Von Ernst das 21.

[20] Einer begert ein trunckne Sach.


Also sein etliche Sün und Kinder, die gantz den Rat und dy Ler irer Elter verachten und verschmahen und verthůn, was sie haben ererbt von iren Eltern, versuffen es und verspilen es und verhůren es, und man sicht inen zů, und sie finden Gesellen, die inen helffen. Wan sie aber kumen zu dem Stand des verlornen Suns, der auch alles verthet, was er het, und die Ler seines Vatters veracht?

Es was ein reicher Burger zů Venedig, der het ein Sun, der was gantz ein Weinül, er was alwegen vol, und er kam uff einmal uß dem Rat mit andern Ratzherren zů einem Huß, da lag ein trunckner Man uff einem Laden bloß und unzichtig, und spottet jederman sein. Der frum Vater gedacht: ›Sehe dein Sun disen truncknen Man so schantlich und spotlich da ligen, er würd sich bessern und darvor hüten, das im semlichs nit widerfür‹, und schickt sein Knecht nach seinem Sun. Und da der Sun nun kam, da predigt im der Vatter und strafft in, wie er sich solt hüten vor dem Sauffen. Da er im lang het gepredigt, da fing in an zů dürsten, und sprach zů denen, die da stunden: ›Wa ist der so truncken worden, wa schenckt man den gůten Wein, das ich auch darzu kem?‹

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 20.
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