Von Ernst das 174.

[113] Ein Wind warf ein Eichbaum umb.


Es was ein groser Eichbaum, der ward von dem Wind umbgeworffen in ein Weyer, da wůchsen fil Ror und Kolben in. Der Eichbaum sprach zů den Roren: ›Wie gat es zů, das ich so groß bin, und[113] der Wind würfft mich umb uß dem Grund, und ir Ror sein so schwach, und thůt euch nichtz, und bleiben ston?‹ Die Ror gaben im Antwurt und sprachen: ›Thetestu wie wir, so ließ der Wind dich auch mit Friden. Wan der Wind kumpt, so neigen wir unsere Heupter; so laufft er über unß hin, und wir demütigen unß gegen im; und wan er wider hinwegkumpt, so richten wir unsere Heupter wider uff. Aber du und andere grose Beum sein hoffertig und wöllen dem Wind Widerstant thůn; darumb würfft er euch umb. Neigten ir aber euwere Höpter als wir, so bliben ir auch uffrecht ston.‹

Also geistlich. Die frumen Menschen demütigen sich hie uff Erden gegen dem Wind, der Straff, es sei von Got oder von den Menschen; das lassen sie über gon, sein gedultig und schweigen, demütigen sich hie durch Penitentz. Darumb an dem letsten Urteil so werden sie ire Höpter frölich uffheben und werden lůgen, wa die Hoffertigen ligen und umbgeworffen sein, die sich hie nit haben wöllen demütigen durch die Penitentz.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 113-114.
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