Zehnter Brief.

[255] Hawkestonepark, den 2ten Januar 1827.


Geliebte Freundin!


Obgleich ich gestern mich sehr Parkblasirt fühlte, und nicht glaubte, noch irgend ein lebhaftes Interesse für dergleichen fassen zu können, so bin ich doch heute wieder umgewandelt worden, und muß Hawkestone sogar vor dem bisher Gesehenen den Vorzug geben, welchen ihm, nicht Kunst, noch Pracht und aristokratischer Glanz, sondern die Natur allein verleiht, die hier Außerordentliches gethan hat, ja in einem Grade, daß ich, selbst mit der Macht begabt, der Schönheit dieser Gegend noch etwas hinzusetzen (Gebäude ausgenommen), nicht aufzufinden wüßte, was?

Es scheinen hier durchaus alle Elemente für die günstigte Lage vereinigt, wie Du aus einer einfachen Beschreibung selbst entnehmen wirst.[256]

Wirf also Deine Geistesaugen auf einen Erdfleck von solchem Umfang, daß Du von dem höchsten Punkt darin, rund umher den Blick über 15 verschiedene Grafschaften schweifen lassen kannst. Drei Seiten dieses weiten Panorama's heben und senken sich in steter Abwechselung mannichfacher Hügel und niedriger Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und werden am Horizont von den höchst seltsam geformten, zackigen Felsen und hohen Gebirgen von Wallis umgeben, die sich auf ihren beiden Enden sanft nach der vierten Seite der Aussicht, einer fruchtbaren, von Tausenden hoher Bäume beschatteten Ebene abdachen, welche in dämmernder Ferne, da, wo sie mit dem Himmelsgewölke zusammen fließt, von einem weißen Nebelstreife, dem Meere, begränzt wird.

Das Walliser Gebürge ist zum Theil mit Schnee bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwischen so eng mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt, den nur hie und da Gewässer, mit unzähligen größeren und kleineren Wiesen und Feldern durchschneiden. Grade in der Mitte dieser Scene stehst Du nun auf einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Buchen- und Eichwälder hinschauend, die oft mit den üppigsten Wiesenabhängen abwechseln, und deren Inneres 5–600 Fuß hohe Felsenwände mit hellgrünglänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach mehreren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der finstersten Stellen dieser Wildniß erheben sich die uralten[257] Ruinen der »Roten Burg«, ein prachtvolles Andenken aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers. Nun denke Dir noch, daß diese ganze romantische Berggruppe, die sich, ganz für sich allein bestehend, aus der Ebne erhebt, fast in regelmäßigem Kreise von den silberhellen Wellen des Hawk-Flusses umströmt wird, und dieser so natürlich eingeschlossene Raum eben der Park von Hawkstone ist, ein auch in der Umgegend so anerkannt reizender Ort, daß die jungen Ehepaare aus den nahen Städten Liverpool und Shrewsbury seit lange die Gewohnheit haben, wenn ihre Trauung in die schöne Jahreszeit fällt, die ersten Wochen des neuen süßen Glücks in Hawkstone zuzubringen. Vielleicht ist dies die Ursache, daß dieser Park, ganz wider die englische Sitte, mehr dem Publikum als seinem Besitzer gewidmet ist, der gar nicht hier wohnt, ja dessen Haus verfallen und unansehnlich in einem Winkel des Parks, gleich einem hors d'œuvre, verborgen liegt. Dagegen ist ein schöner Gasthof darin erbaut, der besagte Ehepaare, so wie Liebende aller Art, nebst andern Naturfreunden, mit den ausgesuchtesten Betten und solider Stärkung durch Speise und Trank versorgt. Hier schlugen auch wir unser Lager auf, und begannen, nach einem guten Frühstück à la fourchette, den langen Weg zu Fuß – denn wegen des schwierigen Terrains kann der Park nicht befahren werden. Die kletternde Promenade, die im Winter sogar nicht ganz ohne Gefahr ist, dauerte vier Stunden.[258]

Ueber einen weiten Wiesenplan, von Eichen beschattet und von waidenden Heerden bedeckt, wanderten wir auf sehr nassem Boden (denn es hatte leider die ganze Nacht geregnet und geschneit) den Kupferfelsen zu. Diese erheben sich über einen hohen Abhang alter Buchen, wie eine darüber hängende Mauer, und sind oben wieder mit schwarzem Nadelholz gekrönt, was einen herrlichen Anblick gewährt. In dieser natürlichen Mauer befindet sich die erste Hauptparthie des Parks, die Grotte genannt, zu welcher man durch einen dunkeln in den Felsen gehauenen, bedeckten Weg von mehr als hundert Fuß Länge gelangt, nachdem man vorher eine geraume Zeit im Walde mühsam im Zickzack bergan gestiegen. Die Grotte besteht aus mehreren Höhlen, mit allerlei Steinen und Metallerzen inkrustirt, in welchen einige angebrachte Oefnungen, die mit bunten, brillantartig geschliffenen, kleinen Glasscheiben ausgesetzt sind, in der Dunkelheit täuschend Aladinschen Edelsteinen gleichen. Eine alte Frau, welche wenigstens 50 Jahre zählte, war unsre Führerin, und erregte vielfach unsre Verwunderung durch ihre Ausdauer im Marschiren, und der Gewandtheit, mit der sie die Felsen in Pantoffeln auf und ab kletterte, denn die unregelmäßigen, abschüssigen und spiegelglatten Felsenstufen waren zuweilen recht schwierig zu passiren, so daß der gute R., der obenein eiserne Absätze an seinen Stiefeln hatte, oft nur mit der größten Anstrengung und bittern Klagen über die ungemeine Beschwerlichkeit: Felsen auf glatten Eisen hinabzuklettern, den sichern Boden wieder erreichte.[259]

Bei einem aus Stämmen und Aesten erbauten Pavillon, der mit Haidekraut gedeckt, und mit Moos austapeziert war, und eine pittoreske Aussicht auf einen barock gestalteten Berg darbot, (der Tempel der Geduld genannt) wandte sich nun der Weg noch mehr in das Innere des Waldes, und führte uns zu der sogenannten Schweizerbrücke, welche zwei Felsen kühn mit einander verbindet. Da das Geländer zum Theil herunter gefallen, und die Passage etwas schwindliger Art war, so würde hier für meine gute Julie (im Fall sie wirklich bis hierher hätte gelangen können) alles weitere Vordringen ein Ende gehabt haben. Wie gut ist es also in solchen Fällen, einen so unermüdlichen Führer im Reiche der Einbildungskraft zu besitzen, wie Du an mir hast, der Dich sofort mit leichter Mühe über die Teufelsbrücke hinüberschwingt, und Dir nun einen thurmartigen Felsen zeigt, der aus den glatten Buchen schwarz hervortritt, dicht mit Dornen und Epheu bewachsen ist, das in hundert Guirlanden herabhängt, und lange Zeit einen Fuchs beherbergte, der hier, sicher vor den verfolgenden Hunden, Jahre lang seine Burg Malapartus aufgeschlagen hatte. Dies ist ein beglaubigtes Faktum, und hat dem Felsen den Namen Reinardshaus verliehen, den er noch trägt. Die Führerin behauptete sogar, es habe sich jetzt wieder ein neuer Bewohner dort angesiedelt, doch konnten wir nichts von ihm erblicken. Bergauf, bergab ging es fort, und schon ziemlich müde erreichten wir endlich die Terrasse, ein[260] etwas offner Platz mit schönen, einzeln durch den Wald gehauenen Prospekten.

Nicht weit davon, hinter sehr hohen Bäumen, steht eine Säule von 120 Fuß Höhe, dem Stifter der Familie des Besitzers gewidmet, einem Londner Kaufmann und Lord Mayor von London zur Zeit Heinrich des III., dessen Statur die Säule krönt. Eine bequeme Wendeltreppe führt im Innern des thurmartigen Gebäudes bis auf die Spitze, von wo man eben das früher beschriebene Panorama der 15 Grafschaften staunend überblickt. Durch immer wildere Felsenschluchten gelangt man von hier, in tiefster Einsamkeit, zu einer lieblichen Cottage, am Ende eines freundlichen Wiesentals gelegen, wo früher mehrere seltne Thiere und Vögel gehalten wurden, die jedoch jetzt nur noch ausgestopft ein Zimmer der Hütte bewohnen. Als die dort als Aufseherin angestellte junge Person sie uns zeigte, bediente sie sich der lächerlichen Phrase: Alle diese Tiere, die Sie hier sehen, pflegten sonst zu leben (used to live before). Das Gewächshaus, von Felsenstücken und Baumästen aufgebaut, so wie den gotischen Thurm, eine Art Lusthaus, übergehe ich, und geleite Dich wieder einen langen, langen Weg erst durch Wald, dann über Wiesenhügel und durch eine schmale Schlucht, hierauf wieder mühsam einen Berg hinan, zu der prachtvollen Ruine, dem schauerlich gelegenen rothen Schloß. Weithin erstrecken sich die verwitterten Mauern und in den Felsen gehauenen Wälle dieser Burg, zu deren Innern man nur durch einen zwei[261] Fuß breiten, in Stein gesprengten, gewundenen Gang gelangt, dessen Dunkelheit so groß ist, daß ich mich genöthigt sah, den Unterrock meiner Führerin als Faden der Ariadne zu ergreifen, weil ich wörtlich die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Aus diesem Schacht kömmt man in eine malerische Felsengasse mit glatten hohen Wänden, über die sich Ebreschen und andere Beerentragende Bäume hinwölben. Seitwärts erblickt man eine Höhle, deren weite Oeffnung noch mit einem verrosteten eisernen Gitter verschlossen ist. Auf einer beschwerlichen Felsentreppe erreicht man endlich den obersten Teil der Ruine, einen hohen dachlosen Turm, in dessen 15 Fuß dicken Mauern mancher hundertjährige Baum Wurzel geschlagen hat, und in dessen Innern sich ein unabsehbarer Brunnen befindet, der bis in die Eingeweide der Erde zu gehen scheint. Wenn man über die feste und wohlverwahrte Barriere, die ihn umgibt, hinunter blickt, erregt der Contrast der Thurmhöhe über Dir, in welche der Himmel hineinschaut, und der bodenlosen Tiefe unter Dir, wo ewige Nacht herrscht, einen ganz eignen Eindruck. Man wähnt hier Verzweiflung und Hoffnung in einem Bilde allegorisch vereinigt zu sehen. Der Thurm und die Felsen, auf denen er ruht, sinken in gleicher senkrechter Linie bis in eine schwindelnde Tiefe hinab nach dem Thale, dessen Riesenbäume von hier nur wie junges Dickicht erscheinen. Mit einem etwas starken Sprunge der Einbildungskraft gelangten wir nach einer Viertelstunde von hier zu der Hütte eines Neu-Seeländers, an einem kleinen[262] See gelegen, nach einer Zeichnung Cooks vor vielen Jahren aufgebaut (denn diese Anlagen sind sehr alt), und mit Pfeilen, Tomahacks, Schädeln gefressener Feinde, und andern dieser niedlichen Kleinigkeiten versehen, die den unschuldigen Luxus jener Naturkinder ausmachen.

Hiermit beschloßen wir unsre Promenade, und ließen noch ungesehen (als dieses herrlichen Ganzen unwürdige Flecken) eine Höhle, wo ein Automat den Einsiedler spielt und ein Gedicht hersagt, eine alberne Darstellung des Neptun von Sandstein, verbunden mit einem chinesischen Tempel von Holz, und eine moderne Citadelle ebenfalls von Holz, wo bei Feierlichkeiten und auf Bestellung mehrere Kanonen gelöst werden können. Diese Anlagen der Afterkunst, so wie leider auch die Wege, sind alle etwas verfallen, seit der Besitzer nicht mehr hier lebt. Dies sind aber, so wie die obenerwähnte Ueberladung und Spielereien, nur kleine Mängel eines erhabenen, und in aller Abwechselung natürlicher Schönheit, wunderbar glänzenden Ganzen.


Newport den 3ten.


Es ist völlig und ernsthaft Winter geworden, die Erde mit Eis und 6 Zoll Schnee bedeckt, und die Kälte in den, jetzt selten durch ein unzureichendes Kaminfeuer erwärmten Zimmern, fast unerträglich! Da ich den heutigen Tag meistens im Wagen zugebracht habe, ist nichts weiter davon zu berichten.


[263] Birmingham, den 4ten.


Wir sahen auch heute nichts Merkwürdiges auf unserm Wege, als einen Park, durch den wir nur hindurch fuhren, und der größtentheils neu angelegt schien. Ein kleiner, aber hübscher Garten, bot sehr niedliche Modelle für Blumengerüste dar, wie auch zierliche Körbe, alles sehr fein in Eisendraht ausgeführt, und mit rankenden Gewächsen bezogen. R. mußte sie mit steifen Fingern copiren.

Der Gasthof, wo wir unser Luncheon einnahmen, war, wie die darauf eingehauene Jahrszahl lehrte, 1603 gebaut, also über 200 Jahre alt, und das hübscheste Specimen von Cottage im alten Geschmack, mit Fachwerk in verschiedenen Desseins, das mir auf dieser Tour vorgekommen ist. Gegen Abend erreichten wir bei immer empfindlicher werdender Kälte Birmingham, wo ich mich jetzt gemächlich ausruhen will.


Den 5ten.


Der ganze Tag wurde abermals, wie bei meinem frühern Aufenthalt hieselbst, den Fabriken gewidmet, und Ausstellungen von Waaren besehen. Die armen Arbeiter sind doch mitunter übel daran! Sie verdienen zwar hinlänglich, aber mehrere ihrer Beschäftigungen sind auch, bei der geringsten Nachlässigkeit,[264] bei dem kleinsten Versehen, oft furchtbar gefährlich. So sah ich heute Einen, dessen Geschäft es ist, bei dem Stampfen der Livrceknöpfe den Würfel zu halten, und dem bei dieser Gelegenheit schon zweimal der Daumen zerschmettert wurde, welcher jetzt nur noch einen kleinen unförmlichen Fleischklumpen bildete. Wehe denen, die den Dampf- und andern Maschinen mit ihren Röcken zu nahe kommen. Schon mehrere faßte diese unerbittliche Macht, und zerquetschte sie, wie die grausame Boa ihre hülflose Beute. Dabei sind viele Arbeiten so ungesund wie in den Bleiwerken Sibiriens, und bei manchen ist ein Geruch auszustehen, den der ungewohnte Besucher kaum Minutenlang er tragen kann.

Es hat alles seine Schattenseite, auch diese hochgesteigerte Industrie, doch ist sie deshalb nicht zu verwerfen. Hat doch selbst die Tugend ihre Nachtheile, wo sie im Geringsten das Maas überschreitet, und dagegen das Schlimmste, ja das Laster nicht ausgenommen, seine lichteren Stellen.

Merkwürdig ist es, daß bei diesem raffinirten Fortschreiten in jeder Erfindung, die Engländer, nach dem eignen Geständniß des Herrn Thomasson, noch immer nicht im Stande sind, es den Berliner feinen Eisengußwaaren gleich zu thun. Was ich von dieser Art hier sah, stand jenen ungemein nach. Oft scheint es mir überhaupt, als wäre, ohngeachtet die Engländer uns noch so weit voraus sind, dennoch der Zeitpunkt schon eingetreten, wo sie zu sinken und [265] wir zu steigen anfangen. Da sie von so hoch sinken, und wir von so tief steigen müssen, so kann es demohngeachtet noch lange dauern, ehe wir uns auf demselben Punkte begegnen, aber, wie gesagt, uns entgegen zu gehen, haben wir, glaube ich, angefangen. Deutschland Glück auf!! erlangen deine Bewohner nur Freiheit, so wird ihnen jedes Streben gelingen.


Stratfort, den 6ten.


Die heutige Tagereise war nicht groß, aber inhaltsschwer, denn der Ort, dessen Namen neben dem Datum meines Briefes steht – ist ja der Geburtsort Shakespeares! Es ist ein tief ergreifendes Gefühl, die unbedeutenden Gegenstände zu sehen, die vor Jahrhunderten mit einem so großen und geliebten Manne in unmittelbarer und häuslicher Berührung standen, und gleich darauf den Ort, wo längst seine Gebeine vermodern – und so in wenig Augenblicken von seiner Wiege den langen Weg bis zu dem seines Grabes zurückzulegen. – Das Haus, in dem er geboren ist, so wie die Stube selbst, in der dies große Ereigniß vor sich ging, stehen noch fast unverändert da. Die Stube gleicht vollkommen einer geringen Bürgerstube, wie sie in unsern kleinen Städten zu seyn pflegen, ganz der Zeit angemessen,[266] wo England auf derselben Stufe der Cultur stand, die bei uns der gemeine Mann noch jetzt einnimmt. Millionen Namen, von Königen und Bettlern hingeschrieben, bedecken die Wände des kleinen Zimmers, und obgleich ich dieses Anhängen an fremde Größe, wie Ungeziefer an Marmorpallästen klebt, nicht besonders liebe, so konnte ich doch hier dem Drange nicht widerstehen, auch meinen Namen mit einer tiefen Empfindung von Dankbarkeit und Ehrfurcht den übrigen beizugesellen.

Die Kirche am Avon (derselbe Fluß, der Warwicks ehrwürdige Schloßmauern bespült) wo Shakespeare begraben liegt, ist ein schöner Uberrest des Alterthums, mit vielen merkwürdigen Monumenten geziert, unter denen natürlich das des unsterblichen Dichters oben an steht. Es war früher, so wie seine Büste, in bunten Farben gemalt und vergoldet, ist aber durch die Stupidität eines gewissen Malone vor nahe 100 Jahren überweißt worden, wodurch es viel von seiner Eigenthümlichkeit verloren haben muß. Die Büste ist übrigens nichts weniger als von künstlerischem Werth, und auch ohne Ausdruck, wahrscheinlich also auch ohne Aehnlichkeit. Es gelang mir nur mit vieler Mühe und Geld, ein kleines Bild des Denkmals in den alten Farben, welches das letzte noch vorrätige Exemplar war, von der Küsterin zu erlangen, was ich diesem Briefe beilege.

Außerdem kaufte ich im Buchladen mehrere Ansichten des Orts, und der erwähnten Gegenstände.[267] Auf dem Rathhause ist ein großes Bild Shakespeares, in neuerer Zeit gemalt, und ein noch besseres von Garrik, das einige Aehnlichkeit, auch in der Art der tournure, mit Iffland hat.


Oxford den 7ten.


Nachdem wir zwei Tage lang die Parkomanie ruhen gelassen hatten, brachten wir heute das Verlorne wieder ein, indem wir nicht weniger als vier große Parks besuchten, wovon der letzte, das berühmte Blenheim war. Doch in der Ordnung – Exécutez vous.

Zuerst kamen wir durch Eatrop Park, deshalb merkwürdig, weil er noch aus der Zeit ist, wo man eben anfing, die französische Manier zu verlassen, dies aber, in solcher Uebergangs-Periode, noch so wenig im Stande war, daß man nur statt Alleen von einzelnen Bäumen, nun Alleen von Clumps aus verschiedenen, immer aber regelmäßig abwechselnden Figuren pflanzte, oder in Schlangen-Linien Haine anlegte, und lotrechte Bergabhänge aus unregelmäßigen Terrassen bildete. Das Ganze schien in großem Verfall.

Ein schönerer Besitz ist Ditshleypark. Leider spielte uns aber das englische Clima heute einen boshaften[268] Streich. Nachdem am Morgen (ich glaube erst zum zweitenmal seit wir London verlassen) die Sonne geschienen hatte, und wir schon über unser Glück triumphirten, fiel plötzlich ein solcher Nebel, daß wir den ganzen übrigen Tag nie weiter als kaum 100 Schritte vor uns, manchmal aber kaum zehn weit sehen konnten. Im Schloß fanden wir eine bedeutende Menge Gemälde, besonders schöne Portraits, von denen uns aber kein Mensch sagen konnte, wen sie vorstellten. Etwas Neues in Hinsicht auf unsere Kunst lernten wir nicht, doch sahen wir etwas anderes Neues. Am Jägerhause nämlich waren, in Ermanglung wirklichen Raubzenges, einstweilen sechs Dutzend Ratzen sehr zierlich, mit ausgebreiteten Schwänzen und Beinen, angenagelt.

