Der dritte Auftritt

[212] Robert. Amalie.


AMALIE indem sie ihrem Vater entgegengeht. Segnen Sie, gütigster unter den Vätern, segnen Sie Ihre glückliche Amalie.

ROBERT. Gott segne dich, mein Kind, meine beste Tochter. Der Wunsch und die Sorge für deine Glückseligkeit haben mich diese Unterredung mit dir wünschen lassen. Kann nach denjenigen Pflichten, die ich meinem Schöpfer schuldig bin, ein einiger Gedanke meine Seele mehr einnehmen als das Glück meiner Amalie?

AMALIE. Wie gütig, wie liebreich sind Sie! Wodurch verdienet es Ihre unwürdige Tochter, daß Sie es sind. Aber üben Sie nicht diese göttlichen Tugenden gegen alle Menschen aus? Hat nicht oft der segnende Beifall derer, die Sie glücklich gemachet haben, die glückliche Tochter des Sir Roberts stolz gemachet? Darf sie also noch fragen, wodurch sie diese väterliche Zärtlichkeit Ihres Herzens verdienet?

ROBERT. Umarme mich, einzige wahre Freude meines Alters, und laß meine ganze Seele in deiner Umarmung den glücklichen Vater empfinden. Du weißt, die Vorschläge, die ich dir wegen einer Verbindung mit Sir Karln, dem Sohn meines besten Freundes, getan habe. Ich habe deinem Herzen die freie Wahl gelassen. Wenn Vernunft und Tugend das Herz[212] eines Frauenzimmers lenken, so muß seine Wahl jederzeit edel sein. Und ich bin stolz auf meine Tochter, daß ich von ihr keine andre Wahl vermuten kann.

AMALIE. Häufen Sie nicht meine Verbindlichkeiten durch mein Lob. Ihre Last ist ohnedies schwerer, als sie mein Herz tragen kann. Was für eine elende Kreatur müßte ich sein, wenn ich dem Beispiele des besten Vaters nicht nachzuahmen suchen wollte. Aber ach! diese Vermählung –

ROBERT. Ist sie nicht dem Wunsche meiner Amalie gemäß? Ich habe nie geglaubt, daß ein Vater der Tyrann über das Herz seines Kindes sein dürfte. Sollte ich es über das Herz einer tugendhaften Tochter sein? Zwar leugne ich nicht, die Freude meines Freundes, die Bitten seines Sohnes und meine eigene Hoffnung deiner Glückseligkeit würden mich haben wünschen lassen, wenn es dein Herz zugleich mit mir gewünschet hätte.

AMALIE. Warum wollten Sie mich aus Ihrem Angesichte, aus Ihren Umarmungen verbannen? Würde ich jemals ohne diese glücklich sein können?

ROBERT. Ich hoffe, daß du es dermaleinst noch lange ohne sie sein wirst. Aber warum haßt meine Amalie Karln?

AMALIE. Ich hasse ihn nicht, ich kann keinen einzigen Menschen hassen. Wäre ich wert, die Tochter desjenigen Mannes zu sein, der alle Menschen liebet, wenn ich so gottlos sein und dies tun könnte?

ROBERT. Ich höre die Sprache der Tugend, meine Tochter. Aber gleichwohl glaubete ich, zu einer andern Zeit mehr Gefälligkeit für Karln in Amaliens Blicken zu lesen als heute.

AMALIE. Ach, Sir!

ROBERT. Ein Seufzer! Verrät er nicht ein Geheimnis? Meine Tochter pflegte sonst alle ihre Geheimnisse in meine väterliche Brust zu verschließen.

AMALIE vor sich. Warum seufzt' ich Törin doch? Soll ich Luciens und Karls Schande, soll ich meine eigne Schwachheit verraten? Soll ich gegen den gütigsten Vater das erstemal zurückhaltend sein?

ROBERT. Meine Amalie errötet. Ich freue mich, es ist eine Errötung der Tugend. Das Laster würde dasjenige, was es sich zu sagen scheute, unter der Frechheit einer unerrötenden Stirne verstecken.

