25. Calpurnia an Agathokles.

[46] Rom, im Sept. 301.


Es ist schon so lange, mein verehrter Freund! seit du nichts von mir, und ich nichts von dir gehört habe, daß ich kaum bestimmt sagen kann, ob du mich noch im Lande der Lebendigen vermuthest, oder schon im Elisium glaubst. Auch mir würde es so ergangen seyn, wenn nicht der öffentliche Ruf ersetzte, was unserer losen Freundschaftsverbindung fehlt, und ich nicht durch ihn erfahren hätte, daß du lebst, und dich im Kriege mit[46] Ruhm auszeichnest. Der Ruf spricht mit Achtung von dir, und ich gestehe dir freimüthig, daß ich ihm mit Wohlgefallen horche, wenn er mir von dem Gastfreunde unseres Hauses angenehme und ehrenvolle Dinge erzählt. Doch hätte ich weder Lust noch Muth, deinen Geist, der, so gewissenhaft zwischen häuslicher und kriegerischer Pflicht getheilt, den Lohn für diese in jener suchte, und fand, auch nur einen Augenblick von so anziehenden Beschäftigungen abzurufen. Dieser wahrlich gewissenhaften Rücksicht mußt du es zuschreiben, wenn ich dich mit keiner Antwort auf deinen ersten und letzten Brief aus Nikomedien bemühen wollte. Du gingst, wie du mir schriebst, gleich zum Heere ab, und was sich dort mit dir zutrug, weißt du, und in Rom weiß man es auch. Jetzt aber fordert eine dringende Pflicht, die Pflicht der Freundschaft gegen eine edle unglückliche Frau, mich auf, alle anderen Betrachtungen aus den Augen zu setzen, und deinen Edelmuth, deine Redlichkeit anzusprechen, um von dir Hülfe, oder wenigstens Rath für deine Freundin zu erhalten.

Es ist mir sehr unangenehm, daß die Art meines Anliegens mir nicht erlaubt, weder dein Geschlecht überhaupt, noch deine Liebe für einen sonst schätzbaren Mann zu schonen, gegen den ich eben klagen muß. Schließe aber daraus, welches Vertrauen ich auf dein strenges Pflichtgefühl, und deine vorurtheilslosen Ansichten setze, indem ich mich ohne weitere Umschweife in dieser Sache an dich wende.

Du weißt, in welchem Verhältniß Sulpicia und Tiridates standen, als dieser im Frühlinge Rom verließ. Ihre Ansprüche an seine Treue waren vollgültig, durch[47] ihre grenzenlose Liebe und tausend Aufopferungen wohlverdient, ihre Hoffnungen auf seine Hand rechtmäßig und gegründet, und durch heilige Eide versichert. So schied er von ihr, und ließ sie in häuslichen Verhältnissen zurück, über deren Schwierigkeit und Unannehmlichkeit er sich unmöglich tauschen konnte, und an denen doch eigentlich seine Verbindung mit ihr Schuld war. Ein alltägliches Geschöpf von Ehemann erniedrigt sie durch Verdacht und Auflauren, während ein harter Vater sie mit Vorwürfen quält, welche nur wirkliche Vergehungen rechtfertigen könnten, die aber in Sulpiciens Falle, wo blos das Herz – doch wozu brauche ich dir ein Verhältniß zu schildern, das du wohl kennst, und einst mit zu großer Strenge gerichtet hast? Vielleicht denkst du jetzt auch über diesen Punkt milder, und spätere Erfahrungen mögen deine Ansichten verändert haben. Wie aber immer deine Denkart seyn mag, so glaube ich, wirst du doch darin vollkommen mit mir übereinstimmen, daß Treue, ausschließende Anhänglichkeit, und festes Verfolgen des abgeredeten Planes, Bedingungen sind, die, wenn sie gehalten werden, nicht großes Aufhebens, und wenn sie gebrochen werden, den allerstrengsten Tadel, ja gar keine Entschuldigung verdienen. Was soll also die unglückliche Sulpicia denken und fühlen, wenn sie von allen Seiten bestätigen hört, daß der leichtsinnige Tiridates, versunken in Asiens Wollüste, bestrickt von verführerischen Weibern, von Einer zur Andern gedankenlos flattert, und, von den Freuden des Hofes trunken, nicht Zeit hat, sich um so geringfügige Sachen zu bekümmern, als der Thron seiner Väter, und die Ruhe eines Herzens ist, das sich ihm ganz und willenlos geopfert hat?[48]