Der dritte Park in der Reyhe war Blandfordpark, dem Lord Churchill gehörig, und sehr unbedeutend; im Hause aber fanden wir einige herrliche Kunstwerke. Zwei Gemälde besonders beneidete ich dem Besitzer. Das erste stellt ein nacktes, liegendes, reizendes Weib vor, die durch die Finger ihrer Hand schalkhaft lächelt; gewiß fälschlich auf Michel Angelo's Namen getauft. Es ist allerdings von kühner Zeichnung, aber ausserdem auch von einer Wahrheit und Elasticität des Fleisches, einer Titianischen Färbung und einer Lieblichkeit des Ausdrucks, die keinen Michel Angelo verrathen, wenn es auch vielleicht ungegründet ist, daß, wie Manche wollen, gar keine Dehl-Gemälde von diesem Meister existieren.[269]

Noch mehr zog mich das zweite, Judith, angeblich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich früher nicht erinnere, ein Bild gesehen zu haben. Gewöhnlich ist dieser Gegenstand, die triumphirende Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in der Hand, mir eher widerlich als angenehm gewesen – hier aber – welcher poetisch aufgefaßte Ausdruck in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz. Eine Welt von Empfindungen liegt in diesen inhaltsschweren Zügen. Es ist nicht das Gesicht einer Jungfrau mehr, sondern schon das einer jugendlichen Frau. In den feuchten, schwimmenden Augen sind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu lesen, und um den üppig schwellenden, noch wie entzückten Mund, verräth ein leises Beben, daß sie, wenn gleich wider ihren Willen, doch die Lust kennen gelernt! – Stärker aber war im Geiste ihre Liebe zu Gott und Vaterland, und darum blieb fest ihr früherer Entschluß. Das Opfer mußte dennoch fallen, aber kein Triumph hebt ihre Brust – sinnend, über Gedanken brütend, die ihr selbst nicht ganz klar seyn mögen, schreitet sie dahin, die zarte Hand krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männlich schönen Hauptes gedrückt, das sie jetzt, wie bewußtlos, mit sich fortträgt.

Ich merke mir alle diese schönen Gemälde wohl, um sie einmal copiren lassen zu können, wenn ich Muße dazu habe, denn gute Copien so herrlicher Bilder ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich nicht ansprechenden Originalen vor, selbst wenn die[270] letzteren von den berühmtesten Meistern herstammen, denn nur das Dichterische, nicht das Technische eines Kunstwerks kann mich reizen. Eine kostbare Sammlung Handzeichnungen von Raphael, Claude-Lorrain und Rubens, und mehrere interessante Portraits übergehe ich, um nicht zu weitschweifig zu werden.

Der abscheuliche Nebel wurde immer dicker, und so sahen wir Blenheim nur wie in der Dämmerung. In Hinsicht auf Glanz und Größe ist es ohne Zweifel ausserordentlich zu nennen, und sehr gefiel mir was ich davon sehen, oder vielmehr ahnen konnte, denn es war alles wie in einen Zauberschleier gehüllt, hinter welchem die Sonne ohne Strahlen, wie der Mond erschien. Das Schloß ist sehr groß, und regelmäßig, leider im alt französischen Geschmackerbaut, an Pracht einem königlichen gleich. Der Park hat 5 deutsche Meilen im Umfang, und das künstlich ausgegrabne Wasser, das herrlichste Werk seines Gleichen, nimmt allein einen Flächenraum von 800 Morgen ein. Eben so groß ist der pleasure-ground, zu dessen fortwährendem Mähen täglich 40 Leute erforderlich sind. Das Wasser bildet dem Schlosse gegenüber eine künstliche Cascade, die von großen, gesprengten und weit hergeschafften Felsenstücken so täuschend der Natur nachgeahmt ist, daß man, ohne es zu wissen, schwerlich Kunst dabei voraussetzen würde.

Man muß Browns großartiges Genie bewundern, wenn man diese Anlagen durchwandert. Es ist der[271] Garten-Shakespeare Englands. Dabei sind seine Pflanzungen so wunderbar groß geworden, daß wir, unter andern, einen einzigen Strauch portugiesischen Lorbeers auf dem Rasen fanden, der mit seiner dichten Masse 200 Fuß im Umfang erreichte!

Der jetzige Besitzer ist mit einer Revenue von 70,000 L. St., so verschuldet, daß sein Vermögen für die Gläubiger administrirt wird, und ihm nur 5,000 L. St. jährlich übrig bleiben, so lange er noch leben kann. Es ist Jammerschade, daß er dieses Wenige noch dazu anwendet, die imposanten Gärten Browns einzureißen, und nach einem elenden neueren Geschmack zu modernisieren, der mit unzähligen kleinen Klümpchens, Beeten und Pflanzen, die reichen Gewänder, die Brown der Natur umgethan, in Harlekins-Jacken umwandelt. Ein großer Theil des alten pleasure-grounds ist bereits auf diese Art zerstört, wie uns der alte Gärtner fast mit Thränen in den Augen zeigte. Mehrere der Riesenbäume lagen noch gefällt umher, und ein schwarzer Fleck auf dem Rasen zeigte einen Lorbeerstrauch an, fast von derselben Größe als der beschriebene, der noch vor Kurzem hier in aller Fülle seiner Pracht gestanden hatte. Ich dachte mit Kummer, wie vergeblich es ist, etwas Dauerndes gründen zu wollen, und sah in Gedanken schon denjenigen meiner Nachkommen, der einst meine Anlagen ebenfalls zerstören wird, die wir doch beide mit so viel Liebe erdachten und pflegten!

Blenheim wurde bekanntlich größtentheils auf demselben Fleck angelegt, wo der uralte, königliche[272] Park von Wodstock (den Du Dich aus Walter Scotts neuesten Roman erinnerst) stand, und ein großer Theil des Eichwaldes ist noch wohl aus der unglücklichen Rosamunde Zeit her, immer grünend, und stirbt nur langsam ab, in einer Agonie von hundertjähriger Dauer. Wahre Ungeheuer von Eichen und Cedern an Form und Größe findet man hier. Manche hat der Epheu so umsponnen, daß er sie zwar getödtet, ihnen aber auch wieder, durch sich selbst, ein neues und schöneres immergrünes Laub gegeben hat, das jetzt den verwitterten Stamm, wie ein prachtvolles Leichentuch der Natur, so lange umhüllt, bis er in Staub zerfällt.

Fünfzehnhundert Hirsche, eine Unzahl von Fasanen, und die zahlreichsten Heerden von Schaafen und Kühen bewohnen den Park, dessen Wiesenflächen sich in dem ungewissen Nebel, ohne Gränze, gleich dem Meere auszudehnen schien, an einigen Stellen fast nackt wie eine Steppe, auf andern dicht mit Wald und Gruppen besetzt.

Das Schloß sieht innerlich, wegen der üblen ökonomischen Lage des Besitzers, etwas verfallen aus, enthält aber eine Menge der kostbarsten Kunstschätze. Man muß gestehen, daß nie eine Nation einem ihrer großen Männer eine würdigere Belohnung an Geld und Gut gab, als Blenheim für den Herzog von Marlborough war, welches bis in alle Kleinigkeiten hinab königlich zu nennen ist. Wenn man das Schloß betritt, kommt man zuerst durch ein triumphbogenartiges[273] artiges Thor, das oben einen Wasserbehälter enthält, der alle Gebäude mit Wasser versorgt, dann in einen geräumigen Hof, wo die Küchen und Offices sich befinden, und von hier erst in den großen Schloßhof, der nach dem Park zu die offene Aussicht gewährt, und nur mit einer eisernen Grille geschlossen ist. Ein dritter Hof bildet auf der andern Seite den pendant zum erstern, und enthält die Ställe.

Viele Kuppeln machen das Schloß noch imposanter. Die Halle bildet eine solche von 150 Fuß Höhe, höher als gewöhnliche Thürme zu seyn pflegen. Den Plafond darin nimmt ein schönes Fresko-Gemälde ein. Als wir hineintraten, rauchte es aus einem defekten Ofen so stark, daß wir einen zweiten Nebel im Hause anzutreffen glaubten. Einige höchst schmutzige, fast abgerissene Bediente, was in solchen Häusern hier unerhört ist, liefen bei uns vorbei, und holten die Castellanin, welche, in einen schottischen Plaid gehüllt, mit einem Stäbchen in der Hand, und dem Anstand einer Zauberin, so majestätisch auf uns zuschritt, daß man sie für die Herzogin selbst hätte halten mögen. Das Zauberstäbchen diente dazu, um bequemer auf die verschiedenen Merkwürdigkeiten hinweisen zu können. Fürs erste verlangte sie, daß wir unsre Namen in ein großes Buch einschreiben sollten, denn Blenheim steht an gewissen Tagen dem Publikum, bis auf die reservirten Plätze, offen. Unglücklicherweise fehlte aber im Tintenfaß die Tinte, es mußte also unterbleiben. Darauf ging es durch viele nie geheizte und sehr verblichene Gemächer, die aber[274] mit zahlreichen und schönen Gemälden geschmückt sind, unter diesen jedoch auch manche mittelmäßige, die man sehr freigebig mit den Namen Raphael, Guido etc. beschenkt hatte. Sehr reich erschien die Gallerie an schönen und ächten Rubens, worunter für mich das ansprechendste sein eigenes, von ihm oft, hier aber vorzüglich gut gemaltes Bild war. Ausserdem interessirte mich sehr ein Portrait in Lebensgröße des berüchtigten Herzogs von Buckingham, von van Dyk, welches doch eine ganz andere Art Roué darstellt, sowohl im Gehalt der feinen Züge, wie des ritterlichen Anstandes und der geschmackvollen Kleidung, als unsre Modernen aufweisen. Ferner eine schöne Madonna, von Carlo Dolce, weniger glatt und banal als andere dieses Malers, und ein ganz vortreffliches und höchst charakteristisches Bild der Catharina von Medicis. Sie ist sehr weiß, hat wunderschöne Hände, und einen merkwürdigen Ausdruck von kalter Leidenschaft, wenn ich es so nennen darf, in ihren Zügen, ohne jedoch dadurch, wie man vermuthen sollte, ein widriges Gefühl zu erregen. Rubens Frau hängt als ein entgegengesetzter Pol neben ihr, ein reizendes flamländisches häusliches Weib, etwas gemein aussehend, aber herrlich gemalt und geistreich aufgefaßt. Philipp II., von Titian, schien mir unbedeutend, zwei Bettelbuben, von Morillo, dagegen vortrefflich. Loth und seine Töchter, von Rubens. Die Mädchen sind etwas weniger gemein und plump als der größte Theil der Schönheiten dieses Malers, die alle zu viel Verwandtschaft mit den Produkten[275] seines Vaterlandes haben, aber der alte Loth ist das unübertrefflichste Muster eines greisen, trunkenen Wollüstlings. Das Gemälde war übrigens indecenter behandelt, als es sich die Kunst bei heiligen Gegenständen gestatten sollte. Im Schlafzimmer hatte man, sonderbar genug, ein widerlich schauerliches Bild, Seneka's Hinrichtung im Bade, aufgehangen, Seneka selbst bereits ein grünlicher Leichnam. Hier würde, dächte ich, noch eher der Loth hingepaßt haben. Sehr gefällig erschien das Bild der Mutter des Herzogs, mit ihrem Kinde spielend, von Josuah Reynolds, gewiß dem besten aller englischen Maler. Die Schönheit, liebliches Wesen und Kindlichkeit der Herzogin war fast einer Madonna werth, und der Kleine ein wahrer Liebesgott, voll Schalkheit und Grazie. Ein großes Gemälde Carls I. zu Pferde, von van Dyk, ist berähmt, und hat 10,000 L. St. gekostet, bietet aber einen gar zu abgenuzten Gegenstand. Aus Raphaels frühester Zeit, in der Manier des Perugino, vielleicht auch von diesem selbst, befindet sich eine große Tafel hier, die Jungfrau mit dem Kinde, St. Nikolas und Johannes darstellend. Der Ausdruck der Figuren gefiel mir nicht, und erwähne des Gemäldes nur aus Respekt für den Namen.

