3.
Boispréau

[141] Am zehnten des August verdarb

Des Königtumes letzte Stütze!

Die Krone wich der roten Mütze,

Als vor dem Schloß die Garde starb.

Paris hat keine Freistatt mehr

Für Ludwigs Freunde und Vasallen;

Die nicht von Henkershand gefallen,

Entflohen über Land und Meer.


Und die der Mordstahl nicht gefällt,

Die nach der Ferne nicht entkamen,

Sie irren unter falschem Namen,

Von Argwohn und Verrat umstellt.

So auch der junge Offizier,

Der, als in Staub die Lilien sanken,

Des Pöbels blutbefleckten Pranken

Entronnen durch ein Wunder schier.


Da tönet durch Paris die Mär',

Im Flug von Mund zu Mund getragen:

»Im Aufruhr die Vendée! Geschlagen

Von Bauernhorden unser Heer!«

Mit Zornesflüchen, wild und wüst,

Hat sie die Bergpartei vernommen;

Ein Rettungstrahl, der neu erglommen,

Ward von den Treuen sie begrüßt. –


Dicht drängt sich dort des Volkes Hauf'

Wie vormals zu Versailles' Festen;

Es brechen heute nach dem Westen

Die neugeworb'nen Truppen auf.[142]

Trompetentöne, hell und froh,

Beflügeln der Rekruten Schritte!

Hinzieh'n sie, und in ihrer Mitte, –

Ist's möglich? – Paul von Boispréau!


Er hier? Vergaß er seiner Pflicht?

Hat er, in feiger Opferscheue,

Gebrochen die beschwor'ne Treue?

Beim Himmel, nein! das hat er nicht!

Um sicher vor der Späher Blick,

Nach der Vendée hin zu entkommen,

Hat er, zum Schein nur, Dienst genommen

Im Heer der grimmen Republik.


»Vendée! o du mein Hoffnungsstern!«

So jauchzt er heimlich; seinem Sehnen

Scheint endlos sich der Weg zu dehnen,

Anstatt zu reiten, flög' er gern!

Ob auch sein kecker Plan gelingt?

Hoch über alle Raumesschranken,

Wie flattern rastlos die Gedanken,

Von seiner Ungeduld beschwingt!


Er träumt von Ueberfall und Schlacht,

Sieht sich genüber jenen Horden,

Die seine Freunde, Brüder morden,

Die Greuel sonder Zahl vollbracht!

Und rascher pocht sein Herz! er sieht

Den Thron in seinem frühern Glanze,

Den König, – – »Du bist nicht beim Tanze!«

Der Leut'nant schreit, »halt dich im Glied!« –


Sie sind am Ziel. Wohl ist es Zeit,

Denn schlimm steht's um der Blauen Sache!

Santerre, von Wut erfüllt und Rache,

Ist endlich wieder kampfbereit.[143]

Er hört, daß der Rebellen Macht

Man gestern bei Beaulieu gesehen, –

Jetzt mag ein großer Schlag geschehen!

Fort zieh'n sie, eh' der Tag erwacht.


Schon haben sie Beaulieu erreicht!

Allein kein Gegner will sich zeigen.

Das Licht nur spielet in den Zweigen

Durch die der Westwind träumend streicht.

Im Sattel hebt sich Boispréau,

Sein brennend Aug' durchfliegt die Räume, –

Nichts! nichts als Buschwerk, Sträucher, Bäume!

Er murmelt leis': Wo sind sie? wo?


Das hört sein bärt'ger Nebenmann:

»Meinst du, wo die Brigands wohl stecken?

Kam'rad, du bist noch grün! Die Hecken,

Die Gräben sieh' dir näher an!

Dort liegen sie im hohen Gras,

Den Finger an dem Schloß der Flinte!

Wir andern kennen schon die Finte!

Was ist dir, Freund? wirst ja ganz blaß!«


»'s ist nichts. Dort, sagst du? dort am Wald?

Da gilt's doch nur ein frisches Wagen!

Wie lüstet mich's, sie zu verjagen

Aus ihrem tück'schen Hinterhalt!

Laß seh'n, ob sicher mein Geschoß!

Ob sicher auch mein Fuß im Bügel!«

Und plötzlich, mit verhängtem Zügel,

Sprengt er auf eine Hecke los.


»Der König hoch! die Lilien hoch!«

Er ruft's, hoch schwingt er seinen Degen!

Ihm folgt ein dichter Kugelregen

Und schlägt in manchen Baum ein Loch.[144]

Beim höchsten Gott! die Jagd ist heiß!

»Der König hoch!« schallt ihm's entgegen, –

Jetzt noch ein Sprung, tollkühn, verwegen,

Und Paul steht in der Freunde Kreis!


»Greift an! Die Füsiliere vor!«

Doch kaum ist der Befehl gegeben,

Da tauchen aus den Hecken, Gräben

Vendéer allerwärts empor.

Im Nu sieht sich Santerre umstellt!

Nach einem Kampf voll Blut und Leichen

Muß knirschend er dem Gegner weichen, –

Den Königlichen bleibt das Feld!


Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 141-145.
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