Der fünfte Auftritt

[216] Die Vorigen. Karl Southwell.


WILLHELM. Freue dich, mein Sohn, du wirst die Belohnung der Tugend erhalten, wenn du diese Belohnung verdienst. Du wirst Amalien besitzen. Danke dem besten Vater und Freund für seine Einwilligung. Hoffe noch mehr. Amalie ist nicht unempfindlich gegen dich.

KARL vor sich. Amalie nicht unempfindlich gegen mich? Welcher plötzliche Streich für Lucien! Zu einer Zeit, da Mitleid und Amalie fast mein Herz wankend gemachet hatten; zu einer Zeit, da ich bereits im Begriff war, meine Leidenschaft gegen Lucien meinem Vater zu entdecken.

WILLHELM. Was soll diese Erstaunung, Karl?

KARL. Verzeihen Sie dieselbe dem Grade meiner Freude. Kann sie sich anders ausdrücken? Wer hat je eine größere empfunden? Sir Robert! So werde ich dann den gütigsten Mann als meinen Vater umarmen dürfen? Wird jede noch übrige Minute meines Lebens genug sein, Amalien und diese Gütigkeit zu verdienen? Aber mitten in seiner Glückseligkeit seufzt das stets zweifelnde Herz. Ist nicht meine Hoffnung ein Traum! War nicht nur noch vor wenig Minuten Amaliens Auge nichts als Verachtung gegen mich?[216]

ROBERT. Wie geteilt ist zärtliche Liebe jederzeit zwischen Furcht und Hoffnung! Hoffen Sie ohne Furcht. Kindliche Pflicht hat dasjenige nicht vor mir verborgen gehalten, was weibliche Sittsamkeit für Sie zu einem Geheimnisse gemachet hatte.

KARL. Und was raubet mir noch meine Verzögerung diese kostbare Minuten, die meiner Dankbarkeit gefühlvoller bei Amalien verschwinden würden?

WILLHELM. Geduld, mein Sohn! Diese Hitze, diese Gefährtin der Jugend, kann bei dieser Gelegenheit allein vielleicht löblich sein. Luciens Seufzer verlangen zuvor Ruhe für Luciens Herz.

KARL vor sich. Himmel, ich bin verloren, wenn er alles weiß.

WILLHELM. Luciens Gram kann dir nicht fremder sein, als er mir ist.

KARL. Ach, mein Vater!

WILLHELM. Ihre Schönheit und ihr Herz verdienten das deinige.

KARL. Ich kann – ich kann nur Mitleiden –

WILLHELM. Der Grad ihres Unglücks fordert mehr als Mitleiden. Er fordert Liebe!

KARL. Vergebung, mein Vater!

ROBERT. Ach! warum, Willhelm, beunruhigst du sein zärtliches Herz durch deine Umschweife. Nein! Southwell. Sie verstehen Ihren Vater falsch. Hören Sie mich. Ihr Vater weiß, daß Lucie Sie liebet, er weiß, daß Sie Lucien nicht wieder lieben, daß Ihr ganzes Herz meiner Amalie ist. Ihre ganze Aufführung verdienet seinen Beifall. Aber das verwundete Herz der armen Lucie muß noch vor der Verbindung mit meiner Tochter geheilet werden. Es ist nichts als freundschaftliche Liebe, die er für Lucien verlangt, und der Sohn des Sir Willhelm Southwell muß sie keinem einzigen Unglücklichen, geschweige denn einer Lucie versagen.

KARL. Und nie, nie wird er ihr diese Freundschaft versagen. Kann er mehr für sie tun? Aber wie lange wird ihre flüchtige Leidenschaft dauern können? Dürfte ich einen Vorschlag tun, Lucien zu beruhigen?

WILLHELM. Rede, mein Sohn, rede. Luciens und deine Glückseligkeit sind die einzigen Wünsche meines Alters.

KARL. Lassen Sie mich Lucien zu unserm gemeinschaftlichen Freunde Atkins und seiner Schwester begleiten. Er ist fähig, das Herz eines Frauenzimmers zu rühren. Ich will sie daselbst allein lassen. Die Entfernung und Atkins werden mein Bild aus ihrem Herzen auslöschen, und wir alle werden glücklich sein können.[217]

ROBERT. Sein Rat ist gut, Willhelm, laß uns ihm folgen.

WILLHELM. Aber kann ich Lucien von mir lassen? Doch fodert es nicht ihre eigene Glückseligkeit? Was würde ich ihr nicht aufopfern, wenn ich sie erkaufen könnte? Selbst die meinige, wenn eine wäre, die ich mein nennen dürfte.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 216-218.
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