Von Schimpff das 627.

[347] Götliche Liebe sůcht einer.


Eim frumen Man kam in sein Sinn, das er wolt götliche Liebe uff Erdreich sůchen, und gieng auß und kam in ein Stat, da hiengen Halßeisen an einer Mauren. Er fraget, was man damit dethe. Man antwurt im, wan einer den anderen schült, schmecht oder etwas anders dethe, so stalt man einen darein, inen zů schanden. Er fraget, ob man sie fast bruchte. Man antwurtet im, es wer selten ein Wochen, es stünden zwen oder drei darinn. Er sprach: ›Hie beleib ich nit, hie ist nit vil götlicher Liebe.‹ Darnach kam er in ein ander Stat, da waren Galgen und Reder. Da er erfůr, warzů man sie brucht, da wolt er auch nit da bleiben.[347]

Kam weiter in ein Stat, da waren Benck gestelt in einem offnen Hauß, das het ein klein Türlin, und ein hoher Stůl stůnd in der Mite, uff dem mocht einer gesitzen. Der frum Man fragt einen Burger, was das für ein Hauß wer. Er sprach, es wer das Gerichthauß. Er fragt, ob man vil Gericht het. Der Burger sprach: ›Nein, etwan zům Jar einmal. Aber das ist Gewonheit, alle Monat kumpt der Richter einmal her und můß ein Stund warten. Kumpt jeman, der etwas wider den anderen hat, so entscheidet er sie. Aber gar selten kumpt etwas ze richten, darumb so ist die Thür und die Benck follen Spinwepen.‹ Da sprach der from Man: ›Hie ist götliche Liebe‹, und blib daselbst.

Aber jetz bedörft man alle Tag drei oder fier Gericht zů besitzen, es wůrd dannocht kum als gericht. Dan götliche Liebe ist dot.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 347-348.
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