Von Ernst das 11.

[13] Ein Closterfrau stach ir die Augen uß.


Uf einmal was ein Klosterfrau in einem Kloster, da was ein Edelman Kastfaut über dasselbig Kloster. Und in demselbigen Kloster was ein Frau, die gefiel im wol, und ward ir über die Massen hold und schreib der Eptis in ein Brieff, sie solt im die Nunnen schicken; es geschach nach vilen Brieffen nit. Uff einmal da schickt er Roß und Man und Botten, das man sie im schickte, und schreib auch darnach, theten sie es nit, so wolt er das Kloster und die Nunnen alle daryn verbrennen. Ach lieber Got, sie waren leidig, die frumen Kinder Gottes. Die, umb deren willen der Krieg was, die kam selber zu demselbigen Botten; under andern Worten sprach sie: ›Lieber Fründ, was hat euwer Juncker an mir gesehen, das er mein mer begert dan keiner andern Frauwen? Nun sein doch wol hübscher Frawen hie innen, dan ich bin.‹ Der Botten einer antwurt ir und sprach: ›Frau, euwere Augen gefallen im so wol‹, und dergleichen etc.[13]

Die Klosterfrau sprach zů den Botten: ›Warten ein wenig, ich wil euch bald ein Antwort wissen lassen.‹ Und gieng damit hinyn und stach ir selber, oder ließ ir beide Augen ußstechen und thet die Augen in ein Büchßlin und beschloß es und schreib ein Brieff darzů durch ein andere Frawen: ›Also nim hin, das du lieb in mir hast, und laß mich und das Kloster in dem Friden!‹

Da nun die Botten dem Edelman das Büchßlin brachten, da thet der Edelman das Büchßlin uff und laß den Brief, und da er den Brieff gelaß und die Augen gesahe in dem Büchßlin, da fiel die Gnad Gottes uff in, und fieng an zů rüwen und zů weinen, das zwei grose Wunderzeichen geschahen. Er erwarb durch sein Weinen und Rüwen im selber Küscheit, und derselbigen Klosterfrawen, deren Augen er überkumen het, das ir andere Augen wůchsen und überkam ir Gesicht widerumb.

Deren Klosterlüt fint man jetz nit vil me. Wan durch ir Küscheit erwarb sie einem anderen Küscheit und ir selber ein semlich groß Zeichen, das sie ir Gesicht widerumb überkam.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 13-14.
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