111. Theophania an Agathokles.

[70] Nikomedien, im Mai 305.


Ja, mein einzig geliebter Freund, ich werde leben. Du sollst dich nicht an mir getäuscht haben. Du befiehlst es, die Tugend befiehlt es durch dich. Glaube nicht, daß je der frevelhafte Gedanke in meine Brust gekommen sey, mein Daseyn gewaltsam abzukürzen; aber daß ich gewünscht habe zu sterben, das kannst du, das kann Gott selbst nicht dem schwachen zerrissenen Herzen zur Schuld anrechnen.

Jetzt werde ich aber auch diesen Wunsch unterdrücken; er könnte zu lebhaft werden, und Unterlassungen erzeugen, die mittelbar auf jenen Zweck hinwirkten. Ich werde nicht zu sterben wünschen, bis unser Sohn erzogen, bis des Vaters vielgeliebtes hohes Bild in seiner Seele noch ein Mal dargestellt ist. Ich werde Muth haben zu leben, und den Entschluß, den du gefaßt hast, zu billigen. Du sollst mich nicht umsonst deinen einzigen Freund nennen. Ich werde dein Zutrauen rechtfertigen, es erhebt mich über meinen Schmerz, über mich selbst, über mein Geschlecht. Ja, Agathokles! du hast recht gethan – ich klage nicht.

Was ich fühlen muß, wie öde mein Leben ist, weißt du. Du kennst mich, vor dir lag von jeher meine ganze Seele offen, ich könnte dir diese Gewißheit nicht entziehen, selbst wenn ich es aus falscher Großmuth wollte; aber ich gelobe dir bei unserer Liebe, bei unserm Kinde,[70] bei Gott, der unsere Herzen für einander gebildet hat, und dessen heiligen Willen ich selbst in dieser Trennung erkenne, daß ich dies öde Leben ertragen werde.

Mit fester Zuversicht erwarte ich von Gott die Kraft, welche mir hierzu nöthig seyn wird. Er hat sie dem redlichen Willen, der kindlichen Unterwerfung noch nie versagt, und ich werde viel brauchen!

Noch ein heißer Wunsch liegt in den Tiefen meines bekümmerten Herzens. Ich möchte dich noch ein Mal sehen, nur ein Mal, ein Mal noch auf dieser Erde! Ich habe etwas Wichtiges, sehr Ernstes mit dir zu sprechen – Etwas, was schlechterdings keinem Briefe, keinem, auch noch so treuen fremden Munde anzuvertrauen ist. Gern würde ich zu dir kommen, es ließe sich leicht thun, in Männerkleidern, als Tiridates Sclave, dem ja deines Kerkers Thore sich stets öffnen; aber – ich weiß, ich erschrecke dich nicht, und sage dir auch nichts Unerwartetes – meine Gesundheit hat etwas gelitten, und ich sehe nicht ohne Besorgniß der Erscheinung eines Wesens entgegen, das unter solchen Umständen geboren, entweder das Licht gar nicht sehen, oder ein trauriges Daseyn nicht lange genießen wird. So sagen es mir die Aerzte vor, und ich gehorche ihnen, denn ich gehorche dir, deinem Wunsch nach meiner Erhaltung. Es ist aber gewiß nicht unmöglich, selbst von dem grausamen Galerius die Erlaubniß zu erhalten, unter allen möglichen Vorsichtsmaaßregeln, die deine Henker nach Gefallen nehmen mögen, dein Weib, dein Kind, vielleicht deine Kinder, von denen du keinen Abschied nahmst, nur ein Mal noch zu sehen. Ich habe Tiridates gebeten, sich für diesen heißen Wunsch zu verwenden, ich habe an meine Valeria[71] geschrieben, diese Bitte ihrem Vater vorzutragen; vielleicht erhalten wir sein Fürwort. Dem Vater, dem Wohlthäter so vieler Cäsarn, wird doch der begünstigte Sohn, dem er erst das ungeheure Geschenk der unumschränkten Herrschaft machte, diese Nachgiebigkeit nicht verweigern. Fürchte diese Zusammenkunft nicht, auf meine Gesundheit wird sie gewiß keine nachtheilige, auf mein Gemüth die beste Wirkung haben; auch sollst du keine zaghaften Klagen, keine unerschöpflichen Thränen sehen. Nur sehen, nur sehen muß ich dich noch ein Mal, noch ein Mal die theuern Züge mit heißen Blicken betrachten, in mich aufnehmen, noch ein Mal den Ton deiner Stimme in meinem Innern wiederhallen hören, noch ein Mal Stärke, Freudigkeit, Ruhe und Kraft, ach! für eine lange, einsame Zukunft aus deinem Umgange schöpfen! Schlage mir diese letzte Bitte nicht ab, sie ist heilig, wie die Bitte einer Sterbenden. Ist es denn nicht Tod, nicht mehr als Tod, wenn unser besseres Selbst von uns scheidet? Und über dies, es hängt davon eine Erfüllung ab, die mir unendlich theuer, so theuer wie meine Seligkeit ist.

Du kömmst gewiß, ich weiß es, du kömmst. Aber noch Eins, geliebter Freund! Ich habe besondere Ursachen, um zu wünschen, daß du nicht ohne heilige Vorbereitung kommest, ich wünschte, daß du deine reine Seele auch von dem kleinsten irdischen Flecken vorher reinigen, und dich in die Verfassung setzen möchtest, um das Abendmahl würdig zu empfangen. Forsche nicht um die Ursache dieser Bitte; du wirst Alles erfahren, und du trauest mir zu, daß ich nichts Unbilliges fordern werde, nichts, was[72] deiner und derjenigen unwürdig wäre, die den Stolz genießt, dein Weib zu seyn. Leb' wohl – Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 70-73.
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