Die Bibliothek ist ein prachtvoller Saal, mit 17,000 Bänden angefüllt, auf der einen Seite die marmorne Statue der Königin Anna, auf der andern, als sonderbarer Pendant, eine kolossale, antike Büste Alexanders, ein Ideal jugendlicher Schönheit, das nach[276] meinem Gefühl noch das Antlitz des Apollo vom Belvedere übertrifft. Es ist menschlicher, und doch zeigt es einen Göttlichen unter den Menschen, freilich im heidnischen, nicht im moralisch-christlichen Sinne.

Es ist billig hier noch des, die Bibliothek zierenden Bildes des großen Herzogs von Marlborough zu erwähnen, der durch seine Thaten dieser ganzen Schöpfung den Ursprung gab. Seine Geschichte ist in mehr als einer Hinsicht merkwürdig; besonders rathe ich Jedem, der sein Glück machen will, sie zu studiren. Er kann viel von diesem, so ganz zum Fortkommen in der Welt geeigneten, Charakter lernen. Folgende, nicht sehr bekannte, Anekdote ist mir in dieser Hinsicht, so unbedeutend die Begebenheit an sich ist, immer merkwürdig erschienen.

Der Herzog ward eines Tags beim Spazierenreiten mit seiner Suite von einem jählingen Regenschauer überrascht. Er verlangte schnell vom Reitknecht seinen Ueberrock, und wiederholte, als er ihn nicht gleich erhielt, den Befehl mit einiger Hast. Dies ärgerte den Diener, der mit impertinenter Miene erwiederte: »Nun ich hoffe, Sie werden doch so lange warten, bis ich ihn losgeschnallt habe.« Der Herzog, ohne die geringste Empfindlichkeit zu zeigen, wandte sich darauf lächelnd zu seinem Nachbar und sagte: »Nun, für Alles in der Welt möchte ich nicht das Temperament dieses Menschen haben.«

Die bekanntere Geschichte der »petulance« der Herzogin von Castlemaine, welche Churchill (der damalige[277] Name des Herzogs) so gut zu benutzen wußte, und die, gewiß auf die seltsamste Weise, die große Carrière eines Helden begründete, verräth eine ganz gleiche Disposition und Gewalt über sich selbst.

Bei Nacht und Nebel, wörtlich, erreichten wir Oxford, wo ich im Stern abtrat, und mich mit einem vortrefflichen Dinné stärkte, da ein französischer Koch aus London hierher verschlagen worden ist, und wenn ich auch nicht den Köchen, wie die Alten, eine religiöse Huldigung darbringe, so kann ich doch nicht leugnen, daß ich für ihre Kunst keine geringe Verehrung hege. »Il est beau au feu« kann man auch von einem solchen Virtuosen sagen, so gut wie vom glänzenden Krieger, und was vollends Diplomatie und Politik betrifft, so ist wohl kein Minister so undankbar, nicht anzuerkennen, wie viel er seinem Koch verdankt.

Meine Excursion naht sich nun ihrem Ende, und in drei Tagen hoffe ich Dir R .... mit allen gesammelten Materialien, wie die Biene voll Honig, wieder zusenden zu können.


Den 8ten.


Oxford ist eine originelle Stadt. Eine so große Menge alter und prächtiger gothischer Gebäude von 300- bis 1000jährigem Alter wird wohl nirgends an[278] demselben Orte so zusammen gehäuft, angetroffen werden. Es gibt Stellen in dieser Stadt, wo man sich ganz in's fünfzehnte Jahrhundert versetzt glaubt, weil man durchaus nichts als Denkmale dieser Zeit, ohne irgend eine moderne Unterbrechung, um sich her versammelt sieht. Viele, ja die meisten dieser alten Colleges und Kirchen sind auch im Detail sehr schön, alle aber wenigstens von höchst malerischer Wirkung, und oft hat es mich gewundert, warum man nicht manches Einzelne dieser Bauart, unter andern die eben so schönen als zweckmäßigen, lichten Fenster, in zwei und drei Abtheilungen, bisweilen mit großen Erkern abwechselnd, und unsymmetrisch vertheilt, nicht auch bei unsern modernen Wohngebäuden anwendet, – denn nur die Gewohnheit kann uns wohl die regelmäßigen Reihen viereckiger Löcher, die wir Fenster nennen, erträglich machen.

Ich begab mich zuerst nach dem dreihundert Jahre alten, sogenannten Theater (aber nur für geistliche Schauspieler bestimmt), das von einem Bischof erbaut ist. Die eiserne Grille, die es umgibt, hat statt der Pfeiler eine Art Termen mit den Köpfen der römischen Kaiser, ein seltsamer Einfall, der aber keinen üblen Effekt macht. In diesem Theater, das, seinem Ursprung gemäß, mehr einer Kirche ähnlich sieht, wurden in neuester Zeit der russische Kaiser, der König von Preußen und der Prinz-Regent zu Doctoren creirt, wobei sie genöthigt waren, im rothen Doctorgewande zu erscheinen. Die Portraits aller[279] dieser Souveraine wurden seitdem hier aufgestellt. Der König von England im Krönungsornate, ein vortreffliches Gemälde von Thomas Lawrence (der alten Zeiten würdig), hängt in der Mitte, in einem prächtigen Rahmen. Zu beiden Seiten, in weit einfacherer Umfassung und einfacherer Kleidung, der Kaiser von Rußland und der König von Preußen, auch von Lawrence gemalt. Der König ist nicht ähnlich, vom Kaiser Alexander habe ich aber nie ein besseres Bild gesehen. Blücher wurde hier ebenfalls Doctor, und äußerte dabei: da die Herren die Souveraine zu Doctoren creirt, so könne er nur höchstens darauf Anspruch machen, Apotheker zu werden.

In der Universitäts-Stereotype-Druckerei, wo die Bedruckung eines Bogens auf beiden Seiten nur fünf Sekunden dauert, zeigte ich mich wieder selbstthätig, und hatte die Ehre, einen Bogen aus der Bibel zu drucken, den ich Dir als Seitenstück zum Birminghamer Knopfe mitschicke. Er enthält einige interessante Begebenheiten der Makkabäer.

Es wird hier viel für die Bibelgesellschaften gedruckt, und wenn dieß in derselben Progression fortgeht, so wird wohl bald die Epoche eintreten, von welcher die Jahresschrift: der Katholik, vom Jahr 1824, folgendermaßen prophezeiht: »Wenn es dahin kömmt, daß Alle die Bibel lesen, wird die Welt nur ein Aufenthalt für wilde Thiere seyn.« Meint der Katholik, daß Alle sie dann auch verstehen und befolgen, so mag er recht haben, weil dann die ganze[280] Menschheit zu einer höhern Existenz auf einem andern Planeten reif seyn möchte. Demongeachtet bin ich mit dem Katholiken in so weit einverstanden, daß die unüberlegte Vertheilung der Bibeln an Alle (auch die ungebildetsten Wilden) das Kind mit dem Bade verschütten heißt.

Ich wanderte von hier nach dem Museum, das eine Mischung sehr verschiedener Gegenstände enthält. Gleich beim Eingange sieht man auf der Treppe ein Bild der Schlacht von Pavia, worin die wichtigsten Personen Portraits sind, in ihrer Zeit nach dem Leben gemalt, wie daneben bemerkt ist. Das Bild ist ganz in dem Styl der alten Miniaturen, und auch sehr merkwürdig wegen der vielen genauen Trachten und Rüstungen jener Zeit. Darunter steht: Comen les gens de Lempereur deffirent les francoys en lan 1525. Des Kardinal Wolsey und Kardinal Richelieu Bildnisse, so wie mehrerer anderer historischer Personen zierten diese Treppe. Unter ihnen befand sich auch das eines berühmten Gärtners Carls I., Tredescant mit Namen, von welchem Collegen R .... nicht wegzubringen war, das Bild mit einer Art Protektion betrachtend, und besonders sehr zufrieden mit einer Guirlande von Mohrrüben und Gurken, die den Gartenahn malerisch umschlang. Für mich war das Interessanteste auf diesem Gemälde das Konterfey eines seltsamen, ganz Tausend und eine Nacht ähnlichen großen Vogels, mit Namen Dodo, der diesem Gärtner lebendig zugehört haben, seitdem aber nie[281] wieder seines Gleichen gesehen worden seyn soll. Als Beweis, daß die Geschichte keine Fabel sey, zeigte man uns im Museo noch den ganz fremdartigen Kopf und Schnabel des Dodo.

In der Naturaliensammlung waren eine große Menge, zum Theil sehr seltne, Papageyen aufgestellt, nebst einem andern merkwürdigen Vogel, der Stacheln an seinen Flügeln hat, mit denen er kleine Fische wie mit einer Lanze anspießt; dabei sieht der diminutive Kämpe, der nur sechs Zoll hoch ist, ungemein patzig, und wie ein Straus en miniature aus, nur viel klüger und kampflustiger. Sehenswerth war auch das Schnabelthier, eine Art kolossaler Wasserratze mit Schwimmhäuten und einem Entenschnabel, aus jenem seltsamen Welttheil Neuholland, das durch seine, dem übrigen Naturreich fremden Produktionen, fast auf die Vermuthung bringt, es gehöre einer andern Schöpfungsepoche an, oder sey einst von einem vorbeisegelnden Stern verloren worden, und auf unsere Erde niedergefallen.

Ein Gemälde von Kolibrifedern bietet Farben dar, die überirdisch erscheinen, und eben so überraschend war das Basrelief eines herrlich goldgrün geharnischten Ritters, dessen Harnisch – aus den Flügelschalen des Goldkäfers bestand. Eine gute Satyre auf den heutigen Landadel wäre es, wenn man einen solchen Ritter mit der blauen Rüstung des Mistkäfers darstellte.[282]

Im Curiositäten-Kabinet ist zu vielerlei, um es Dir, gleich einem Antiquar, Alles herzuerzählen. Ich beschränke mich daher, wie immer, nur auf das, was mich am meisten anspricht, und das ist nicht immer das berühmteste. Also zuerst ein mit Edelsteinen besetzter Handschuh Heinrichs VIII., und ein sehr wohl erhaltener, fast chinesisch geformter Sorgenstuhl desselben. Ferner ein eigenhändiger Brief der Königin Elisabeth an Lord Burleigh, sehr zierlich geschrieben, und eine niedliche Reitkamasche und Schuhe der Maidenqueen, welche wenigstens einen allerliebsten Fuß verrathen. Endlich ihre Uhr mit einer geschmackvollen Kette, aus fünf Medaillons bestehend, eines unter dem andern, die alle anders gefärbte Haare enthalten, wahrscheinlich von ihren verschiedenen Günstlingen. Merkwürdiger noch ist ein anderes Medaillon, mit einem groben Portrait in Mosaik, und einer Inschrift, die beweist, daß das erste dem König Alfred zugehört habe. Dieß seltene Ueberbleibsel des Alterthums wurde erst vor zehn Jahren auf der Insel Athelney, wo Alfred sich vor den Dänen verbarg, beim Aufreißen eines Feldes gefunden.

Die Copie eines chinesischen Schiffes (einer Junke) in der Größe eines Kahns, so daß man recht gut damit sogleich eine Spazierfahrt auf dem Wasser machen könnte, so wie das Modell des sogenannten Druidentempels zu Stonehenge, ein sehr vollständiges Kabinet fossiler Knochen u.s.w. erwähne ich noch, und führe Dich nun in die Gemäldegallerie,[283] von Elisabeth erbaut, und ganz in statu quo erhalten. Die Decke derselben ist mit Holzcaissons verziert, und in jedem Caisson ein Wappen, was sich gar alterthümlich und prächtig ausnimmt. Sehr gut ausgeführte Gypsmodelle von den berühmtesten Tempeln des Alterthums stehen im Vorsaal. Unter den Gemälden befinden sich einige Vortreffliche. Das liebste war mir ein Portrait der Königin Maria von Schottland, authentisch von dem Italiener Zuccaro, gleich nach ihrer Ankunft aus Frankreich gemalt, wo sie noch in allem unbeschreiblichen Reiz ihrer Jugend und Frische glänzte. Man begreift, wie diese Frau nur leidenschaftliche Verehrer oder wüthende Feinde haben konnte. Ein im wahren Sinne des Worts reizenderes, verführenderes Gesicht wird man selten sehen, aber bei aller französischen Grazie verräth es doch, daß diese Schönheit eigensinnig genug, und in ihren Leidenschaften nichts achtend seyn konnte, doch von Bösem oder Gemeinem, wie das erste bei Elisabeth, Katherine von Medicis, das lezte bei der Königin Anna sichtlich ist, keine Spur. Eigentlich ein ächt weiblicher, und daher ganz verführerischer Charakter, mit allen Tugenden und Schwächen ihres Geschlechts in erhöhtem Maßstabe ausgestattet. Den Besitz eines solchen Bildes möchte ich ein wahres Glück nennen! Das Original möchte einem schon mehr zu schaffen machen. Derselbe Künstler hat auch Elisabeth gemalt, ein Portrait, das dem in Warwick beschriebenen vollkommen gleich ist. Graf Leicester, kurz vor seinem Tode dargestellt, erweckt auch viel[284] Interesse. Sein Gesicht ist eben so vornehm als schön, und obgleich es nicht ein großes Genie verräth, hat es doch den Ausdruck eines klugen, im äußern Anstand würdevollen und kräftigen Mannes. Von dem Glanz der Jugend ist nichts mehr übrig, wohl aber eine gewisse stolze Gemächlichkeit der sichern unerschütterlichen Gunst. In einer Copie der Schule von Athen, von Guilio Romano, bewunderte ich von neuem das herrliche Antlitz des jungen Herzogs von Urbino, dieses Ideals sanfter jugendlicher Schönheit. Das schönste Mädchen könnte damit überzufrieden seyn. Auch Raphaels eignes Bild ist dort am bedeutendsten. Garriks Portrait von Raphael Mengs entsprach meiner Vorstellung von diesem Künstler nicht so wohl, als das in Stratford. Desto mehr gefiel mir ein Bild Carls XII. in Lebensgröße von Schröter, auch jeder Zoll – ein großer Don Quixote, und ein sehr charakteristisches Carls II. von Peter Leley. Ich finde daß Carls II. wie seine Weltbildung, auch in den Zügen ganz französisch aussieht, und namentlich eine auffallende Aehnlichkeit mit Bussy Rabutin hat. Sein Vater hängt in einer mehr als gewöhnlich anziehenden Abbildung daneben. Gewiß hat er ein schönes Gesicht mit vielsagenden Augen, aber der weiche, leidende, ideologische Ausdruck desselben zeigt genugsam an, daß der Träger solcher Züge keinem Mann wie Cromwell und keiner Zeit wie der seinigen gewachsen war. Es ist aber das größte Unglück für einen Hochstehenden, in eine unrechte Zeit zu gerathen, wenn er nicht groß genug[285] ist, ihr seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Der große Philosoph Locke, von Gibson, erscheint als ein magrer Stubengelehrter; daneben hängen ein schöner, fetter Luther, von Holbein, der stattliche Hendel, von Hodson, und ein Portrait von Hugo Grotius, mit einem feinen, schlauen und doch ritterlich ehrlichen Gesicht, mehr den rüstigen Weltmann als den Gelehrten zeigend. Das sind ungefähr die Gegenstände, die mich am meisten anzogen.


Den 9ten.


Heute bin ich erst recht in Oxford umhergeirrt, und kann nicht ausdrücken, mit welchem innigen Vergnügen ich in dieser gothischen Stadt, von Kloster zu Kloster wandernd, mir die alten Zeiten aufgefrischt habe. Unter andern gibt es eine prachtvolle Allee von Rüstern hier, die, gleich den von dieser Promenade sichtbaren Gebäuden, dem Jahre 1520 ihren Ursprung verdankt. Von dieser Königin aller Alleen, in der auch nicht ein Baum fehlt, und die mitten durch eine Wiese am Wasser hinführt, sieht man von der einen Seite eine reizende Landschaft, von der andern einen Theil der Stadt mit fünf bis sechs der schönsten gothischen Thürme, an sich schon ein herrlicher Anblick, der aber heute noch durch einen bezogenen Himmel, an dem der Wind schwarze, phantastische Wolken, gleich dem wilden Heere hinjagte, und[286] an dem sich zuletzt der schönste Regenbogen, wie aus einem der Thürme steigend, und in den andern herabsinkend, über die ganze Stadt spannte – fast märchenhaft und bezaubernd wurde.

Von diesem alten Musensitz Englands, von allen jenen Colleges, jedes verschieden von dem andern, und in verschiedenen Zeiten gebaut, jedes große Höfe einschließend und mit prachtvollen Thürmen geschmückt, jedes mit einer mehr oder minder verzierten Kirche, einer Bibliothek und Gemäldegallerie versehen, und alle in ihrer Art immer von neuem Interesse – nehme ich das angenehmste Andenken mit. Wenn Du es aushalten kannst, immer und immer mehr aus der alten Schüssel zu genießen, so führe ich Dich noch weiter mit mir umher.

Mein erster Gang am Morgen war also nach der Rateliff-Bibliothek, ein rundes in neuerer Zeit aufgeführtes Gebäude, d.h. im vorigen Säculum auf Dr. Ratcliff's Kosten erbaut, und ziemlich in der Mitte der Stadt gelegen. Es enthält im Innern nichts als eine Rotunde, durch drei Etagen steigend, mit einer Kuppel und zwei Reihen offener Gallerien über einander, aus denen Seitengemächer wie Strahlen aus dem mittlern Rund nach außen laufen, wo die Bücher (welche nur Medizin und Naturphilosophie betreffen) aufgestellt sind. An den Pfeilern unten stehen rund umher Abgüsse der besten Antiken. Eine kleine höchst accurat gebaute Wendeltreppe führt in einem Seitenthürmchen zur letzten Gallerie – auf[287] dem Dache, von welcher man eine schöne Uebersicht der mit tausend Spitzen gen Himmel strebenden gothischen Paläste hat. Auch die umliegende Gegend ist freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöster für Erziehung bestimmt), und dreizehn Kirchen in dem kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwohner hat.

