100. Theophania an Junia Marcella.

[44] Byzanz, im April 305.


Da bin ich wieder, im Angesichte des theuern Vaterlandes. Gegen mir über liegt die Küste von Bithynien. Bald, in wenig Stunden werde ich sie betreten, und ein geheimer Schauder ergreift mich bei dem Gedanken an Alles das, was ich dort schon erfahren habe, was ich[44] vielleicht noch zu erfahren haben werde. Warum kann ich mich nicht freuen? Warum erfüllt, was ich von der nächsten Zukunft weiß, die Abdankung des Diocletians, Constantins Maaßregeln, seine hochfliegenden kühnen Plane mein Herz mit geheimer Angst? Ach, Agathokles und sein Wohl, und so auch das meine sind zu tief, zu innig mit Allem diesem verwebt, um mir einen freien, frohen Blick in die wildverworrene Ferne zu gestatten. Dunkle Gestalten regen sich im Hintergrunde, wilde Leidenschaften gähren sich in grauenvoller Stille, und nur das Auge, vor dem die Nächte sonnenhell, und tausend Jahre wie einer unserer Tage sind, weiß, wie sich diese düstere Zukunft entwickeln wird.

Ach wie glücklich war ich in Synthium! Warum konnte ich es nicht lange, nicht immer bleiben? Ich erkenne die Würdigkeit des Zweckes, den Constantin und Agathokles sich vorsetzen, ich muß ihre Anstrengungen loben, ihre Maaßregeln billigen, aber ich fürchte, mein stilles Glück geht in dem großen Kampf gewaltiger Massen unter.

So werde ich Nikomedien nicht mit fröhlichem Herzen wiedersehen, und unter trüben Vorbedeutungen naht sich mir zum zweiten Mal der Zeitpunkt, der jedem Weibe so wichtig ist, der jedes Mal über Leben und Tod entscheiden kann. Sollte ich dies Mal minder glücklich seyn, als das erste Mal? Sollte das neugeborne, und das noch kaum lallende Kind mutterlose Waisen werden? – O die Trennung von ihnen und Agathokles ist das Einzige, was mir jenen düstern Uebergang schrecklich machen könnte. Ich kann hier nicht glücklich seyn ohne sie – wie könnte ich dort der Seligkeit genießen?[45]

Und wenn Gott über mich gebeut – mit schaudernder Ergebung unterwerfe ich mich – dann sey du meinen Verlassenen Mutter, bis ihre reifern Jahre sie zu keiner unerträglichen Last mehr für ihren theuren, unglücklichen Vater machen.

Ich werde ruhiger sterben, wenn diese Aussicht mir die Trennung von meinen Lieben versüßt, ich werde mit dem Gefühl erfüllter Pflicht sterben, mit dem der Krieger im Schlachtfeld fällt. Ich sterbe in und wegen meiner Pflicht. So wenigstens erscheint mir der Tod eines Weibes über der Geburt eines neuen Menschen, eines Weltbürgers, eines künftigen Christen.

Leb' recht wohl, meine Geliebte! Aus Nikomedien schreibe ich dir nächstens, und ausführlicher. Unsere Reise gleicht diesmal einem Fluge, und schon kömmt man, mich zu ermahnen, weil das Schiff, das uns an's bithynische Ufer bringen soll, die Segel lösen will. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 44-46.
Lizenz:
Kategorien: