Der letzte Auftritt

[270] Die Vorigen und Sir Karl.


KARL. Wütriche! Was habe ich euch getan, daß ich noch dies Leben, diese unausstehliche Qual länger fühlen muß? Nur Gott, meinen Vater und Lucien allein habe ich beleidiget. Wer mehr als sie hat ein Recht, mich zu quälen? Und wie schrecklich quälen sie mich? Ein unauslöschliches Feuer, die Hölle selbst mit allen ihren Martern brennet in dem Innersten meiner Seelen. Ha! Sind noch neue Martern für mich übrig? Ist dies nicht der Geist meines Vaters? der Geist Luciens? Welche Rache, welche Drohungen blitzen in ihrem Auge! Verbirg mich, Erde, verbirg mich! Sei gütiger als die Menschen, die mich verfolgen. Doch verdiene ich nicht alle diese Qual? Bin ich nicht ein Bösewicht, der schrecklichste, der jemals die Erde entheiliget. Warum bricht diese Erde nicht unter meinen Füßen? Himmel! wo sind deine Blitze? Doch laß mich leben, um mit jeder Minute meine Martern und meine Verzweigung zu häufen. Ich habe diesen Vater, der mich so zärtlich liebete, diese Lucie, die mir alles aufopferte, ermordet. Rächen Sie sich, Lucie. Er kniet vor Amalien nieder. Rächen Sie sich an Ihrem Verführer, an einem Meineidigen, an Ihrem Mörder selbst. – Elende Schwester, durchstoß, durchstoß das Herz deines abscheulichen Gemahls!

AMALIE. Ach Sir, fassen Sie sich, denken Sie nicht mehr an Lucien.

KARL. Ja, Ungeheuer, ich will nicht mehr an dich denken. Bist du es nicht, die mich in den Abgrund hinabstürzet, der sich zu meinen Füßen öffnet? Bist du es nicht, Blutdürstige, die mir den besten, den zärtlichsten Vater geraubet hat? Was für Foltern sind mir die niederträchtigen Gefälligkeiten geworden, die du mir erwiesen hast! Eine jede derselben sei nunmehr soviel Pein für dich, als sie ehemals Glückseligkeit für mich war. Quäle sie, Hölle, quäle sie. Sie nur ist strafbar. – Welche Verwirrung, welche Finsternis umnebelt meine Vernunft! Verzeihe, göttliche Lucie, verzeihe einem Unsinnigen. Ich und du können beide unschuldig und unverdienet elend unsere Häupter emporheben. Barbarischer Vater! du allein bist es, den wir anklagen müssen. Höre die Flüche deines Sohnes und deiner[270] Tochter. Sei elend, sei ewig elend wie sie, das Leben an dir zu rächen, das du ihnen gegeben hast. Deine Verbrechen zu strafen, sind wir geboren worden. Karl ist unschuldig. Er leidet, ohne es zu verdienen. Du, Himmel! erröte, daß du ihn gezwungen hast, lasterhaft zu sein. Er geht ab.

AMALIE. Gott! höre seine neuen Beleidigungen nicht, seine Vernunft ist nicht in seiner Gewalt.

ROBERT. Geh, Jakob, und trage mit denen Bedienten Sorgfalt für seine Sicherheit. Komm, meine Amalie, laß uns mit einer stillen Ehrfurcht vor dieser Gerechtigkeit zittern, die auch die geringsten Verbrechen nicht ungerochen läßt. Laß uns aus Karls und Luciens unglücklichem Beispiele lernen, daß demjenigen das größte Laster nicht weiter zu abscheulich ist, der sich nicht scheut, das allergeringste auszuüben.[271]

Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 270-272.
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