Von hier besuchten wir die von Heinrich VIII. erbaute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils in ihrem primitiven Zustand erhalten, und mit nicht weniger als 300,000 Büchern ausgestattet. Das Lokal sieht keinem andern dieser Art ähnlich, und versetzt auch im Innern vollständig in dahin gegangene Jahrhunderte. Die Kreuzesform, die seltsamen Schränke und Eisengitter halb blau, halb vergoldet, von einer jetzt nicht mehr gesehenen Form, die ungeheuren Fenster, von der Breite dreier Kirchenfenster zusammengenommen, und mit dem schönsten farbigen Glase geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen Caissons, jedes das Bild einer aufgeschlagenen Bibel mit vier Kronen enthaltend – selbst das noch beibehaltene alte Costüme der an den Tischen sitzenden Doctoren in Luthers Tracht – wie ungewöhnlich wird die Phantasie durch solchen Anblick angeregt! In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie rund umher, um zu den höher stehenden Büchern zu gelangen. An dem Geländer dieser Gallerie, die unten wieder eine Decke bemalter Caissons bildet, sind die Portraits der verschiedenen Bibliothekare, vom ersten[288] bis zum letzten, aufgehangen, einige leider in moderner Kleidung, welche daher wie Affen unter ihren ehrwürdigen Altvordern erscheinen. In dem mittleren Theile des Saals sind auf beiden Seiten die Schränke so aufgestellt, daß sie zugleich eine lange Gasse verschlossener Kabinets bilden, in denen Jeder, der die Bibliothek benutzen will, ganz ungestört arbeiten kann; eine alte, höchst nachahmungswürdige Einrichtung. Ausser diesem Hauptsaale sind die übrigen Bücher in Zimmern enthalten, die den ganzen ersten Stock des viereckigen Gebäudes einnehmen. Hier sind höchst merkwürdige Manuscripte und alte Drucke aufbewahrt, man bedauert aber, so viel hier zu sehen, was Deutschlands Armuth dem englischen Reichthum hat zollen müssen, unter andern ein herrliches Exemplar der ältesten Faustischen Bibel, von 1440 glaube ich, die unserm Doctor Barth gehörte, und mit vielen Noten von seiner Hand versehen ist. Eine wahre Freude hatte ich, ein Manuscript zu finden, das so sehr dem einen Theil des Froissart's in unserer Bibliothek glich (dem mit den Miniaturen auf jedem Blatt), ganz mit denselben Arabesken von Früchten und Blumen auf Goldgrund geziert, Styl und Farben der Bilder so völlig ähnlich, daß es fast keinem Zweifel unterworfen seyn kann, es müsse von demselben Maler herrühren. Leider ist darauf weder Name noch Jahreszahl vorhanden. Der Inhalt ist Curtius Geschichte Alexanders, alle Personen aber im Costüme der Zeit des Schreibers, und wie im Froissart, die französischen und englischen Ritter, so[289] bricht auch hier Alexander, von Kopf bis zum Fuß in Eisen gehüllt, eine Lanze mit Darius, und wirft ihn unsanft aus dem Sattel. Ein sehr merkwürdiges französisches Manuscript, dessen Gegenstand ein Heldengedicht in Versen ist, enthält (ein äusserst seltner Fall) den Namen des Schreibers mit dem Jahr 1340, und darunter auch Namen und Datum des Malers 1346, was vermuthen ließe, daß der Letzte sechs Jahre zu den Miniaturen gebraucht hat, die fast alle auf einem ganz ungewöhnlichen Grunde, aus Gold, blau und roth, nach verschiedenen Richtungen quadrirt, und einer Tapete ähnlich, gemalt sind. Besonders interessant wird diese Schrift dadurch, daß auf jedem Blatte, wo sich ein Bild befindet, der Maler um den Text, statt einer Einfassung oder Arabeske, die Darstellung damaliger Gewerbe, Spiele und Ergötzlichkeiten angebracht hat. Nur eine flüchtige Durchsicht zeigte mir, neben einer Menge Spielen und Aufzügen, die wir nicht mehr kennen, auch mancherlei, so ganz noch, wie wir es in unsern Tagen sehen, daß ich oft darüber erstaunte. Z.B. ein Maskenball, Kämmerchen vermiethen, das Händespiel, gioco di vilano genannt, dasselbe mit den Füßen, was wir Knaben oft in der Schule exercirten, um uns im Winter zu erwärmen, Hahnenschlag und Hahnengefechte, Seiltänzer und Taschenspielerkünste, Kunstreiter und abgerichtete Pferde, die mitunter noch schwerere Kunststücke machen als die unsrigen, Scheibenschießen nach einem Mann, der (mille pardons) seinen bloßen H .... der Gesellschaft zukehrt, wie in Pförten in der Lausitz[290] noch ein ähnlicher existirt, eine Schmiede, wo ein Pferd im Nothstall beschlagen wird, ein Frachtwagen mit drei großen Karrenpferden vor einander gespannt, mit Leitern an den Seiten, Geschirr etc. ganz in der heutigen Form, selbst das Costume des Fuhrmanns in seiner blauen Blouze das nämliche, und manches andere, was ich nicht alles hererzählen will, zeigte an, daß, wenn Vieles sich änderte, doch auch unendlich viel sich gleichblieb, und vielleicht, à tout prendre, das Getreibe der Menschen in den verschiedenen Zeiten sich weit ähnlicher sieht, als man sich vorzustellen pflegt.

Ein Bocaccio mit äusserst schönen Miniaturen und prachtvoller Schrift gehört zu den elegantesten Paradestücken der Bibliothek, und als eine der größten Seltenheiten wird eine lateinisch und griechisch abgefaßte Apostelgeschichte aus dem 7. Jahrhundert gezeigt, in der jede Zeile nur ein Wort in beiden Sprachen enthält. Für sein hohes Alter ist das Ganze sehr wohl erhalten.

In dem Aller-Seelen-College ist eine Stelle in dem schönen Hofe, (den übrigens der feinste Rasen bedeckt) wo man einen besonders herrlichen Anblick fortwährend übereinander hinragender Spitzen und Façaden alterthümlicher Gebäude hat, ohne die geringste Mischung mit Modernem. Hier ist ebenfalls eine Bibliothek von 70,000 Bänden in einem 120 Fuß langen und 60 Fuß hohen Saal aufgestellt. In der[291] Mitte steht eine Himmelsuhr, die unser ganzes Sonnensystem ungemein einfach versinnlicht, und regelmäßig das Jahr hindurch mit Sonne und Planeten den gleichen Lauf hält.

Christus-College ist ein schönes Gebäude neuerer Zeit, nur eine Abtheilung davon ist uralt, und die Kirche von altsächsischer Bauart, wo antike Säulen mit runden und Spitzbogen, sonderbar, aber nichts weniger als das Auge beleidigend, durch einander abwechseln. Hier ist der berühmte Schrein der heiligen Frisdewide, ein überaus prächtiges und geschmackvolles gothisches Grabmal aus dem Anfang des achten Jahrhunderts, also jetzt schon 1200 Jahr wohl erhalten. Es war mit silbernen Aposteln und andern Zierrathen versehen, die unter Cromwell geraubt wurden, wie überhaupt dieser unglückliche Religionskrieg den Monumenten des Alterthums in England einen unersetzlichen Schaden zugefügt hat, da bis dahin alle diese Sachen auf das Vollständigste conservirt waren. Bei diesem College ist auch der reizende Spaziergang, von dem ich Dir schon geschrieben. Er führte uns zu dem Magdalenen-Kloster, das zum Theil neu restaurirt ist, und von allen Colleges den höchsten Thurm hat. Die Restaurationen, welche dem alten Style vollkommen gleich ausgeführt sind, und diese Theile des Gebäudes nun wieder 500 Jahre länger sichern werden, kosten, obgleich nur ein sehr geringer Theil fertig ist, bereits 40,000 L. St. Man kann sich also denken, welche[292] ungeheuren, gar nicht mehr zu erschwingenden Summen die Aufführung solcher Werke von Grund aus heut zu Tage kosten würden. Die arbeitenden Klassen, und zum Theil die Künstler, haben offenbar in unserer Zeit über die Verzehrenden den Vorsprung gewonnen, und ihre Arbeit ist daher so theuer geworden, daß etwas wirklich Großes in der Kunst nach diesem Maaßstabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götterwerk Raphaels erkaufte, kann man heute (selbst verhältnißmäßig in Hinsicht auf den geringern Geldwerth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erstehen. Der botanische Garten schloß unsre Promenade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Ich erlöse Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais c'est à y revenir demain.


Buckingham, den 10ten.


Es ist sündlich, wie mein Privat-Tagebuch seit lange schon von mir vernachlässigt wird! Je mehr die Reisebriefe an Dich anschwellen, je mehr schrumpft jenes unglückliche Journal zusammen. Wenn Du diese Briefe verbrannt hast, werde ich gar nicht mehr wissen, was in jener Zeit aus mir geworden ist. Denke Dir wie unangenehm, vor seinem eignen Gedächtniß zu verschwinden! Ja, meine Einbildungskraft ist durch[293] die vielen Ruinen und Anklänge vergangener Zeiten so montirt, daß ich schon in eine Zukunft hinüber träume, wo selbst alle Ruinen aufhören, und wo man nicht nur seinen Schatten, sondern den ganzen Menschen verloren haben wird, um auf neuen Sternen ein neues Leben zu beginnen – denn mit der Erinnerung, man sage was man wolle, verliert man doch das ganz, was man jetzt ist, wie schon auf dieser Erde der Greis beinahe sich als Kind verloren hat. Wieder finden können wir uns aber dennoch, meine Herzensfreundin, und dann wird das Band, das uns hier verbindet, sich auch nothwendig wieder dort neu anknüpfen müssen. Dies kann uns auch genügen.


Mais revenons à nos moutons – c'est à dire: parlons de nouveau de parcs.


Ein abscheuliches Wetter, Regen und Dunkelheit hielten mich in Oxford bis 3 Uhr Nachmittags zurück, wo es sich soweit aufklärte, daß ich abfahren konnte. Der Postillon wußte den Weg, welcher keine Hauptstraße ist, nicht recht genau, und fuhr uns eine große Strecke um, so daß wir erst sehr spät hier ankamen. Während man in meiner Stube Kaminfeuer machte, trat ich in die des Wirths, wo ich ein sehr hübsches Mädchen, seine Nichte, fand, nebst zwei Doctoren aus dem Orte, mit denen ich mich den Abend ganz gut unterhielt.


[294] Aylesbury, den 11ten.


Stove ist gleich Blenheim ein zweites Specimen englischer Größe und Pracht. Der Park umschließt ein großes Terrain in schöner, hüglicher Gegend, mit herrlichem Baumwuchs, und das Schloß ist ein sehr magnifikes Gebäude im italiänischen Geschmack, nach Zeichnungen von Chambers. Der pleasure ground, welcher es umgiebt, erstreckt sich über 1200 Morgen, und war in bester Ordnung erhalten. Diese Gärten sind eine alte Anlage, und obgleich sehr schön in vieler Hinsicht, und durch ihren Reichthum an hohen Bäumen ausgezeichnet, doch mit Tempeln und Gebäuden aller Art dermaßen überladen, daß 10 bis 12 abzureißen die größte Verbesserung seyn würde. Zu rühmen ist ein reizender Blumengarten, dicht umschlossen von hohen Bäumen, Fichten, Cedern, immergrünen und blühendem Strauchholz, und im Dessin einen regelmäßigen Teppich bildend, der sich vor einem halbzirkelförmigen Hause mit Säulen, das seltne Vögel enthält, ausbreitet. In der Mitte des Teppichs springt eine schöne Fontaine, und auf beiden Seiten sieht man zwei zierliche Volieren von Drahtnetz.

Ein anderer Blumengarten, mit Statuen geschmückt, und einem Gewächshause in der Mitte, bildete irregulaire Blumengruppen auf dem Rasen. Die Umgebung war ein durchsichtiger Hain der höchsten Bäume, ohne weitere Aussicht.[295]

Im Park steht ein Thurm, den man den Bourbon Tower genannt hat, weil er mit einem Kranze von Linden umgeben ist, die Ludwig XVIII. pflanzte, als er sich so lange hier in der Nähe, in Hartwell, aufhielt. Obgleich neu, ist dieser Thurm doch schon wieder halb eingefallen. Ich wünsche, daß dies keine üble Vorbedeutung für die Bourbons in Frankreich abgeben möge, wo man selbst den weisen Chartengeber nur: Louis l'inévitable und »deux fois neuf« taufte.

Der Erwähnung werth ist auch ein Monument, den großen Männern und Frauen Englands gewidmet, mit recht passenden Inschriften, und den besten Gemälden gut nachgeahmten Büsten.

Die Länge der Schloß-Façade beträgt 450 Fuß, und eben so lang ist die ununterbrochene Enfilade der Zimmer in der bel étage, zu der man, von der Gartenseite, auf einer schönen Treppe hinansteigt. Durch eine breite Bronzethüre tritt man hierauf in einen ovalen Marmorsaal mit einer schönen Kuppel, von welcher aus er allein beleuchtet ist. Ein Kreis von 20 Säulen aus röthlichem Marmorstück umgiebt ihn, und in den Nischen, welche diese bilden, stehen zehn antike Statuen. Der Boden ist mit ächtem Marmor ausgelegt, und ein goldnes Gitter in der Mitte des Fußbodens befindlich, aus dem regelmäßige Wärme ausströmt. Es würde zu lang werden, jedes einzelne Zimmer zu beschreiben. Ich erwähne nur[296] im Allgemeinen, daß sie sehr reich, und in dem Geschmack, der vor 80–100 Jahren herrschte, meublirt sind. Die Tapeten, entweder schwarzes Seidenzeug oder Hautelisse, alle Zimmer mehr oder weniger mit Gemälden, Curiositäten und Kunstschätzen aller Art geschmückt. Eine Unzahl chinesischen Porzellains und anderer Sachen aus diesem Lande ist darin zusammengehäuft, besonders in dem Staats-Schlafzimmer, das nicht benutzt wird, sondern nur als Zierde ein prachtvolles altes gesticktes Sammtbett mit goldnen Frangen etablirt.

In dem Boudoir daneben befanden sich viele andere Kostbarkeiten, die wir jedoch, durch ein Gitter abgehalten, nur von weitem sehen konnten. Die Entwendung eines Halsbandes von Rubinen, welches Marie Antoinette von Frankreich gehört hatte, ist die sehr triftige Ursache, daß, ohne des Herzogs Gegenwart, Niemand mehr hineingelassen wird.

Die Bibliothek, welche eine lange Gallerie bildet, dient als Hauptgesellschaftszimmer und ist modern eingerichtet, voller Sophas, Tische, Fortepianos etc., die Wände bis an den Plafond mit Schränken bedeckt, welche in der Mitte eine leichte und elegante Gallerie haben, zu der man durch eine kleine Wendeltreppe gelangt. Ein großes, eben so disponiertes Zimmer daneben, enthält nichts als Mappen mit Kupferstichen, vielleicht eine der reichsten Sammlungen in der Welt. Es scheint dies die Liebhaberei des jetzigen Herzogs. Der Concertsaal hat neben allem nöthigen[297] Musikapparat auch eine große Orgel. Ein anderer Saal, eigentlich die Halle, auf der entgegengesetzten Seite des Schlosses nach dem Parke zu gelegen, wo die Anfahrt für die Wagen ist, bietet eine Aussicht dar, deren Wirkung ich höchst eigenthümlich fand. Man sieht nämlich eine große freie Rasenfläche vor sich, auf beiden Seiten mit Eichenwald eingefaßt, im Mittel- und Hintergrund einige Wiesen und Wald durcheinander abwechselnd. Auf der Mitte der Rasenfläche, ohngefähr 60–70 Schritte vom Schloß, steht ganz frei eine schneeweiße colossale Reiterstatue, vortrefflich ausgeführt, auf einem hohen Piedestal, so daß der Reiter gerade auf den Waldesspitzen hinter ihm zu ruhen scheint. Kein Gebäude oder anderer Gegenstand (nichts wie Bäume, Gras und Himmel) ist sichtbar, und die Gegend so völlig unbelebt, daß das weiße Geisterbild die ganze Aufmerksamkeit allein auf sich ziehen muß. Keine schönere Dekoration zum Don Juan läßt sich denken. Dazu kam noch, daß der Himmel gerade heute durch ein glückliches Ohngefähr, auf dieser Seite des Schlosses mit einem Schneesturme drohend, ganz schwarz überzogen war, wogegen die blendend weiße Statue fast grausend abstach. Sie schien in dem Augenblick lebend, und jede Muskel trat im grellen Lichte hervor.

Unter den Gemälden befindet sich ein Schatz, der unseren deutschen Reisenden gar nicht bekannt geworden zu seyn scheint, wenigstens habe ich nirgends davon etwas gelesen – ein ächtes, noch während[298] Shakespeares Leben gemaltes Portrait dieses Dichters, von Barnage. Die Hypercritiker in England wollen zwar durchaus kein ächtes Portrait Shakespeares statuiren, aber mir scheint es fast unmöglich, eine Physiognomie zu erfinden, die so siegend den Charakter der Wahrheit an sich trüge, so ganz die Größe und Originalität des Mannes ausspräche, den sie darstellt, ausgestattet mit aller geistigen Erhabenheit, allem Scharfsinn, Witz, Feinheit, und jenem ächten Humor, dessen unerschöpflicher Reichthum keinem andern Sterblichen je wieder so zu Theil geworden ist. Das Gesicht ist keineswegs, was man gemeinhin schön nennt, aber die erhabene Schönheit des dahinterwohnenden Geistes wird im ersten Augenblicke klar. Um die hohe Stirne spielt dieser kühne Geist in blitzenden Lichtern, durchdringend sind die großen dunkelbraunen Augen, feurig und mild; nur um die Lippen schwebt leiser Spott und gutmüthige Schlauheit, aber mit einem so lieblichen Lächeln verschwistert, daß dieses erst der sonst ernsten Würde des Ganzen, den größten, menschlich gewinnenden, Reiz verleiht. Wunderbar vollkommen erscheint dabei der Bau des Schädels und der Stirne, die keine einzelne besonders hervorstehende Erhöhung, aber alle Organe so gewölbt und ausgebildet zeigt, daß man über die Harmonie eines so musterhaft organisirten Kopfes erstaunt, und eine wahre Freude fühlt, das Bild des Mannes mit seinen Werken in so schönem Einklang zu finden.[299]

Zwei vortreffliche Albert Dürer, ein Schwesterpaar weiblicher Heiligen in phantastischer Landschaft darstellend, zogen mich besonders durch ihren originell deutschen Charakter an. Es sind zwei ächte Nürnberger Hausfrauen, mit ihren vaterländischen Hauben angethan, und nach der Natur aufgefaßt, gutmüthig und geschäftig ihr Heiligenamt verrichtend. Ein Bild Luthers von Holbein verräth mehr Geist, und ist weniger fett als gewöhnlich.

Bemerkenswerth ist noch ein Bild von van Dyk, den Herzog von Vieuxville vorstellend, dem Gesandten Frankreichs bei Carl I., der mit chevalereskem Geiste den König auch in die Schlacht begleitete, und bei Newbury getödtet wurde. Die Tracht ist sonderbar, aber doch malerisch. Ein weißer juste-au-corps à la Henri quatre, mit einem schwarzen Mantel darüber, weite kurze schwarze Beinkleider über die Knie fallend, mit silbernen Metallspitzen daran, hellviolette Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und weiße Schuhe mit goldenen Rosen. Auf dem Mantel ist der Stern des heiligen Geistes, viermal größer als jetzt üblich, gestickt und das blaue Band wird noch en sautoir, aber länger herunterhängend und bereits ähnlich der heutigen Mode, mit dem Kreuze seitwärts getragen. Dieses hängt fast unter dem Arm, schmaler und kleiner als jetzt, an dem großen Bande.

Den Duc de Guise hätte ich mir anders vorgestellt, ein blasses Gesicht mit röthlichem Bart und Haar, mehr intriguant als großartig aussehend. Dem Charakter[300] der dargestellten Person besser entsprechend ist das Bild des Grafen Gondemar, spanischen Gesandten bei Jakob I., (von Velasquez) der durch sein Küchenlatein dem gelehrten Könige schmeichelte, in welcher burlesken Form er sich Alles zu sagen erlaubte, und nachher durch seinen jesuitischen Einfluß Sir Walter Raleigh, den Günstling Elisabeths, auf's Schaffot brachte.

Ein Bild Cromwells von seinem Hofmaler Richardson, hat ein doppeltes Interesse für die Familie, da es für einen der Vorfahren des Herzogs gemalt wurde, der selbst mit darauf abgebildet ist, – als Page, im Begriff, dem Protektor dienstfertig die Feldbinde in eine Schleife zu binden. Es gleicht dieses Portrait den andern, die ich von Cromwell gesehen, nicht ganz, sondern stellt ihn jünger und in einer verfeinerten Natur dar, ist also wahrscheinlich geschmeichelt. Der Hof maler läßt dies doppelt vermuthen.

Nur andeuten will ich zwei schöne und große Teniers, wovon der eine drei höchst charakteristische holländische Bauern darstellt, die sich im Dorfe begegnen, und mit der Pfeife im Maule zu schwatzen anfangen, einen vorzüglichen Ruysdael, sechs berühmte Rembrandts, und die Geliebte Titians, von ihm selbst gemalt, mit Armen und Busen, die der Umarmung entgegenschwellen. Auch ein neueres Kunstwerk bewunderte ich sehr: zwei Tassen von Sevres mit Miniaturgemälden nach Petitot, von der vortrefflichen Porzellain-Malerin Mad. Jaquotot. Das[301] eine stellt Ninon de Lenclos vor, deren mir bisher bekannt gewordnen Abbildungen nie meiner Vorstellung von ihr recht entsprachen, dagegen diese ihren bekannten Charakter vollständig ausspricht, und dabei von der anziehendsten Schönheit ist, ächt französisch, lebhaft wie Quecksilber, eine Kühnheit, die allerdings an Frechheit streift, aber doch zu edel und zu wesentlich natürlich, um einen andern als gewinnenden Eindruck zurück zu lassen. Die andere, eine sanfte, heitere und wollüstige Schönheit, war unterschrieben Francoise d'Orleans de Valois – als Eingeweihte in die französische Genealogie und Memoiren, wirst Du wissen, wer dies ist. Je l'ignore. Jede dieser Tassen kostete 1000 Franken.

Bei schönem Mondschein fuhren wir den Abend noch bis Aylesbury, von wo ich Dir jetzt schreibe.


Uxbridge, den 12ten.


Noch heute Abend hoffe ich wieder in London zu seyn. Während dem Umspannen schreibe ich Dir flüchtig nur ein paar Worte. Wir sahen früh Lord Caringtons Park, zu Deinem Trost gesagt, vor der Hand wenigstens, den letzten. Der Garten bietet eben nichts Besonderes dar, das Schloß ist abermals im beliebten Neu-Gothisch, aber, da es einfacher gebaut ist, und weniger Prätension macht, erscheint es auch weniger affektirt. Es ist nur aus rohen Bruchsteinen[302] ohne Putz aufgeführt. Innerlich waren vortreffliche alte Glasmalereien, durchgehends aber nur der obere Theil der Fenster bunt, das übrige weiß, um die Zimmer heller zu lassen.

Ein gutes Bild Pitts hängt in der Bibliothek. Der große Mann trägt nichts weniger als geniale Züge, und wer weiß, ob die Nachwelt nicht einst ein ähnliches Urtheil über sein Wirken fällen wird. – Im Garten bemerkte ich etwas Artiges, einen dicht gepflanzten Epheukranz auf dem Rasen, der wie nur nachläßig darauf hingeworfen, und wie von einem Vorübergehenden verloren, erschien.

Die Reise sollte mit der Besichtigung von Bulstrode geschlossen werden, das Repton so weitläuftig, als ein Muster für Park und Gartenanlagen, beschreibt. Dieser Kelch geht aber an Dir vorüber, liebe Julie, denn der Herzog von Portland hat es verkauft, und der jetzige Besitzer die stolzen Baumriesen, für die sich Repton so enthusiasmirt, gefällt, die Wiesen zu Feld beurbart, und selbst das Schloß abgerissen, um die Steine zu Gelde zu machen. Es war eine traurige Scene der Verwüstung, noch bedenklicher gemacht durch die seltsame Tracht der darin arbeitenden Weiber, welche, vom Kopf bis zu Fuß in blutrothe Mäntel gehüllt, einer unheimlichen Versammlung von Scharfrichtern glichen.

[303] London, den 13ten.


Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer festlichen Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein, und da ich mir, nach dem langen Park- und Gartenleben, auf der Stelle einen Contrast bereiten wollte, stieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erste Weihnachtspantomime zu sehen. Dies ist eine sehr beliebte Schauspielart in England, wo man vorzüglich die Kinder hinführt, und auch ich also gut an meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute Nacht sage, will ich, in einer rhapsodischen Skizze, das Spiel noch einmal vor Dir sich begeben lassen.

Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Nebel die Scene, der sich nur nach und nach verzieht, welches durch feine Gaze sehr täuschend bewerkstelligt wird. Man unterscheidet im Dämmerlicht eine ländliche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hintergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und einigen Schneegipfeln überragt. Noch ist alles dämmernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, besiegt die schweren Morgendünste, und die Hütte mit dem entfernter liegenden Dorfe erscheinen nun erst in vollster Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen großen Hahn, der mit den Flügeln schlägt, sich brüstet und die Sonne mit mehreren sehr natürlichen[304] Kikerikys begrüßt. Eine Elster neben ihm fängt an zu sprechen, herumzuspazieren, und einen in der Mauernische darunterliegenden, gigantischen Kater zu necken, der seine Glieder schläfrig reckt, seine Schnautze putzt, und behaglich schnurrt. Dieser Kater wird von einem der Akteurs, welcher sich nachher in Harlequin verwandelt, mit großer Virtuosität agirt. Sein Spielen mit einer Melone, die Leichtigkeit seines Kletterns auf den Schornstein hinauf und herunter, seine Sprünge und Manieren sind so natürlich, daß sie nur den Thieren selbst durch langes Studium abgelauscht seyn können, denn glücklicherweise ist nun die Schauspielkunst dahin gekommen, daß sie nicht mehr nöthig hat, Menschen durch Pudel und Affen überbieten zu lassen, sondern diese gefeierten Thiere durch die Menschen selbst täuschend darstellen zu lassen im Stande ist.

Unterdeß öffnet sich die Thüre, und Mutter Shipton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen sich noch eine große Eule gesellt, machen sogleich ihre Morgen-Cour nach Kräften. Die Hexe aber ist unwirsch, spricht eine Verwünschung über sie aus, und verwandelt sie auf der Stelle (was äußerst geschickt gemacht wird) in die Personen der italienischen Comödie, die, gleichsam ein Bild der Welt, sich rastlos verfolgen, bis der Klügste endlich siegt. So spinnt sich denn das Mährchen durch tausend Verwandlungen und Tollheiten weiter fort, ohne besondern Zusammenhang, aber zuweilen mit guten Anspielungen auf die Tagesbegebenheiten,[305] und vorzüglich mit herrlichen Dekorationen, den Witzen des Maschinisten. Eine der besten Darstellungen dieser Art war die Zauberküche. Ein Felsen spaltet sich und zeigt eine große Höhle, in deren Mitte über einer brennenden Klafter Holz ein ganzer Hirsch mit Geweih, ein ganzer Ochse, und ein Schwein sich mit Blitzesschnelle über einander am Spieße herumdrehen. Auf einem Herde an der rechten Seite bäckt eine Pastete von der Größe eines Frachtwagens, und links wird ein Plumpudding von gleichem Calibre gekocht. Der Chef de cuisine erscheint hierauf mit ein paar Dutzend Gehülfen in weißer grotesker Uniform, alle mit langen Schwänzen versehen, und jeder mit einem Riesenmesser und Gabel bewaffnet. Der Kommandirende läßt sie erst ein lächerliches Exercitium machen, das Gewehr präsentiren u.s.w., wobei sie sich eben so erfahren benehmen, als die sieben Mädchen in Uniform. Dann stellt er sie Pelotonweise an, um die Braten mit Butter zu begießen, und dies zwar mit Kochlöffeln von demselben gigantischen Maßstabe als die übrigen Utensilien, während sie mit ihren langen Schwänzen sorgsam das Feuer anfachen.

Später stellt die Scene eine hohe Burg dar, nach welcher die beschriebenen Riesengerichte gleich Artillerie gefahren werden. Die Windungen des Felsenweges lassen sie in steigender Entfernung immer kleiner wieder zum Vorschein kommen, bis endlich die Pastete, wie der untergehende Mond, am Horizonte verschwindet.[306]

Nun werden wir in eine große Stadt versetzt, mit allerlei komischen Inschriften an den Häusern, meistens Satyren auf die Menge der neuen Erfindungen und Compagnieen für alle mögliche Unternehmungen, als z.B. Wasch-Compagnie der vereinigten drei Reiche. Steamboat in 6 Tagen nach Amerika zu fahren. Sicheres Mittel, in der Lotterie zu gewinnen. Bergwerksaktien zu 10 L. St., um in 10 Jahren ein Millionär zu werden etc. etc. Eine Schneider-Werkstatt zeichnet sich im Vorgrund aus, wo im Rez-de-chaussée mehrere Gesellen emsig nähen, und über der Thüre eine Scheere von sechs Ellen Länge, aufwärts stehend, als Wahrzeichen befestigt ist. Harlequin kömmt an, verfolgt von Pantalon und Comp., und springt, mit einem Burzelbaum in der Luft, durch ein Fenster des zweiten Stocks, das klirrend zerschmettert, in das Schneiderhaus. Die Verfolger, vor dem salto mortale zurückfahrend, stürzen über einander her, und prügeln sich mit artistischem Geschick und einer Gelenkigkeit, die man nur Marionetten zutrauen sollte. Man holt nun Leitern, und die Gesellschaft steigt Harlequin nach in das Haus. Dieser ist aber bereits aus dem Schornstein echappirt, und läuft auf den Dächern weiter. Pantalon mit seinem langen Kinn und Bart, lugt indeß zum Mittelfenster, wo die Scheere hängt, und mit ihren beiden Schneiden das Fenster umfaßt, hinaus, um zu erspähen, welchen Weg Harlequin wohl genommen habe. Plötzlich schlägt aber die Schere zu, und sein Kopf fällt auf die Straße. Pantalon, ohne Kopf, rennt nichts desto[307] weniger die Treppe hinab, und stürzt aus der Thüre seinem kollernden Haupte nach, das unglücklicherweise in demselben Augenblick ein Pudel aufnimmt, und damit fortrennt. Pantalon hinter drein. Hier begegnet er aber Harlequin schon wieder, der sich als Doctor verkleidet hat, und schnell eine Consultation mit drei andern Aerzten hält, wie dem jammernden Pantalon zu helfen sey. Man vereinigt sich endlich, die kahle Stelle, wo der Kopf fehlt, mit Macassar-Oehl-Essenz zu schmieren, und glücklich wächst auch, vermöge dieser Operation, vor den Augen der Zuschauer der Kopf langsam wieder heraus.

Im letzten Akt wird uns das Tivoli in Paris zum Besten gegeben. Ein Luftballon mit einem schönen Kinde steigt auf. Während er vom Theater über die Zuschauer hinschwebt, versinken nach und nach die irdischen Dekorationen, und sobald der Ballon an der Decke angekommen ist, wo er um den Kronleuchter in beträchtlicher Höhe eine Volte macht, füllt sich die Bühne mit wogenden Wolken, durch welche tausend Sterne blinken, was eine artige Illusion hervorbringt.

Beim Herabsinken des Ballons steigt Stadt und Garten wieder gradatim empor. Nach dieser Scene wird ein Seil aufgeschlagen, auf dem eine reizend gewachsene Frau mit dem Schubkarren bis zur Spitze eines gothischen Thurmes in Brillantfeuer fährt, während andere Aequilibristen auf ebenem Boden daneben ihre halsbrechendsten Kunststücke machen.[308]

Zum Schluß verwandelt sich, mit Donner und Blitz, das Theater in einen prachtvollen chinesischen Saal, mit tausend bunten Papierlampen, wo alle Zaubereien sich lösen, die Hexe durch einen wohlthätigen Geisterkönig in die Eingeweide der Erde verbannt wird, und Harlequin, als anerkannter legitimer Prinz, sich endlich mit seiner Colombine vermählt.

Beim Zuhausefahren hatten wir noch ein anderes sonderbares Schauspiel gratis. Aus einer Feueresse drang eine hohe Säule glühenden Rauches, die sich bald darauf abwechselnd grün, roth und blau färbte, und je näher wir kamen, immer dichter und bunter gleich dem eben gesehenen chinesischen Feuerwerk, in Farben emporwirbelte. Wahrscheinlich, sagte ich zu R ...., ein chemisches Laboratorium, wenn nur kein ernstliches Feuer daraus entsteht. Doch kaum hatte ich es gesagt, so war meine Befürchtung auch schon in Erfüllung gegangen. Geschrei erschallte von allen Seiten, wilde Flammen zuckten gen Himmel, die Menschen liefen zusammen, und bald rasselten schon Spritzen durch die Straßen. Aber die große Stadt verschlingt das Einzelne. – Noch 500 Schritte weiter, und das Feuer in der Nachbarschaft erregte weder Lärm mehr noch Interesse. In einem erleuchteten Palast tanzte man lustig, langsam zogen die aus den Theatern Heimkehrenden ihren Wohnungen zu, und freche Nymphen, wie factices Elend suchten, an den dunkeln Stellen, wie gewöhnlich der Vorübergehenden Aufmerksamkeit zu erregen.[309]

Doch meine gute, liebe Julie, il faut que tout finisse, also auch diese lange Reiserelation, die Dir gewiß einen Bogen für jedes Jahr meines Lebens liefert. Daß sie aber mit einem Feuer schließt, das deute auf feurige Liebe, und hierzu ist es nicht nöthig, wie Dein Aberglaube empfiehlt, zu rufen: Zur guten Stunde sey's gesagt! Jede Stunde, selbst die unglücklichste, ist gut – wo Liebe ist.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Dritter und Vierter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Band 3, Stuttgart 1831, S. 255-310.
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