AMALIE. Verzeihen Sie, gütigster Vater, daß ich nur einen Augenblick gezögert habe, offenherzig zu sein. Lesen Sie in meiner Seele. Lesen Sie meine eigene Schwachheit darinne. Karl wußte die Kunst, sich seit der Zeit, da wir uns auf den Gütern seines Vaters befinden, meinem Herzen nicht[213] gleichgültig zu machen. Ich hörte Ihre und seines Vaters Wünsche. Diese Wünsche erregten die meinigen. Ich schäme mich nicht, sie zu bekennen; sie waren rein, und meine Tugend hat also niemals über dieselben erröten dürfen. Aber meine Liebe fand Hindernisse, unüberwindliche Hindernisse. Es ward meine Pflicht, Karln zu vergessen. Dies Herz, das so oft wider seine Pflichten murret, unterließ es auch hier nicht. Ich erinnerte mich, daß ich die Tochter eines Mannes war, der niemals sein Herz über seine Pflichten triumphieren ließ, und ich überwand es. Erlauben Sie mir, daß ich dies Opfer der Menschenliebe, der Freundschaft, der Gerechtigkeit selbst bringen darf. Karls Herz kann nimmermehr mein sein.

ROBERT. Was für Dunkelheit, meine Tochter! Welche Pflicht, welche Person war dies Opfer von dir zu fordern berechtiget?

AMALIE. Ich weiß, Sie können nicht Zorn, nein, nur Mitleiden gegen eine unglückliche Schwachheit empfinden; Lucie, die arme Lucie –

ROBERT. Lucie!

AMALIE. Sein Sie gütig gegen sie. Erinnern Sie sich, daß sie ein weibliches, ein leicht zu rührendes Herz hat. Sie hat ältere Rechte auf Karln. Sie liebete ihn, eh ich ihn sah. Sie liebet ihn so stark, als ihn ein zärtliches Herz lieben kann. Soll ich sie, meine Freundin, unglücklich machen? Nimmermehr! Sie soll, sie muß Karls Herz erhalten, glücklich zu sein.

ROBERT. Und liebet sie Karl?

AMALIE vor sich. Was soll ich sagen? Der Bösewicht! Die Menschenliebe verbietet mir, seine Verbrechen zu gestehen. Zu Robert. Ich denke, er wird, er muß sie lieben. Kann er gegen so viele Liebe unempfindlich sein?

ROBERT. Aber itzt?

AMALIE. Ist er ungerührt gegen den Wert ihres Herzens. Aber er wird es nicht länger sein können, wenn er nichts weiter von mir zu hoffen hat.

ROBERT. Er liebet sie also nicht? Dies gibt meiner Seele einen Trost wieder. Folge deiner Neigung, meine Tochter, und liebe Karln. Lucie hat kein Recht auf sein Herz. Beleidigte nicht ihre Schwachheit die Bescheidenheit ihres Geschlechts, ja die Tugend selbst? Karl wird dein sein, und Vernunft und Tugend werden Lucien die Herrschaft über ihr Herz lehren.

AMALIE. Wie? mein Vater! Lucie sollte Tränen vergießen, und Amalie, ihre Freundin, sollte die Ursache dieser Tränen sein? Southwells Liebe ist Qual für mich, wenn ich Lucien soll meinentwegen leiden sehen? Können Sie, der Sie nie die Zähre eines Unglücklichen sahen, ohne diese Zähre[214] in Segen für eine Wohltat zu verwandeln, gegen Lucien allein es vergessen? Nimmermehr. Das Herz des Sir Roberts muß gegen jedermann Mitleiden empfinden.

ROBERT. Lucie seufzt vergeblich nach etwas, das sie niemals erlangen kann. Der alte Southwell wird nie seine Einwilligung zu dieser Verbindung geben.

AMALIE. Sie sind sein Freund, und was für Gewalt hat ein redlicher Freund über das Herz seines ebenso redlichen Freundes. Bitten Sie für Lucien. Tun Sie es um Ihrer Tochter willen. Sie werden es tun. Haben Sie dieser Tochter jemals eine billige Bitte abgeschlagen? Vor sich. O daß ich ihm die ganze Größe von dem Unglücke der armen Lucie entdecken dürfte!

ROBERT. Ich suche meinen Freund, Luciens Ruhe und Amaliens Glückseligkeit zu befördern. Geh zu deiner Freundin und bekämpfe ihre Leidenschaft durch die Lehren, die dir deine Tugend eingeben wird.

AMALIE. Luciens Leidenschaft verlangt keinen Kampf, sie verlangt Mitleiden. Sie geht ab.

ROBERT. Edelmütige Freundschaft! Was für ein Glück ist es für Roberten, Vater zu sein.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 212-215.
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