53. Theophania an Sulpicien.

[94] Nicäa, im October 302.


Deiner gütigen Aufforderung und dem Wunsche meines Herzens gemäß, schreibe ich dir, meine liebenswürdige Freundin, aus dem stillen Aufenthalte, in welchem ich endlich nach so manchen Stürmen Ruhe zu genießen hoffe. Ich bin nicht in Nikomedien geblieben, wie du aus dem Anfange meines Briefs sehen wirst. Meines Vaters Geschäfte fordern seine Anwesenheit hier, und ich begleite ihn gern. Der Heimathlose findet überall sein Vaterland, wo die wenigen guten Menschen wohnen, die noch einigen Theil an ihm nehmen. Ich habe auf der weiten Welt nun außer der kleinen Familie, bei der ich lebe, und einer einzigen Freundin, die aber gebietende Umstände fern von mir halten, keine Seele mehr, um derentwillen ich irgend einen Ort zum Aufenthalt vorziehen, die um meinetwillen auch nur die geringste Veränderung in ihrer Lebensweise machen möchte. Ich bin allein. Es ist ein eignes Gefühl, so ganz einsam in der Welt zu seyn, zu wissen, daß unser Glück kein fremdes[94] Auge erheitert, unser Schmerz keine fremde Thräne hervorlockt. Es ist traurig – aber es liegt dennoch etwas Beruhigendes darin. Es macht uns die Gegenstände und Verhältnisse außer uns so gleichgültig, so beziehungslos, daß wir dadurch in jene stille Fassung kommen, die so viele Weise des Heidenthums als das höchste Gut, das Ziel aller menschlichen Bestrebungen anpriesen, und die die christliche Religion (ich bin eine Christin, du wirst das schon lange geahnet haben,) als diejenige Stimmung empfiehlt, die uns am geschicktesten macht, die Welt, ihre Freuden, und uns selbst zu vergessen, und an unsrer Veredlung, unserer Heiligung zu arbeiten.

Doch, so still mein Gemüth auch ist, so sehr ich mich bestrebe, Alles, was mir diese Erde an Freuden versprach, und an Schmerzen zumaß, zu vergessen, so wird doch der Abend in Synthium nie aus meiner Seele scheiden.

Ich habe dich kennen gelernt, und wenn mich kein Vorurtheil, keine Eitelkeit verführt, so habe ich an dir eine Frau gefunden, die, selbst mit dem Unglücke bekannt, Leidende zu verstehen, zu schonen weiß, so ist die unbekannte Reisende, die sie gastfrei in ihrem Hause aufnahm, nicht ganz aus ihrem Andenken verschwunden. Diese Hoffnung ist es auch, welche mir Zuversicht gibt, deine gütige Aufforderung zu einem Briefwechsel für mehr als Artigkeit zu nehmen, und dir zuweilen Nachricht von dem einsamen vergessenen Wesen zu geben, das einige Stunden in deiner Nähe verlebte.

Wenn deine schöne Freundin im Wirbel ihrer bräutlichen Geschäfte und Freuden, in der Fülle ihres Glückes, mit dem Manne vereinigt zu werden, den ihr Beide als so edel und liebenswürdig schildert, noch einige Erinnerung an eine gleichgültige Erscheinung behalten hat, so rufe mein Andenken in ihre Seele zurück, und vergiß nicht, wenn du mich, wie ich hoffe, mit einer Antwort[95] erfreuen willst, mir zu sagen, ob sie bereits vermählt ist, oder wann sie es seyn wird. Schreibe mir auch den Tag und die Stunde, wenn du recht gütig seyn willst. Calpurniens Reiz und unwiderstehliche Liebenswürdigkeit, der Umstand, daß sie deine Freundin ist, macht sie meinem Herzen werth, und es wäre mir sehr wichtig, die große Stunde, die ihr Geschick auf eine solche Art entscheiden wird, in meiner Einsamkeit nach meiner Stimmung zu feiern.

Noch hätte ich eine Bitte, aber sie grenzt an Unbescheidenheit, und so fehlt mir der Muth, sie vorzutragen. Auch betrifft sie nicht dich, sondern die reizende glückliche Braut. Wüßte ich, daß sie sich meiner mit einiger Theilnahme erinnerte, und mir nicht zürnte, wenn ich sie um eine große Gefälligkeit bäte: so würde ich in meinem nächsten Brief meinen Wunsch entdecken, und freundliche Gewährung hoffen. Leb' wohl![96]

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828.
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