Nr. 79. Vom Andreasberge unter der Waldschmiede.

[48] An einem heißen Sommertage fuhr ein Mann aus Hasserode mit einer Schiebekarre nach dem Andreasberge, um sich zu seinem Bedarf Holz zu holen. Kaum hatte er sich einen Baum niedergehauen, so trat eine weiße Gestalt vor ihn und er erschrak so sehr, daß er sein Beil aus der Hand fallen ließ. Die weiße Gestalt war wie eine Nonne. »Erschrecke[48] dich nicht – redete sie ihn an – du kannst von mir viel neues erfahren, und was für dich sehr nützlich ist, wenn du thust, was ich dir sagen werde.« Ich will dir Alles thun, was du mir sagen wirst, antwortete er. Die Nonne sagte: komm' und gehe mit mir. Er folgte der Nonne, sie gingen beide bis auf den sogenannten Brücknerstieg, der etwa eine halbe Stunde vom Andreasberge liegt. Beide gingen an eine Klippe, worüber ein alter Baum lag; sie sagte: rücke den Baum zur Seite, da liegt ein Kind, das nimm mit dir, was dann weiter geschieht, wirst du bald erfahren. Da hob er das Kind auf und nahm es mit nach seiner Schiebkarre, die er auf dem Andreasberge hatte stehen lassen. Kaum war er da angekommen und hatte das Kind auf weiches Moos niedergelegt, da kam ein kleines graues Männchen, das sprach: du Erdwurm, ich sage dir, gehe mit und thue, was ich dir sage. Sie gingen beide mit einander fort und kamen in ein Thal, was das Schlieksthal genannt wird. Da war ein kleines Loch, da ging das Männchen hinein und winkte ihm, er solle mit herein kommen; er ging mit hinein, es war ganz helle in diesem Gemache und es war wie eine Stube. Als er um sich blickte, sahe er dieselbe Nonne, die ihn auf dem Brücknerstiege nach dem alten Baume geführet hatte; als sie den Mann ansahe, fing sie an zu lachen, schwieg aber ganz still. Das Männchen sagte: nimm diesen Stein mit zu Hause und verkaufe denselben, merke dir diese Stelle und suche weiter nach den Steinen. Wenn du nach deiner Schiebkarre kommst, dann wird ein großer schwarzer Ziegenbock vor dem Kinde liegen; greife aber zuerst nach dem Ziegenbocke und binde denselben an deine Schiebkarre, so wird das Kind verschwinden; erschrecke dich aber ja nicht und sprich kein Wort. Dann fahre zu Hause, der Ziegenbock wird auch sobald verschwinden, du darfst aber kein Wort sagen, ehe du nicht zu Hause kommst. Wenn du gar kein Wort sprichst, dann sind wir beide erlöset; sprichst du ein Wort, so muß die Nonne ewig wandeln; sprichst du zwei Worte, so müssen wir beide ewig wandeln. Kaum war der Mann fortgefahren, da verschwand der Ziegenbock wie das Kind; auf einmal kam ein Hase auf drei Beinen. Halt! rief er. Da fiel es ihm ein, was ihm der[49] Mönch gesagt hatte; er schwieg, bis er zu Hause kam. Hiervon soll es herrühren, daß die Nonne noch vom Andreasberge bis auf den Brücknerstieg wandelt. Durch diesen Mann soll nach kurzer Zeit ein Bergwerk im Schlieksthale erfunden worden und soll da 136 Jahre Bergbetrieb gewesen sein. Die Stelle, wo die Kunst gestanden hat, ist noch heutigen Tag zu sehen, sowie die wandelnde Nonne auf dem Andreasberge und Brücknerstiege.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 48-50.
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