Von Schimpff das 489.

[283] Zwen wetteten mit einander.


Es was ein reicher Burger, der het ein Knecht, was ein lange Zeit bei im gewesen. Und uff einmal, da man ob dem Tisch saß essen, da begab sich die Red, das der Knecht sprach: ›Es ist dannocht ein hübsch Ding, das die Warheit und Gerechtikeit uff Ertreich noch ein fürgang hat und das Paner tregt.‹ Der Her sprach: ›Das ist nit; Falscheit und Untrüwe die haben das Regiment uff Erden, und nit Erberkeit.‹ Der Knecht sprach, es wer nit. Der Her wettet mit im umb hundert Guldin, und der Knecht solt im seine beide Augen daran setzen. Der Knecht sprach: ›Wer sol es aber urteilen?‹ Er sprach: ›Wir wöllen drei Richter nemen, den Kauffman in der Stat, den Abt in dem Kloster in dem Wald und den Edelman uff dem Schloß. Und welcher zwen Richter hat, der hat es gewunnen. Hastu zwei Urteil, das die Gerechtikeit und Warheit ein Fürgang hab, so nim die hundert Guldin; hab ich aber zwei Urteil, das die Falscheit und Ungetrüwe ein Fürgang hat, so gib mir deine zwei Augen!‹

Sie waren der Sach eins und kamen zů dem Kauffman und hielten im die Sach für, was er meint, ob Gerechtikeit oder Ungerechtikeit das Paner trüg uff Erden. Der Kauffman sprach: ›Ich mein, die Falscheit regier, das weis ich wol. Wan ich nit Vorteil brucht in Kauffen und Verkauffen in dem Gewicht, Maß und Elen, ich würd mager Müß ziehen. Also thůn andere auch. Darumb regiert die Falscheit jetz.‹ Sie giengen hinweg. Der Her sprach: ›Ich hab ein Urteil gewunnen.‹

Sie giengen zů dem Apt und hielten im die Sach für. Der Äpt sprach: ›Wan Recht für Recht gieng, so wer ich nit Apt. Aber ich hab die Stim erbetlet und erkaufft, Falscheit und Ungerechtikeit regiert jetz uff Erden.‹ Sie giengen hinweg. Der Her sprach: ›Ich hab zwei Urteil gewunnen.‹

Sie kamen zů dem Edelman und legten im die Sach für. Er sprach: ›Wan ich nit raubte und mich nit des Sattels ernert, so wer ich ein armer Edelman. Nun hören, wie es mir zů dem nechsten ergangen ist!‹

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 283.
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