47. Calpurnia an Sulpicien.

[47] Nikomedien, im August 302.


Ich habe einen höchst genußreichen schönen Tag durchlebt, meine liebe Sulpicia! und mein volles Herz drängt mich, meine Freude in den Busen meiner Freundin zu ergießen. So herrlich der Tag war, so lieblich ist sein Abend – und ich habe, um ihn recht mit allen Sinnen zu genießen, mir das Schreibgeräthe auf das platte Dach unsers Hauses bringen lassen, das nach orientalischer Sitte mit Blumen und Orangenbäumen besetzt, einen Garten und recht angenehmen Spazierort für die kühleren Stunden anbietet. Hier sitze ich unter Düften und Blüthen, weiche Lüfte umspielen mich, vor mir liegt die heilige Meeresfluth unermeßlich ausgebreitet, über die der letzte Sonnenstrahl feurig brennende Brücken zieht. Sie selbst glühend, wie vor Freude in den Erinnerungen des schönen Tages, dem sie leuchtete, sinkt hinter den Bergen von Europa hinab, deren dunkelblaue Riesengestalten sonderbar mit den hellen Massen in Luft und Meer kontrastiren.

Um mich her ist ein freudiges Weben und Schwelgen in ruhigem Genusse. Käfer und Mücken tanzen im letzten Sonnenstrahl, oder wiegen sich in Blumenkelchen. Vor den Häusern oder auf ihren Terrassen sitzen die Nachbarn,[47] und wiederholen in traulichem Geschwätz die Freuden des Tages; hier und dort tönt eine Leier, oder ein ferner Gesang durch die Stille. O meine Sulpicia! Warum bist du nicht hier, um das Alles mit zu geniessen! Ja es war ein schöner Tag für mich – für ganz Nikomedien, und du sollst Alles hören, um dich im Widerschein unsers Vergnügens zu freuen.

Schon gestern Abends verbreitete sich ein Gerücht von einem Siege, den Galerius über die Perser erfochten habe. In der Niedergeschlagenheit, die sich seit der letzten unglücklichen Schlacht der Gemüther bemächtigt hatte, war diese Neuigkeit sehr erwünscht, und wurde begierig, obwohl nicht ganz ohne Mißtrauen ergriffen, weil wir leider schon öfters durch falsche Siegeshoffnungen waren getäuscht worden. Desto größer war die Freude, als heute mit anbrechendem Tage, vom kaiserlichen Palaste aus, wohin der Tribun, der die Nachricht gebracht, vorläufige Botschaft gesandt hatte, sich die frohe Bestätigung durch die ganze Stadt verbreitete. Der Tribun bekam Befehl, öffentlich in die Stadt einzuziehen. Die Strassen waren mit einer unzählbaren Menschenmenge bedeckt, deren dumpfes Geräusch, wie des fernen Meeres, und ihr Hin- und Herfluthen mich ergötzte. Ich war auf die Terrasse über unserm Hause gegangen, wo ich jetzt schreibe, und sah dem Schauspiel vergnügt, aber ohne besondre Theilnahme zu. Auf einmal verkündigte ein lebhaftes Geschrei und Jauchzen, der Schall kriegerischer Instrumente und die heftigere Bewegung der Menschenmasse die Annäherung des Siegesboten. Alles schrie: Es lebe Diocletian! Es lebe Galerius! Es war ein Freudentumult, der auch mich unwillkührlich ergriff, mein[48] Herz schneller schlagen, und Thränen der Freude in meinen Augen schwellen machte – es war mir, als sollte ich mitrufen: Es lebe der Kaiser! So ansteckend ist das Entzücken. Jetzt kam der Zug. Voraus ritt eine Schaar ganz gewaffneter und prächtig geschmückter Krieger, hinter ihnen, von Offizieren umgeben, der Tribun im Schmucke seines Ranges. Ich hatte schon vorher von meinen Sclavinnen gehört, daß er sich bei der Schlacht sehr ausgezeichnet, und von seiner Cohorte auf dem Schlachtfelde zum Tribun erwählt worden war; dies machte mich aufmerksamer auf ihn. Es war eine schlanke Gestalt, die sich mit Anstand gegen die grüßende Menge verneigte, aber je näher er kam, je sonderbarer ward mir zu Muthe – ich glaubte bekannte Züge zu entdecken, und – stelle dir meine Ueberraschung, meine Freude vor – es war wirklich Agathokles. Als er an unser Haus kam, sah er sogleich empor. So einnehmend, so froh hatte ich ihn nie gesehen. Sein Gesicht glühte, seine Augen leuchteten vom freudigen Stolze, und doch war eine bescheidne Haltung in seinem Wesen, die den schimmernden Eindruck lieblich mäßigte. Er grüßte mich sehr freundlich, ich beantwortete seinen Gruß mit so viel Achtung und theilnehmender Freude, als sich nur in einen Gruß legen läßt, und ergötzte mich an dem Umsehen, Emporblicken und Flistern der Menge, die dieses Zeichen meiner genauern Bekanntschaft mit dem Helden des Tages aufmerksam gemacht hatte. Nach einer Stunde kam mein Vater vom Augustus zurück, auch er war erfreut über die Auszeichnung, die seinen Gastfreund ehrte. Er rühmte den gütigen Empfang des Augustus, Agathokles bescheidnes kluges Betragen, und kündigte ihn mir als Gast zur Tafel an.[49]

Wie ein Blitzstrahl fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, den heutigen Tag und Agathokles wohlverdienten Ruhm durch ein kleines Fest zu feiern. Gedacht – gethan! Ich ließ meine Mädchen, und die jüngsten Sclaven meines Vaters rufen, ich unterrichtete sie, so gut sich in der Eile thun ließ; unser großer Gartensaal ward zum Schauplatze eingerichtet, und Alles recht hübsch geordnet. Noch vor der Essenszeit zog mich ein Geräusch an's Fenster – er war es. Ohne den Prunk, der ihn zuvor umgeben hatte, zu Fuß, nur von einem Sclaven begleitet, kam er auf unser Haus zu; aber das Volk lief ihm nach, und begleitete ihn mit Freudensbezeigungen bis beinahe in's Atrium. Hier empfingen ihn mein Vater, mein Bruder und ich mit einer herzlichen Freude, in die sich – unwillkührlich etwas Feierliches mischte. Er gab sich, in dem frohen Gefühle, unserer Freundschaft hin; er war heiter, gesprächig, sogar munter. O wie liebenswürdig, wie gefährlich könnte der Mann seyn, wenn er immer so heiter wäre! Nun, zum Glücke für uns arme leichtsinnige Geschöpfe, die nicht so glücklich sind, Larissen zu seyn, kömmt er nicht alle Tage als Siegesbote, und so ist auch keine Gefahr, daß er alle Tage so liebenswürdig seyn wird.

Nach dem Essen entschlüpfte ich unbemerkt, und nachdem Alles veranstaltet war, ließ ich meinen Vater und ihn in den Gartensaal rufen. Auch für meinen Vater war mein kleines Fest eine Ueberraschung, um desto besser gelang es, und ich glaube, daß alle Parteien gleich vergnügt auseinander gingen. Als ich zu Agathokles trat, ihm den Kranz aufzusetzen, sah ich ihn unwillkührlich zurücktreten, und eine brennende Röthe überflog sein Gesicht.[50] Er hielt meine Hand zurück, aber ich ließ mich nicht stören, und während meine Mädchen sich in lieblichen Stellungen schwebend und tanzend um ihn gruppirten, wand ich ihm das Siegeszeichen in die Locken. So stand er bekränzt und betroffen vor mir, und dankte mir mit einem Blicke und Ton, der mir meine kleine Mühe so vergalt, wie ich sie vergolten zu haben wünschte, und – zeihe mich immer heimlicher Listen und Absichten – durch mein Fest vergolten haben wollte.

Wir gingen in den Garten, mein Vater wurde abgerufen, ich blieb allein mit Agathokles. Er war nicht ohne Verlegenheit, das sah ich – es freute mich, und erhielt mir meine ganze Unbefangenheit. Das muß seyn, wenn ich nicht auf der Stelle den erhaltenen Gewinn verlieren, und wieder auf dem Platze mit ihm stehen will, auf dem ich vor seiner Ankunft stand. Er muß zu denken, auszulegen, zu enträthseln haben, wenn ich meine Absicht erreichen will, nicht ich – wir müssen Rollen tauschen. Unsere Unterhaltung war eine Weile einsylbig, dann aber desto lebhafter, und obwohl sie beständig in den Schranken zwangloser Freundschaft blieb, war ich doch ganz wohl mit dem Erfolge des Tages zufrieden, und sah ihn ruhig Abschied nehmen, als er, zum Augustus berufen, dem unwillkommenen Befehl ziemlich unmuthig gehorchte.

So stehen nun die Sachen. Die nähere Beschreibung des Festes, und eine Zeichnung, die ich bis jetzt nur entworfen, und nächstens auszuführen im Sinne habe, bringe ich dir selbst mit, sobald meines Bruders Geschäfte ihm erlauben, mich zu dir zu begleiten. Der Entwurf ist gelungen, ich hoffe, die Vollendung soll es auch werden.[51] Aber nun auch kein Wort weiter. Die Sonne ist längst hinab, und die Dämmerung macht alle Buchstaben vor meinen müden Augen verschwinden. Schlaf wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 47-52.
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