35. Der Fleischerknecht.

[144] Vor einem Walde stand ein Wirthshaus, darin kehrte einst ein Fleischerknecht ein. Er hatte seine Geldkatze umgeschnallt, trug zu seiner Sicherheit ein Schlachtbeil bei sich und wollte über Land, Ochsen einzukaufen. In der Gaststube redete ihn alsobald ein riesenstarker Mann mit einem Schwert an der Seite an, sagte auch, daß in dem Walde viele Räuber seien. Darum gingen sie zuletzt mit einander, denn der Starke sagte, daß er[144] auch des Wegs ziehen wolle. Als sie nun im Walde waren, begehrte der Starke von dem Fleischerknecht die Geldkatze, und da dieser sie ihm nicht geben wollte, so sprach er: »Gut, Gesell, wir sind friedlich mit einander gewandert bis hieher, so laß uns Beil und Schwert bei Seite thun und nur mit den Händen zusammen ringen. Wenn ich dann Dich besiege, so nehme ich Dir die Geldkatze und lasse Dir das Leben, so wie auch Du mit mir thun magst, wenn Du mich besiegen solltest.« Da legten sie Schwert und Axt bei Seite und nachdem der Räuber den Fleischerknecht im Ringen zu Boden geworfen hatte, schnallte er ihm die Geldkatze ab, ließ ihn aber dann wieder aufstehen. Dann nahmen beide Schwert und Axt vom Boden auf. Sogleich riß der Fleischer dem Räuber nun unversehens die Geldkatze wieder aus der Hand und warf sie auf die Erde. Er meinte aber den Räuber mit dem Schlachtbeil, das er bei sich trug, zu tödten, sobald der sich bückte die Geldkatze aufzunehmen, denn er besaß durch sein Handwerk eine große Geschicklichkeit in der Führung desselben. Der Räuber merkte aber seine Absicht wohl und drohte ihm nun noch mit dem Tode, wenn er selbst sich nicht danach bückte, versprach ihm aber das Leben zu lassen, sobald er die Geldkatze aufhebe. Der Fleischer hob also die Geldkatze auf, übergab sie dem Räuber und da dieser von nun an meinte, daß er nichts Böses mehr im Schilde führte, so bat er, daß er ihm doch einen Finger abhacken möchte, damit sein Meister erkennen möchte, daß er wirklich überfallen sei und ihn nicht für einen Betrüger halte, wenn er ohne das Geld und ohne den Mastochsen nach Haus käme. Dazu entschloß sich der[145] Räuber und der Fleischerknecht bat ihn noch, fest zu hacken, damit der Finger auf den ersten Hieb am Boden läge. Als der Räuber aber krumm dastand und eben mit großer Gewalt mit dem Schwert zuhauen wollte, hackte der Fleischergesell, der weit behender war als der Räuber, mit seinem Schlachtbeil nach dem Räuber, tödtete ihn auf einen Hieb und blieb Sieger.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Märchen für die Jugend. Halle 1854, S. 144-146.
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