57. Theophania an Junia Marcella.

[14] Nicäa, im November 302.


Wenn du nicht lächeln willst, meine geliebte Freundin, so möchte ich mein Herz einem klaren Wasserspiegel vergleichen, der zwischen Büschen verborgen das Bild des schönen Himmels treu in seiner Tiefe bewahrt. Wenn auch Stürme auf eine Weile seine Oberfläche trüben und empören, daß die Bilder entfliehen oder verworren auf den unstäten Wellen schwanken, so bringt es doch seine Natur mit sich, daß er mit allen seinen Kräften[14] wieder in seine vorige Lage zu kommen strebt, und sich nach und nach selbst beruhigt. Dann sieht der Wanderer, der ihn in seiner stillen Verborgenheit aufsucht, nicht die Fluth selbst, er sieht nur die Bilder des Ufers und den schönen blauen Himmel, der ihm aus der klaren Tiefe entgegen strahlt. So ist es mir ergangen, meine Geliebte! Von selbst, ohne äußeres Zuthun, hat sich mein Herz wieder gefunden; der stille Friede und mit ihm ein theures Bild sind in dasselbe zurückgekehrt. O es war eine traurige Zeit, als ich ihn nicht mehr lieben zu dürfen glaubte, als ich ihn für leichtsinnig und flatterhaft halten mußte! Es war ein Aufruhr in meiner Natur, eine gewaltsame Verwirrung derselben. Ich muß ihn lieben, ich muß mit ihm einig seyn, wenn ich es mit mir selbst seyn soll. Ich bin es wieder, und das ist das Kleinod meiner Brust. Jetzt strahlt der stille Spiegel wieder nur sein theures Bild zurück, und ich darf wohl sagen, es ist mir wie der Fluth, die selbst verschwindet, und nur den Himmel zeigt. Ich will mich gern selbst vergessen, wenn nur Er glücklich ist.

Du wirst vielleicht glauben, daß ich ihn gesehen, oder sonst etwas von ihm gehört hätte. Nein, meine Liebe! Aus meinem Innern, aus den Erinnerungen an meine Jugend, aus der Zusammenhaltung mehrerer Umstände, aus der Ueberzeugung von seinem Werthe ging die kräftige Beruhigung hervor. Selbst deinen Brief habe ich erst erhalten, als es bereits stille in mir war. Was er enthielt, gab mir noch höhere Kraft und das angenehme Gefühl der Uebereinstimmung mit der edelsten Freundin. Ja, meine Liebe, er ist ganz entschuldigt! Er steht rein und tadellos vor mir, und das macht mich glücklich, so[15] wenig beneidenswerth sonst meine Lage ist. Nur der Gedanke, an ihm zweifeln zu müssen, kann mich wahrhaft unglücklich machen, denn er stört meinen Frieden. Ihn lieben, und die Tugend lieben, ist Eins bei mir! Aber wenn auch diese Ueberzeugung die unerläßliche Bedingung meiner Seelenruhe ist, so ist sein Besitz kein Recht, das ich von der Vorsicht als ein Eigenthum ansprechen darf. Jenes hat sie mir gewährt, weil Seelenfrieden zu unserm Seelenheile nothwendig ist. Unsre Glückseligkeit ist es aber nicht, und so darf ich diese nicht ansprechen, und thue es auch nicht. O meine Junta! wie glücklich ich geworden wäre, wenn es Gott gefallen hätte, uns zu vereinigen, wage ich nicht zu denken. Mir schwindelt vor dieser Höhe von Seligkeit, die vielleicht für dies Leben zu groß gewesen wäre! In dieser Furcht beruhigt sich mein Herz, und bescheidet sich, die Wonne des Himmels nicht schon hienieden zu genießen.

Mein Vorsatz, unbekannt zu bleiben, steht daher noch immer fest. Es tragen manche Nachrichten, manche Ueberlegungen dazu bei, es rührt auch wohl manche Ansicht aus Heliodors Umgange her. Ich will mich bemühen, dir Alles klar und deutlich zu machen, so deutlich, als ich es fühle; aber es ist schwer, Gefühlen Sprache zu geben, und was wir als entschieden wahr empfinden, dem Andern eben so klar einsehen zu machen.

Es lebt hier ein gewisser Marcius Alpinus, derselbe, der zum Nachfolger meines verstorbenen Gemahls bei dem Heere bestimmt war, und dessen Ankunft der gekränkte würdige Held nicht erwarten wollte. Er kennt mich also nicht persönlich, so wenig, als ich ihn je gesehen habe; aber er kennt Alles, was in Nikomedien und am Hofe[16] von einiger Bedeutung ist, und so denn auch das Haus des Proconsuls, seine schöne Tochter und ihre Verhältnisse. Irre ich nicht, so haben ihre Reize selbst einigen Eindruck auf ihn gemacht; aber wie das bei solchen Weltmenschen geht, es gleitet Alles leicht über ihre abgeschliffenen Seelen hin, und so auch die Liebe. Von ihm habe ich nun durch schickliche Fragen und Erkundigungen so viel erfahren, daß Calpurniens Verhältniß zu Agathokles kein Geheimniß ist, und daß man in der großen Welt ihrer Verbindung als einem sehr wahrscheinlichen Ereignisse entgegen sieht. Wie soll ich bei diesen Verhältnissen den Muth haben, hervorzutreten? Wie leicht könnte es geschehen, daß Agathokles durch mein Daseyn mehr erschreckt als erfreut würde, daß er dann aus Rechtschaffenheit ein Band zerreißen würde, das ihn glücklich machen könnte, um sich in ein Verhältniß zu schmiegen, das ihm fremd geworden ist, und nicht anders als drückend seyn würde? Und würde ich dann glücklich seyn? Nein, meine Liebe! Viel besser ist's, er erfährt nie, daß ich lebe; so erspare ich ihm Beschämung, Rene, eine schwere Wahl, oder eine noch mühsamere Treue, die mich unglücklicher machen würde, als seine Sinnesänderung.

