Der erste Auftritt

[207] Karl Southwell. Jakob.


KARL. Was sagst du, Jakob? daß ich Lucien verlieren würde?

JAKOB. Daß Sie solche vielleicht bereits verloren haben, daß Herr Betterton sich erbietet, ihr sein ganzes wichtiges Vermögen zu hinterlassen,[207] wofern sie ihm nur noch vor seinem Ende die Freude schenken will, sie seine Gemahlin zu nennen und niemals wieder eine andere Vermählung einzugehen. Daß Ihr Herr Vater seine äußerste Mühe anwendet, sie zu bewegen –

KARL. Und daß Lucie? –

JAKOB. Als ein Frauenzimmer alle diese überredende Reizungen nicht überwinden wird.

KARL. Liebe! elende Liebe! Mit was für grausamen Freuden quälst du deine Vasallen. Tyranne! Was hat nicht schon mein törichtes Herz unter deinen Martern gelitten? Habe ich nicht bisweilen in einem meiner vernünftigen Augenblicke deine Fesseln verfluchet, in welchen ich soviel meiner schönsten Tage töricht und geduldig genug dahineilen sehe?

JAKOB. Diesen Zorn, diese Vorwürfe gegen die Liebe hätte ich nicht so leicht von Ihnen vermutet, und noch weniger zu einer Zeit (Herr, verzeihen Sie einem redlichen Diener), da Sie den höchsten Grad in der Geschicklichkeit, zu lieben, zugleich zärtlich zu scheinen und doch untreu zu sein, so vollkommen erreichet haben.

KARL. Mißbrauche meine Freiheit nicht, die ich dir zugestehe. Mein Herz leidet mehr bei dieser verstellten Zärtlichkeit, als du glaubst, und ich, Elender, liebe vielleicht Lucien noch heftiger, als ich selbst weiß. Ich, der ich vor wenigen Minuten nur Kaltsinn empfand, der ich ihr selbst mit Gleichgültigkeit begegnen konnte, empfinde mehr als nur Furcht des Stolzes, von ihr zuerst verlassen zu werden, jetzt, da mir ihr Verlust wirklich nahe sein kann. Doch weg! Zärtlichkeit! Sprichst du nicht für diese Lucie, die mich vor weniger Zeit mit Verachtung und Schmähungen überhäufte? Allein ich Undankbarer, verdiente ich nicht diese und noch ärgre? Ach Lucie! mein Herz kann dir unmöglich mehr als den andern Platz einräumen! Du selbst hast dir den ersten geraubet, da du mir die Hochachtung gegen dich geraubet hast. Was ist Lucie gegen Amalien? Ihre Schönheit ist vorzüglicher. Aber ihre Seele? Wird sie nicht so oft von diesem Stolze, von dieser Hitze und von diesem Zorne, der nicht selten in Mut ausartet, sich selbst unähnlich gemachet? Und ist Amaliens ihre nicht jederzeit sich selbst gleich, jederzeit liebenswürdig? Aber welche gerechte Vorwürfe wird mir Luciens Herz machen, und wird sie das meinige fühllos ertragen können? Sie wird verzweifeln, und mein geruhiges Auge sollte ihre Verzweiflung ansehen können? Jakob, ich entdecke dir mein beunruhigtes Herz, wie es von dem Sturme einer geteilten[208] Liebe hin und her getrieben wird. Setze dich in die Martern deines Herrn und sage mir, was du tun würdest, wenn du Karl Southwell wärest, dich zu beruhigen.

JAKOB. Ich würde einen doppelten Weg vor mir sehen. Ich würde entweder alle Empfindung der Dankbarkeit gegen eine Person, die mich liebet, aus meinem Herzen ausrotten. Ich würde Luciens gute Eigenschaften vergessen und mir ihre bösen allein beständig vorstellen. An mir würde ich lauter Vollkommenheiten erblicken, und dann würde ich glauben, daß Lucie meiner unwürdig sei. Zu ihren Klagen würde ich sodann lachen und über ihre Verzweiflung spotten können. Oder ich würde den andern Weg wählen. Ich würde die Heftigkeit, mit der mich Lucie liebet, erblicken. Ich würde Dankbarkeit fühlen. Ich würde mich zu den Füßen des Vaters hinwerfen, der jederzeit eine Vermählung meiner eignen Wahl überlassen hat. Von ihm würde ich mir Lucien zum Geschenk ausbitten. Ich würde sodann Luciens Stolz, ihre Hitze ebenso zu verbessern suchen, wie ich meine Wankelmut und einige andre kleine Fehler verbessern würde. Mit Lucien würde ich sodann glücklich leben und meinen treuen Jakob von der Furcht und den Sorgen befreien, in welchen er jetzund leben muß, da sein Eifer meiner Liebe gegen Lucien so treu dienet und hundert Gefährlichkeiten würde ausstehen müssen, wenn mein Vater seine unzeitige Dienstgeflissenheit entdecken würde.

KARL. Nichtswürdiger Bube, mit deinem Geschwätze! Soll ich zu den Füßen eines Mädchens niederfallen, welches mich mit einer Härte verworfen hat, die man der Sprödigkeit der reinsten Tugend kaum nachsehen würde?

JAKOB. Warum verlangten Sie meinen Rat? Habe ich nur ein einzigesmal Ihren Beifall damit verdienen können?

KARL. Nein, Lucie! mein männliches Herz zerbricht deine stolzen Fesseln. Wer weiß, gibt sie nicht diesen Augenblick ihre falsche Hand einem schon längst durch mich vergeblich um sie winselnden Betterton? Zu deinen Füßen, liebenswürdige Amalie, soll meine Liebe ihre Opfer niederlegen! Durch dich soll sie sich an Lucien rächen. Dein und mein Vater und mehr als sie beide mein Herz wünschen diese Verbindung. Kann ich noch einen Augenblick zweifeln, zween der besten Väter und der vertrautesten Freunde glücklich zu machen?

JAKOB. Ich bewundre die Größe Ihrer kindlichen Pflicht. Ich wünsche sie Ihrentwegen Amalien in ebendem Grade. Denken Sie, wenn Sie Amalien fehlen sollte! Lucien hätte sie verlassen.[209]

KARL. Schweig! Bin ich nicht Karl Southwell? Ist sie nicht ein Frauenzimmer? Welches Frauenzimmer ist jemals gegen mich und ihre Neigungen unüberwindlich gewesen?

JAKOB beiseite. Rühmliche Tapferkeit, der Überwinder der Tugend der weiblichen Welt zu sein!

KARL. Was sagest du?

JAKOB. Ich bewunderte die Größe Ihres Ruhms. Ich verglich Sie mit Alexandern. So hieß der, glaube ich, der die Ehre hatte, über eine ganze seufzende Welt zu triumphieren.

KARL. Schweig! mit deinen Possen und geh zur Betty. Suche zu erfahren, ob Lucie dem Betterton ihre Hand geben will.

JAKOB. Was kann Ihrer Gleichgültigkeit gegen Lucien diese Nachricht nützen? Ein andrer als Ihr Jakob würde den Liebhaber daraus schließen.

KARL. Tor! es ist nicht Liebe, es ist Neubegierde.

JAKOB. Und Ihre Neubegierde erlaubet also, daß ich Ihnen eine bejahende Antwort zurückbringen darf?

KARL. Geh und ermüde meine Geduld nicht. Jakob geht ab. Sei elend, Lucie! Seufze über mich, verfluche mich! Karl sieht deine Zähren, höret deine Flüche, als ein Sieger die Zähren und Flüche seines überwundnen Sklaven. Habe ich noch weiter etwas von dir zu wünschen? Amalie kömmt. – Himmel! Amalien!


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 207-210.
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