Wie zerrissen dies schöne, edle Herz ist, wird dir der beigeschlossene Brief zeigen, den ich aus Bajä von ihr erhielt, wo ihre niedrigen Peiniger sie eingeschlossen halten, um ihr den letzten Trost, den Um gang mit mir, zu entziehen. Serran's kleiner Geist fürchtet meinen Einfluß, darum hat er seine Frau aus Rom entfernt; und Sextus Sulpicius sieht in mir nichts, als eine schlaue Mittlerin eines verbotenen Verhältnisses. Wie könnte auch seine grobgeschnitzte Seele, die an keine weibliche, ja an keine menschliche Tugend, als allenfalls den Patriotismus glaubt, sich zu dem Gedanken erheben, daß man einander wirklich lieben, und durch diese Liebe sich recht viel seyn kann? Diese Lage allein wäre schon hinreichend für Sulpicien, das Mitleid und die Schonung der ganzen Welt aufzufordern, um wie viel mehr die allerzarteste Aufmerksamkeit desjenigen, für den, um dessentwillen sie so sehr leidet. Aber dieser leichtsinnige Königssohn vergißt ihrer im Arm asiatischer Hetären, und vermehrt ihre Qualen noch durch den scharfen Stachel, den seine Untreue, der Gedanke, so gewissenlos vergessen zu seyn, in ihr zerrissenes Herz drückt.

Zwar will ich gern glauben, daß der immer vergrößernde Ruf auch hier Manches hinzugesetzt hat, was nicht so ganz wahr ist; indessen, wenn ich auch die Hälfte abrechne, bleibt noch immer genug übrig, um Tiridates sehr strafbar erscheinen zu machen. Noch schreibt er ziemlich oft und ziemlich warm an Sulpicien; aber was ist dies für ein Herz, das von Zweifel und Angst gefoltert wird, und in der sehr natürlichen Voraussetzung, daß der Prinz wohl so klug seyn wird, sich nicht selbst anzuklagen, seine Briefe schon mit ungünstigem Vorurtheil empfängt? Da wird jedes kühlere Wort, jeder unvorsichtige Ausdruck eine[49] neue Quelle des Argwohns. Bei einem Brief kommt so viel auf die Stimmung des Lesenden an, sie gibt die Musik zu den Worten. Was kann der todte Buchstabe, was kann ein treuer Freund zur Beruhigung sagen, wenn ein krankes Gemüth mit jener geflissentlichen Grausamkeit, die eben den bessern Seelen eigen ist, in jedem Worte einen Pfeil finden will, um ihn tiefer in seine Wunden zu drücken? O wahrlich! solche Gemüther sind sehr zu beklagen, sie sind ewig das Spiel und der Raub der rauhern stärkern Seelen.

Bei dieser Lage der Sachen, bei der halben Ungewißheit, in der wir über Tiridates wahre Gesinnungen schweben, und bei der Unmöglichkeit, im Geringsten auf ihn wirken zu können, wende ich mich nun an dich, und hoffe von deiner Denkart, von deiner Achtung für Sulpicien, und hauptsächlich von deiner genauen Verbindung mit dem Prinzen, noch allein das Wenige, oder Viele, was sich in dieser Sache thun läßt. Zuerst ersuche ich dich um eine genaue Nachricht von Tiridates Lebensart und Gesinnungen, so weit du sie zu kennen vermagst. Für's Zweite überlasse ich deinem Gefühle, deiner Beurtheilung, die weitern Schritte zu bestimmen, die allenfalls noch hierin zu thun wären. Deine Denkart ist mir Bürge, daß ich meine Freundin hier nicht aussetze, daß nichts geschehen wird, worüber sie zu erröthen, ja, was sie nur von fern ungethan zu wünschen haben würde. Leite, führe du die Sache, wie du es für gut findest; ich lege mit Zufriedenheit Sulpiciens Geschick und meine treue Sorge für sie in deine Hand, und erwarte, wo nicht Hülfe, – denn wer weiß, ob du die gewähren kannst? – doch wenigstens Trost und Beruhigung für sie von deinem Herzen.[50]

Mein Vater und meine Brüder, die alle recht wohl und vergnügt sind, grüßen dich herzlich durch mich. Solltest du zu antworten nöthig finden, so sey auch so gütig, mir den Ort deines Aufenthalts zu bemerken. Nicht immer wissen wir in Rom genau die Standörter unserer Armeen, und nicht immer ist ein Legat so glücklich, im Hause seines Feldherrn zu leben, und alle seine Leiden und Freuden mit ihm zu theilen. Leb' wohl.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 46-51.
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