So bin ich still und fest entschlossen, meinem Plane treu zu bleiben, und aus eben der Ursache kann ich dein Anerbieten, nach Apamäa zu fliehen, nicht annehmen. Dort bin ich bekannt, dort könnte es mir nicht gelingen, unter meinem Christennamen unerkannt zu bleiben, und ich muß diesem Glücke, wie so manchem andern, entsagen. Ich muß hier, wie so oft in meinem Leben, sagen: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen,[17] der Name des Herrn sey gebenedeiet. Ach, wenn ich den Trost nicht hätte, wie könnte ich mein Schicksal ertragen! So viel zu verlieren, so Vielem zu entsagen, und doch nicht zu verzweifeln – dazu gehört unmittelbare Unterstützung von oben, Wirkung der göttlichen Gnade, um die ich in unablässigem Gebete ringe. »Betet, so wird euch gegeben werden!« Ja es wird mir gegeben werden – nicht das, was mein Herz, vielleicht irrig, für mein Glück hielt – aber das, was ich bedurfte, um seinem Verluste nicht zu erliegen, Geduld, Kraft und Frieden.

Glaube aber nicht, meine Theure, daß mein Gemüth immer so ruhig ist! Nein, deine arme Freundin ist nicht in jeder Stunde so unbegreiflich stark, um den Verlust von Agathokles Liebe, und den Entschluß, dein Anerbieten auszuschlagen, mit stillem Gleichmuth zu ertragen. O es ist mir oft, als wollte es mir die Brust zerreißen, wenn ich bedenke, was ich gehofft habe, und wie es nun geworden ist! Zuweilen schweben mir Bilder aus der Vergangenheit vor, zuweilen, wenn ich das stille Glück betrachte, das Fulvia, die Gemahlin des Lysias, genießt, wenn ich die Liebe und Achtung bedenke, mit der diese Gatten sich behandeln, die tausend kleinen Geschäfte des Lebens, die durch Liebe, Zärtlichkeit, Treue und Aufmerksamkeit so namenlosen Reiz erhalten, und sich mir dann der Gedanke aufdringt, was ich als Agathokles Gattin hätte werden können – o dann, Junia! gehört mehr als menschliche Kraft dazu, um nicht zu verzweifeln. Dann bleibt mir keine Rettung als im Gebete, das oft die Hälfte meiner Nächte einnimmt, und in Heliodors düster erhabnen Ansichten der Welt und Zukunft. Er reißt mich[18] mächtig empor, er, der die leidenschaftliche Liebe zu einem Geschöpfe verdammt, während er sein Leben der Menschheit widmet, er, dem der Landsmann, der Verwandte nicht näher steht, als der Wilde, für den er eben so willig sein Blut vergießt, er zeigt mir meine Pflicht in einem wunderbaren, erhabnen kalten Lichte, und so weh seine Vorstellungen meinem Gefühle thun, so mächtig stärken sie meinen Willen, und erhöhen meine Kraft.

Ich habe an Sulpicien geschrieben, mit verstellter Hand, um jeder Entdeckung vorzubeugen. Ich will mir diesen Weg offen erhalten, um etwas Zuverlässiges von Calpurniens Verhältnissen zu erfahren. Sie hat mir geantwortet, ganz so, wie ich es erwartet hatte; ihre Antwort hat nichts an meinem Entschlusse geändert. Nächstens werde ich ihr wieder schreiben, ich will es wagen, Calpurnien unter einem schicklichen Vorwande um jene Zeichnung bitten lassen, die mir die volle Gewißheit meines Unglücks gab. Es ist sein Bild. Ach, ich habe sonst nichts von ihm, und muß das Einzige von meiner Nebenbuhlerin erbetteln! Ach Junia!

Ist einst dieses Band, wie es Sulpicia selbst zu erwarten scheint, wirklich geknüpft, verlassen vielleicht die glücklichen Gatten Asien, was doch möglich wäre, oder hat die Zeit auch die letzte Spur meines Andenkens in seiner Brust verlöscht – dann komme ich zu dir, dann birgst du mich im Schatten deines Hauses, und gönnst mir einen Antheil an der Besorgung deines Hauswesens, an der Erziehung deiner Kinder, deiner Enkel, die bis dahin deine spätern Jahre verschönern werden, damit mein Daseyn nicht ganz nutzlos verschwinde, und ich,[19] wenn der milde Befreier der gefangenen Seele erscheint, mit dem Bewußtseyn aus der Welt scheide, doch Einem Menschen Etwas gewesen zu seyn. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 14-20.
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