträgt,«

Darum hatte besorgt mit sicheren Mauern den Garten

Atlas umhegt und zum Hüter gesetzt großleibigen Drachen,

Jeden, der fernher kam, wegweisend aus seinem Gebiete.

Ihm auch ruft er im Zorn: »Geh fort, sonst möchtest du wenig

Von dem erlogenen Ruhm und wenig von Jupiter haben!«

Drohungen folget Gewalt, und er will ihn drängen von hinnen,

Wie er noch säumt und derbe gesellt zu glimpflichen Worten.

Perseus schwächer an Kraft – wer hätte die Kräfte des Atlas? –

Sprach: »Weil unsere Gunst du gering nur achtest im Werthe,

Nimm denn dieses Geschenk!« Und er hielt ihm vor mit der Linken,

Rückwärts selber gewandt, das starrende Haupt der Medusa.

Groß, wie er war, wird Atlas zum Berg. Denn es gehen in Wälder

Haupthaar über und Bart; Anhöh'n sind Schulter und Hände;

Was noch eben das Haupt, ist oben am Berge der Gipfel;

Knochen erstarren zu Stein. Drauf wachsend nach jeglicher Seite[133]

Dehnt' er unendlich sich aus – so wollet ihr Götter – und mächtig

Ruhte das Himmelsgewölb' auf ihm sammt allen Gestirnen.

Festhielt Hippotes' Sproß in dem ewigen Kerker die Winde,

Und in der Höh' ging auf am Himmel der Mahner zum Tagwerk,

Lucifer, strahlend in Glanz. Da bindet die Fittige Perseus

Wieder an jeglichen Fuß und schnallt die gebogene Wehr um

Und durchschneidet die Luft mit dem Schwung der geflügelten Sohlen.

Völker unendlich an Zahl tief unter sich lassend und seitwärts

Wird der Aethioper Land er gewahr, die Gebilde des Cepheus.

Schuldlos sollte gerad' Andromeda büßen der Mutter

Frevelndes Wort auf Geheiß des unbarmherzigen Ammon.

Als an das harte Gestein mit den Armen geschlossen die Jungfrau

Sah der abantische Held – wenn nicht vom Winde das Haupthaar

Wäre bewegt, und Zähren ihr nicht heiß flössen vom Auge,

Hätt' er ein Werk von Marmor gewähnt – entbrennt er im Innern,

Ohn' es zu wissen, und staunt, und betroffen vom Bilde der Schönheit

Hätt' er vergessen beinah in der Luft zu schlagen die Flügel.[134]

»O du – spricht er gesenkt – die anderer Bande denn dieser

Werth, der Bande, wodurch sich sehnende Herzen vereinen:

Thue dem Fragenden kund den Namen des Landes und deinen,

Und was die Fesseln bewirkt.« Erst schweigt sie und scheut sich, ein Mädchen,

Anzureden den Mann, und sie hätte das sittsame Antlitz

Gern mit den Händen bedeckt, wenn nicht die Bande sie hielten.

Nur die Augen vermag sie zu füllen mit quellenden Thränen.

Wie er zum öfteren drängt, daß nicht sie schiene zu hehlen

Eigene Schuld, entdeckt sie den Namen des Landes und ihren,

Und wie großes Vertrauen die Mutter gesetzt auf die Schönheit.

Aber noch hatte sie nicht ihm alles verkündet, da rauschte

Plötzlich die Flut, und hervor aus der unermeßlichen Tiefe

Taucht ein Gethier und bedeckt mit der Brust weit reichend die Fläche.

Aufschreit jene vor Angst. Mit dem Vater ist nahe die Mutter,

Beide in Trauer und Noth, doch sie mit größerem Rechte.

Beistand bringen sie nicht, nur Thränen entsprechen dem Jammer

Und wildtobenden Schmerz, und sie hangen am Leib der Gebund'nen,

Als der Fremde beginnt: »Zeit bleibt euch immer zu Thränen

Lange genug; kurz nur ist die Stunde gemessen zur Rettung.

Würb' ich, Perseus, um sie, des Jupiter Sohn und der Jungfrau,

Die mit befruchtendem Gold im Gewahrsam Jupiter füllte,

Perseus, welcher bezwang die schlangenumzottelte Gorgo

Und in ätherischer Luft mit Fittigen wagte zu gehen,

Würde die Braut mir sicher erkannt. Zu dem herrlichen Brautschatz

Tracht' ich verdienstliche That, wenn Götter gewogen, zu fügen.

Daß sie, wofern mein Arm sie befreit, mein werde, beding' ich.«

Solchen Beding geh'n ein – wer hätte gezögert? – die Eltern,

Bitten und fleh'n und versprechen das Reich noch d'rüber zur Mitgift.

Sieh, wie ein treibendes Schiff mit dem Stoß des beschlagenen Schnabels

Furchet die Wasser, bewegt von der Jünglinge schwitzenden Armen,

Also mit drängender Brust zertheilte die Wogen das Unthier,

So weit noch von dem Fels, wie weit in dem mittleren Luftraum[135]

Fliegt das geschwungene Blei, wenn es schnellt balearische Schleuder.

Da steigt plötzlich, das Land mit dem Fuß abstoßend, der Jüngling

Hoch in die Wolken empor. Wie das Thier den Schatten des Mannes

Sieht auf der Fläche des Meers, fährt grimmig es los auf den Schatten.

Doch, wie im offenen Feld oft Jupiters Vogel die Schlange,

Die er von oben erspäht, wie sie sonnet den bläulichen Rücken,

Packt von hinten und rasch, daß nicht sie den grimmigen Rachen

Wende, dem schuppigen Hals einschlägt die begierigen Krallen:

Also in eiligem Flug durch luftige Leere sich stürzend

Drückte des Inachus Sproß des Unthiers Rücken und bohrte

Rechts in des Schnaubenden Bug bis zur hakigen Krümme das Eisen.

Schwer von der Wunde verletzt hebt bald es sich hoch in die Lüfte,

Bald taucht's unter die Flut, bald ähnlich dem wüthenden Eber

Fährt es umher, den schreckt das Gewühl umklaffender Hunde.

Jener, dem schnappenden Maul ausweichend mit hurtigen Flügeln,

Haut, wo Blöße sich beut, auf den muschelbesäeten Rücken,

Haut in die Seiten mit Macht auf die Rippen, und wo sich verdünnend

Endet der Schwanz als Fisch, mit dem sichelförmigen Schwerte,

Aber das Unthier speit mit purpurnem Blute vermischte

Flut aus dem Maul, und schwer von Bespritzung triefen die Flügel.

Länger zu trau'n wagt nicht dem schlürfenden Fersengefieder

Perseus, als er ein Riff wahrnimmt, das frei mit der Spitze

Ragt bei ruhiger See, bei wallendem Meere bedeckt wird.

Dort gestemmt und gefaßt mit der Linken die vorderste Zacke

Bohret er drei vier Mal ausholend den Stahl in die Weichen.[136]

Klatschen und Jubelgeschrei erfüllte den Strand und der Götter

Hocherhabenen Sitz. Voll Freude begrüßen den Eidam,

Ihn als einzigen Schutz und Erhalter des Hauses erhebend,

Cepheus der Vater zugleich und Cassiope. Ledig der Fesseln

Wandelt die Tochter einher, Anlaß und Belohnung des Kampfes.

Aber der Held schöpft Wasser und wäscht sich die siegenden Hände.

Und daß nicht in dem Sande das Schlangengesicht er versehre,

Deckt er den Boden mit Laub, und im Meere gewachsene Stengel

Streut er und legt darauf das Haupt der Phorcide Medusa.

Sieh, das Gewächs, noch frisch und belebt von saugendem Marke,

Litt von dem Ungethüm und erstarrte von seiner Berührung

Und nahm auf in Gezweig und Laub fremdartige Härte.

Aber die Nymphen des Meeres versuchen die Wundererscheinung

Auch an andrem Gesträuch und freuen sich des gleichen Erfolges,

Streu'n auch Samen davon in die Flut zu öfteren Malen.

Jetzt noch immer verbleibt dieselbe Natur den Korallen,

Daß an berührender Luft sie Härte gewinnen, und was erst

Strauch war unten im Meer, zu Stein wird über dem Meere.

Dreien der Götter erhöht drei Rasenaltäre der Sieger,[137]

Dir, Mercurius, links, dir rechts, kriegskundige Jungfrau;

Mitten ist Jupiters Herd. Man schlachtet die Kuh der Minerva

Und dem Beschwingten das Kalb, dir höchster der Götter, den Farren.

Schleunig vermählt er sich nun Andromeda ohne die Mitgift,

Seinen erstrittenen Preis. Hymenäus und Amor mit Fackeln

Ziehen voraus; reich nähret die Glut süßduftendes Rauchwerk;

Festlich mit Kränzen behängt ist das Haus, und Leier und Flöte

Schallen umher und Gesang allerorts, die glücklichen Zeichen

Frohen Gemüths. Weit steht mit entschlossenen Flügeln geöffnet

Prangend von Golde der Saal, und es treten die edeln Cephenen

Ein zu dem Hochzeitsmahl, das köstlich der König bereitet.

Als nach beendetem Schmaus vortreffliche Gabe des Bacchus

Allen erheitert den Geist, fragt Lynceus' Sproß nach des Landes

Art und üblichem Brauch und nach Sinn und Sitte der Männer.

Der ihn dessen belehrt, sprach darauf: »Nun, tapferer Perseus,

Thue – wir bitten dich – kund, durch was für List und mit welcher

Männlichen That du erlangtest das schlangenhaarige Antlitz.«

Drauf erzählte der Sproß des Agenor, am frostigen Atlas

Lieg' ein Gebiet, umschanzt vom Bollwerk felsiger Steilen,

Vorn im Geklüft dort hätten gewohnt zwei Schwestern, des Phorcus

Töchter, die in den Gebrauch des einzigen Auges sich theilten.

Das nun hab' er entwandt, indem er mit schlauem Betruge

Während des Wechsels die Hand hinhielt. Durch pfadlose Oede

Und durch Klippen sodann, die starrten von brüchigen Wäldern,[138]

Sei er zum Sitz der Gorgonen gelangt, und auf Feldern und Wegen

Ringsum hab' er gesehn viel Bilder von Menschen und Thieren,

Die aus belebten in Stein umwandelte Schau der Medusa.

Doch er habe geschaut im spiegelnden Erze des Schildes,

Den an der Linken er trug, die Gestalt der grausen Medusa,

Und weil lastender Schlaf sie selber gebannt und die Schlangen,

Hab' er dem Rumpf entrissen das Haupt, und der flügelbeschwingte

Pegasus sei aus dem Blute der Mutter gezeugt mit dem Bruder.

Auch langwieriger Fahrt nicht falsche Gefahren erzählt er,

Was er von oben herab für Länder gesehen und Meere,

Was für Sterne sogar er berührt mit geschwungenen Flügeln.

Wider Erwarten jedoch schwieg jener; und einer der Edlen

Wieder beginnt und fragt, warum nur sie von den Schwestern

Wechselnd mit Haaren gemischt am Haupte die Schlangen getragen.

»Weil – antwortet der Gast – du erfragst, was werth der Erzählung,

Höre den Grund deß, was du erfragst. Obsiegend in Schönheit

War der beneidete Wunsch zahlreicher Bewerber Medusa;[139]

Aber es fiel kein Theil an der ganzen Gestalt in das Auge

Mehr, wie das Haar. So hört' ich von manchen, die selbst es gesehen.

Diese entehrte der Fürst des Meeres, wie es heißt, in Minerva's

Tempel. Von hinnen gewandt hielt Jupiters Tochter die Aegis

Vor ihr keusches Gesicht, und damit nicht fehlte die Strafe,

Ließ sie der Gorgo Haar sich wandeln in scheußliche Hydern.«

Jetzt noch immer mit Angst zu schlagen erbebende Feinde,

Trägt sie vorn auf der Brust von ihr selber geschaffene Schlangen.

Quelle:
[Ovidius Naso, Publius]: Ovids Metamorphosen. 3 Bde., Berlin 5[um 1911–1916], Band 1, S. 104-140.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Metamorphosen
Metamorphosen: Auswahlausgabe. Lateinisch - Deutsch
Metamorphosen: Epos in 15 Büchern
Metamorphosen: Lat./Dt.
Metamorphosen: Lateinisch/Deutsch
Metamorphosen

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon