Zweite Szene.


[89] Tigellinus, Hasta; später ein Zenturjo, Nero, Epaphroditus, Nymphidius, dann: ein Späher, Prätorjaner, Befehlshaber: zulezt Sporus und Phaon.

Prunksaal im Palaste Nero's, wie im vierten Akt; rechts und links im Vordergrund, dicht bei den Wandpolstern, je ein kleiner Tisch von Polsterstühlen umgeben. Tigellinus und Hasta kommen in kolegialem Gespräch von hinten links, begeben sich, öfter stehen bleibend, nach Vorn.


TIGELLINUS. Somit könte man noch nicht von einem eigentlichen Aufstand sprechen.

HASTA. Sicherlich nicht. – Und wenn die Garantieen gegeben werden, und das Vertrauen bei den[89] Befehlshabern zurükkehrt, kann Alles sich noch zum Besten wenden.

TIGELLINUS. Welche Garantieen sollen gegeben werden? – Die Solde wurden regelmäßig ausbezahlt, der Wechsel in den Stellen, das Avançement, hat sich ordnungsgemäß vollzogen, die Truppen sind gut furaschirt, in gesunden Quartieren, nicht überanstrengt, was will man? worüber beschwert man sich?

HASTA. Herr, er ist die allgemeine Lage ...

TIGELLINUS unwillig. Was heißt das: die algemeine Lage? – Soll das heißen: man will sich in die kaiserliche Politik mischen? – Fühlen die Herrn Befehlshaber an der Spize so großer Heeresmaßen sich plözlich den Kopf schwindeln! – Ist es der alte Jammer Rom's, daß kein Legat von draußen heimkehren kann, ohne daß es ihm in den Fingern jukt, ein Wenig Rom erobern zu kommen? ...

HASTA seufzend, geht zur Seite, wie verzweifelnd, ein Einverständnis zu erreichen; – nach einer Pause. Darf ich mich meines offiziellen Charakters entkleiden und einen Augenblik als Privatmann sprechen, und nicht zum ersten Ratgeber des Kaisers, sondern zum ehemaligen Kameraden aus den brittanischen Winterquartieren?

TIGELLINUS troken. Es sei!

HASTA gedämpft. Die allgemeine Lage ist die Furcht vor den Wechselfällen in den Entschlüßen des Kaisers!

TIGELLINUS beschwichtigend. Der Kaiser ist krank! kränker, als die Meisten glauben oder auch nur ahnen. Er braucht Ruhe. Er ist erschöpft von den aufreibenden Dankfesten und heiligen Zeremonien in Folge jener unglükseligen Verschwörung. Die Festlichkeiten zu Ehren des Armenjer-Königs haben ihm den Rest gegeben. Er will nichts mehr hören und sehen. Er vergräbt sich in sein Privatkabinet ... Noch wälzen sich ungeheure Projekte in seinen reichen[90] Geiste ... Die Durchstechung des Istmus bei Korint, – die Verbindung des Averner See's mit der Tiber – der Ausbau der domus aurea ... die halbe Welt lauscht gespanten Ohres den Offenbarungen dieses außergewöhnlichen Ingenjums, um das uns die Welt beneidet! ... Da hat Er wahrhaftig nicht Welt beneidet! ... Da hat Er wahgrhaftig nicht Zeit, sich den weltvergeßenen Klagen einiger unzufriedener Provinzler abzugeben – Betonend. Er weiß sich sicher in den Herzen seines Volkes. Dies genügt ihm. Betonend. Und dies ist »die allgemeine Lage!« ... Laß also den Kaiser ganz aus dem Spiel! –

HASTA fühlt sich zurükgeschlagen. ... Mag sein, daß die Furcht draußen größer gesehen wird, als sie in Wahrheit ihren Grund haben mag – aber seit den Tagen Palutus' und Cornelius Sulla's fühlen sich die auswärtigen Feldherrn ...

TIGELLINUS unterbrechend, schroff. Plautus' Absichten waren in seiner asiatischen Provinz genügsam ruchbar geworden, um seinen Kopf zu fordern, und Sulla, ein verschmizter Heuchler, wäre sicher eines Tages aus seinem aufrührerischen Gallien uns zuvorgekommen, wenn – nicht wir ihm zuvorgekommen wären ... Auch hat der Senat beide Hinrichtungen gebilligt.

HASTA zögernd. ... Ich will nicht auf die zahllosen Totesbefehle in Folge der jüngsten gegen das geheiligte Haupt des Zäsar gerichteten Verschwörung zu sprechen kommen ...

TIGELLINUS troken. ... Dazu fehlte wol auch einem Unterbefehlshaber in Spanien jede Möglichkeit der Uebersicht und damit jedes Recht, ein Urteil zu äußern ...

HASTA schnell. Herr, wenn ich nicht unter Abstreifung meines militärischen Charakters, sozusagen[91] als Reisender aus der Provinz, hier meine Meinung äußern darf ...

TIGELLINUS ruhiger. Immerhin! – ich laß es gelten! –

HASTA zögernd, den vorigen Saz aufnehmend. ... aber daß Thrasea bluten mußte, diese Vorbild jedes tapferen, hochgemuten Römers, Fast weinend. hat die Graßheit der kaiserlichen Morde ... Tigellinus wendet sich drohend gegen ihn.Er wagt nicht zu vollenden. – hat Furcht und Entsezen hervorgerufen ...

TIGELLINUS unwillig. ... immer Thrasea, immer dieser Thrasea! ...: es geht nicht, diese abstrakten Ideologen und falschen Staatskonstruktöre erhobenen Hauptes hier in Rom herumlaufen zu laßen! ... mögen sie so tapfer und edelmütig in ihrer Brust sein, wie immer ... diese Tugendboldhaftigkeit verwirt unreife Gemüter und dieses Prozen mit persönlicher Intaktheit sezt kaiserliche Minister in's Unrecht – es gibt auch Staatsverbrecher aus Tugend, und sie sind die gefährlicheren, weil sie die Fikzion erweken, als könne ein solches Weltreich mit Tugend schlechtin regiert werden! ... wir leben nicht mehr in der Zeit der Gracchen, wo man mit einer guten Advokaten-Rede und persönlicher Unbescholtenheit den Straßenpöbel zur Revoluzion treiben konte! ...übrigens hat Thrasea durch fortgesezte Misachtung der kaiserlichen Wünsche und durch konsequente Abwesenheit bei allen Kulthandlungen des kaiserlichen Hauses sich schwer vergangen und ist recte vom Senat verurteilt worden!

HASTA der stumm nikend den lezten Ausführungen gefolgt. Die Aussprüche des Senats waren es auch, die immer noch die Zweifelnden zurükhielten, sich den schlimmsten Erwägungen hinzugeben.

TIGELLINUS. Das will ich auch hoffen![92]

HASTA zögernd. Und doch hat die Nachricht, daß die liebliche Servilja, das kaum mündige Geschöpf, die aus Angst wegen des des Staatsverrats angeklagten Vaters die Magier um Hülfe anrief, an's Meßer mußte Tigellinus wendet sich unwillig ab. selbst die härtesten Soldaten-Naturen im Lager schwer ergriffen ... man wurde an die rührende Geschichte der Lukrezia und Anderes erinnert ...

TIGELLINUS unwillig. ... meist ganz entsteltes Geschwäz, welches das Stadt-Gerede müßiger Leute auf seinem Weg in die Provinz zu grausigen Moritaten aufbauscht! ...

HASTA. ... und doch ist es Tatsache, daß der Henker selbst vor dem Ungeheuerlichen nicht zurükgeschrekt, und das junge Geschöpf, um dem Gesez Genüge zu tun, welches Hinrichtung einer Jungfrau verbietet, noch vor der Hinrichtung im Gefängnis entehrt hat! ...

TIGELLINUS höhnisch. Wenn Soldaten erst wegen einer wimmernden Jungfrau solche Geschichten machen, dann ist es freilich nicht zu verwundern, wenn sie vor jeder Nachricht, wie vor einem Gespenst, zusammenfahren, – dann möchte ich die Leute erst einmal vor dem Feind sehen, – dann ist es kein Wunder, wenn die Schlachtreiben wanken – mögen dann die Parter kommen und sich Rom's bemächtigen! ...

HASTA. Herr, verzeiht, – es ist mit der Stimmung in einem Militärlager, bei Leuten, die aus solcher Entfernung zusammenzogen, auf sich allein angewiesen sind, und mit brennender Begierde die Nachrichten aus Rom erwarten, eine eigen Sache ...

TIGELLINUS. Ich sag' es ja: jede Milje von hier bis zu Euer Legjon sezt jeder Nachricht neue Hörner auf, bis als grausiges Gespenst dann endlich bei Euch anlangt![93]

HASTA. Das ist es Herr, daß selbst das schlimmste Ereignis widerstandlos hingenommen und geglaubt wird.

TIGELLINUS. Soldaten solten sich an die offiziellen Tagesbefehle halten.

HASTA. Und doch hat das Alles nicht jene wahnsinnige Furcht vor dem Kommenden erzeugt, als die Hinrichtung Korbulo's.

TIGELLINUS sich brüsk gegen Hasta wendend. Was ist mit Korbulo?

HASTA. Viele kanten ihn als früheren Kameraden. Als die Nachricht eintraf, daß Korbulo, der siegreiche Feldherr gegen die Parter, der der unwandelbaren Gunst des Zäsar sich zu rühmen wußte, nach zwanzigjähriger Dienstzeit aus Asien nach Griechenland gelokt und dort ...

TIGELLINUS schroff unterbrechend. Korbulo war am Ende seiner Laufbahn! ... Man konte ihn nicht an der Spize des ungeheuren Heeres nach Italjen kommen laßen! ... Es waren genügend Anzeichen vorhanden, daß in seiner Seele der Funke des Verrats längst Plaz gegriffen hatte ...

HASTA schnell. Das ist es, Herr, was Galba fürchtet: daß man in seiner Seele den Funken des Verrats früher entdeke, als er ihn selbst entdekt!

TIGELLINUS zornig. Was soll die Rede?! – – Bleiben wir in den Schranken, die der kaiserliche Dienst vorschreibt! ... Welches ist ohne Umschweife die Situazion in den gallischen Provinzen?

HASTA nach einer Pause, förmlich. Vindex ist im Begriff, sich zu erheben. Sicherem Vernehmen nach will er nach Spanien, um Galba an der Spize der beiden Heere zum Kaiser auszurufen. Die Stimmung der beiden Herre ist dem Projekt nicht ungünstig. Wie die germanischen Legjonen am Rhein sich zu der Sache verhalten,[94] weiß man nicht. Galba hält dem Kaiser Treue und ist bereit, nach dieser Richtung die unbedingtesten Garantieren zu geben. Aber seine Lage zwischen Vindex hier, und Rufus, den dieser vom Rhein zu Hülfe gerufen, ist prekär. Und die Nötigung, angesichts des unmittelbar eintreffenden gallischen Befehlshabers zu heucheln, und so eines Doppel-Spiels zwischen Vindex und dem Kaiser bezichtigt zu werden, erscheint ihm als die äußerste Gefahr! ...

TIGELLINUS überlegend, vorsichtig. ... dann wäre es das Einfachste, sogleich nach Gallien abzureisen, Vindex unter der Vorspiegelung eines vollzogenen Kaiserwechsels sicher zu machen, und ihn zu veranlaßen, sich und sein Komando auf Befehl des Senats dem Galba zu unterstellen ... wo selbst sogleich seine Verhaftung bewerkstelligt werden könte ...

HASTA. ... das wäre mit der höchsten Gefahr für den Boten verbunden, da die Befehlshaber in der Provinz längst gewöhnt sind, derartige Mißjonen aus Rom mit geheimen Totesbefehlen bei sich anlagen zu sehen! ...

TIGELLINUS wie oben. ... dann an Galba nach Spanien mit dem Befehl zur Hinrichtung des Vindex ...

HASTA. ... mit nicht geringerer Gefahr für den boten, da selbst lang-gediente, bewährte und erprobte Feldherren auf diese Weise sich dem Tote verfallen sehen mußten ...

TIGELLINUS. Du meinst? ...

HASTA. ... daß, sobald ich angelangt bin, und das Geringste von meiner Mißjon ruchbar geworden, ich von der einen oder andern Seite wahrscheinlich zusammengehauen werde, – nur um sicher zu sein, daß ein von mir zu überbringender Totesbefehl nicht ausgeführt werden könne ...[95]

TIGELLINUS fährt brüsk zurük, beobachtet scharf sein Vis-à-vis, geht dann ruhig nach Hinten und winkt Soldaten: auf Hasta zeigend. Dieser Offizier ist verhaftet, – und in sicherstem Gewahrsam zu halten! ...


Hasta blikt mit stummer Entschloßenheit dem Befehlshaber in's Gesicht und geht dann festen Schrittes mit den Soldaten ab.


TIGELLINUS bleibt einen Augenblik sinnend stehen, geht dann nach Hinten, winkt einem Zenturjo; – zu diesem, dringend. Ich laße den Kaiser bitten, mir sogleich auf einige Momente Gehör zu schenken ... Wo ist der Kaiser? –

ZENTURJO überlegend. ... Er bringt Gebete dar ...

TIGELLINUS. Gebete? ...

ZENTURJO wie oben. ... er macht die heiligen Waschungen ...

TIGELLINUS grob. ... heilige Waschungen? ...

ZENTURJO wie oben. ... zu Ehren der Kaiserin ... seit Sabina tot, – vollzieht er die heiligen Waschungen nach fremdem Ritus, – die sie auch vollzogen ... Überlegt. ... oder, er opfert der syrischen Göttermutter ...

TIGELLINUS grob. ... der syrischen Göttermutter? ... Geh' rasch, und melde ihm, ich ließe dringend bitten ... ich wartete hier ... Zenturjo rechts ab.Ihm nachrufend. und bringe mir Meldung! ... Er geht langsam, und in tiefes Sinnen versunken, nach Vorn, geht dort einige Zeit nachdenklich auf und ab, – sezt sich dann vorn rechts an den Tisch.


Pause.


NERO in kompletem Verfall, fahl, furchtsam, gebükt, komt in nachläßiger Kleidung, schlürfend, langsam von Hinten rechts, bleibt bei der Säule, an dieser sich anlehnend, stehend, den Finger am Mund.

TIGELLINUS wendet sich nach einiger Zeit, wie zufällig, springt auf, schreit. Zäsar! – beim Herkules! – bist Du das? ... Reich und Tron sind in Gefahr! – Die gallischen Legjonen rüken an! – Es gilt zu handeln! – Noch[96] sind Galba und Rufus treu geblieben, und warten auf ein Zeichen, um in Gallien einzufallen! – Hebe einige Legjonen aus, ziehe die illyrischen und afrikanischen Besazungen an Dich, organisire die Seesoldaten, seze Dich an die Spize ... und in wenigen Monaten ist der ganze Putsch niedergeschlagen? ...

NERO komt mit bittenden Händchen und kleinen Schrittchen näher, mit leiser Stimme, ängstlich. Die Anzeichen sind nicht günstig! ... ein Lorberbaum im Tempel des Apoll ist abgestorben! ... in der Bildsäule des Herkules hat sich ein Bienenschwarm festgesezt! ... meine Statue – meine goldene Statue – wurde vom Bliz getroffen und – zerschmolz! ...

TIGELLINUS wütend. Anzeichen?! ... Sein Schwert ziehend. hier sind die Zeichen, in denen Du siegen wirst! ... Nero, vollständig apatisch, sieht sich ängstlich im Saale um; er scheint den Wänden nicht zu trauen.Verzweiflungsvoll gegen sich ausbrechend. Ihr heiligen Götter, ist das das Amt, das mir zulezt übrig geblieben ist, eine Leiche lebendig zum Sarg zu geleiten? ... ist das ruhmvollen Herrschaft ruhmloses Ende? ... Zu Nero. hab' ich deshalb mit Dir von Kindesbeinen an Mühe Gefahr, Ruhm und Glük geteilt, daß wir jezt wie Feiglinge untergehen, von gallischen Kohorten erschlagen werden?! – Sind deshalb unsere Bildsäulen in den Tempeln aufgestelt worden und wir zu Göttern avanßirt, um jezt wie numidische Sklaven abgetan zu werden?! – Wurde deshalb Mord auf Mord gehäuft und mit übermenschlicher Anstrengung Hekatomben von Senatoren und Adligen geopfert, damit mir jezt selbst unsere Hälse hinreken sollen?! ...

NERO voll düsterer, Ahnung, warnend. Die Götter sind gegen unser Unternehmen, – sie zürnen und senden schrekende Zeichen, – Geheimnisvoll. im Traum sah ich vergangene Nacht das Meer – rot, rot wie Blut – es[97] hob sich, und schwoll, – drängte die Tiber herauf, und überflutete das Forum! ... In steigernder Erregung, gestikulirend. ... vor dem Teater des Pompejus – die Bildsäulen – sie stiegen herab – die Helden und Feldherrn Roms kamen herunter von ihren Postamenten, – umringten mich, drohten mir – nirgends ein Ausweg! Er erhebt wie hülfeflehend die Arme. ... vom Grabmal der Agrippina schalten Klagelaute, – schrill – jammernd – hülfeflehend! ... Zu Tigellinus. versöhnet die Gottheit! – holet den pontifex! – rufet die Magier! – eilet! – schnell! – versöhnt die Schatten! – besänftigt die Manen! ... Er bleibt in seiner gespanten, wie angstvoll horchenden Haltung stehen.


Nymphidius und Epaphroditus sind während der lezten Rede eingetreten und überbliken stumm-verwundert die Szene.


TIGELLINUS zu den Ankommenden, nach Hinten. Das ist sein Anfall, wie nach dem Tot der Agrippina! – der kann wochenlang dauern, wer kann dies wißen! ... Bitter. das sind diese Künstlernaturen: nach jeder Blutaffäre werden sie sentimental und rufen die Götter an! ... wenn sie dann wieder gesund sind, soll man parat stehen! ... inzwischen kann Alles verloren sein Geht verzweiflungsvoll nach Hinten.

EPAPHRODITUS zu Tigellinus. Bereits sind Gerüchte unangenehmster Art in's Volk gedrungen – es heißt: Der Kaiser laufe schreiend Nachts im Palast herum und kämpfe mit unsichtbaren Personen – die längst vergeßenen Schmählieder werden wieder auf offener Straße gesungen und die Büsten des Kaisers mit Unrat beschmiert – die alten Profezeiungen vom Untergang des Julischen Hauses werden wieder hervorgeholt und überall kolportirt – man hält die Priester und Haruspizes auf er Straße an, und fragt: was das für eine neue Krankheit sei, und: ob denn die Bluturteile bei den vielen Verschwörungen gegen des Kaisers[98] Leben nicht zu Recht ergangen seien? ... Stimmungen, die das Allerschlimmste befürchten laßen.

NYMPHIDIUS zu Nero. Zäsar, ich beschwöre, Dich, behalte Deine Faßung! ... im Volke sind allerlei Gerüchte verbreitet ... auf dem Forum laufen sie zusammen, sezen Freiheitsmüzen auf und tuscheln mit verdächtigen, höhnischen Mienen! ... ein kleiner, unglüklicher Zufall, und diese ganze Menge erhebt sich wie im Sturmwind! ...

NERO geheimnisvoll, langsam. Die Manen der Erschlagenen wachen im Dunkeln .... der finstere Fährmann steht am Fluß und wartet auf die Seelen ... sie reichen ihm den Obolus – und zeigen starr auf ihre Wunden ... sie erheben flehend die Hände und bitten um Rache! ... Er blikt starr vor sich hin und geht dann schleppend nach Vorn links, wo er sich niederläßt.


Nymphidius begibt sich kopfschüttelnd nach Hinten.– Ein Zenturjo tritt von rechts auf.


ZENTURJO zu Tigellinus. Ein Späher, wenn ich recht sehe, verlangt zu Dir: er komme aus der Senatssizung, und bittet um Gehör; er habe Wichtiges zu melden.

TIGELLINUS. Laß ihn herein!


Zenturjo ab, komt mit Späher zurük.


SPÄHER eifrig. Ein neuer Bote, Herr, scheint aus Gallien angelangt zu sein. Doch wurde er, da inzwischen die Verhaltung des Hasta bekant geworden, abgefangen, und in den Senat gebracht: Darnach ist Vindex von den germanischen Legionen besiegt und hat sich den Tod gegeben Freudiges Erstaunen bei Allen, außer Nero. ... der Bote wurde mit neuen Briefschaften versehen und sogleich aus Rom hinausgeleitet ... zugleich hat der Senat aus eigener Machvollkommenheit die Aushebung jüngerer Mannschaften in den italischen Provinzen angeordnet und will auch die Regimenter aus Apulien und Sizilien an sich ziehen! ...[99]

EPAPHRODITUS. Damit haben wir den ersten Akt einer angemaasten Gewalt des Senats, und wenn es nicht jezt noch gelingt, diese offenbaren Rechts- Verlezungen mit blutiger Strenge zu unterdrüken, so stehen wir vor der Revoluzjon! ...

NYMPHIDIUS zu Tigellinus. Laß den ganzen Senat verhaften –, oder zusammenhauen!

SPÄHER. Die Senatoren sind vielfach von Bewafneten umgeben und ein großer Teil ihrer Freigelaßenen, scheint es, sind ebenfalls mit Waffen versehen worden!

TIGELLINUS. Auch bin ich der Prätorjaner nicht sicher. Und so lange Auf Nero weisend. Zäsar sich nicht persönlich dem Volke zeigt, vermag ich nichts ... Mit sich kämpfend, in äußerster Entschloßenheit, zu Nero eilend. Wenn ich noch Etwas über Dich vermag, und Du diese lezte und kostbarste Minute ausnüzen willst, um Dich und Deinen Tron zu retten, so steh auf, gürte Dich, lege die toga praetexta an mit den kaiserlichen Ehrenzeichen, und gehe hinaus auf das Forum, und zeige Dich dem Volke ... noch stehen die Prätorjaner zu Deiner Seite, – die germanischen Legjonen halten Treue, – noch ist Nichts verloren ...

NERO nach einiger Zeit müde den Kopf erhebend, wispernd und angstvoll. ... rettet den römischen Staat ... fleht zu den Göttern! ... Geheimnisvoll. besänftigt die Schatten ... versöhnt die Verstob'nen ...


Inzwischen haben sich im Hintergrund eine Menge Bewafneter eingefunden; ein Teil der Prätorjaner verhandelt mit den Anführern und mit Nymphidius. Tigellinus, der Nero mit einem Blik unsäglicher Verachtung längere Zeit festgehalten, geht nach

Hinten und nimt an den Verhandlungen Teil. Es scheint lebhaft diskutirt zu werden, wobei die Anführer mit Gesten auf den im Vordergrund stumpfsinnig dortsizender Kaiser verweisen, um die unschlüßigen[100] Prätorjaner zum Entschluß zu treiben. Einige der Prätorjaner kommen nach Vorn, überzeugen sich von der desolaten Verfaßung des Kaisers. Endlich legt sich die Verwirrung, ein Teil der Truppen nach den Andern verläßt den Hintergrund (nach Rechts.); zulezt kommen noch zwei Zenturjonen, holen die im kaiserlichen Gemach selbst an den Säulen lehnenden Waffen und Schilde, bliken noch einmal unschlüßig den dortsizenden Kaiser an, und verlaßen dann wie die Andern die Szene.

Lange Pause.


NERO erhebt sich, wie aus einem Zustand schrekhafter innerer Erlebniße, geht mit vorgebengtem Körper, die Hände seitlich vor dem Kopf gehalten, wie um seine Gedanken zusammenzufaßen, schleppend nach Hinten, laut und angstvoll rufend. ... Rettet den Staat! – Rettet die ewige Roma! ... Er erblikt Niemand, schaut sich schrekenerfült um, geht bis in die hintere Gallerie. Tigellinus! – Tigellinus! – Nymphidius! ... He da!: Prätorjaner! – Prätorjaner! ... Komt geknikt und abgeschlagen zurük, schlept sich nach Vorn und läßt sich kraftlos auf seinen Siz zusammensinken.


Pause.

Sporus (Mädchenrolle), der Lieblingsknabe des Kaisers, komt, sich angsterfült umsehend, in großer Hast, von Hinten rechts, bleibt erstaunt stehen, als er den Kaiser in sich versunken dortsizen sieht, geht vorsichtig näher, bleibt stehen überzeugt sich, tritt endlich auf den Kaiser zu. – Nero erwacht brüsk.


SPORUS mitleiderfült. Zäsar!

NERO. Wo sind sie hin?

SPORUS kindlich. Wer hin?

NERO. Wo sind sie Alle hin?

SPORUS. Sie sind fort.

NERO. Tigellinus?

SPORUS. Er ist geflüchtet.

NERO. Nymphidius?

SPORUS. Er ist in den Senat.

NERO. Die Legjonen? – Die Mannschaften? – Die Zenturjonen? –[101]

SPORUS. Sie sind Alle fort – sie sind untreu geworden – sie sind abgefallen ...

NERO mit Nachdruk. Die germanischen Legjonen? ...

SPORUS. ... abgefallen wie die Andern – Kindlich, mit Handbewegung. der Palast ist leer – die Türen stehen offen – Alles ist fort Weint. ...

NERO überrascht. Und Du, mein Herzensjunge? – Hast Du Deinen Kaiser nicht verlaßen? – Bist Du der Einige, der mir treu geblieben? Er drükt ihn mit großer Wärme an sich.

SPORUS fast weinend. ... Phaon schikt mich! – er rät zu dringender Eile! – ein kleines Landgut, zwischen hier und den Serviljanischen Gärten, ist zu Deiner Aufnahme bereit gehalten ... bis beßere Zeiten anbrechen ...

NERO fast freudig, den Jungen im Arme haltend. ... bis beßere Zeiten anbrechen ... ja, mein Junge, wir wollen fort, wir eilen zu den Göttern ... zu den heiteren, ewigen, glükseligen Göttern ... die beßer unsere Kunst und unser Menschentum verstehen, als diese Barbaren, die nur Neid und Tüke für die Auserwählten der Götter haben ... eilen wir nach Griechenland – überall werden sich offene Arme mir entgegenstreken – die Städte werden sich rüsten, uns festlich zu empfangen ... Sporus fängt zu schluchzen an. ... Egipten hat mir seine Herrschaft angetragen – die Parter wollen mich auf ihren Tron erheben – Juda hoft mich als König zu erlangen – alles strekt die Hände nach mir aus und will mich zum Fürsten haben – doch wir fliehen zu den Göttern, zu den Göttern Griechenlands, zu den Unsterblichen ...

SPORUS drängt. Eile! – es ist keine Zeit zu verlieren! ... die Prätorjaner haben Dich verlaßen – in den Tempeln werden Deine Bildsäulen umgestürzt[102] – die Menge rast auf dem Forum ... im Senat Er schluchzt und kann nicht weiter sprechen.

NERO mit angstvollem, will sich erheben, doch sinkt er kraftlos zusammen; – endlich gelingt es ihm, an Sporus sich anklammernd, aufzustehen; auf ihn gestüzt, wendet er sich nach Hinten; im Abgehen. Nimm die Harfen mit – und die Siegesgesänge! – und Terpnus soll folgen – und Lukanus – und Vatinius – und der Flötenspieler ... und alle die Mädchen und Knaben ...


Auf halbem Wege bleibt er plözlich stehen, verfält in einen Weinkrampf, droht umzusinken – doch Sporus drängt ihn vorwärts. Als sie sich eben weiter nach Hinten wenden, kommen von Rechts in haftiger Eile Phaon (im ländlichen Bauern-Habit) und Epaphroditus.


EPAPHRODITUS in höchster Besorgnis. Dringendste Eile ist vonnöten! – Auf Phaon verweisend. dieser Treueste hat ein verborgenes Landhaus in der Nähe der Tiber, wo er Dich unterbringen will! – Pferde stehen bereit! – Eilet! ... Nero wird mit Mühe vorwärts gebracht.


Während Alle nach Rechts abgehen.

Fält der Zwischenvorhang.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 89-103.
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