28. Larissa an Junia Marcella.

[58] Nisibis, im Oct. 301.


So ist denn keine irdische Freude von Bestand, und der Himmel, der sie uns, kaum empfunden, wieder entzieht, scheint uns immerfort zu ermahnen, daß wir hier nicht in unserer Heimath sind. Freundliche Gestalten begegnen dem Pilger, die schnell an ihm vorübergleiten, liebliche Gegenden eröffnen sich ihm, in denen er so gern verweilen möchte – umsonst! das Schicksal treibt ihn fort, sein Bleiben ist hienieden nicht, und fern, fern von den reizenden Umgebungen, muß er durch ein dunkles grauenvolles Thal, um jenseits die sonnige Höhe zu erklimmen, von deren Gipfel der Kranz der Vollendung strahlt.

Ja, meine Junia! der kurze Frühlingsschimmer meines Glückes ist verschwunden. Trübe Wolken steigen herauf, und verfinstern den freundlichen Tag, in dessen holdem Lichte mein wundes Herz sich zu erholen anfing. Was noch aus mir werden soll, weiß nur Gott: aber, daß er es weiß, daß ich seiner Vaterhuld mein Schicksal getrost überlassen darf, das ist für jetzt, und wird wohl für immer meine einzige Beruhigung seyn.

Demetrius fing an, sich nach und nach zu erholen. Er konnte das Bett wieder verlassen, und entwarf bereits mit seinen Offizieren weitere Plane für den Rest dieses, und den Anfang des nächsten Feldzuges. Ich überließ[58] mich sanften Hoffnungen von der Dauer meines Glückes, als auf einmal ein Befehl des Diocletian erschien, der meinem Gemahl in unsanften Ausdrücken die allzugewagte Stürmung von Nisibis vorwarf, und es ihm zum Fehler anrechnete, diese That, bei so weniger Hoffnung auf glücklichen Erfolg gewagt, und so viele Leute geopfert zu haben. Wenn du indessen wüßtest, wie es mit uns stand, wie das Heer von Unmuth, Krankheit und Mangel aufgerieben, weit mehr dadurch verlor, als durch den blutigsten Sturm, wie geflissentlich man es ohne Hülfe ließ, wie – doch wozu dies Alles wiederholen, was ich dir doch nicht so umständlich beschreiben kann, und was jetzt nichts mehr nützt? Genug, mein Mann wurde des Befehls über seine Armee enthoben. Seine hohen Jahre, seine Krankheit dienten zum bessern Vorwand, und Marcius Alpinus, der ein Liebling des Galerius, und vorher Tribun bei seiner Leibwache gewesen war, ist schon auf dem Wege, seine Stelle einzunehmen. Wie das meinen Mann schmerzt, wie es ihn, den kaum Genesenen, von Neuem niederwirft, sein Gemüth bitter, seine Stimmung reizbar macht, kannst du dir vorstellen; und daß Alles, was ihn umgibt, und ich zuerst darunter sehr leiden muß, ist wohl eben so natürlich. Er hat auch sogleich seinen völligen Abschied begehrt, er will einem Staate nicht langer dienen, der ihn so mißkennt. Der Vorwand, unter dem ihm das Commando genommen worden, dient ihm eben so, seine Entlassung zu fordern, und wir werden uns in wenig Tagen auf den Weg nach unserer Villa am Ufer des Bosphorus begeben.

So wird es mir denn also von den Umständen selbst sehr leicht gemacht, deinen Rath zu befolgen, und mich[59] von Agathokles zu trennen. Es ist auch in Rücksicht dieses Verhältnisses schon eine Zeit her nicht mehr Alles, wie es war, wie es seyn sollte. Ich sah schon vorher mit Schmerz, daß Agathokles meine schöne friedliche Stimmung nicht theilte. Eine unruhige Heftigkeit lag in seinem Wesen. Sein Blick, den er selten offen auf mich richtete, hing oft verstohlen mit wilder Gluth an mir, und sank scheu nieder, wenn ihn mein Auge traf. Ich sah ihn bei meiner unverhehlten Herzlichkeit bald feurig auflodern, bald sie mit starrer Kälte aufnehmen. Jetzt schien er mich mit heißer Liebe zu suchen, jetzt geflissentlich zu vermeiden; kurz, er war ungleich, launisch, möchte ich sagen, und der stille Frieden entfloh durch dies Betragen auch endlich aus meiner Brust. Ich glaubte indessen nichts darin zu sehen, als die längst gemachte Bemerkung, daß es den Männern so gar nicht möglich ist, eine ruhige sanfte Neigung zu nähren, und sich mit den Rechten und Empfindungen der Freundschaft zu begnügen, wenn ihnen der volle ausschließende Besitz versagt ist, und es that mir weh, sogar einen Agathokles nicht frei von den Schwachen seines Geschlechtes zu finden.

Aber seit einigen Tagen bemerkte ich, daß er mehrere Briefe aus Rom und Nikomedien erhielt, und sie sehr angelegentlich beantwortete; auch schien er mir noch düsterer und tiefsinniger als vorher. Einer dieser Briefe nach Rom war an eine gewisse Calpurnia. Das erfuhr ich zufällig. Calpurnia heißt die schöne Tochter des Lucius Piso, bei welchem Agathokles in Rom gewohnt hat, von deren unwiderstehlichen Reizen ich schon öfters von unverdächtigen Zeugen sprechen gehört habe. Gestern kündigte er uns an, daß ihn Tiridates nach Nikomedien[60] beschieden habe, und er Nisibis noch vor uns verlassen müsse. Wie das zusammenhängt, sehe ich wohl nicht ein, aber daß es zusammenhängt, das fühle ich, und erkenne es bestimmt aus tausend Kleinigkeiten, die ich wohl zu vereinbaren wußte. Ich läugne dir nicht, daß es mich tief schmerzt, nicht allein, daß Agathokles sich, wie es scheint, freiwillig von uns entfernt, und die kurze Zeit unsers Beisammenseyns noch abkürzt, sondern daß er mir, mir, deren Herz so offen vor ihm lag, mir, der Jugendgespielin, der innigsten Freundin ein Geheimniß aus den Schritten macht, die er thut.

Zwei Tage werde ich noch mit ihm zubringen, vielleicht die letzten in meinem Leben! Es ist sehr ungewiß, ob ich ihn je wieder sehen werde, und die kurze Zeit meines Glücks wird mir wie ein Traum vorkommen, aus dem ein unfreundlicher Morgen mich weckte. Und doch soll ich wünschen, von ihm getrennt zu seyn! Doch soll ich die Stunde segnen, die uns – für immer – scheidet? Ach Junia, ich vermag es nicht! Jetzt, in dem Augenblicke wo der Himmel das Gebet erhört, das ich in der Angst meines Herzens oft zu ihm sandte, wo der Zweifel an meines Freundes Offenheit, an seiner ausschließenden Liebe mir die Trennung erleichtern sollte, jetzt fühle ich alle Kräfte schwinden, und ich zittere vor dem Gedanken, ihn nicht mehr zusehen, vor dem Gedanken, daß er mich nicht so ausschließend liebt, als ich glaubte. Was wirst du von mir denken, wenn du dich der vielen Stellen erinnerst, wo ich in plötzlicher Aufwallung von Selbstverläugnung betheuerte, daß ich es gelassen ansehen wollte, wenn er mich vergäße, um ruhig und glücklich zu seyn? Wie so schwach ist das menschliche[61] Herz, wie so ganz aus Widersprüchen zusammengesetzt! Wie so gar nichts ist unsere Tugend, wenn die Vorsicht sie auf eine ernste Probe setzt! Das Schicksal scheint mich bei dem raschgesprochenen Wort zu nehmen. Es ist möglich, daß er eine Andere liebt – und ich schaudere vor der Erfüllung rechtmäßiger Wünsche, die ich einst so herzlich wünschte.

Ach, warum hat ein unvorgesehener Zufall, wie du mir neulich schriebst, Apelles Ankunft verzögert? Gewiß, Junia! ich wäre nicht so schwach, so elend, wenn der Geist dieses Mannes meine sinkende Seele aufrecht hielte. Er wird kommen, schreibst du, ach wann – und nach welchen Auftritten! In fünf Tagen gehe ich mit meinem Gemahl nach unserm einsamen Landgute Trachene ab. In der traurigsten Jahrszeit, in ununterbrochener Einsamkeit wird dort mein Leben an der Seite eines kränklichen, und durch sein Schicksal gebeugten Greises verfließen. Könnte mich Apelles dort besuchen, so würden meine Wunden sich stiller verbluten, und vielleicht eine Spur des Friedens wieder in mein Herz einkehren, der jetzt vor so viel Stürmen entflohen ist, und den ich einst unter allen Leiden so sorglich bewahrt habe.

Sage ihm das, meine Junia! sage ihm, wie es mit mir ist, und wie sehr ich den Abgang eines weisen, festgesinnten Freundes fühle, dessen richtiger Sinn mein schwankendes Gemüth in den gehörigen Schranken halte. Deinen nächsten Brief sende nach Trachene. Leb' wohl.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 58-62.
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