Der zehnte Auftritt

[221] Lucie und Betty.


LUCIE. Ich habe das Herz des Barbaren gerührt, Betty. Aber schrecklicher Sieg! Er hat mir meinen Stolz, meinen Abgott gekostet. Lucie, wie verächtlich bist du dir selbst? Welche Erniedrigung! du hast dich vor einem elenden Karl Southwell gedemütiget, ihm eine Gerechtigkeit abzuzwingen, die er dir schuldig war? Karl! wenn wird meine Seele fähig sein, dafür Rache an dir auszuüben? Doch sie wird es dereinst sein, wenn ich Lucie bin.

BETTY. Wissen Sie, Fräulein, wie sich Betty an Karl Southwelln rächen würde, wenn sie Lucie wäre?[221]

LUCIE. Sage mir diese Rache, wenn sie grausam genug ist.

BETTY. Grausamer und süßer als alle andre Arten. Ich würde Sir Karln in den Armen eines bessern Liebhabers vergessen.

LUCIE. Um sodann ebenso geschwind wieder von diesem vergessen zu werden?

BETTY. Und was würde Sie hindern, ihn zuerst in den Armen des dritten zu vergessen? Fräulein, Sie kennen das wahre Geheimnis der Liebe noch nicht. Eine elende und ekle Einförmigkeit –

LUCIE. Genug! Mein Stolz verwirft alle deine Vorschläge. Ich will mit diesem verräterischen Geschlechte nichts weiter zu tun haben, außer wenn ich es quälen kann. Selbst aus Stolz, nicht aus Liebe soll Karl mein Gemahl werden. Was geht die Liebe, diese sanfte Leidenschaft, einem Herzen an, das sich selbst durch Haß, Neid und Verzweiflung verzehret? Aus Stolz sei er mein Gemahl, mich der Schande zu entreißen, die mir droht, mich der Finsternis meiner Geburt zu entziehen und meinen Ehrgeiz zu sättigen; nicht eine Amalie über mich triumphieren zu sehen, die ich hasse, weil ich sie keiner Laster beschuldigen kann.

BETTY. Ich versichere Sie, Fräulein, Southwell hat bei aller dieser Hitze weniger von Ihrer Rache zu befürchten, als er von Ihrer Zärtlichkeit zu hoffen hat. Lassen Sie mich Ihrentwegen wünschen, daß er die Empfindungen, die Sie in ihm rege gemachet haben, nicht vergessen möge.

LUCIE. Grausame Betty! was für Vergnügen findest du in meiner Qual. Weg mit diesem Gedanken! Mich nach der tiefsten Erniedrigung, nachdem ich weggeworfen genug um seine Liebe gefleht habe, mich sodann noch zu achten? Und wie, wenn er es täte? Sollte er und ich noch den äußersten Grad meiner Schande überleben? Wahrlich! weder er noch ich sollten ihn überleben. Habe ich nicht bereits ein Verbrechen begangen, und bin ich nicht daher zu dem schrecklichsten fähig genug? Ja, Betty, Karl hat mich gedemütiget gesehen und um Erbarmung flehen gehöret. Meine stolze Seele mußte sich zu dieser Tiefe herablassen, wenn sie ihn nicht auf ewig verlieren wollte. Ich will noch einen Versuch auf Amalien tun. Sie ist großmütig. Die Wut wird noch aufgehoben, wenn die Demütigung nichts ausrichten sollte.

BETTY. Ausschweifungen, Fräulein! Kommen Sie und lassen Sie uns unsern Sieg wider Karln fortsetzen. Verachten Sie ihn, wenn der Sieg mißlingt.[222]

LUCIE. Wohlan! dies beängstigte Herz soll noch hoffen. Wenige Minuten werden mein Schicksal entscheiden: Ob ich so glücklich, als ich es werden kann, oder ewig unglücklich sein soll. Es sei dies letztere, Schicksal, wenn du deine Freude an meiner Qual findest. Aber dir schwöre ich, o Rache, Lucie soll nicht unglücklich werden, ohne noch andere mehr neben sich unglücklich zu machen.

Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 221-223.
Lizenz:
Kategorien: